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Innerhalb der Stadt sagte Schlachtenmaler: »Wir haben so viel Geld, daß ich's kaum tragen kann, und wie kläglich ist unser Aufzug! Scheinen wir nicht von der Zerstörung Ninive's zu kommen und gleichen eher Aus-, als Einwanderern?« Die Kaputher wurden neugierig und blickten den vier Knaben nach, die so viel Koffer und Körbe auf dem Kopfe trugen, und blieben stehen. Schlachtenmaler erklärte, es würde noch einen Volksauflauf geben, der sie nicht weniger in's Gefängniß bringen könnte, wie die zur Zeit noch unberichtigte Schuld im letzten Wirthshause. Eine Wohnung würden sie auch nicht finden, wenn sie alle Vier einen Vermiether überstürmten. Deßhalb beschied er die Andern, auf einem leicht wieder auffindbaren Platze zu warten. Er wolle inzwischen durch die Straßen laufen und da eine Stube miethen, wo sie an der Hausthüre am unorthographischsten angekündigt wäre: denn mit Leuten, die noch etwas lernen könnten, ließe sich leichter umgehen, als mit Schönschreibern.
Nach einer halben Stunde kam er zurück und winkte den Brüdern schon aus der Ferne, zu kommen. Sie folgten ihm und fanden, daß er ein herrliches Zimmer bei einem Schuhmacher für sie gemiethet hatte. Noch fehlte es zwar an Betten, aber diese sollten ihnen ohnedies von Hause nachgeschickt werden. Das Zimmer war ein kleiner Reitstall und für ihrer Vier schon geräumig genug. Der Wirth bewunderte den Segen der Landpastoren, vier starke Knaben; die Wirthin zeigte ihnen alle mögliche Bequemlichkeiten an, die sie in und außer dem Zimmer hätten, hing einige Schlüssel auf und sagte: »Sehen Sie, hier an dem Nagel!« Die Brüder verstanden den Lakonismus. Das Essen konnte vom Wirth bezogen werden. Man bestellte es sogleich und überließ sich der ungebundensten Freude. Nur Amandus kam nach einer kurzen Entfernung herein und sagte: »Einen spürnäsigen Nachbar haben wir. Wie ich hinausgehe, kommt eine lange, abgezehrte Figur auf mich zu und sagt mit dürrem Lächeln zu mir: Es freut mich, daß Sie hier wohnen werden, aber sagen Sie doch gefälligst Ihrem Bedienten, er möchte nicht so johlen und lärmen, weil meine Nerven nichts davon vertragen können.« Amandus fuhr fort: »Ich war von der keuchenden Anrede so in Verlegenheit gesetzt, daß ich nichts zu sagen wußte: denn mein Stolz hinderte mich doch, zu erwidern: Ei, wir haben ja gar keinen Bedienten.« Alle Brüder ärgerten sich über diese verdammte Feinheit, ihnen in einer höflichen Papierdevise eine so bittere Pille zu geben, und sie entschlossen sich, ein einstimmiges Hohngelächter aufzuschlagen. Nur Schlachtenmaler hintertrieb dies und sagte: Feinheit müsse man durch Feinheit, den Fuchs durch seinen eigenen Schwanz fangen. Damit kam denn das Mittagessen.
Die Akademie und die lateinische Schule von Kaputh waren die Anknüpfungspunkte, an welchen die Brüder sich zu befestigen suchen mußten. Der Aelteste erbat sich von den Uebrigen, ihm die Auskundschaftung des Terrains zu überlassen. Er machte sich um die Zeit, als die Verdauung der Herren, welche er zu besuchen gedachte, schon im Abnehmen seyn konnte, auf den Weg, und die Jüngeren schlugen inzwischen den ihrigen ein, um von Kaputh einen Begriff zu bekommen. Sie waren einige Stunden lang durch die Stadt im Cirkel gegangen, an der Wohnung Blaustrumpfs, dem Fuchsen und solchen uns schon bekannten Orten mehrere Male vorüber. Schlachtenmaler kam immer noch nicht. Endlich blieben sie zu Hause, um ihn nicht zu verfehlen. Fast war es Abend, als er endlich ankam und erschöpft auf einen Sessel ihres Zimmers sank. Lachen verhinderte ihn, auf die Neugier seiner Brüder zu antworten. Endlich sammelte er sich und erzählte, während die unmündigen Brüder sich die Pfeifen stopften, folgende, hoffentlich nicht erlogene Abenteuer:
»Die Akademie könnte ein schönes Gebäude seyn,« sagte er: »denn Steine sind dazu genug verschwendet; von Außen ist zwar Alles glatt polirt, aber drinnen stößt man sich überall den Kopf. Der Baumeister muß zwei Pläne übereinander gelegt haben, so confus mischen sich hier die Gänge, Treppen und Vorsprünge. Mehrere Male stieß ich mir den Kopf und dachte in Rücksicht auf den auswendigen pompösen Styl des Gebäudes: Hoffahrt will Zwang haben. Genug, ich mußte zunächst suchen, den Galerieinspector aufzufinden. Dieser wohnt in einem Seitenflügel der Akademie. Ich ging in sein Zimmer, und, siehe! ein kleines Männchen springt auf mich zu, mit grimmigen Borsten auf dem Kopfe, in Hemdeärmeln. Ein menschliches Fragezeichen mit aufgesperrtem Rachen, eine Kreuzspinne, der man so viel Füße ausgerissen, bis zwei Arme und Beine übrig geblieben, eine Heuschrecke, scharf bezahnt und immer auf dem Sprung. Ich war so erschrocken, daß ich in der Angst die Rollen verwechselte, auf ihn mit dem ganzen Ingrimm, dessen ich mich versehen konnte, losfuhr und ihn frug: Wer sind Sie? So lebhaft schwebte mir nämlich der Despotismus dieser verschränkten Figur vor, daß ich aus Schrecken sie so anredete, wie ich voraussehen durfte, daß sie mich anreden würde. Wer sind Sie? Diese Frage, von einem jungen unbekannten Menschen ihm aus dem Mund genommen, verblüffte ihn so sehr, daß er zurückprallte, wie Einer, der des Todes seyn will, weil er sich selbst gesehen. Unwillkürlich brach er heraus: Galerie-Inspector Weckenesel. Nun mußte aber der Teufel in mich gefahren seyn: denn, weit entfernt, mich vor meinem Irrthum zu entsetzen, fuhr ich noch in ihm fort und bediente mich all der Barschheit, die ich dem Satansmenschen von der Zunge wegstahl. Führen Sie mich in die Galerie! Der Inspector faßte nach einem Bund Schlüssel und schlorrte mit mir fort. Während eines langen dunkeln Ganges hörte ich ihn nur leise brummen; am Ausgang endlich, wo man eine Stiege hinauftreten muß, und das Sonnenlicht hell durch die langen Fenster scheint, betrachtete er mich und fuhr mir wie eine Dogge fast an den Hals, als ich vergessen hatte, ein Kratzeisen an der Treppe zu beobachten und eine dem Koth gewidmete Strohdecke. – Wer sind Sie? Sie müssen hier im Hause die Ordnung beobachten! Ich bin für die Reinlichkeit des Gebäudes hier. Legen Sie hier auch erst Ihren Hut ab! Als der Inspector Weckenesel nun gar erst sah, daß ich eine ganz gewöhnliche Mütze und keinen fashionablen Hut in der Hand hatte, sprang er die Stufen, die wir schon gegangen waren, wieder hinunter und schrie: Sie unterstehen sich zu fragen, wer ich bin? Herr, wer sind Sie? Ich hatte eine Lüge im Munde und wurde nur durch meinen schlechten Aufzug abgehalten, eine andere, als die natürliche Rolle zu spielen. Indem ich mich noch besann, was ich sagen sollte, goß Jemand aus einer Thür, die in der Nähe geöffnet wurde, ein Glas Wasser aus und zwar ohne Weiteres auf den steinernen Fußboden, ohne den Inspector zu sehen. Dieser stieß einen unarticulirten Zornesschrei aus und fuhr schlangenartig in das Zimmer hinein: Ist das gesittetes, akademisches Benehmen? Hat man nicht Fälle, daß Tropfen einen Stein aushöhlen, und Sie gießen ganze Gläser Wasser auf die Vliesen? Wofür bin ich hier? Ihr Sinnen und Treiben den ganzen Tag geht auf den Verderb dieses ruhmvollen Gebäudes aus. Die Wände werden mit Figuren bemalt, in die Fenstergläser schneiden Sie Ihre Namen ein, die Thüren werden so heftig geworfen, daß überall der Kalk nachläßt, Ihr Tuschwasser spritzen Sie in die Gänge aus, daß es hier aussieht, wie in einer Waschküche, und – allmächtiger Gott! ich sehe, Sie haben schon wieder Ihren Hund bei sich? Indem konnt' ich in einem Fenster bemerken, daß ein Hund in den Hof sprang und auf einen an die Akademie sich lehnenden Garten zueilte. Der Galerie-Inspector vergaß in seiner Angst für die ihm anvertrauten Gebäulichkeiten meine Gegenwart und sprang unter laut ihm nachschallendem Gelächter dem Thiere nach. Ein in der Eile aufgeraffter Palettenstock, der in der Nähe stand, diente ihm als Wurfspieß. Vater würde glücklich gewesen seyn, dies zu sehen oder zu sehen, daß ich es sehe: denn es war ein kriegerischer Vorwurf, so ergötzlich, wie die Gänseschlachten, die er zu Hause für mich aufführen ließ.«
»Befreit von dem zänkischen Manne, suchte ich mir einen Weg zu bahnen, wo er nur offen stand. Eine Thür öffnete sich, und ein gutmüthiger, dicker Herr mit dampfender Pfeife, eine Brille auf der Nase und in Hemdärmeln, fragte mich, wohin? – Ich suche den Professor Silberschlag; – Der bin ich, treten Sie ein! – Eine undurchdringliche Tabaks-Atmosphäre waltete in dem Zimmer, ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. – Ja, mein junger Mann, sagte Professor Silberschlag lachend, hier dörren wir junge Gemälde zu alten um. Für Landschaften ist ohnedies nichts besser, als wenn die nassen Farben am Tabaksdampf austrocknen. Setzen Sie sich! – Herr Professor, fing ich an, ich bin Sohn eines Landgeistlichen und komme mit meinen Brüdern hier in Kaputh an, um für mich die Malerei und den mir nächstgebornen Bruder die Bildhauerei zu lernen. Ich versichere euch, der Mann schlug ein lautes Gelächter auf und erholte sich erst, als wir auf der Flur einen ganz abscheulichen Lärm, ein Laufen und Rennen, Rufen und Toben hörten. Der dicke Mann sprang auf, um nachzusehen, und nun hörte ich, daß ich die Veranlassung des Spectakels war. Weckenesel hatte den Hund glücklich aus dem Garten getrieben und jetzt erst bedacht, wen er oben in der Nähe der Gemäldegalerie preisgegeben hätte. Ein allgemeines Aufgebot aller dienstbaren Geister des Hauses wurde in Bewegung gesetzt, um mich, den Unsichtbargewordenen, aufzutreiben. Es ist ein Dieb, rief Weckenesel, der uns den vermuthlichen Raphael stehlen will! Silberschlag ging hinaus und beruhigte ihn mit meiner Mütze, die er dem bestürzten Galerie-Inspector zeigte. Als dieser mich draußen daran erkannte, sagte Silberschlag: Nun, der Herr ist bei mir; jetzt seyen Sie still. – Indem kam er zurück und erklärte: Es ist schrecklich, wenn Menschen aus der Erfüllung ihres Berufs einen Fanatismus machen. Dieser Mann möchte verhindern, wenn er's könnte, daß der Regen unsere Akademie naß macht, wenn ein Gewitter ist. Er duldet weder Vogelnester, noch Spinneweben im Hause. Macht sich Jemand den Rock weiß, wenn er durch das verdammt schlecht gebaute Haus geht, so beklagt er nicht den Rock, sondern die Wand, die um ihren Putz käme. Ein weißer Streifen am Aermel der Fremden erzürnt ihn so heftig, als hätten sie eine Decke von Stuccatur eingeschlagen. Aber, um auf Sie und Ihren Herrn Bruder zurückzukommen, so weiß ich nicht, wen ich von Ihnen Beiden mehr beklagen soll, Sie oder ihn? Es ist doch fast besser, daß der Letzte hier gar nicht Gelegenheit hat, Bildhauer zu werden, als daß Sie in der That zeichnen und malen lernen können, ohne daß ich Ihnen jedoch Hoffnung gebe, es darin weit zu bringen. Correggio war ein Töpfer, und das wird auch Ihr Herr Bruder hier werden müssen. Wir haben hier eine wirklich ausgezeichnete Ofenfabrik, wo aus gebranntem Thon wirklich plastische Meisterstücke geliefert werden. Will Ihr Herr Bruder die Anfangsgründe der Bildnerei hier studiren, so muß er mit Oefen beginnen. Sie nun anlangend (damit meinte er mich), so haben leider die schönen Künste in Kaputh eine durchaus praktische Richtung. Ich bin der einzige Lehrer, der etwas von der Theorie versteht, alle meine Gehülfen sind für gewisse angewandte Fächer angestellt. Wir malen in unserer Akademie vortreffliche Theebretter, Dosen, Pfeifenköpfe und Porzellangeschirr. Unsere nicht schlechte Galerie, Sie hörten ja von Weckenesel, daß wir einen nicht unwahrscheinlichen Raphael besitzen, ich sage, unsere Galerie copiren wir auf Blech und Porzellan. Ja selbst, ehe der Rationalismus hier so große Ausdehnung im Consistorium gewonnen hat, war die Glasmalerei nicht ohne geschickte Ausübung. Das Alles hat bisher auch kaum anders seyn können, da meine Eleven alle diese praktischen Ziele hatten. Sie sind hier der erste reine Theoretiker, und wollen Sie dabei bleiben, junger Mann, so könnte mich das allerdings glücklich machen: denn eine neue Malerschule zu stiften ist zeitgemäß und längst mein Wunsch.«
»Ich schlug den Blick mit Verklärung gen Himmel. Diese Entzückung riß den Mann hin. Er zog sich den Rock an, klopfte die Pfeife aus, riß das Fenster auf und sagte: Hören Sie 'mal, gen Himmel müssen Sie nicht sehen, sonst wird mir das Herz schwer. Zwanzig Jahre sitz' ich hier in dem Dampf und betäube mich, um Gefallen an der nüchternen Prosa zu finden, welcher die Akademie sich hingeben mußte. Es gab eine Zeit, wo auch ich mit etrurischen Vasen vertrauter war, als mit Meißnerischen Pfeifenköpfen.«
»Nun denn, sagte ich, fangen Sie mit mir an, und kehren Sie zu den Musen und Grazien wieder zurück. Stiften wir Beide eine neue Malerschule. – Ja, entgegnete Silberschlag, es ist nur Alles schon so ziemlich vorweggenommen. Es ist schwer, etwas Neues zu erfinden. – Lassen Sie uns, sagte ich übermüthig, doch den Mann sehr für mich einnehmend, lassen Sie uns Genre und Historie, Historie und Landschaft verbinden, oder sollte es nicht möglich seyn, in die Malerei gleichsam das bürgerliche Trauerspiel einzuführen? Sollte man nicht das vorzugsweise moderne Genre darin finden, die Situationen unserer Zeit auch in unsern Costümen darzustellen, Scenen aus Cabale und Liebe zu schildern, italienische Reisende zu malen, kurz, Alles das auch mit Farbe zu bekleiden, was gewöhnlich nur den Kupferstechern eingeräumt wird?«
»Es ist schwer, sagte Silberschlag nachdenklich, hier die Prosa zu vermeiden. Der Leibrock ist so abscheulich.«
»Nun denn, entgegnete ich, nehmen Sie die Malerei im Uebergange zur Musik; stiften Sie eine Schule, die sich durch den höchstmöglichen Grad von Romantik auszeichnet. Geben Sie die Formen, die Figuren auf und behalten Sie nur noch die Farben zurück. Mystische Seelen haben längst den Regenbogen in Ideen zu deuten gewußt, ja, man hat sogar Personen aus ihnen gemacht und in zwölf verschiedenen möglichen Farben auch die zwölf Apostel nachgewiesen, ihr Temperament, ihre Auffassung des Christenthums, ihren Zweifel und ihren Jähzorn, der dem Malchus das Ohr gekostet hat. So müßte man eine Musikmalerei oder eine gemalte Musik erfinden, Alles in Duft und Töne auflösen und für die Liebe, den Haß, die Hoffnung, die Freude, den Schmerz, für alle Affecte der menschlichen Seele eine eigene Tusche annehmen. Dann hätten unsere mystischen Maler leicht arbeiten. Ein blauer Kreis rings um die Leinwand ist die Liebe Gottes und daran ein grauer Kreis das Chaos; das Grau mildert sich, Sonnenstrahlen brechen durch die Nebel hindurch. Die Erde ist geschaffen, und ein rother Kreis gibt Adam und Eva im ersten Rausche der Freude, Menschen zu seyn, zu erkennen. Dann ein gelber Streifen – wer würde nicht die Schlange erkennen? Und so die ganze Schöpfung, den Sündenfall, bis auf die neue Zeit hindurch.«
»Als ich das Zeug alles so confus hergesagt hatte –«
»Das Beste daran,« bemerkte Amandus, der Bildhauer, »ist wohl, daß du uns belügst.«
»Auf Ehre,« vermaß sich der Aelteste, »ich habe wohl noch weit mehr gesagt, weil mir Silberschlag gefiel und ich ihm. Er lachte und meinte: Nun, wir wollen schon etwas aushecken. Damit schenkte er mir gutes Bier ein und wird morgen den Unterricht anfangen. Er soll groß in Thiermalerei seyn. Es gibt auch kein Gemälde von ihm, wo er nicht, wenn es gerade kein Brustbild ist, ein Mäuschen in einem Eck anzubringen wüßte. Er hat daher auch den Namen des Mäuse-Raphael, wie es ja schon längst in der Schweiz einen Katzen-Raphael gibt. Was mich am meisten wundert, ist, daß diese beiden Maler bessere Freunde sind, als die Thiere, die sie so natürlich sollen schildern können.....«
Schlachtenmaler hörte noch lange nicht auf, in dieser Weise mehr seinem guten Genius, als der Wahrheit zu huldigen. Er log nicht, er sagte aber auch nicht die Wahrheit. Er hatte darin etwas mit dem Dichter gemein, der sich auch herausnimmt, seine Lügen für dazu noch preiswürdige Wahrheiten auszusprechen. Inzwischen gingen die Brüder ab und zu; das Essen wurde aufgetragen, und der satirische Schriftsteller, Aesop Alboin, hatte viel heraus- und hereinzuklappen. Endlich kam er mit geheimnißvoller Miene und brachte einen Brief, den er auf der Treppe gefunden. Der Brief war an Niemanden adressirt und so lose versiegelt, daß man rathschlug, ob man sich des Inhalts bemächtigen solle. Schlachtenmaler war deßhalb dagegen, um die Andern desto mehr dafür zu stimmen. Er besah den Brief von allen Seiten und behauptete, es möchten wohl die Geheimnisse ihres höflichen Nachbars, des Registrators Wiesecke, darin ausgesprochen liegen. Diese Vermuthung reizte die Neugier. Man roch und zerrte an dem Briefe herum, bis ihn endlich die Jüngern eröffnet hatten. Das Licht wurde zurechtgestellt. Jeder wollte lesen; Alle lachten, nur der Aelteste fürchtete Verrath. Jubelnd begann Alboin:
»Lieber Freund!
»Wanzen und Flöhe sind für einen einzelnen Herrn, der chambres garnis wohnt, keine solche Plage, wie eine Brut angehender Gymnasiasten, die zufällig seine Nachbarn werden. Ich bin mit diesem Unglück seit Kurzem heimgesucht. Irgend ein verbauerter Landpfarrer hat seine Kälber auf den Markt, diesmal vier seiner eigenen Kinder, in die Stadt geschickt, die wahrscheinlich die Bestimmung haben, dereinst als Candidaten zu allen möglichen Aemtern dem Staate aufzuliegen. Vier Flegel, einer größer als der andere, schlagen im Dreschertakte auf meine häusliche Ruhe ein, an vier Galgenstricken muß ich zwischen Himmel und Erde schweben. Bald gerathen sie in Uneinigkeit und bedrohen sich, mit den Stühlen die Brust einzurennen; aber ihr Zank ist mir noch willkommener, als ihre Einigkeit: denn dann stoßen sie Jubelrufe, Barcarolen vom Lande, grunzende Dithyramben und jene Schmerzenslaute des innern Wohlbehagens aus, die mich in meinem melancholischen Temperamente zwiefach, physisch sowohl wie psychisch, peinigen. Ohne alle Erziehung müssen diese Lümmel bisher einer Freiheit genossen haben, die mir, dem an die stillen friedlichen Registraturfächer unseres Kriegsministeriums gewöhnten Beamten und Geschäftsmann, fabelhaft erscheinen würde, müßt' ich nicht selbst ein Ohrenzeuge ihrer saturnalischen Ausbrüche seyn. Bald ergreifen sie Stiefelknechte und benutzen sie als Schalmeien, um ihre Gassenhauer abzuplärren. Ein Anderer schlägt dabei an ein Glas, um gleichsam eine Cymbelbegleitung vorzustellen. Ein Dritter trommelt an den Fensterscheiben, der Letzte rutscht mit dem Tische hin und her, um damit den Posaunenton zu treffen. Von einem Uebermuth gehen sie zum andern über. Sie wälzen sich auf den Betten und kitzeln sich so lange an den Fußsohlen, daß ich gewärtigen muß, einer von ihnen nebenan erstickt. Lesen sie etwas, so thun sie's laut und im singenden Tone. Ziehen sie ihre Stiefeln aus, so werfen sie sich damit. Putzen sie sich ihre Kleider aus, so stellen sie mit dem Geklopf ordentlich wieder ein Conzert an. Wie mögen diese Schlingel nun erst mit Licht umgehen? Wann mögen sie des Morgens aufstehen? Wie werden sie sich beim Waschen mit dem Wasser bespritzen und neue Treibjagden anstellen! Der Aelteste von ihnen, eine Hopfenstange, die bald heirathen könnte, scheint sein Vergnügen daran zu finden, die Jüngeren zu verhetzen, sich dann zurückzuziehen und an der entstandenen Verwirrung zu weiden. Sie oder ich – das wird die Losung werden. Dem Hausherrn werd' ich meine Alternative stellen. Ich bin ein stilles Leben gewohnt; ich rasire mich des Morgens gern mit Behaglichkeit, ich setze mich an's Fenster und rauche meine Pfeife, ich habe es gern, wenn man auf der Treppe vom Nachbar einen guten Morgen gewünscht bekömmt. Allein jetzt befürcht' ich, auf ihr von den Rangen überlaufen zu werden und einmal des Abends im Dunkeln den Hals zu brechen. Läsen sie nur diese Schilderung ihres Benehmens! Aendert es sich nicht, so ruft die Obrigkeit um Hülfe an
Ihr ergebenster
Registrator Wiesecke.«
Mit vor Wuth erstickter Stimme hatte Alboin diesen Uriasbrief beendigt. Um ihrem ärgerlichen Gefühle Luft zu machen, erhoben sie zuerst hinter dem »Registrator Wiesecke« ein Hohngeschrei, wie es nur bei englischen Parlamentswahlen üblich zu seyn pflegt. Es tröstete sie aber nicht, ihren Unwillen auf diese Art kund zu geben. Sie sannen auf Rache: »denn,« sagte Schlachtenmaler, »das ist einmal gewiß, der Brief war nur auf uns berechnet; wir sollten ihn finden.« Man berieth, was zu thun wäre. Theobald schlug vor, einen Strohhalm zu nehmen, ihn durch das Schlüsselloch in's Nebenzimmer zu stecken und dann anzuzünden. Man fand dies drollig genug, nur fürchtete man, der Registrator würde sogleich Feuer! rufen. Alboin flüsterte leise: »Wir durchbohren die Thür und beschießen ihn, ohne daß er merkt woher, mit Papierkugeln.« Amandus sagte: »Wir wollen hinüberschicken und uns seinen hektischen Husten verbitten.« Der Aelteste aber rieth zu einem einstweiligen Waffenstillstande. Die Gelegenheit zur Rache würde nicht ausbleiben. – Inzwischen waren die Brüder müde und gingen unter Verwünschungen, die dem Registrator Wiesecke das Haar sträuben machten, zu Bette. Schlachtenmaler lehnte sich noch einmal an das Schlüsselloch und rief donnernd hinein: »Morgen besuch' ich Sophie Tobianus!« Da war's, als spräng' etwas aus dem Bette und falle über ein Nachtgeschirr, das höchst wahrscheinlich umstürzte. Die ganze Nacht hörte man ein Seufzen und Stöhnen, ein Knarren im Bette und das schlaflose Dehnen eines Menschen, den ein gespenstischer Alp um seine Ruhe zu bringen schien.