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Shakespeare hätte diesen Namen erfinden können, Shakespeare hätte diesen Namen für die treue Magd des Revolutionärs Karl Marx nicht anders erfinden können!
Als Kind, acht oder neun Jahre alt, war Lenchen Demuth – wahrhaftig, so hieß sie! – in das Haus des preußischen Regierungsrates Baron Westphalen gekommen. Dann heiratete die schöne Jenny von Westphalen den jungen Doktor Karl Marx. Er wurde nicht Universitätsprofessor, wie man's gehofft hatte, sondern Redakteur der Rheinischen Zeitung. Aber als er zeigte, daß er nicht etwa ein liberaler Durchschnittsredakteur, hellhörig und scharmant nach allen Seiten, sondern eben jener kantige Karl Marx war, da wurde er aus Preußen ausgewiesen, und die Rheinische Zeitung wurde stumm gemacht. Marx ging nach Paris.
Die junge Frau Marx scheint Heimweh gelitten zu haben. Da sandte ihr die alte Frau Baronin Westphalen, ein lebendiges Stückchen Heimat, eine alte Kameradin, die junge Dienerin Lenchen Demuth. »Ich schicke Dir das treue liebe Lenchen, als das Beste, was ich Dir schicken kann.«
Marx wurde aus Paris ausgewiesen, Marx wurde aus Brüssel vertrieben, Marx zog nach London. Lenchen Demuth zog mit nach Paris, nach Brüssel, nach London.
Marx kam ins Elend, wohnte in einem Proletarierviertel, dann in einem armseligen Hotel, dann wieder in einer engen Zweizimmerwohnung. Ein Kind kam, das zweite, dritte, vierte, fünfte. Eines Tages werden ihnen die Möbel auf die Straße gestellt, ein andermal wird Marx vom Versatzamt zur Polizei bestellt, weil er altes Silberzeug, Erbstücke der Familie Westphalen, versetzen mußte. Ein Kind stirbt, das Milch und Blut aus den Brüsten der seufzenden Mutter gesogen hatte, ein Junge wird bleich und siecht hin, von der Not gefällt. Und immer ist die Eine, die Treue bei ihnen: Lenchen Demuth, sie lacht mit den Neugeborenen und neigt das Haupt über die Sterbenden. Sie wäscht Geschirr und Windeln in demselben Raum, in dem Marx die ersten Notizen zum »Kapital« aufschreibt.
Abends ist das zweite Zimmer der Marxischen Wohnung überfüllt. Hier wird diskutiert, gelacht, geschrien und Tee getrunken und Butterbrot verzehrt, wenn Butter da ist.
In Paris las abends Heinrich Heine seine Gedichte vor, bis der schönen Frau Jenny die Tränen über die Wangen liefen vor Lachen und Weinen. Die Gedichte über Deutschland durfte er gar nicht vorbringen, das machte das rheinische Herz zu schwer. Lenchen Demuth leuchtete Herrn Heine über die Treppe.
Und erst in London! Da wimmelte das Haus von Fremden, Russen (die immer am längsten schwatzten), Italienern, Ungarn, Engländern, dann und wann, Gott sei dank, auch Deutschen. Der Freundlichste von allen war Herr Engels aus Manchester. Wenn der kam, blieb zuweilen ein klein bißchen Geld im Haus. Aber es waren lauter freundliche Herren, die Lenchen hier sah, Herrn Freiligrath und Herrn Owen, Herrn Louis Blanc und Herrn Liebknecht. Nur konnte man, obwohl man todmüde war, nicht zu Bett gehen, solange Gäste dasaßen und schwatzten.
Die Kinder wurden groß. Frau Jenny kränkelte. Da lag die Sorge des ganzen Hauses auf Lenchen Demuth.
Mit den Jahren wurde es ein klein wenig besser. Doktor Marx zog nach Hampstead. Uralte Linden umstanden sein Haus, jetzt ging es auch nicht mehr gar so knapp zusammen, aber nun kamen die Krankheiten. Doktor Marx lag wochenlang im Bett, und dann bekam Frau Jenny die Pocken. Wer anders blieb bei den Kindern? Wer kochte, kaufte ein, räumte auf? Wer schlich nachts auf den Zehenspitzen zur Schlafzimmertür, hinter der Doktor Marx lag und wachte und schrieb, so daß das Bett übersät war mit beschriebenen Zetteln, wer denn als Lenchen?
Frau Jenny starb. Ihr Mann wollte ihr ins Grab nachstürzen, und bald ist er ihr nachgestürzt, etliche Monate später. Diese fünfzehn Monate waren Lenchens schwerste Zeit, denn nun sollte sie gar ihre alte Herrin vertreten! Aber der Herr Doktor Marx litt schwer an der Leber, sein schöner schwarzer Bart war ganz silbrig geworden, und das Lachen hatte er nun für immer verlernt. Am 14. März schlief er in einem Sessel ein.
Lenchen Demuth lebte noch sieben Jahre. Dann wurde sie in dem Grab im Highate-Kirchhof bestattet, zu dem sie oft gepilgert, in demselben, in dem ihr Herr Doktor und Frau Jenny liegen ... Ein Grabstein nennt die drei: Karl Marx, Jenny von Westphalen und Helene Demuth.
Wer weiß noch, ob Lenchen Demuth schön war? Wer weiß, ob sie ohne Nachdenken ihr Schicksal an das des Doktors Karl Marx hing? Wer kann erzählen, ob Lenchen Demuth klassenbewußt geworden? Hatte sie ein eigenes Leben und Weiberschicksal? Oder war diese Treue und tiefe Ergebenheit, dieses Bis-ins-Grab-Gehen mit ihrem »Expropriateur« ihr beglückendes Menschenschicksal?
Immer hat um die großen Kämpfer im Geist irgendein Lenchen Demuth gesorgt!
Aber man muß lächeln, wenn man bedenkt, daß auch der unerbittlichste Durchschauer auch der liberalsten Ausbeutung sein Lenchen Demuth noch im Grabe bei sich hat.