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Der kleine Lederhändler Leopold Löwy ist derjenige Mensch, an dem ich die Leidenschaft eines unersättlichen Herzens am hellsten auflodern sah. Kommt man in die Jahre, so hat man mancherlei Leidenschaften mit angesehen, merkwürdigerweise nur ein paar Fälle echter Liebesraserei, viel öfter eine irrsinnige Leidenschaft fürs Geldanhäufen, eine maßlose Berufsleidenschaft, aber Liebe? Das lärmende Getue von Künstlern, die lieben, rechne ich nicht mit. Da gehört das interessante Erlebnis zur Geschäftseinlage; diese Taschenspieler haben ein schamloses Talent, aus einem Abenteuer mit einer gefälligen Schneiderin eine tönende Tragödie zu drehen. Nein, nein, die Liebe kann man nur an ahnungslos rechtschaffenen Leuten feststellen. Der Lederhändler Leopold Löwy – ja, der hat geliebt. Ich sagte schon, daß er klein war. Auch einen kleinen Bauch hatte er. Seine Beinchen waren ein wenig nach auswärts gerichtet, aber das schadete gar nichts, er hatte beim Militär gedient, und zwar mit Leidenschaft. So verblieb ihm eine gewisse Strammheit, die dem kleinen Kerl einen Anhauch von Possierlichkeit gab. Am liebsten hätte er sich aktivieren lassen und wäre Offizier geworden, trotzdem er Löwy hieß, und das ist auch in Österreich nicht nützlich. Aber sein Vater zog sich damals gerade aus dem Ledergeschäft zurück, und trotzdem Löwy alle Ledersorten und den Handel mit ihnen haßte, blieb ihm nichts übrig, als dem Vater zuliebe das Geschäft am Donaukanal zu übernehmen und täglich acht oder neun Stunden in dem sauer riechenden Ledermagazin zu verbringen. Oh, wie oft saß er da in dem dunkeln, von kargem Gaslicht spärlich erhellten, mit Leder und Häuten bis zur Decke angefüllten Raum und vergaß Kuh-, Kalbs- und Schafsfelle und gedachte der lebensfrohen Konservatoristin Ernestine Pick. Er sagte es nicht ihr, er sagte es nicht sich selbst, daß er sie liebte. Aber wahrhaftig, er konnte viertelstundenlang im Dunkel des Ledermagazins sitzen und an Fräulein Pick denken, wie sie abends in ihrem Zimmer vor dem Klavier saß, bei offenem Fenster ... Junilüfte ... eine dünne weiße Bluse ... ein freier Hals ... Schubert. Wenn jetzt jemand lächelt und nicht glauben sollte, daß der Lederhändler Löwy Schubert mit Gefühlen der Beseligung anhörte, so sei ihm gesagt, daß es ein törichtes Vorurteil ist, zu meinen, Lederhändler seien musikunempfindlich. Was Löwy angeht, so geriet er in einen Zustand von halber Trunkenheit, wenn er an Sommerabenden in Fräulein Picks Zimmer ganz still im Dunkel sitzen und ihr zuhören durfte. Fräulein Ernestine saß viele Stunden lang vor dem Klavier, es wurde allmählich Abend, sie beugte sich zuweilen nach rückwärts, drehte für eine Sekunde den Kopf und fragte: »Ist das nicht herrlich?« Leopold Löwy wollte antworten, irgend etwas ganz Besonderes, er überlegte, ob er »wundervoll« oder »sehr schön« oder »ausgezeichnet« sagen sollte, aber inzwischen hatte sie sich schon wieder umgewendet und spielte weiter. Zuweilen sang sie auch am Klavier ... Diese Abendstunde begleitete ihn ins Ledermagazin. Die Hausknechte luden Waren auf und ab, der Buchhalter erkundigte sich über die Preise für halbgegerbte Ware, Agenten kamen und boten Gelegenheitskäufe aus Nordungarn an. Löwy gab sofort die richtige Antwort, das Geschäft florierte, und dabei blieb ihm eine Menge freie Zeit, im Dunkel des Magazins zu sitzen, an die weiße dünne Bluse von Ernestine Pick und an ihren freien, weißen Hals zu denken, an ihre mageren, schönen Klavierhände und an Schubert und an die spinnwebedünnen Strümpfe, die man manchmal sah, wenn sie sich auf dem kleinen Stuhl umdrehte und Löwy fragte: »Schön?« ... In der letzten Zeit kam es vor, daß Löwy abends in Gedanken so lang im Magazin sitzenblieb, bis der alte Buchhalter, der dem Vater seit der Gründung (1868) gedient hatte, auf ihn zutrat und mit sanft mahnender Stimme sagte: »Aber Herr Löwy! Was haben Sie denn? Wie kann man nur?« ... Da erwachte er und verließ den Laden.
Ich muß hier eine Bemerkung über Fräulein Pick einfügen. Sie war um zwei Zentimeter kleiner als Herr Löwy, sehr schlank und beweglich. Ihr Teint war milchweiß, rosa überhaucht, ihr Haar ebenholzschwarz, aber ein bißchen stumpf und glanzlos. Sie liebte halsfreie Blusen, zuweilen hielt der obere Knopf nicht zusammen und dann sah man eine feine Spitze auf ihrer Brust. Sie trug immer, ich glaube auch in der Kälte, Halbschuhe und war stolz auf ihre spinnwebedünnen Strümpfe. Sie gab Klavierstunden und lebte, da ihre Eltern in Brünn waren, allein in einem altdeutsch-möblierten Zimmer mit staubigen Papiersträußen. Sie war, da ihr Bruder in Brünn Sozialdemokrat war, ein freier, über Vorurteile erhabener Mensch und gestattete, daß ihre Freunde sie abends besuchten. Auch Herr Löwy durfte dann und wann abends kommen, aber um halbzehn jagte sie jeden hinaus, besonders Herrn Löwy. Seit fünf Monaten nahm sie Gesangstunden bei dem Opernsänger Meyer, der damals die Skandalgeschichte mit der Frau seines Direktors hatte. Löwy haßte diesen Singunterricht und grüßte den Opernsänger prinzipiell nicht.
Am Abend des dritten September klirrte etwas im Vorzimmer. Fräulein Pick drehte schnell den Schlüssel im Schlüsselloch um, und richtig, eine halbe Minute später klopfte es an ihrer Tür. Sie fragte mit erschreckter Stimme: »Wer ist es?«
»Löwy.«
»Was wollen Sie denn so spät abends noch hier?«
»Es ist erst halb neun und außerdem ... eine kleine Überraschung.« Dabei hielt Löwy den Säbel fest, damit er ihn nicht durch Rasseln verrate.
*
»Seien Sie nicht böse, aber ich habe schwere Migräne, und ich bin sehr verstimmt. Meine Gemütsverfassung ... ich kann heute nicht.«
Herr Löwy bemerkte wohl das im Gespräch selten gehörte Wort: »Gemütsverfassung« – das übrigens zufällig auch in der heute erschienenen Romanfortsetzung im Tagblatt enthalten war – aber er war es gewohnt, von Ernestine ungewöhnliche Worte zu hören. Ja, Ernestine war in einer Gemütsverfassung, und noch dazu in einer traurigen.
»Könnte ich nicht einen Moment? ...« fragte Löwy, »übermorgen muß ich einrücken, und der morgige Abend gehört meinem Vater.«
»Sie werden mir fehlen«, hörte er Ernestine halblaut vor sich sagen, aber er stand noch immer vor der grau angestrichenen Glastür.
»Ich bin«, sagte er aus Verlegenheit lächelnd, »heute in Uniform gekommen.«
Da sagte Ernestine Pick, während sie vor dem Spiegel ihr Haar ordnete: »Glauben Sie, daß Uniformen auf mich Eindruck machen? Ich bin Freigeist durch und durch!«
Löwy setzte die Kappe auf und machte sich marschbereit. Eine weiße Klavierhand schob sich durch den Türspalt: »Da haben Sie einen Händedruck, Leopold, ich kann heute wirklich nicht ... Wenn Sie wüßten, wie bedrückt und melancholisch ich heute bin ... ich mache gar kein Licht und gehe gleich zu Bett.«
»Wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte ...« sagte der Reserveoffizier, indem er sich über ihre magere, weiße Hand beugte.
»Kommen Sie denn nicht morgen?«
»Der Abend gehört meinem Vater. Wenn ich nachmittag kommen dürfte?«
»Nachmittag studiere ich mit Meyer die Tosca.«
»Fünf Minuten, bitte.« Er drückte ihre Hand.
»Ganz feucht ist Ihre Hand«, sagte Fräulein Pick mit leichter Indignation.
»Verzeihen Sie«, murmelte er durch die Tür.
»Ich werde Ihnen schreiben«, sagte sie gütig.
»Wenn ich Sie nicht mehr sehen soll,« keuchte er stockend, »so zeigen Sie mir wenigstens einen Augenblick Ihr Gesicht.«
»Was für Sachen,« erwiderte Ernestine, »ich sehe zu schlecht aus. Sie werden hoffentlich in einem Militärbüro sitzen und manchmal auf einen Sprung herüberkommen.«
Da sagte er kurz: »Adieu, Ernestine«, der Säbel klirrte, Löwys kurze Schritte verhallten. Er ging in ein Wirtshaus gegenüber, saß dort zwei Stunden, trank Bier und Schnaps durcheinander, stierte vor sich hin und blieb ganz nüchtern. Ich glaube, ein großer Kummer wappnet gegen Alkohol. Als er nachts hinaustrat, sah er zu Ernestines Zimmer hinauf und war erstaunt, hinter verhängten Fenstern Licht zu bemerken. Sollte sie auch jetzt die Tosca studieren?
Das war Löwys Abschied. Er arbeitete in keinem Büro, sondern ... auf den galizischen Schlachtfeldern. Er verlor in einigen Wochen das Fett des Kaufmanns und wurde braun, sehnig, stramm. Es gab neben mörderischen Stunden auch die allereinsamsten. Da saß er in seinem dämmerigen Unterstand, ganz wie er vor Monaten im Ledermagazin die Zeit vertan hatte, und dachte an Ernestine. Ein einziges Mal hatte sie ihm eine Karte geschickt, auf der standen die ersten Worte des Liedes:
»Oh, wenn das mein König nur wüßt',
Wie tapfer mein Schätzelein ist.«
Leopold Löwy wurde blutrot vor Freude, als er diese Karte las. Am Abend bat er um Versetzung in das Kaiserjägerregiment, das in der vordersten Front kämpfte und schon an Offiziersmangel litt. Er stand in sechs Gefechten, zweimal war er umzingelt, schlug sich mit seinen Leuten wie ein Rasender durch, und sein erster Gedanke, wenn er erst wieder Atem schöpfen konnte, war: »Ich lebe! Ich muß an Fräulein Pick schreiben.« Sie empfing von ihm Briefe, mit Bleistift von irrender Hand geschrieben, kleine Zettel, auf denen nur ein paar Worte von Tod und Liebe standen, gestammelte Sätze, in denen er um ein Lebenszeichen von ihr bat. Im Oktober lag er in einem Spital in Ungarn mit einer Schußwunde im Fuß. Er war, während er wieder in einem weißen Bett lag, töricht genug, zu hoffen, daß sich die Tür des Krankensaales einmal öffnen und sie in ihrer weißen, halsfreien Bluse hereinschweben werde. Statt dessen kam endlich ihr zweiter Brief: »Lieber L. Ich denke an Sie, auch wenn ich nicht schreibe, bin Tag und Nacht mit meinen Gesangstudien beschäftigt, studiere jetzt auch Operettenpartien. Ihre Briefe sind sehr lieb. Herzliche Grüße, Ernestine.« In der Früh erhielt er diesen Brief, am Vormittag meldete er sich bei dem Abteilungsarzt: »Wie lange muß ich noch hier sitzen, Herr Doktor?«
»Mindestens sechs Wochen!«
»Können Sie das Zeug nicht herausschneiden?«
»Gedulden Sie sich, es wird auch ohne Sie in den Karpathen gehen.«
Es war unerträglich, in diesem ungarischen Spital herumzuhumpeln, Schach zu spielen, die Pester Zeitung durchzubuchstabieren, sich vollzuessen und sogar am Tage zu schlafen. Aus Langweile schlich er in den Ort, erkundigte sich, wohin die Felle der geschlachteten Rinder gehen, kaufte Häute und sandte sie an sein Wiener Geschäft. So verdiente er nebenbei ein paar tausend Kronen. Schlimm war die Stunde von acht bis neun Uhr früh, wenn ein Brief aus Wien kommen sollte und nie kam. Einmal ertappte er sich, daß er laut Schimpfworte gegen Ernestine vor sich hinzischte, Gott, beim Militär schimpft man leichter. Er schrieb jeden Tag an sie, an freier Zeit fehlte es ihm nicht, er schrieb ihr werbend, sehnsüchtig, zärtlich, segnend, er bat, hoffte, drängte, entschuldigte sie. Dann geschah es, daß er einen von Beleidigungen strotzenden Brief an den Opernsänger Meyer schrieb, der gewiß nicht nur ihr Gesanglehrer war. Aber er schickte den Brief nicht ab, sondern zerriß ihn in achtzig Stücke. Im November brachte ihm der Postbote eine Liebesgabe von Ernestine. Es war eine zierlich ausgestattete Schachtel mit Schokoladebonbons, die unter spitzenähnlichem Papier lagen. Er suchte nach einem begleitenden Wort – nichts. Er grübelte also über der Schrift der Adresse: Das war nicht Ernestinens Schrift, das war die Schrift eines weibischen Mannes, das hatte der Kerl, der Gesanglehrer, geschrieben. Am Abend aßen die madjarischen Bauernsöhne im Krankensaal Schokoladebonbons. Am 4. Dezember war er endlich so weit, daß er wieder ins Feld konnte. Am letzten Abend im Lazarett schrieb er in einer dämmerigen Ecke an sie: »Ich gehe hinaus und sterbe leicht, weil Sie sich nicht um mich kümmern. Ich komme, wenn Sie es wollen, ganz gesund zurück und lebe leidenschaftlich gern, wenn Sie bei mir bleiben. Schreiben Sie mir zwei Zeilen.« Am nächsten Tag bezog er seinen Schützengraben hoch in den Karpathen. Er wohnte wochenlang in einer Erdhöhle, über welcher dicker Schnee lag. Er schlief während einiger Nächte in einem Eisloch. Einer mußte den andern alle zwei Stunden wecken, damit man aufsprang, turnte, umherlief und sich gegen das Erfrieren schützte. Nur nachts kam gefrorenes Essen herauf. Manchmal pfiff ein schriller Wind über die Kuppen, und die Bäume krachten zersplitternd zu Boden, manchmal war es unheimlich still in der wüsten Höhe, so daß man Angst vor so viel Stille empfand.
Die Feldpost erreichte Löwy vor Weihnachten ... Darunter war ein Brief von Ernestine: »Mein lieber Freund. Ich habe Ihre Zeilen aus dem Lazarett bekommen. Sind Sie nun schon ganz gesund? Ich war wirklich schon ein bißchen besorgt um Sie, weil Ihr Brief so überspannt geschrieben war. Habe Sie ja gewiß sehr lieb, kann aber leider nicht sagen, ob meine Sympathie mehr als reine Freundschaft ist. Fürchte aber doch, daß Ihre Natur mehr aufs Realistische gerichtet ist. Auch ist mein Charakter leider viel zu schmetterlingsähnlich. Es ist möglich, daß ich in dieser Saison noch im Carltheater auftrete, soll den Prinzen Orlofsky singen. Sind Sie böse, daß ich in einer Hosenrolle auftrete? Werde in Erinnerung an Sie ein möglichst dezentes Kostüm wählen. Oder nicht? Schreiben Sie mir darüber ein Wort. Meine Stimme ist in der Mittellage viel tragender geworden. Lassen Sie bald wieder von sich hören. Ernestine.«
Als dieser Brief bei Leutnant Löwy eintraf, trug man seinen Feldwebel mit erfrorenen Beinen und Armen aus dem Schneefeld herein. Er zerknitterte den Brief in der Hosentasche, als er in das blaue Gesicht des armen Teufels schaute. Nachmittag, im Unterstand, beim Schein seiner Kerze wollte er ihr auf einer Karte schreiben: »Meinetwegen gehen Sie in Unterhöschen zum Teufel!« Auf eine andere Karte schrieb er in großen Lettern eine einfache Beschimpfung: »Blöde Gans. Heute begrub ich meinen braven Feldwebel!« Er vollendete nicht einmal den einen Satz. In der Nacht aber sah er sie doch vor sich, wie sie als Prinz Orlofsky, in schwarzseidenen Strümpfen, Schnallenschuhen, Atlashöschen und einer Seidenjacke, die ihren schlanken Hals freiließ, aus der Kulisse kam, und er stürzte plötzlich zu ihr auf die Bühne, riß, ein Riese, den Vorhang herunter, während das Publikum johlte und der Souffleur aus seinem Kasten schrie: »Herr Löwy, das ist nicht Ihre Szene. Abtreten!« ... Im Kanonendonner hatte er nicht so angstvoll geschwitzt wie in dieser Nacht. Er erwachte gebrochen, er fühlte seine Glieder wie zerschlagen, sein Körper kam ihm zentnerschwer vor, die dunkelste Verzweiflung lähmte ihn. An diesem Tage sandte er ihr einen Brief: »Es ist nicht nur mein Unglück, es ist Ihre Vernichtung, daß ich jetzt nicht in Wien bin. Ich spüre es, daß Ihnen jeder Halt fehlt. Ich wäre jetzt in Wien nötig, würde Sie im letzten Augenblick aus dieser verpesteten Luft hinaustragen.« In diese Wochen fielen die Kämpfe bei Hommona, schon drinnen im Ungarland. Von seinem Bataillon waren nur achtzehn Leute unverwundet geblieben. Dreimal war er im Wald in die wütendsten Nahkämpfe verwickelt worden. Im Wald, bei flackrigem Mondlicht war einmal ein Kosak auf ihn losgeritten, er aber war mit einem ganz unerwarteten Satz auf einen Baumstumpf zur Seite gesprungen und hatte dem Kosaken mit einem irrsinnig-wütenden Hieb den Kopf heruntergeschlagen. Das Pferd ritt weiter, der Kosak saß starr darauf, die Lanze in der Hand – ohne Kopf. Er starrte dem kopflosen Reiter nach, bis er gewahrte, daß die Gestalt wirklich zur Seite rutschte und allmählich herunterkollerte. Nur der Fuß blieb im Zügel, und so schleppte das vorwärtsschnaubende Roß den Abgestürzten noch eine Weile weiter, bis der hängende Leib auf einen Baum anprallte. Das Pferd stutzte, riß sich los und rannte davon.
Am Abend kam Ernestines Antwort. Er roch nur das Parfüm des gelben langen Kuverts, es fiel ihm nicht mehr ein, den Brief zu öffnen. Am nächsten Morgen schrieb er ganz gelassen darauf: »Zurück. Adressat verweigert die Annahme.«
Ernestine Pick kam nach ihrem Debüt als Prinz Orlofsky mit dem Opernsänger Meyer und mit der ganzen Carltheaterbande spät nachts in ihrer Wohnung an. Der Abend sollte gefeiert werden. Auf ihrem Schreibtisch fand sie ihren zurückgeschickten Brief. Sie erkannte Leopolds Handschrift, versteckte den Brief in ihrer Schildkrötenmappe und sagte zu Meyer: »Sie haben doch den Lederhändler Löwy gekannt, das war doch früher ein sehr netter, bescheidener Mensch. Wenn Sie wüßten, wie sich der verändert hat! Der Krieg verroht die Leute doch sehr.«