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Neuntes Kapitel.

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Tilgner klopfte an die Tür von Ottos Wohnung. Es blieb stumm, denn der Gesuchte war nicht zu Hause, und Ottos Wirtin wußte nicht anzugeben, wo er sei. Sie war offenbar eine sehr neugierige Person und stellte Fragen an Tilgner, die bezeugten, daß sie sich seit gestern über ihren Mieter Gedanken machte.

Das gefiel Tilgner wenig, und er empfahl sich rasch und fuhr nach der Hauptpost, wo er in einem Brief in gedrängter Weise Otto alles zu wissen tat, was seit gestern abend geschehen war. Zu diesem Briefe legte er sämtliche Wertpapiere, die er noch besaß, sowie die vier Hundertkronenscheine, die er Fritz abgenommen hatte, und gab all dies zusammen als Wertsendung an Otto auf. Er hatte den Brief an das Geschäft, in dem Otto angestellt war, adressiert. Nachdem dies abgetan war, fuhr er zum Bahnhof und kam gerade noch zu dem Prager Zug zurecht.

Zu derselben Zeit, als Tilgner aus dem Bahnhof hinausfuhr, wurde Ottos Wirtin abermals gestört. Es kam ein Mann, der offenbar ein Polizist war, und gab für Otto Falk ein amtlich aussehendes, versiegeltes Schreiben ab.

Die Augen der Frau glitzerten förmlich vor Neugierde. Gar zu gerne hätte sie gewußt, was in dem Schreiben stand, und es war gut, daß Otto eben heimkam und es ihr abnahm. Es war eine abermalige Vorladung. Am acht Uhr morgens hatte er sich am nächsten Tage in demselben Amtszimmer einzufinden, in welchem er bereits einmal erschienen war, um freiwillig die Auskunft zu geben, daß Frau Schubert um eine gewisse Zeit noch gelebt habe. Zu seiner damaligen großen Aufgeregtheit hatte er gemeint, daß er dies aussagen müsse. Bezog es sich doch immerhin auf den schrecklichen Fall und konnte daher möglicherweise zu dessen Klärung beitragen.

Eine kurze Weile peinigte ihn freilich der Gedanke, daß Fritz, von dem er sich ja sogleich getrennt hatte, nachdem er ihm gesagt, daß die Schubert nichts hergegeben habe, möglicherweise auch dieses Verbrechen begangen haben könne; aber er ließ diesen entsetzlichen Verdacht doch nicht so recht in sich aufkommen, und gänzlich beseitigt wurde er, als Lauterer ihm das Vierblatt zeigte, das ja der Schubert nicht gehört hatte, also nur von ihrem Mörder auf dem Schauplatz seiner Tat zurückgelassen worden sein konnte.

Otto aber wußte ganz genau, daß Fritz ein solches Anhängsel nicht an seiner Uhrkette gehabt hatte. Es konnte ihm also auch in einem etwaigen Kampfe mit der Überfallenen nicht entrissen worden sein.

Dennoch ärgerte er sich, seit er ruhiger geworden, darüber, daß er zur Behörde gelaufen war. Er hatte sich dadurch immerhin mit dem Fall in Berührung gebracht. Und wenn man dahinter kam, daß er gestern so viel Geld gebraucht hatte, wenn man ferner dahinter kam, für wen er es brauchte, wie damit gewirtschaftet worden war, und daß Fritz nun verschwunden sei – –!

Otto Falk war schon vor Eintreffen der Vorladung recht unruhig gewesen. Als er sie gelesen hatte, steigerte sich seine Unruhe noch um ein bedeutendes.

Aber pünktlich fand er sich am anderen Morgen bei Lauterer ein.

Dieser empfing ihn weit kühler, als er ihn das vorige Mal entlassen hatte. Er sagte ohne jede Einleitung: »Sie haben mich gestern belogen.«

Otto wollte auffahren, aber er besann sich und wartete darauf, was der Beamte weiter vorbringen werde.

»Sie gingen nicht zu Frau Schubert, um wegen Ihrer Heirat mit ihr zu sprechen, sondern um Geld von ihr zu fordern.«

»Zu erbitten,« verbesserte Falk. Er war sehr blaß geworden, sah er doch, daß die Lage für ihn ernst, recht ernst wurde. Das war keine Besprechung mehr, das war schon ein Verhör.

An dem Tisch, der hinter dem Lauterers dicht beim Fenster stand, saß ein Schreiber und protokollierte.

Dieser Schreiber war ein schon ältlicher Mann mit dichtem, kurzgeschorenem, eisgrauem Haar. Er trug eine Brille. Wenn er nicht schrieb, schaute er gelangweilt auf seine Uhr, die vor ihm auf dem Tische lag.

Falk bemerkte das wie durch einen Nebel, und wie durch einen Nebel kam ihm der Gedanke: »Könnte ich doch auch wieder so ruhig sein, wie dieser Mensch es ist!«

Lauterer fuhr fort: »Sie machten mich auch glauben, daß Sie vorgestern nachmittag deshalb nicht in Ihr Geschäft gingen, weil Sie unwohl gewesen seien.«

Otto lächelte schmerzlich. »Es war mir in der Tat übel, seelisch und körperlich übel zumute,« warf er leise ein.

»Das mag richtig sein, aber Sie blieben nicht deshalb Ihrem Geschäfte fern. Sie liefen umher, um Geld aufzutreiben.«

»Das ist also der Behörde schon bekannt?«

»Ja. Es ist ihr auch schon bekannt, daß Sie selbst ein sehr geregeltes, in jeder Beziehung einwandfreies Leben führen und mit Ihrem Gehalt ausreichen, daß Sie also die Schulden, die Sie machten, nicht für sich, sondern für einen anderen, für Ihren Stiefbruder Friedrich Stegmann machten, dessen Leumund ein recht bedenklicher ist, der aus Wien verschwand und nun polizeilich wegen Unterschlagung verfolgt wird. Gestern erzählten Sie mir ferner, daß Sie niemanden als Ihre Braut in Wien hätten, mit dem Sie über Ihre Angelegenheiten reden können. Daß auch Ihr Stiefbruder in Wien sei, verschwiegen Sie – begreiflicherweise,« setzte der Beamte mit einem Anflug von Lächeln hinzu.

»Begreiflicherweise,« wiederholte Falk, »denn nicht einmal meine Braut weiß, daß Fritz hier ist. Ich schäme mich seiner.«

»Um welche Zeit wollen Sie von der Schubert weggegangen sein?«

»Ich bin zehn Minuten vor sechs aus dem Hause getreten.«

»Es gibt jemanden, der mit Sicherheit aussagt, daß dies erst fünf Minuten nach sechs geschehen ist.«

»Hat dieser Jemand auf meine Uhr geschaut?«

»Sie denken an Uhrendifferenzen?«

»Ja.«

Der Schreiber mußte in diesem Augenblick husten.

Lauterer schaute zu ihm hin. Er mußte sich zu diesem Zweck weit zurückbeugen.

Als er wieder seine frühere Stellung einnahm, fragte er weiter: »Haben Sie Ihre Uhr seit Freitag vor- oder zurückgestellt?«

»Ich hatte keine Ursache dazu. Sie geht ausgezeichnet.«

Falk nestelte die einfache Kette los und legte sie samt der Uhr vor Lauterer hin.

Dieser drückte auf den Knopf einer elektrischen Klingel.

Ein Wachmann kam herein.

Lauterer nickte ihm bloß zu, worauf der Mann wieder ging.

Es dauerte nicht lange, da wurde die Tür wieder aufgetan. Falk, der ihr den Rücken zuwendete, wußte aber nicht, wer eingetreten war.

Da schrie jemand hinter ihm laut auf: »Otto!«

Jetzt fuhr auch dieser auf und wandte sich um. Die Brüder standen einander wie erstarrt gegenüber.

Des Schreibers Blick wanderte zwischen ihnen hin und her. Auch Lauterer beobachtete sie scharf.

»Du bist wieder da?« sagte Falk endlich. In seinem Gesicht war tiefe Traurigkeit zu lesen.

Des anderen Wangen überflog ein dunkles Rot. »Ja, aber freiwillig bin ich zurückgekehrt,« sagte er. »Daheim war ich. Joseph hat mich herbegleitet. Er riet mir, alles, was ich weiß, wahrheitsgemäß mitzuteilen.«

»Da hat er dir gut geraten.«

»Geben Sie mir einmal Ihre Uhr,« sagte Lauterer zu Fritz.

Dieser tat, wie ihm geheißen worden war.

»Haben Sie sie seit vorgestern abend vor- oder zurückgerichtet?«

»Ich habe sie wie immer aufgezogen. Weiter habe ich nichts mit ihr gemacht.«

»Ist das sicher?«

»Jawohl. Ich habe zwischen damals und jetzt an ganz anderes gedacht als daran, meine Uhr zu richten.«

Lauterer hatte den Gang der beiden Uhren verglichen. Dann schaute er zu dem Schreiber hinüber.

»Um zwölf Minuten differieren die Uhren. Die Ihrige, Herr Falk,« sagte er zu Otto, »zeigt genau so viel als meine Uhr, die ein Präzisionswerk hat.«

»Auch meine hat ein solches Werk,« bemerkte Falk gelassen und nahm seine Uhr wieder zurück. Dabei setzte er seinen ersten Worten hinzu: »In dieser Beziehung habe ich also nicht gelogen.«

»Sie gingen, als Sie das Haus der Schubert verlassen hatten, sofort zu Ihrem Stiefbruder?«

»Sofort. Er kam mir übrigens entgegen. Ich hatte erst wenige Schritte auf der Straße gemacht, als er schon vor mir stand.«

Der Schreiber blickte in ein Schriftstück, das vor ihm auf dem Tisch lag. Es war das Protokoll, das man auf der Polizeidirektion sogleich nach Stegmanns Eintreffen mit diesem aufgenommen hatte. An einer Stelle stand da zu lesen: »Ich zitterte schon vor Aufregung. Ich ging wieder zum Hause der Schubert. Da kam Otto mir schon entgegen.« Neben diese Stelle schrieb der Schreiber: »Stimmt!«

»Und wie lange blieben Sie dann bei ihm?« fuhr Lauterer im Verhöre fort.

»Bis wir die nächste Haltestelle der Straßenbahn erreicht hatten.«

»Also nur ein paar Minuten noch?«

»Ein paar Minuten.«

»Was geschah dann?«

»Dann fuhr ich zu meinem Paten, um mir dort die dreihundert Kronen, die mir noch fehlten, zu leihen.«

»Waren Sie sicher, das Geld zu erhalten?«

»Nein. Mein Pate brauchte ja nur nicht zu Hause zu sein –«

Otto stockte.

Lauterer ergänzte den Satz, den alle Anwesenden gleicherweise zu Ende dachten, indem er sagte: »Dann hätte Ihr Bruder keinenfalls am nächsten Morgen seinen Fehlbetrag ersetzen können.«

»Ich wenigstens hätte niemanden mehr gewußt, an den ich mich hätte wenden können.«

»Wußte das Ihr Bruder?«

»Er wußte es.«

Der Schreiber ergänzte das Protokoll durch eine Bemerkung.

»Wann trafen Sie dann wieder zusammen?« fragte Lauterer weiter.

»Gegen neun Uhr – im Kaffeehause, wohin ich Fritz bestellt hatte.«

»Fiel Ihnen da nichts an ihm auf?«

»Nein.«

»War er nicht sehr aufgeregt?«

»Gewiß war er aufgeregt. Er hatte ja auch Ursache dazu.«

Lauterer biß sich auf die Lippen. »Ich meine, daß er noch aufgeregter war, als es der Fehlbetrag in seiner Kasse erforderte?« verbesserte er seine erste Frage nicht übermäßig glücklich.

»Herr Doktor,« sagte Otto, »ich kenne genug vom Inhalt unserer Strafprozeßordnung und weiß, daß ich nicht jede Frage zu beantworten brauche, die mir gestellt wird, denn unsere Gesetze sind menschlich. Aber ich werde trotzdem jede Frage, die in dieser Sache an mich gerichtet werden wird, von nun an nach bestem Wissen und Gewissen beantworten. Soll ich vor Fritz weiterreden?«

Lauterer drückte abermals auf die elektrische Klingel. Er ließ Fritz abführen. Dieser suchte umsonst im Gehen Ottos Augen. Nicht einmal einen Blick gönnte der ihm.

Als die Tür sich wieder geschlossen hatte, sagte Falk ernst: »Also, Herr Doktor, fragen Sie!«

Da stand der junge Beamte auf und bohrte seinen Blick förmlich in Ottos Augen. »Sie halten Ihren Stiefbruder an dem Raubmorde für schuldlos?« fragte er.

»Ja.«

»Es spricht bis jetzt aber nahezu alles gegen ihn: sein Charakter, die Tatsache, daß er sich vor öffentlicher Schande und Bestrafung sah, seine Anwesenheit an dem Tatorte zur Zeit der Tat und vor allem seine Flucht.«

»Ist die Furcht vor öffentlicher Schande und Bestrafung nicht genug Grund zu dieser Flucht? Ich hatte Fritz in die Lage versetzt, den Fehlbetrag rechtzeitig zu ersetzen; er aber verspielte die Hälfte des Geldes, und nun war ihm die Schande sicher. Er reist weg, nimmt auch seinen Revolver mit –«

»Tut sich doch nichts – und hat vielleicht nur gespielt, um sich zu betäuben, denn er war an jenem Abend ›unheimlich aufgeregt‹, wie mehrere Zeugen aussagen. Warum war er so aufgeregt, noch immer so aufgeregt, auch nachdem er sich schon durch Sie gerettet wußte?«

»Fritz ist ein sehr schwacher Charakter.«

»Ein Mensch ohne Ehrgefühl, ohne Gewissen. Er war nach seinen eigenen Worten erzürnt darüber, daß die Schubert nichts hergab. Liegt es da so fern, daran zu denken, daß er einen Teil der Zeit, über deren Verwendung er keine Rechenschaft geben kann, ihr zum Unheil verwendete? Der mutmaßliche Täter hat sein Äußeres und trug sich so, wie er sich trägt. Vor einer Stunde erst wurde Fritz Stegmann von zwei Zeuginnen als der Mann bezeichnet, den sie zur kritischen Zeit gesehen haben. Und Sie halten ihn trotzdem für unschuldig?«

»Ja, das tue ich. Und zwar tue ich das aus einem guten oder vielmehr aus einem schlechten Grunde. Fritz ist nämlich ein Feigling. Außerdem ist er blutscheu. Wenn er sich als Bube in den Finger schnitt, wurde ihm bis zur Ohnmacht übel, und – es ist noch kein Vierteljahr her, und ich war Augenzeuge des Geschehnisses – als er einmal dazu kam, wie bei argem Sturm eine Firmentafel im Herunterstürzen einen Mann blutig schlug, da zitterte er so, daß er kaum vom Flecke konnte. Und dieser Mensch soll einen blutigen Mord begangen haben, und danach noch imstande gewesen sein, die Habe der Ermordeten zu durchsuchen? – Nein, Herr Doktor, ich glaube nicht nur nicht daran, daß Fritz in dieser Art schuldig geworden ist, ich weiß vielmehr bestimmt, daß er solch eine Tat überhaupt nicht begehen kann. Ich brauche also nicht zu schweigen, ich brauche ihn nicht zu schonen; ich werde alles aussagen, was ich weiß.«

»Augenblicklich habe ich keine Frage mehr an Sie zu stellen,« sagte Lauterer.

Da erhob sich Falk und verneigte sich vor dem Beamten. Auch dem Schreiber nickte er kurz zu, und dann ging er zur Tür hinaus.

Als er verschwunden war, geschah etwas Sonderbares.

Der grauhaarige Schreiber stand auf, schlug Lauterer lächelnd auf die Schulter und setzte sich zu ihm. Er hatte die Brille abgelegt und unterhielt sich mit dem Doktor, als ob er seinesgleichen wäre. Der junge, elegante Mann hörte ihm sogar so achtungsvoll zu, als lausche er den Worten eines Vorgesetzten.

Nun, ein geistig Vorgesetzter war ihm in der Tat dieser ältliche Mann. Es war der frühere Detektiv Müller, der sich zwar schon längst zur Ruhe gesetzt hatte, aber der Lauterer stets gerne beisprang, wenn ihn dieser brauchte, oder vielmehr, wenn ihn ein bestimmter Fall interessierte.

Nun, der Fall Schubert interessierte ihn.

Lauterer hatte sogleich an Müller gedacht, denn er kam ja oft mit ihm zusammen. Eine Leidenschaft hatten sie nämlich beide – sie waren eifrige Philatelisten. Jeder kannte die Markenschätze des anderen, und sie machten oft gemeinschaftlich Jagd auf eine besondere Seltenheit.

Müller hatte übrigens noch einen ganz besonderen Grund, sich um den Fall Schubert zu kümmern. Er war nämlich der Freund des nun schon lange verstorbenen Schwagers, sowie auch ein Bekannter des Gatten der Ermordeten gewesen. Frau Schubert selbst hatte, seit sie wieder in Wien lebte, allerdings nur selten mit Müller verkehrt, obwohl er ganz nahe bei ihr in seinem eigenen kleinen Hause wohnte; aber der alte Hagestolz hatte sie und Anna nie aus den Augen verloren. Des Mädchens Tüchtigkeit tat seinem braven Herzen und ihre Anmut seinen schönheitsfrohen Augen wohl.

Er wußte auch, daß sie verlobt war, und freute sich mit ihr des Glückes, das sie in ihrer Liebe gefunden.

Als die schreckliche Tat geschah, war er verreist gewesen. Er war erst gestern wieder in Wien angekommen, hatte mit Anna noch gar nicht reden können und stellte sich nun sofort Lauterer zur Verfügung. Er hatte eben noch Zeit gehabt, das Protokoll zu durchfliegen, welches mit Fritz Stegmann aufgenommen worden war, dann war Otto Falk gemeldet worden.

Müller hatte die großen, altväterischen Augengläser vorgenommen und saß nun, solange Otto anwesend war, niedergebeugt an seinem Tische. Er war nämlich Anna und deren Bräutigam schon zweimal auf der Straße begegnet, und Anna hatte ihren Otto dem alten Herrn vorgestellt. Man hatte indessen immer nur ein paar Worte gewechselt, und Müller hatte also wenig Sorge, daß er von Falk erkannt werden würde. Er trug ja jetzt, wie immer im Winter, einen Bart und außerdem auch noch die sonst nie benützte, weil für seine scharfen Augen überflüssige Brille.

Otto hatte ihn denn auch in der Tat nicht erkannt, und so war es Müller möglich gewesen, ihn scharf zu beobachten.

Das Ergebnis dieser Beobachtung faßte er nun, Lauterer gegenübersitzend, in die paar Worte zusammen: »Der gefällt mir, das ist ein prächtiger Mensch, der paßt ganz zur Anna Lindner, denn auch die ist ein prächtiges Mädel.«

»Das hab' ich auch gefunden, sagte der junge Beamte lächelnd.

Müller stand auf. »Ich übernehme also den Fall,« sagte er lebhaft. »Schon deshalb übernehme ich ihn, weil ich möchte, daß Annas Heiratsgut, das, wie Sie mir mitteilten, auch verschwunden ist, wieder zum Vorschein kommt. Je schneller aber die Sache erledigt wird, desto wahrscheinlicher ist es, daß dieses Geld noch vorhanden ist.«

Lauterer hatte sich auch erhoben. Er zog ein Fach seines Schreibtisches auf. Die Hand auf den Rand legend, sagte er: »Ach habe Samstag nachmittag den Tatort in Augenschein genommen, aber nichts anderes gesunden, als was die erste Kommission schon zu Protokoll nahm. Natürlich war da der Leichnam schon in der Totenkammer.«

»Er befindet sich noch dort?«

»Ja. Hier ist das Uhranhängsel, das auch in den Zeitungen erwähnt wurde.«

»Ein niedliches Schmuckstück. Ist es echt?«

»Zweifellos.«

»Wo es gefunden wurde, erwähnen jedoch die Blätter nicht.«

»Es wurde den Zeitungen nicht bekannt gegeben. In der Faust der Toten wurde es gefunden.«

»Und die Öse ist abgerissen. Die arme Schubert hat also vermutlich mit ihrem Angreifer gerungen.«

»Es besteht fast kein Zweifel daran. Ihre Haltung und auch ihr Gesichtsausdruck sprechen ebenfalls dafür.«

»Sie ist doch photographiert worden?«

»Natürlich. Wo habe ich denn nur die Bilder? Sie sind bei Blitzlicht aufgenommen und sehr scharf geworden. – Ah, da sind sie ja! Sie sind noch nicht aufgezogen, deshalb legte ich sie in das Protokoll. Nehmen Sie das nicht mit?«

»Gewiß. Auch das andere. Aber erst nach Untersuchung der Wohnung werde ich Einsicht in diese Aufzeichnungen nehmen. Sie wissen ja schon, daß ich gern ganz unbefangen arbeite. Also – ich gehe jetzt.«

»Ich sehe Sie doch heute noch?«

»Wahrscheinlich. Wie lange sind Sie hier?«

»Ach bleibe bis in die Nacht da. Ich habe viel zu tun, und überdies möchte ich auch zur Stelle sein, falls Sie irgend etwas Wichtiges zu melden haben.«

»Adieu, lieber Doktor!«

»Adieu, Herr Müller!«

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