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(1821)
Der Tonsetzer gehört offenbar ein wenig in die Klasse derjenigen, die den Unterschied zwischen Poesie und Musik, zwischen Worten und Tönen verkennen. Die Musik hat keine Worte, d.h. willkürliche Zeichen, die eine Bedeutung erst durch das erhalten, was man damit bezeichnet. Der Ton ist, nebstdem daß er ein Zeichen sein kann, auch noch eine Sache. Eine Reihe von Tönen gefällt, so wie eine gewisse Form in den plastischen Künsten, ohne daß man noch eine bestimmte Darstellung damit verbunden hätte; ein Mißton mißfallt, wie das Häßliche in der Plastik, schon rein physisch, ohne weitere Verstandesbezeichnung. Wenn die Wirkung der Worte auf den Verstand und erst durch diesen auf das Gefühl geschieht, indes die Sinne dabei eine nur dienende Rolle spielen; so wirkt die bildende und die Tonkunst unmittelbar auf die Sinne, durch diese auf das Gefühl und der Verstand nimmt erst in letzter Instanz an dem Gesamteindrucke teil. Diese Betrachtung hat auch in der bildenden Kunst die größten Kenner, worunter man nur Mengs, Lessing und Goethe zu nennen braucht, dazu geführt, die Schönheit der Form als unerläßliches, ja als höchstes Gesetz für sie aufzustellen.
Was von der bildenden Kunst gilt, gilt in noch viel höherm Grade von der Musik. Ihre erste unmittelbare Wirkung ist Sinn- und Nervenreiz; weshalb ihr auch Kant (für jeden Fall nach seinen Voraussetzungen richtig) den Platz viel tiefer als den übrigen schönen Künsten anweist; weil nämlich ihre Wirkung so überwiegend physisch ist, daß der Verstand, dessen mögliche regulative Mitwirkung Kant als das Kriterium jeder schönen Kunst betrachtet, nur einen höchst untergeordneten Einfluß auf das Gefühl der Lust und Unlust dabei nehmen kann. Wenn nun auch Kant hierin zu weit gegangen ist, so bleiben doch die Thatsachen richtig, von denen er ausging. Der Gehörssinn, der beim Hören von Worten ein Diener des Verstandes ist, entzieht sich bei Tönen offenbar zum Teil seiner Herrschaft und erhält in der Unmittelbarkeit der Wirkung eine Aehnlichkeit mit den niedern Sinnen, eine Aehnlichkeit, die z. B. beim Hören entfernter, indistinkter Waldhorntöne überraschend hervortritt. Daß aber auf die niedern Sinne, so süß sie auch sein mögen, ja so sehr sie auch einer Beziehung und Bedeutung empfänglich sein mögen, keine freie, keine schöne Kunst gebaut werden könne, ist allgemein bekannt und angenommen.
So sind die Töne in ihrer ersten ursprünglichen Bedeutung: unmittelbar durch sich selbst, ohne notwendige Dazwischenkunft des Verstandes gefallende oder mißfallende Sinneneindrücke. Selbst bei der künstlichen Zusammensetzung von Intervallen bleibt das Urteil darüber noch immer ein reines Sinnenurteil, weil sich die spitzfindigste Intervallentheorie doch immer nur auf das, in der natürlichen Einrichtung unsers Gehörorgans gegründete Wohl- oder Uebelklingen stützen kann.
Schreitet man in der Betrachtung der Töne und ihrer Verbindungen weiter fort, so zeigt sich bald eine neue Seite, welche die zu einer schönen Kunst notwendige Verbindung mit dem Verstande wirklich herstellt und eine Musik als Kunst möglich macht. Nebstdem nämlich, daß die Töne an sich gefallen oder mißfallen, lehrt uns auch das Bewußtsein, daß durch sie besondere Gemütszustände erweckt werden, zu deren Bezeichnung sie daher auch gebraucht werden können. Freude und Wehmut, Sehnsucht und Liebe haben ihre Töne, ja sogar der Schmerz, der Schreck, der Zorn ihre Laute, welche zu Tönen zu veredeln wenigstens nicht unmöglich ist. Wenn nun hierdurch auch die Bezeichnungsfähigkeit der Musik gerettet ist, so darf man zweierlei nicht vergessen. Erstens, daß diese Bezeichnung keine genau bestimmende wie durch Begriffe und die dazu gehörigen Worte ist; zweitens, daß die ursprüngliche, rein-sinnliche Natur der Töne durch keine später hinzukommende Erweiterung der Bedeutung ganz aufgehoben werden kann, d.h., daß bei aller Musik, auch in ihrer höchsten Verfeinerung, immer der Sinn den ersten Eindruck empfängt, daß dieser Eindruck ein heftig wirkender, oft beinah unwiderstehlicher ist und daß daher bei der ziemlich vagen Bezeichnungsfähigkeit der Musik der nur entfernt wirkende Verstand nicht fähig ist, durch seine Billigung unangenehme Eindrücke auszugleichen, welche die Sinne mit überwiegender Gewalt empfangen haben.
Was erstens die Bezeichnungsfähigkeit der Musik betrifft, so bin ich erbötig, bei jeder beliebigen Opernarie Mozarts, des unstreitig größten aller Tonsetzer, die Worte durchaus, ja sogar den Modus der Empfindung zu ändern, ohne daß jemand, der das Musikstück nun zum erstenmale hört, daran ein Arges haben und es weniger bewundern soll. Oder noch schlagender, da man die Möglichkeit eines solchen Versuches geradezu leugnen wird. Man nehme die charakteristischste Sinfonie Beethovens, und lasse von zehn geistreichen, in der Musik und Poesie erfahrenen Männern einen passenden Text darunter setzen und erstaune dann, was für Verschiedenheiten sich da zeigen werden. Ja vielmehr ist eben dies das unterscheidende Kennzeichen der Musik vor allen Künsten, daß in ihr Sinfonien, Sonaten, Konzerte möglich sind, Kunstwerke nämlich, die, ohne etwas Genaubestimmtes zu bezeichnen, rein durch ihre innere Konstruktion und die sie begleitenden dunkeln Gefühle gefallen. Gerade diese dunkeln Gefühle nun sind das eigentliche Gebiet der Musik. Hierin muß ihr die Poesie nachstehen. Wo Worte nicht mehr hinreichen, sprechen die Töne. Was Gestalten nicht auszudrücken vermögen, malt ein Laut. Die sprachlose Sehnsucht; das schweigende Verlangen; der Liebe Wünsche; die Wehmut, die einen Gegenstand sucht und zittert, ihn zu finden in sich selbst; der Glaube, der sich aufschwingt; das Gebet, das lallt und stammelt: alles was höher geht und tiefer als Worte gehen können, das gehört der Musik an; da ist sie unerreicht, in allem andern steht sie ihren Schwesterkünsten nach.
Was folgt nun aus dem allen? wird man fragen. Soll Musik aufhören, bezeichnend sein zu wollen? Soll sie in der Oper nicht streng dem Text folgen? Soll sie nicht streben, den Verstand zu befriedigen? Es folgt daraus, daß die Musik vor allem streben soll, das zu erreichen, was ihr erreichbar ist; daß sie nicht, um mit den Begriffen der Redekünste einen Wettstreit in der genauen Bezeichnung zu beginnen, das aufgeben soll, worin sie allen Redekünsten überlegen ist; daß sie nicht streben müsse, aus Tönen Worte zu machen; daß sie, wie jede Kunst, aufhöre Kunst zu sein, wenn sie aus der in ihrer Natur gegründeten Form herausgeht, welche Form im Wohllaut liegt bei der Musik, wie in der Wohlgestalt bei aller bildenden Kunst; daß, so wie der Dichter ein Thor ist, der in seinen Versen den Musiker im Klang erreichen will, ebenso der Musiker ein Verrückter ist, der mit seinen Tönen dem Dichter an Bestimmtheit des Ausdruckes es gleich thun will; daß Mozart der größte Tonsetzer ist und Maria Weber – nicht der größte . . .
(1823.)
Was ich schon bei Erscheinung des Freischützen geahndet hatte, scheint sich nunmehr zu bestätigen. Weber ist allerdings ein poetischer Kopf, aber kein Musiker. Keine Spur von Melodie, nicht etwa bloß von gefälliger, sondern von Melodie überhaupt. (Ich nenne aber Melodie einen organisch verbundenen Satz, dessen einzelne Teile einander musikalisch-notwendig bedingen.) Abgerissene Gedanken, bloß durch den Text zusammengehalten und ohne innere (musikalische) Konsequenz. Keine Erfindung, selbst die Behandlung ohne Originalität. Gänzlicher Mangel an Anordnung und Kolorit. Der romantisch-leichte Stoff beschwert und herabgezogen, daß man sich bang und ängstlich fühlen muß. Kein lichter Moment ausgespart, das Ganze in einem Tone düster und trübselig gehalten. Ich sehe in diesem Kompositeur einen musikalischen Adolf Müllner. Beide traten glänzend auf, indem sie, erst im spätern Mannesalter beginnend, die kärgliche Poesie ihres ganzen frühern Lebens, durch einen treibenden Stoff gehoben, in einer knallenden Feuerwerkfronte abbrannten (Schuld, Freischütz). Beide Männer von scharfem Verstande, mit mannigfachen Talenten, beide von ihrem eigenen Werte und dem ihrer Hervorbringungen innigst überzeugt, beide Theoriemänner und daher auch Unkünstler, beide sich hinneigend zur Kritik. Kritik wird das Ende Webers sein, wie es Müllners Ende war. So wie er in der Meinung sinkt, wird er suchen jene herabzuziehen, die noch in der Meinung stehen, und zwar, wie Müllner, ohne sich dabei der bösen Absicht bewußt zu sein. Gott gebe, daß ich irre, und verzeihe mir, wenn ich es thue.
Gestern wieder in der Euryanthe gewesen. Diese Musik ist scheußlich. Dieses Umkehren des Wohllautes, dieses Notzüchtigen des Schönen würde in den guten Zeiten Griechenlands mit Strafen von Seite des Staates belegt worden sein. Solche Musik ist polizeiwidrig, sie würde Unmenschen bilden, wenn es möglich wäre, daß sie nach und nach allgemeinen Eingang finden könnte. Als ich die Oper zum erstenmale hörte, half ich mir über die ärgsten Stellen durch Unaufmerksamkeit weg. Gestern ließ mich der Wunsch, dem Tonsetzer nicht unrecht zu thun, genau achtgeben. Anfangs ging es ganz leidlich; teils ist der Eingang weniger verschroben, teils war die Kraft zu dulden in mir noch ungeschwächt, aber von Stufe zu Stufe stieg das innere Grausen und ging zuletzt bis zur körperlichen Uebelkeit. Wenn ich am Schluß des zweiten Aufzuges nicht das Theater verließ, hätte man mich im Verlauf des dritten vielleicht hinaustragen müssen. Diese Oper kann nur Narren gefallen, oder Blödsinnigen oder Gelehrten, oder Straßenräubern und Meuchelmördern.
(31. August 1833)
Aufführung der Oper: Robert der Teufel im Theater am Kärntnerthor.
Die Aufmerksamkeit des Publikums war seit lange auf diese Vorstellung gerichtet. Es hatten sich geradezu zwei Parteien gebildet, die nach ihrer Vorliebe oder Abneigung die verschiedenartigsten Ergebnisse im Vergleich mit der Aufführung derselben Oper im Theater in der Josephstadt voraussagten. Der Erfolg hat wunderbarerweise den Erwartungen beider Teile entsprochen. Indes die gewöhnlichen Besucher des Kärntnerthortheaters in der Leistung dieses Abends alles dasjenige fanden, was man von einer reich dotierten, in gutem fundus instructus befindlichen Anstalt mit Recht erwarten darf, bemerkten auf der andern Seite die Freunde der Josephstädter-Darstellungen, daß sie von dem Anteile, den sie ihren dortigen Lieblingen geschenkt hatten, nicht das mindeste abzuziehen brauchten; ja ihre Achtung für die Leistungen und die Leitung jenes Theaters wurde selbst durch jene Partien nur noch vermehrt, wo sie der reich geschmückten Stadtdame den Vorzug vor der schlichten Vorstädterin ehrlich einräumen mußten.
Es liegt außer meiner Absicht, hier von dem Werte der musikalischen Komposition zu sprechen, die, alle andern Vorzüge abgerechnet, mindestens den hat, daß sie – aus der Feder eines Deutschen geflossen – von jener neudeutschen Ansicht abgeht, welche die Aufgabe der Oper lediglich in der öden, musikalischen Instrumentierung eines Textes sieht und findet. Vorderhand soll nur die Darstellung besprochen werden, und zwar die erste Vorstellung des Kärntnerthortheaters mit der ersten Vorstellung in der Josephstadt verglichen, welche letztere – was nicht zur Ehre des dortigen Personals gereicht – von allen Wiederholungen, die ich später daselbst sah, bei weitem die beste war.
Was nun vor allem den Hebel des Ganzen, die Rolle des Bertram, betrifft, so hat mich Herr Staudigl doppelt überrascht. Einmal hinsichtlich des Spiels. Wenn ich mir Pöcks klassische Ruhe, seine edle Haltung vor die Augen brachte, wie er, ohne die reinste Linie des Schönen zu verletzen, doch alle die schauerliche Wirkung seiner Rolle hervorbringt und sich dadurch zum leuchtenden Mittelpunkt des Ganzen machte, so mußte ich für jeden Nachahmer verzweifeln. Herr Staudigl hat aber nicht nachgeahmt. Die Art, wie er seine Rolle auffaßte, gehört zwar einer minderen Region an, es ist die Art, wie das böse Prinzip gewöhnlich dargestellt zu werden pflegt; auch war er von vornherein sichtlich befangen und unscheinbar. In der Folge hob er sich aber und verdiente in den prägnanten Stellen der letzten Akte allen Beifall; ja er gab einer Stelle (der Beschwörungsarie) ein Relief, das sie in Pöcks Darstellung nicht hatte.
Die zweite Ueberraschung oder vielmehr Täuschung war sein Gesang. Wenn niemand in Deutschland Herrn Staudigls Sarastro und Priester in Norma erreichen wird, so dürfte dafür in halb Europa kein Gegenbild zu Pöcks metallreicher, herzbeschleichender Seelenstimme gefunden werden. Es gibt edle Naturen in der Kunstwelt, wie in der sittlichen. Man kann sie durch Bemühung teilweise überbieten, im ganzen aber nie erreichen. Hier war der Darsteller des Stadttheaters von vornherein im Nachteile. Aber so farb- und klanglos hatten Staudigls Bewunderer, unter die auch ich gehöre, sich ihn nicht gedacht. Er schadete sich noch dadurch, daß er, um den Umfang seiner Stimme geltend zu machen, tiefe Töne hineinzog, an denen die Tiefe bemerklicher war, als der Ton. Gegen den Schluß wurde er immer besser und besser, bei jeder Wiederholung wird er an Wert gewinnen, Herrn Pöck wird er in dieser Rolle nie erreichen.
Madame Ernst ist eine so ausgezeichnete Sängerin, daß eine Parallele im allgemeinen zwischen ihr und Mamsell Segatta ziehen, erstere – bald hätte ich gesagt: beleidigen hieße. Aber die Rolle der Alise ist die beste der Mamsell Segatta und eine untergeordnete der Mad. Ernst. Wenn die vortreffliche Gesang-Manier der Sängerin des Stadttheaters in manchen Stellen ihre Preisbewerberin weit zurückließ, so gab auf der andern Seite der immer reine Anschlag der Mamsell Segatta, die klangarmen Stimmen gewöhnlich beiwohnende Leichtigkeit hohe Accorde zu ergreifen, der Vorstadtsängerin nur zu oft ein merkliches Uebergewicht. Auch war die naive Nuancierung, die Mad. Ernst der Rolle geben zu müssen glaubte, der Wirkung nicht günstig. Das Zünglein der Wage steht so ziemlich ein, zwischen der Leistung dieser beiden Sängerinnen, ohne Präjudiz versteht sich für alle andern Rollen.
Mehr oder weniger gilt das von Mad. Ernst Gesagte auch von Herrn Binder. Alle seine Kunstbildung konnte nicht verhindern, daß, besonders in dem schönen Duett zu Anfang des 2. (3.) Aktes Herrn Emmingers gesunde frische Tenorstimme eine ungleich bessere Wirkung hervorbrachte. Ueberhaupt sank dieses Duett, ein Glanzpunkt in der Darstellung des Josephstädter Theaters, an jenem Abend beinahe bis zur Unbedeutendheit herab. Die Sänger wurden zwar vorgerufen, sie fanden aber wohl in ihrer eigenen Brust minder günstige Richter.
Ueber Herrn Breiting ist es schwer, ein Urteil zu fällen oder vielmehr das gefällte auszusprechen. Er vereinigt manches Gute mit so viel – Abenteuerlichem in Spiel und Gesang, daß man sich in Verlegenheit gesetzt findet. Seine Stimme ist die Stimme vier oder fünf verschiedener Menschen, von denen der eine übel singt, der andere gut. Wenn es ihm gelingt, mit zusammengefaßter Kehle diese gewaltigen Töne zu bändigen, so gerät manches recht vorzüglich, wo er sich aber vergißt und dem Strom seinen natürlichen Lauf läßt, so macht es, wie gesagt, eine abenteuerliche Wirkung. Der gegenwärtigen Vorstellung hat er vielleicht dadurch geschadet, daß die, wie es scheint, im voraus unberechenbare Stärke seiner Töne die der Nebensänger deckte, wodurch das künstliche Verhältnis der Stimmen mitunter unangenehm gestört wurde.
Der Chor des Stadtoperntheaters ist so anerkannt vortrefflich, daß ihn neuerdings zu loben, überflüssig scheint. Seine Richtigkeit ist sich unter allen Verhältnissen gleich geblieben. Nur scheint mir, daß in ganz neuester Zeit er sich vor allem die Stärke zum Hauptaugenmerk gemacht habe, ohne zu bedenken, daß nicht alle Zuhörer mit den Ohren der Menge hören. Unangenehm ist mir der Weiberchor im 4. Akte aufgefallen, der mit schwungloser Starrheit vorgetragen wurde. Er erhielt zwar Beifall, ich möchte aber die Leiter des Chors fragen, ob sie dies für die Art halten, in der Gesangsstücke vorgetragen werden sollen. Der Männerchor des Theaters in der Josephstadt ist, wie natürlich, weder an Genauigkeit noch an Macht mit dem Städter zu vergleichen, in der ersten Vorstellung hat er aber sehr richtig nuanciert.
Noch viel weniger leidet der eingestreute Tanz, im Stadttheater von geübten Künstlern ausgeführt, eine Vergleichung mit der gleichnamigen Ausschmückung der Oper im Josephstädtertheater, dessen Tänzer alles können, nur nicht tanzen. Die Idee des Balletts aber schien mir im letzteren viel richtiger aufgefaßt. Alle Bewegungen haben dort eine Beziehung auf den Zweck, Roberten zur Ergreifung des Zweiges anzulocken. Im Kärntnerthortheater aber erscheinen die Tänzerinnen, führen Nummer für Nummer vier oder fünf Entrees auf, wobei sie die Beine von sich strecken und echt solotänzerisch sich um den Gang der Handlung nicht im mindesten bekümmern. Und all das so reizlos, so unverführerisch, daß man glaubt, Robert ergreife nur den Zweig, um sie los zu werden. Auch ist es ein unverzeihlicher Mißgriff, daß die Verwandlung der erstandenen Sünderinnen in reizende Mädchen nicht auf dem Theater selbst geschieht. Der ganze Gedanke wird dadurch gestört.
Hier muß ich nur noch bemerken, daß das eingestreute Lob über die zum Teil getadelten Sänger des Stadttheaters nicht als ein Pflaster auf geschlagene Wunden, nicht als eine Bemühung, das einerseits Verdorbene auf der andern Seite wieder gut zu machen, anzusehen ist, sondern als meine wahre Herzensmeinung über wohlverdiente Künstler. Ich kenne keine Rücksicht auf Personen, die Gunst der einzelnen und des Ganzen ist mir gleichgültig, sowie das Wohl- oder Uebelwollen der gesamten Welt, wenn es sich um das Gute und Rechte handelt.
Mamsell Baier zog sich wohl gut aus ihrer Rolle, die sie mit Gefühl vortrug und mit Verstand auseinander setzte. Die Schwierigkeit ihrer Gesangpartie fordert eine Sängerin vom ersten Range. Sie machte mit viel Umsicht häufigen Gebrauch von einer gemäßigten sotta voce, der die sogenannten éclats ihrer Stimme am wenigsten zusagen.
(1836.)
Ich fühle mich veranlaßt, auch einmal eine Theateranzeige zu schreiben. Am 27. September wurde im Josephstädter Theater die Oper: »Der Schwur« zum ersten Auftreten der Sängerin Dlle. Leeb gegeben. Daß die junge Anfängerin mit großem Beifall sang, Orchester und Chöre recht gut und die ganze Aufführung recht lobenswürdig war, gereicht dem Personal und der Direktion zu großer Ehre, geht mich aber hier nichts an, da ich mein Absehen auf etwas ganz anderes gerichtet habe. Es ist dies der Theaterzettel.
Auf demselben war nämlich Dlle. Leeb als ehemalige Schülerin des Musikvereins und gegenwärtige des Herrn Seipelt bezeichnet. Ehemalige Schülerin. Man sollte denken, das datiere von Jahren her. Dlle. Leeb war aber bis unmittelbar vor ihrem Auftreten Schülerin des Musikvereins, wo sie, noch dazu mit Stipendium, durch sechs Jahre Unterricht genoß, und das lernte, was sie jetzt kann. Gegenwärtige Schülerin des Herrn Seipelt. Er hat also wahrscheinlich den Part mit ihr durchgegangen, was allen Dank verdient; noch mehr aber, daß er sich enthalten, ihr von der richtigen Gesangsmethode und dem angenehmen Vortrag, den wir aus der theatralischen Laufbahn Herrn Seipelts an ihm kennen, und die selbst den Komiker Nestroy zur Nachahmung anreizte, ihr bis jetzt auch nur das Geringste beizubringen. Ich will Herrn Seipelt ein mir unbekanntes Verdienst im Erteilen des ersten Elementarunterrichts nicht bestreiten: aber glaubt er wirklich im stande zu sein, eine Sängerin, die im Musikverein bis auf die Stufe gebracht worden ist, auf der Dlle. Leeb schon seit länger als einem Jahre steht, – glaubt Herr Seipelt wirklich, er könne einer solchen Sängerin noch etwas beibringen? Was denn? Letzte Rundung, Geschmack, Empfindung? Herr Seipelt?
Bis hierher scheint die Sache nur lächerlich. Sie hat aber auch eine ernsthafte Seite . . .
(1847?)
Da ist denn eine Oper, von deren Wert jedermann gleich mir überzeugt sein wird, und die doch in der Aufführung nicht gefallen hat. Ein Teil dieses ungünstigen Erfolges fällt freilich dem Opernbuche zur Last, das entweder geradezu schlecht, oder wenn nicht schlecht, doch wenigstens unverständlich ist. Ein anderer Teil trifft die mangelhafte Aufführung, denn außer Herrn Staudigl und, in gebührendem Abstand, Herrn Pfister, hat niemand seine Schuldigkeit völlig gethan. Nichtsdestoweniger kleben aber auch der oben belobten Musik wesentliche Fehler an. Vielleicht ist jede Nummer einzeln vortrefflich, zusammen aber unterstützen und unterscheiden sie sich nicht hinlänglich. Außer ein paar gefälligen, aber auf das Ganze wenig Einfluß nehmenden Kavatinen, herrscht in dem übrigen ein durchgängiger Charakter von Beweglichkeit und Unruhe, der dem Gemüte keine Haltpunkte gestattet und daher auf die Länge belästigend wird. Die musikalischen Perioden sind durchgehends zu lang, selten durch Schlußpunkte, fast immer nur durch Beistriche und Kolons getrennt und unterschieden. Wie die Italiener eine Vorliebe, so könnte man sagen, der Verfasser habe eine Scheu vor der Kadenz. Immer wird sie durch neue Ausweichungen hinausgeschoben und, wenn das Ohr nach dem Grundtone lechzt, wird durch eine Folge von Nebenaccorden der Durst bis zum Verschmachten gesteigert. Der Verfasser hat alles, was zum Komponisten gehört, auch Melodie, schöne edle Melodie, er ist aber zur Zeit noch nicht Meister des Kunststückes: während er schreibt zugleich im Parterre zu sitzen und sich zuzuhören, mithin auf das Bedürfnis des Publikums Rücksicht zu nehmen. Diese Trennung der Personen, die dem Unverständigen geringfügig, ja verächtlich scheint, ist nichtsdestoweniger das, was den Begabten erst zum Künstler macht, die Brücke aus der Studierstube in die Welt.
Man spreche nur nicht gleich – wie eben die nämlichen Unverständigen – von dem Publikum als von Leuten, die nichts verstehen. Das Schlimmste für den Komponisten wäre, wenn die Zuhörer so viel oder mehr verstünden als er. Dann würden nämlich sie die Opern schreiben und er müßte zuhören. Aber die Stellung des Künstlers noch so hoch angeschlagen, wird sie doch nicht höher sein als die des Lehrers, und auch die Aufgabe dieses letztern ist: faßlich zu sein und dazu muß man sich auf den Standpunkt des Hörers versetzen können.
Es haben in der Oper mehr Nummern enthusiastisch gefallen, als in mancher andern, bis zum Himmel erhobenen. Im Verfolg aber ermattete das Publikum und zwar, nach obigen Andeutungen, ebensosehr aus physikalischen als aus ästhetischen Ursachen.
(Wien, im Dezember 1838.)
Die jüngste Leistung der hiesigen Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates, die großartige Aufführung von Haydns unsterblichen »Jahreszeiten« ist noch lebendig in allen Gemütern. Sie bildet ein Ereignis, dessen Erinnerung nicht so leicht verlöschen wird. Tausendeinhundertzweiunddreißig Musiker, sämtlich Bewohner einer und der nämlichen Stadt, großenteils Schüler oder Mitglieder der Anstalt, konnten vereinigt werden, um auf gleicher Hohe mit einer riesenhaften Konzeption, dem Ausdrucke derselben eine Macht zu verleihen, wie sie der Verfasser des Werkes kaum in den Momenten der Begeisterung sich als möglich gedacht hätte. Und das alles hat eine Anstalt geleistet, die nicht durch Dotationen und ausschließliche Begünstigungen, sondern lediglich durch einzeln gesammelte Beiträge der Kunstfreunde einer wenig ausgedehnten Provinz, um nicht zu sagen einer einzigen Stadt, gegründet, erhalten, und durch mehr als ein Vierteljahrhundert fortgeführt worden ist.
Es hat im Verlaufe dieser Zeit nicht an Verkleinerern der Anstalt gefehlt. Man behauptete, die Künstler vom Fache würden dadurch in ihrem Erwerbe beeinträchtiget, aber es leben Hunderte derselben von der verbreiteten Liebhaberei für die Kunst, und so nützt, was diese Liebhaberei befördert, unmittelbar den Künstlern. Man befürchtete, ein der echten Kunst gefährlicher Dilettantismus werde genährt und über seine Grenzen befördert. Nun denn, wenn die letzte Aufführung der »Jahreszeiten« Werk des Dilettantismus war, so sei er gehegt und gepriesen für immer! Man hat der Gesellschaft vorgeworfen, sie habe noch wenige eigentlich bedeutende Künstler hervorgebracht. Aber was hat sich denn in derselben Zeit auch außerhalb der Gesellschaft musikalisch Großes nachgebildet? Mozarts, Haydns und Beethovens Platz ist noch nicht besetzt. Trägt irgend jemand, oder irgend eine Anstalt dessen die Schuld?
Die Schule bildet nur das Talent, aber sie erzeugt es nicht. Laßt es wieder bedeutend wie früher unter uns entstehen, und es wird in den Musikschulen des Konservatoriums von vortrefflichen Meistern seine Bildung, oder wenn der Zufall es andere Wege führen sollte, doch im Kreise der Gesellschaft das zweite Erfordernis seiner Wirksamkeit finden: Ein nicht nur kunstliebendes, sondern auch kunstverständiges Publikum in allen Klassen und Ständen. Und dazu, was eigentlich die Aufgabe der Schule ist, die Verbreitung der Lehre und der Fertigkeit in die ganze Masse der Ausübenden, dazu hat die Gesellschaft der Musikfreunde beigetragen nach Vermögen und redlich. Wer sich der Schwierigkeit erinnert, mit der die viel schwächere Besetzung zu Händels »Timotheus« beim Entstehen der Anstalt zusammengebracht wurde, und weiß, wie viele jüngsthin bei Haydns »Jahreszeiten« als überflüssig zurückgewiesen werden mußten, kann hierüber keinen Zweifel hegen. Es sind aber auch aus der Mitte der Gesellschaft selbst und aus ihrer Lehranstalt wirklich schon mehrere ausübende Tonkünstler ersten Ranges, und eine große Anzahl geschickter, vollkommen brauchbarer Sänger und Instrumentalisten hervorgegangen, welche im In- und Auslande ehrenvolle Anerkennung gefunden haben, wenn es auch nicht von jedem einzelnen öffentlich bekannt geworden ist, daß sie ihre Ausbildung, oder wenigstens die Grundlage derselben, der Gesellschaft verdanken. Ein Verzeichnis derselben würde genügen, auch in dieser Beziehung jeden Zweifel über die Verdienste der Anstalt schwinden zu machen.
Allerdings fehlt aber der Gesellschaft noch manches und vieles, dessen Mangel aus der Beschränktheit der Mittel hervorgeht. Bei ihrem Entstehen vom Publikum mit Enthusiasmus gegründet, machte ihr Anwachsen bald viele und bedeutende Auslagen notwendig. Aus Mangel eines geeigneten Lokals mußte ein eigenes Haus gekauft, ein weitwendiger Bau unternommen werden, dessen Kosten, zum Teil auf die Hoffnung einer gleich günstigen Zukunft vorausgenommen, noch immer mit Kapital und Zinsen schwer auf der Anstalt lasten; zahlreiche Meister und Einrichtungen waren zu bestreiten. Wenn auf diese Art die Anforderungen sich häuften, wollten die Zuflüsse nicht gleichen Schritt halten. Im Verlaufe beinahe eines Menschenalters ward ein beträchtlicher Teil der ersten Gründer und Beförderer durch den Tod hinweggerafft; Umsiedlungen, häusliche Ereignisse machten andere Beiträge stocken. Die Anzahl der unterstützenden Mitglieder, trotz der großmütigen Gaben einzelner, blieb nach und nach so weit zurück, daß, wenn es nicht gelingt, das Publikum zu neuer Teilnahme anzuregen, die Gesellschaft ihre Zwecke, ja endlich ihren Bestand gefährdet sehen, oder, wenn man vermöchte, Beistand von andern Seiten zu erhalten, Wien wenigstens um den Ruhm gebracht sein würde, so großartige Wirkungen ohne anderes Einschreiten, bloß durch die Kunstliebe einzelner, als Ergebnis der allgemeinen Kunstbildung hervorgebracht und erhalten zu haben.
Man hat die Gelegenheit des jüngst veranstalteten Musikfestes benützen wollen, um Wiens Bewohner und das Land überhaupt auf die Umstände aufmerksam zu machen. Wenn die Gesellschaft erst der Sorge für die Lasten der Vergangenheit enthoben ist, wird es ihr möglich werden, jene Kunsthöhe zu erreichen, die sie sich als Zweck vorgesetzt, und deren Grundbau schon in den bisherigen Leistungen sich gelegt findet. Mögen daher sämtliche Kunstfreunde, die der Anstalt noch nicht angehören, in diesen Andeutungen einen Sporn finden, sich so edlen Zwecken anzuschließen; jene aber, die bereits Mitglieder sind, eine Aufforderung, die hier ausgedrückten Wünsche im Kreise ihrer Freunde durch persönliches Einwirken zu unterstützen.
Die Beiträge, welche die Gesellschaft von ihren gewöhnlichen Mitgliedern erwartet, sind an sich nicht bedeutend, die Vorteile jedem Gebildeten klar. Da übrigens einer der Hauptzwecke, ja der Hauptzweck selbst, die Erhaltung und weitere Fortbildung des Konservatoriums ist, so würden, wie dies schon öfters der Fall gewesen ist, Beiträge oder Zusicherungen mit besonderer Widmung für diese Anstalt, zu vorzüglichem Danke verpflichten.
F. G.Daran schließt sich eine kurze Erklärung »vom leitenden Ausschuß der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates«.
(1830)
Allen Freunden und Verehrern Schuberts, vornehmlich aber denjenigen, die ihr Gefühl für ihn durch Beiträge zu seinem Denkmale werkthätig gezeigt haben, dient zu wissen, daß dieses Denkmal, von geschickter Hand wohlgelungen ausgeführt und mit der ähnlichen Büste des Verewigten, aus Gußeisen geziert, eben jetzt fertig geworden und in dem Kirchhof zu Währing aufgestellt ist, wo es der allgemeinen Ansicht offen steht.
Die Nachweisung über die Verwendung der durch Unterzeichnung eingegangenen Beträge wird nachträglich bekannt gemacht werden.