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(1834)
Es gab vielleicht keine Zeit, wo das deutsche Volk mit seiner Litteratur im allgemeinen so zufrieden war, als eben jetzt. Es fehlt zwar nicht an einzelnen Anschuldigungen und Klagen mancher Art. Das ist aber eitel Koketterie. Die Stimmung im großen zeigt das Gegenteil. Da ist keine Spur mehr von der ängstlichen Bescheidenheit, die sonst den Deutschen gegenüber dem Auslande charakterisierte; Anmaßung und wegwerfendes Absprechen haben deren Stelle eingenommen. Deutsches Gemüt, deutscher Fleiß, deutscher Tiefsinn, deutsche Phantasie klingt's von allen Seiten, ja das Ausland scheint in die Ansicht einzugehen (oder vielmehr sie ging von ihm aus), und des Preisens unserer Art und Kunst ist kein Ende, so weit der Erdboden reicht.
Nur eins – die Füße des Pfaus! – scheint uns zur Bescheidenheit aufzufordern: der eingestandene Zustand unsers Theaters, unserer dramatischen Litteratur. Das Theater selbst, die Bühne, scheint nur gelegentlich in die allgemeine Verwerfung mit einbezogen zu werden, denn, wenn wir auch wirklich weniger große Schauspieler haben sollten, als in früheren Zeiten, so zählen wir doch mehr gute als jemals. Das Uebel muß also tiefer sitzen. In der dramatischen Litteratur also. – Da liegt der Knoten!
Indes die Engländer in ihrem Shakespeare eine komplette Theaterbibliothek für Jahrhunderte besitzen, die Spanier nur das Grabscheit anzusetzen brauchen, um aus ihrer Vergangenheit Schätze für alle Zukunft zu erheben; die Franzosen frischweg zwei litterarische Jahrhunderte – so lange ihr Stolz – wegwerfen und mit dem Neubegonnenen für das Bedürfnis der Gegenwart genügend und voll ausreichen, hat das deutsche Theater kaum ein Dutzend Stücke aus seiner Vorzeit gerettet, die den Kenner befriedigen; ein bißchen Mittelgut wird zur Not geduldet; das Neue ist durchweg schlecht. Weh sei darob geklagt, besonders wenn man selbst Schriftsteller und ein Neuerer ist.
Es wäre nicht uninteressant, den Ursachen dieses Uebelstandes nachzuforschen, vielleicht daß bedeutende praktische Ergebnisse dabei zu gewinnen wären. Versuchen wir's denn! Ich kann nicht hoffen, den Gegenstand zu erschöpfen, der ein eigenes Buch erforderte; aber meine Andeutungen werden wenigstens den Vorzug haben, von einem die Kunst Ausübenden herzurühren, indes sich bis jetzt nur Schulgelehrte, Skizzisten und Dilettanten damit befaßten, die ihre Meinungen ohne inneres Erleben, auf nichts zu gründen wissen, als auf links und rechts zusammengelesene Beispielfälle, wo dann das Urteil nicht weiter reicht als der Fall selbst.
Aufs Praktische gehende, durch eigene Erfahrung bestätigte Ansichten hier niederzulegen, wäre die Aufgabe. Und sollte man's handwerksmäßig finden! Liegt doch jeder Kunst ein Handwerk zu Grunde, und wer beide nicht zu vereinigen weiß, ist ein Stümper, nur, je nachdem das eine oder andere vorschlägt, mit einem Uebergewicht von Gemeinheit oder Abgeschmacktheit. An hohen Ansichten hat es den Deutschen nie gefehlt, aber ihre Grundlagen schweben nicht selten in der Luft, und ob sie da für unsern Vorwurf am rechten Platze seien, soll im folgenden untersucht werden.
Von allen poetischen Formen die strengste ist die dramatische. Alle andern gehen formell von einer Wahrheit aus, die dramatische von einer Lüge, und ihre Aufgabe ist, diese Lüge aufrecht zu erhalten, ja sie in letzter Ausbildung zu einer Wahrheit zu machen. Die Lyrik spricht ein Gefühl aus; das Epos erzählt ein Geschehenes (für die Form gleichviel, ob wahr oder erdichtet); das Drama lügt eine Gegenwart.
Man hat sich in neuerer Zeit sehr lustig gemacht über die Täuschung, welche man in früherer einem Schauspiele zum Erfordernis machte, und gewiß, eine unabweisliche, zwingende Täuschung würde alle Kunst von vornherein aufheben, eine einschneidendere Wirklichkeit an deren Stelle setzen und namentlich die Tragödie zu einem Schauspiel für Schlächter und Kannibalen machen. Es gibt aber noch eine andere, willkürlich selbst übernommene Täuschung, eine Supposition, in die der Zuschauer eingeht, auf die stillschweigende Bedingung, sie wegzuwerfen, wenn ihre Wirkungen lästig, wenn sie quälend würden. Die Aufgabe der dramatischen Kunst, als Form, besteht nun darin, daß diese Supposition einer Gegenwart (ja nicht mit Wirklichkeit zu verwechseln) aufrecht erhalten, ihre Bewahrung dem Zuschauer erleichtert und nicht gestattet werde, daß er sie aus Langeweile oder Zerstreuung fallen lasse, oder wohl gar im Widerwillen wegwerfe.
Wer diese Sätze leugnen wollte, müßte erst verhindern, daß als gegenwärtig dargestellte Personen nicht auch wie gegenwärtige wirken; er müßte ungeschehen machen, daß die dramatischen Meisterwerke aller Zeiten, gut gespielt oder gelesen, jenen tiefen Eindruck machen, den nur die Gegenwart gewährt; er müßte endlich erklären, warum man überhaupt die in jeder andern Rücksicht unbequeme dramatische Form wählt, wenn es dabei bloß auf kühle Möglichkeiten und behagliche »Es war einmal« abgesehen ist.
Dies vorausgeschickt, fragt es sich: Durch welche Mittel kann nun bewirkt werden, daß eine niemals dagewesene oder längst vergangene Begebenheit als eine, wenn auch nur vorausgesetzte Gegenwart wirke? Die bloßen Gegenreden der Personen mit: tritt auf, und: geht ab, reichen dazu nicht hin, wie die Erfahrung zur Genüge lehrt. Was ist es also sonst?
Die Wirklichkeit zwingt. Die Häuser in meiner Straße abzuleugnen, fällt mir nicht ein, und wenn ich morgen einen Stein vom Himmel fallen sehe, muß ich mir's gefallen lassen, ich mag es begreifen oder nicht. Wenn mir aber jemand erzählt, er habe ein Schiff in der Luft fahren gesehen, so werde ich es erst dann glauben, wenn ich es, durch Ursache und Wirkung vermittelt, in den Kreis meiner Ueberzeugungen aufnehmen kann. Kausalität zwingt den Geist, wie das Wirkliche die Sinne; und was als Gegenwart gelten will, muß vor allem als Ursache und Wirkung streng verknüpft sich erweisen. Daher verweigert auch das Drama dem Zufall sein Spiel, und die eifrigsten Verfechter der Willensfreiheit, die täglich von jedermann die tugendhaftesten Handlungen wie aus der Kanone verlangen, sind höchst erzürnt, wenn derlei unmotiviert auf dem Theater vorkommt. Der Charakter sei nicht gehalten, sagen sie.
Scharf und bestimmt sind die äußern Gestalten der Wirklichkeit. Mit nebelhaften Abschaltungen wird niemand eine Gegenwart anschaulich machen.
Ebenso incisiv sind ihre innern Aufkündungen. Glücklicherweise verlangt die Kunst eine Milderung mancher Gefühle des wirklichen Lebens, wer würde sonst auslangen? Und auch das, was übrig bleibt, wer erreicht's?
Endlich fügt sich das Wirkliche in seiner Bestimmtheit allerdings der Anwendung des Begriffs, ist ihm aber nirgends adäquat. Eine Menge Zufälligkeiten begleiten es und machen das Lebendige desselben aus, unterscheiden das wirkliche Ding von dem Gedankending.
Alles dies zugegeben, wird man von dem dramatischen Dichter, alle andern poetischen Qualitäten eingerechnet, noch in besonders hervorstechendem Grade folgende Eigenschaften fordern:
Scharfen, sichtenden Verstand zur Motivierung und Begründung.
Bildliche Phantasie: sie erfindet und stellt dar.
Warmes, richtiges Gefühl.
Endlich Empfindung, im Verstande der Maler genommen, wo es den Sinn für die Abstufungen und das Verfließende in den Zufälligkeiten der Naturtypen bedeutet.
Man könnte hier stehen bleiben und im Entgegenhalt der deutschen Naturanlage zu ermitteln suchen, welche von diesen Eigenschaften den Nationalvorzügen entsprechen und welche, im mindern Maße vorhanden, dem Gelingen dramatischer Komposition schon von vornherein störend im Wege stehen.
Es würde sich vielleicht zeigen, daß der deutsche Verstand seine Stärke mehr im Vorarbeiten für die Zwecke der Vernunft zeige, als in rein analytischer Brauchbarkeit für die Aufgaben des Wirklichen, daß die Abweisung des gemeinen Menschenverstandes von Seite der deutschen Philosophie ihre Wirkungen mitunter weiter erstrecke, als auf jene abstrakten Höhenpunkte, für die sie eigentlich gemeint war, und unbefangener, gesunder Sinn, unbeschadet aller anderen Vorzüge unter deutschen Litteratoren vielleicht seltener gefunden werde, als irgend anderswo.
Die deutsche Phantasie könnte man beschuldigen, gar zu gern ins Weite zu gehen und dadurch unbildlich zu werden. Je höher diese Kraft sich versteigt, um so nebelhafter werden ihre Gebilde, bis sie endlich zu bloßen Schematen entschwinden, die den Gedanken wohl unterstützend begleiten, aber nicht mehr versinnlichen, nicht darstellen. Der Wert der Phantasie für die Kunst liegt in ihrer Begrenzung, welche die Gestalt ist. Die deutsche Phantasie liebt, ihre Bilder nach einwärts, auf den Hintergrund des Gefühls zu werfen, was in der lyrischen Poesie oft hinreicht: die epische, besonders aber die dramatische Poesie fordert bestimmte Gestalten nach auswärts, die selbständig für sich dastehen und keiner Nachhilfe von Seite des Gemütes bedürfen.
Das deutsche Gefühl sei in Ehren gehalten. Was sich dagegen, außer einer gewissen Vorliebe für die Halbtinten, sagen läßt, wird am besten in Verbindung mit dem folgenden Absätze ausgesprochen.
Dieser begreift die Empfindung in dem oben angedeuteten Sinne. Hier liegt vielleicht die poetische Hauptschwäche der Deutschen, was um so trauriger ist, da das Geheimnis der Komposition damit allernächst zusammenhängt. Gewohnt, von scharf bestimmten Begriffen auszugehen, verlieren sie nur zu leicht den Takt für die Zufälligkeiten des Lebendigen. Da nun zugleich ihr Gefühl warm und wahr ist, an welchen Eigenschaften sie sich zu versündigen glaubten, wenn sie davon im einzelnen auch nur ein Jota abgehen ließen, so werden nur zu häufig die verschiedenen Figuren, ihre Erlebnisse, Gesinnungen, Gefühle und deren Aeußerungen so haarscharf und ungeschwächt aneinandergefügt, daß man dabei an die Kartenmalerei und, wenn's gut geht, an die unbehilflichen Uranfänge der bildenden Kunst erinnert wird, die noch keine Ahnung davon hat, daß die schönsten Einzelheiten zusammen ein schlechtes Bild machen können. Da ist nichts refüsiert, das eben Emportauchende macht seine Wirkung geltend, ohne auf den Eindruck eines Vorher oder Nachher Rücksicht zu nehmen: Licht sammelnde und sparende Gegensätze werden als Effektmacherei verworfen, an Ruhepunkte zur Erleichterung der Auffassung ist nicht zu denken, und so rollt denn die ganze Komposition (!) als ein unentwirrbares Chaos belästigender Schönheiten um ihre eigene Achse, und der Leser (denn bis zum Zuseher gelangt derlei selten) weiß sich nicht anders Rat, als den Knäuel hinzulegen, um sich zu besinnen und Kraft zu sammeln, wo ihm denn keine Ahnung beikommt, daß, wenn er sich nun orientiert hat und fortfährt, er kein Drama mehr mitlebt, sondern ein Buch liest.
Die Deutschen können nicht komponieren. Was in Frankreich der letzte Skribler (bei allen Mängeln des Inhaltes) kann, ist in Deutschland höchstens die Gabe weniger.
So war es aber nicht immer. Unsere großen Dichter verstanden zu komponieren, und es gab eine Zeit, wo es auch die mittelmäßigen konnten. Was hat also in neuerer Zeit die Deutschen für die Anforderungen der dramatischen Kunst weniger tauglich gemacht?
Das sei der Inhalt des zweiten Teils meiner Predigt.
(1835.)
Als ich von dem Herausgeber dieser Blätter aufgefordert wurde, sein Unternehmen mit einem Beitrage zu unterstützen, überwog im ersten Augenblicke das Gefühl der Freundschaft meinen Widerwillen gegen das leidige Kunstgeplauder. Ich sage: Geplauder, weil in Dingen, wo es sich um ein Können handelt, alles Reden mehr oder weniger ein Geplauder ist. Wer den Hammer einmal heben kann, wird durch Uebung ihn schon brauchen lernen, für wen er aber zu schwer ist, der mag ihn ruhig liegen lassen, ohne ihn viel zu umschreiben oder zu besprechen. Auch hieße es Wasser in die Donau oder vielmehr in die Elbe, den Neckar, die Spree, u. s. w. tragen, wenn man in unserer Almanach- und Journal-Anleitungs- und Erklärungszeit, wo jedermann statt zu sehen, von der Farbe spricht (als Blinder nämlich), wenn man in dieser eigentlich doktrinären Zeit mit Beiträgen die Masse der Surrogate des Unvermögens noch vermehren wollte.
Aber so sehr mich nun das gegebene Wort reuen mag, wie lang ich die Erfüllung hinausschob, das Versprechen geschah, der zweite Teil der Predigt fehlt, und der Herausgeber ist ein gewaltthätiger Mann.
(Der in der ersten Nummer dieser Zeitschrift begonnene und allerdings über die Gebühr verspätete Aufsatz unter obigem Titel gedieh bis auf die Frage:) was für Erscheinungen haben in Deutschland während der neueren und neuesten Zeit Platz gegriffen, um das Gelingen dramatischer Kompositionen noch mehr zu erschweren, als dies bereits früher der Fall war?
Die hierher gehörigen Erscheinungen lassen sich, so mannigfach sie sind, vielleicht auf folgende beiden Hauptpunkte bringen:
Mißbrauch der Gelehrsamkeit und Mißachtung der Rechte des Publikums.
Die Gelehrsamkeit, oder, wenn man will, Belesenheit, so schätzbar sie an sich und so förderlich sie für alle Seiten des menschlichen Erkennens, ja Vollbringens ist, hat doch auch mitunter hemmende Einflüsse, und diese äußerten sich in Bezug auf unsern Gegenstand:
1. In Gestalt der Ideologie.
Die deutsche Philosophie hatte kaum durch Kant ihre große Umwälzung vollbracht und in ihren ersten Ausbildungsformen Bestand und Platz gewonnen, als sie auch, ziemlich revolutionär, anfing, ihre Usurpationen über benachbartes und weltfremdes Gebiet auszudehnen. – Wobei jedoch vor allem Kant selbst ausgenommen werden muß. Nie hat ein Philosoph aneignender über die Vorfragen der Kunst gesprochen, als er, und wenn, was er sagte, nicht künstlerisch förderlich war, so liegt die Ursache nur darin, daß aus dem Standpunkte der Philosophie die Kunst überhaupt nicht zu fördern ist. – Damals also, wo man Prinzipien für alles auffand, ging, wie natürlich, die Kunst auch nicht leer aus. Das Schöne war apriorisch erwiesen, die Kunstformen desgleichen, so daß, wenn sie zufällig verloren gegangen wären, man sie augenblicklich aus freier Faust wieder hätte erfinden können. Große Schubfächer wurden gezimmert für die Hervorbringungen aller Zeiten: da mußten sie unterkriechen, und was für das eine Schubfach als Grundwahrheit galt, war für das andere grundfalsch, als ob der Unterschied zwischen Mensch und Mensch in allen Lagen und Zeiten, weiß Gott, wie groß wäre. Dem gesamten Altertum ward als Marionettendraht die Schicksalsidee beigegeben, und Atriden und Labdakiden mußten sich abmartern, bloß um den breitgetretenen Heischesatz: daß niemand seiner Bestimmung entgehen könne, beispielsweise einzuschärfen. Der Chor war der idealisierte Zuseher, auch da, wo er Mitspielender, auch da, wo er Hauptperson, auch da, wo er einseitiger befangen ist, als der Zuseher selbst. Was nun, obschon man es mit der Konsequenz nicht sehr genau nahm – durchaus der Anwendung widerstrebte, ward als unwürdig und schlecht ausgeschieden; wie denn Euripides, einem schlechtbestandenen Schüler gleich, bis auf diesen Tag mit dem schwarzen Täfelchen herumgeht.
Mit dem Schubfach für die neuere Zeit ging das nicht so leicht an. Daß namentlich das Tragische im Kampfe der Freiheit mit der Notwendigkeit liege, darüber war man bald einig; nur darüber nicht, ob der Freiheit oder ihrer Gegnerin der Sieg bleiben solle. Ein kleiner Unterschied, wie man sieht. Statt eines allgemeinen Prinzips ward daher jeder einzelnen Hervorbringung ein besonderes zugewiesen, eine Schulidee, deren Versinnlichung die Aufgabe des Kunstwerkes sein sollte; ein Satz, und zwar kein moralischer – worauf hingearbeitet zu haben, man den Vorgängern sehr übel nahm, sondern wo möglich ein theoretisch-dogmatischer, was weniger veraltet, dafür aber bedeutend lächerlicher war. Fand das schon unter der Herrschaft der kritischen Philosophie statt, so ward der Drang noch heftiger, nachdem durch Beimischung von Gefühls- und Phantasie-Elementen die Philosophie selbst eine Art Poesie geworden war, wo man denn, um doch auch eine Philosophie zu haben, gern die Poesie dazu gemacht hätte.
Entstünde nun die Frage: ob man überhaupt Ideen an die Spitze dramatischer Hervorbringungen stellen solle? so wäre die Antwort: Warum nicht? wenn man sich einer so gewaltig lebendig machenden Kraft bewußt ist, als z. B. Calderon. Sonst haben aber die großen Dichter meistens den Gang der Natur zum Muster genommen, die Ideen anregt, aber vom lebendigen Faktum ausgeht.
Auch müßte jederzeit der Unterschied zwischen philosophischer und poetischer Idee im Auge behalten werden, von denen die erste auf einer Wahrheit beruht, die zweite auf einer Ueberzeugung. Denn es ist die Aufgabe der Philosophie, die Natur zur Einheit des Geistes zu bringen; das Streben der Kunst, in ihr eine Einheit für das Gemüt herzustellen.
Die hier bezeichnete Richtung der sogenannten Kunstphilosophie hatte ein so allgemeines Erlahmen jeder Produktionskraft zur Folge, daß sie sich unmöglich lange halten konnte. Sie ist im ganzen aufgegeben und spukt nur noch unter dem rezensierenden Troß, wenn er seine Sachunkenntnis hinter Worten verschanzen will.
Länger, und bis auf unsere Tage nachwirkend, dauerte die zweite Ausgeburt falsch angewendeter Gelehrsamkeit: Uebertreibung der Forderungen an die Produktion.
Hatte man sich in früherer Zeit mit der Kenntnis der ewigen Alten und etwas förmlichem Franzosentum begnügt, so entstand, unmittelbar vor und mit dem neuen Jahrhundert, plötzlich eine Entdeckungsmut unbekannter Regionen, den portugiesisch-spanischen Ost- und Westindienzügen vergleichbar. Mit nicht genug zu preisendem Eifer ward Shakespeare den Deutschen näher gebracht, und eine neue Welt that sich auf, als Calderon seine ersten Strahlen durchs weichende Gewölk herübersandte. Die klassische Welt, bisher ausschließliches Eigentum der Gelehrten, ward durch Übersetzung Gemeingut für alle. Was man den Römern entzog, häufte man um desto überschwenglicher auf die Griechen; und im schwindelnden Wirbeltanze drehten sich Kunstvollkommenheiten und Meisterwerke um den staunenden Lehrling. Aber durch einen leicht begreiflichen Irrtum vergaß man, daß, was so mit einemmale und in einem Maße die nächste Nähe vereinigte, in der Wirklichkeit durch Länder und Meere, durch Völker und Jahrhunderte getrennt war.
Weil man das alles wußte, glaubte man sich zu der Forderung berechtigt, das alles zu können, und Shakespeare und Sophokles wurden als Wegsäulen und Meilenzeiger hingestellt, indes sie Sterne sind, nach denen man aus unendlicher Entfernung allenfalls seinen Lauf einrichten kann. Das Gute erschien klein im Vergleich mit jenen ewigen Heroen, und das Dankenswert-Annehmbare schrumpfte zum Atome ein, im Entgegenhalt eines Maßstabes, dessen Grade Volksbildungen waren, und dessen Ganzmaß die Kultur des Menschengeschlechtes.
Daß nun niemand erreichen konnte, was gefordert ward, setzte die Fordernden scheinbar hoch hinauf über die nach Erfüllung Strebenden, d. h. die Kritik über die Produktion, was allemal und jederzeit ein sicheres Zeichen des Verfalles der Kunst war.
Ja, selbst ein Teil des Publikums fand die dauernde Stellung auf den unfruchtbaren Höhen des Überschwenglichen lohnender für das Selbstgefühl, als die Unterordnung, die jeder übernimmt, der einen Eindruck auf sich wirken läßt, und der Dichter fand ablehnende Grübler, wo er dankbare Zuhörer vorausgesetzt hatte.
All diese Verkehrtheit wäre noch zu ertragen gewesen, ohne die notwendige Rückwirkung, die dieses Hetzen und Drängen endlich auf die Produzierenden selbst ausüben mußte. Ueber all dem Vermeiden und Sich-Hüten ward die Aufgabe des Dichters zuletzt halb negativ. Um doch einigermaßen zu wirken, mußte sich jeder mit einem solchen Apparat, einem solchen Rüsthaus von Offensiv- und Defensivwaffen beladen, daß unter ihrem Gewicht kein freier Schritt mehr möglich war. Jedes Vornehmen ging so ins Ungeheure und Weite, daß das Continuum zur innern Ausfüllung ermangelte. Das natürlich Genießbare verschwand, und man sah nichts mehr, als verunglückte Meisterstücke.
Der Schreiber dieses Aufsatzes läßt das alles gern auf sich und seine eigenen Werke anwenden. Er wollte nicht diesen oder den tadeln, sondern die Richtung einer Zeit, zu der er auch gehört. Man mag sich verwahren, wie man will: ist einmal derlei in der Luft, so saugt jeder seinen Teil davon beim Atemholen ein.
In letzter Ausbildung gedieh diese Richtung – was entsetzlich zu sagen ist – bis zur Verfälschung des Gefühls.
Kenntnisse und Wahrheiten werden von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt, und der wäre ein Thor, der sich keine andere Bildung aneignen wollte, als die er selbst aus sich selbst gefunden. Das eben unterscheidet den Menschen von den übrigen Naturwesen, daß der späte Enkelsohn, weiterbildend, fortsetzt, was der Urahn, dunkel ahnend, begonnen; indes der Sprößling des am besten abgerichteten Tieres genau von demselben Punkte wieder anfangen muß, von dem sein gelehrter Vorfahr gleichmäßig ausging: das Palladium der Geistesbildung ist die ungehinderte Mitteilung. Das Gefühl dagegen ist der Ausdruck der besondern Existenz des einzelnen; es stirbt mit jedem und wird mit jedem neu geboren. Ich kann ebensowenig das Gefühl eines andern annehmen, als die Person mit ihm tauschen; und die eigene Art, zu fühlen, aufgeben, heißt so viel, als seine Individualität verleugnen, sich als Mensch vernichten.
Kenntnisse und Ansichten werden erworben, sie sind etwas willkürlich von außen zum Menschen Hinzugekommenes; das Gefühl dagegen ist der innere Mensch selbst. Indes der Verstand sich nur zu häufig mit Möglichkeiten abgibt und je nach gewissen Ansichten der ganzen äußern Welt eine Voraussetzung, eine Annahme setzen kann, ist dagegen das Gefühl der Eindruck, den das Aeußere als eine Wirklichkeit macht. Es kommt daher vom Wirklichen und geht aufs Wirkliche, und wenn erdichtete Zustände uns je und dann ebenmäßig anregen, so liegt dabei nur eine Übertragung durch die Phantasie zu Grunde, weshalb wir auch den Menschen verachten, den durch die Kunst geschilderte Leiden rühren, indes sie ihn im Leben kalt lassen. Wenn nun auch die Grundlagen des Gefühls durch alle Zeiten und Völker dieselben bleiben, so sind doch die Modifikationen desselben, Grad und Stärke, Entstehung und Vermittlung durch Umstände bedingt, die mit der Zeit wechseln. Die Liebe der Griechen war eine andere als die unsere; die weibliche Schamhaftigkeit ertrug im sechzehnten Jahrhunderte Aeußerungen und Vorgänge, die sie gegenwärtig empören; am Ende der mittelalterlichen Fehden erschienen Gewaltthätigkeiten an Sachen und Personen in einem viel milderen Lichte, als sie uns jetzt in einem weit geregelteren Zustande sich darstellen; beim Fortschritt der Kenntnisse ist das Gefühl für die Wahrscheinlichkeit zu einer Feinheit ausgebildet, von der man zu Zeiten Lope de Vegas keine Vorstellung hatte; ja um etwas hier einzumischen, was weniger den Inhalt als die Form des Gefühls, die Empfindung angeht – die durch Zerstreuung weniger geschwächte Aufmerksamkeit des Publikums zur Zeit der großen englischen und spanischen Dichter war williger bereit, eine in ihrer Zusammenfügung losere Komposition zu unterstützen und zusammenzuhalten, als die verbrauchte Genußfähigkeit unsers Jahrhunderts. Nun hat sich aber in letzterer Zeit die deutsche Gelehrsamkeit so in die Dichter früherer Epochen und ihrer Gefühlsweise hineingearbeitet und gedacht, daß sie darüber vergessen, wie man heutzutage empfindet. Das allein schon wäre nun übel genug, da der Wert des Dichters eigentlich in der Art und Weise besteht, wie er die Natur betrachtet. Nun kommt aber noch dazu, daß man sich doch von seiner eigentümlichen, heuttäglichen Empfindungsweise nie ganz losmachen kann. Wirft man nun, wie geschieht, die starr gewordenen Ueberbleibsel einer anderen Zeit- und Bildungsepoche schroff und krud in das weiche und warmflüssige Element, so entstehen daraus Luftblasen und Wahnbilder, die jeder Poesie nur zu bald ein Ende machen müssen.
Dies alles konnte aber nicht über einen gewissen Grad gehen, wenn nicht die unveräußerlichen Rechte des Publikums vorher auf die schnödeste Art verkannt, ja vernichtet worden wären.
(1817.)
Um recht überzeugt zu werden, wie mißlich es mit dem Theoretisieren über Poesie aussehe und was für schiefe Resultate selbst scharfsinnige Männer herausbringen, braucht man nur jene Briefe Lessings an Mendelssohn zu lesen, wo sie beide über den Zweck und die Idee der Tragödie streiten. Wenn das am grünen Holz geschieht –. Der Teufel hole alle Theorien!
(1817.)
Man hat oft gestritten, ob die Wirkung der dramatischen Poesie in der Illusion oder in der mit Bewußtsein verbundenen Idee der Nachahmung liege. Die Wahrheit scheint in der Mitte zu sein. Der Zuschauer muß hingerissen werden, er muß, was er sieht, in einem gewissen Grade für wahr halten oder mit dem ἔλεος καὶ φοβος ist's vorbei: aber seinen Zustand muß ein dunkles (ich hätte bald gesagt: bewußtloses) Bewußtsein begleiten, denn wo bliebe sonst das Vergnügen an tragischen Begebenheiten und die Idee der Kunst? Ich stelle mir oft die Wirkung der dramatischen Poesie wie einen Morgentraum, kurz vor dem Aufwachen vor, wo angenehme Bilder um die Stirne gaukeln, uns mit Freude und Schmerz erfüllen, obschon (wenigstens bei mir) immer der Gedanke dazwischen kömmt: es ist ja doch alles nur ein Traum! Aber im nächsten Augenblicke taucht die kaum erwachte Klarheit wieder in die süßen Wellen unter und kommt nur jedesmal, wenn der Eindruck zu stark wird, wieder zum Vorschein.
(1817.)
Wenn wir die Aristotelische Definition der Tragödie: δι' ἐλέου καὶ φόβον περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παϑημάτων κάϑαρσιν gerade so nehmen, wie sie vor uns liegt, so sollte es beinahe scheinen, als ob das bürgerliche Trauerspiel die folgerechteste Gattung wäre. Aber besitzen wir denn des Aristoteles Poetik vollständig? Wissen wir denn, ob er nicht gleich von vornherein bei Definition der Poesie überhaupt die Erhebung zum Ideal, über die Wirklichkeit hinaus, zu einer Grundbedingung jeder poetischen Gestaltung gemacht hat, so daß er es, als etwas, das sich ohnehin von selbst versteht, bei der Tragödie hinzuzusetzen nicht nötig gefunden hat?
(1845-1846?)
Die aristotelische κάϑαρσις der tragischen Leidenschaften besteht darin, daß durch die Kunst das Gefühl, das diese Leidenschaften mit sich führen, zur Betrachtung erhoben wird.
(1819.)
Das Wesen des Drama ist, da es etwas Erdichtetes als wirklich geschehend anschaulich machen soll, strenge Kausalität. Im Lauf der wirklichen Welt bescheiden wir uns gern, daß manches vorkommen könne, was sich für uns in die stetige Kette von Ursache und Wirkung nicht fügt, weil wir einen unfaßlichen Urheber des Ganzen anzunehmen genötigt sind und immer hoffen können, daß das, was für unsere Beschränktheit unzusammenhängend ist, in ihm einen uns unbegreiflichen Zusammenhang habe: im Gedicht aber kennen wir den Urheber der Begebenheiten und ihrer Verknüpfung und wissen in ihm einen dem unsern ähnlichen Verstand, daher sind wir auch wohl berechtigt, anzunehmen, was in seiner Schöpfung für unsere und überhaupt für die menschlich-endliche Denkkraft nicht zusammenhänge, habe überhaupt keinen Zusammenhang und gehöre daher in die Klasse der leeren Erdichtungen, die der Verstand, von dessen formaler Leitung sich auch die schaffende Phantasie, wie jedes innere Vermögen, nicht losmachen kann, unbedingt verwirft, oder die wenigstens die beim Drama beabsichtigte Annäherung an das Wirkliche ganz ausschließt.
Das Kausalitätsband ist nun, den Begriff der Freiheit vorausgesetzt, seiner Möglichkeit nach ein doppeltes: Nach dem Gesetze der Notwendigkeit, d. i. der Natur, und nach dem Gesetze der Freiheit. Unter dem Notwendigen wird hier alles dasjenige verstanden, was, unabhängig von der Willensbestimmung des Menschen, in der Natur oder durch andere seinesgleichen geschieht, und was, durch die unbezweifelte Einwirkung auf die untern, unwillkürlichen Triebfedern seiner Handlungen, die Aeußerungen seiner Thätigkeit, zwar nicht nötigend, aber doch anregend bestimmt. Die Einwirkung dieser äußern Triebfedern ist bekanntlich so stark, daß sie bei Menschen von heftigen, durch verkehrte Erziehung und unglückliches Temperament genährten Neigungen oft alle Thätigkeit der Freiheit aufzuheben scheint, und selbst die Besten unter uns sind sich bewußt, wie oft sie dadurch zum Schlimmen fortgerissen wurden, und wie diese Triebfedern einen Grad von extensiver und intensiver Größe erreichen können, wo fast nur ein halbes Wunder möglich machen kann, ihnen zu entgehen. Das nun, was außer unserem Willenskreise, unabhängig von uns, also notwendig vorgeht und, ohne daß wir es nach Willkür bestimmen könnten, auf uns bestimmend (nicht nötigend) einwirkt, nennen wir, im Zusammenhange und unter dem für die ganze Natur geltenden Kausalitätsgesetze als Ursache und Wirkung stehend gedacht, Verhängnis, und insofern wir einen Verstand voraussetzen, der, ohne Einwirkung auf die Verhängnisse, das Verhängnis denkt und, außer der Beschränkung von Raum und Zeit, von vorher und nachher erkennt, Schicksal (Fatum). Das Schicksal ist nichts, als eine Vorhersehung ohne Vorsicht, eine passive Vorsehung möchte ich sie nennen, entgegengesetzt der aktiven, die als die Naturgesetze zu Gunsten des Freiheitsgesetzes modifizierend gedacht wird.
Im Trauerspiele nun wird entweder der Freiheit über die Notwendigkeit der Sieg verschafft, oder umgekehrt. Die Neuern halten das erstere für das allein Zulässige, worüber ich aber ganz der entgegengesetzten Meinung bin. Die Erhebung des Geistes, die aus dem Siege der Freiheit entspringen soll, hat durchaus nichts mit dem Wesen des Tragischen gemein und schließt nebstdem das Trauerspiel scharf ab, ohne jenes weitere Fortspielen im Gemüte des Zuschauers zu begünstigen, das eben die eigentliche Wirkung der wahren Tragödie ausmacht. Das Tragische, das Aristoteles nur etwas steif mit Erweckung von Furcht und Mitleid bezeichnet, liegt darin, daß der Mensch das Nichtige des Irdischen erkennt, die Gefahren sieht, welchen der Beste ausgesetzt ist und oft unterliegt; daß er, für sich selbst fest das Rechte und Wahre hütend, den strauchelnden Mitmenschen bedaure, den Fallenden nicht aufhöre, zu lieben, wenn er ihn gleich straft, weil jede Störung vernichtet werden muß des ewigen Rechts. Menschenliebe, Duldsamkeit, Selbsterkenntnis, Reinigung der Leidenschaften durch Mitleid und Furcht wird eine solche Tragödie bewirken. Das Stück wird nach dem Fallen des Vorhangs fortspielen im Innern des Menschen, und die Verherrlichung des Rechts, die Schlegel in derber Anschaulichkeit auf den Brettern und in den Lumpen der Bühne sehen will, wird glänzend sich herabsenken auf die stillzitternden Kreise des aufgeregten Gemüts.
Es ist ein Schicksal, das den Gerechten hienieden fallen läßt und den Ungerechten siegen, das »unvergoltene« Wunden schlägt, hier unvergolten. Laßt euch von der Geschichte belehren, daß es eine moralische Weltordnung gibt, die im Geschlechte ausgleicht, was stört in den Individuen; laßt euch von der Philosophie und Religion sagen, daß es ein Jenseits gibt, wo auch das Rechtthun des Individuums seine Vollendung und Verherrlichung findet. Mit diesen Vorkenntnissen und Gefühlen tretet vor unsere Bühne, und ihr werdet verstehen, was wir wollen. Die wahre Darstellung hat keinen didaktischen Zweck, sagt irgendwo Goethe, und wer ein Künstler ist, wird ihm beifallen. Das Theater ist kein Korrektionshaus für Spitzbuben, und keine Trivialschule für Unmündige. Wenn ihr mit den ewigen Begriffen des Rechts und der Tugend vor unsere Bühne tretet, so wird euch das zerschmetternde Schicksal ebenso erheben, wie es die Griechen erhob; denn der Mensch bleibt Mensch »im Filzhut und im Jamerlonk«, und was einmal wahr gewesen, muß es ewig sein und bleiben.
*
Zudem thun diejenigen, die das Heilige durch die Kunst verherrlichen wollen, weder der Kunst noch dem Heiligen einen Gefallen; denn das Heilige, das der Phantasie bedarf, um ins Herz zu kommen, ist ein erlogenes, und das Kunstgefühl, das, um aufgeregt zu werden, einen Gegenstand braucht, der das hat, was Kant Interesse nennt, ermangelt des Schönheitssinnes.Entwurf einer Fortsetzung des vorausgehenden Aufsatzes
(1819)
Wenn das Drama in einen Mittelpunkt zusammengeht, so geht das Epos von einem Mittelpunkte aus. Wenn das Verhältnis des Einzelnen im ersten wie das von Mittel zum Zweck ist, so stellt es sich im zweiten mehr als Verhältnis des Teils zum Ganzen dar.
(1855)
Der wesentliche Unterschied der Novelle vom Drama besteht darin, daß die Novelle eine gedachte Möglichkeit, das Drama aber eine gedachte Wirklichkeit ist. (Für Bauernfeld.)
(1819)
Die Ursache, warum das Gräßliche nicht auf der Bühne erscheinen darf, ist, weil es durch seine, ich möchte sagen: physische, Wirkung auf die Nerven sich als ein Wirkliches darstellt. Selbst das Tragische müßte von der Bühne verbannt bleiben, wenn nicht das Bewußtsein, daß es erdichtet sei, es immer begleiten könnte.
(1821)
Gehört nicht vielleicht unter die Gründe, warum ein Seelenschmerz auf dem Theater Wirkung macht, nicht aber auch ein körperlicher, dieser Grund, daß der Schauspieler sich durch seine Einbildungskraft wohl vollkommen in den erstern versetzen kann, nicht aber auch in den letztern, so daß dieser immer als offenbare Lüge sich darstellt. Ich kann mich durch die lebhafte Vorstellung fremden Kummers so sehr rühren lassen, daß ich selbst ein ähnliches Leiden empfinde; wenn ich mir aber einen Podagristen noch so lebhaft denke, so werde ich deswegen doch keine Schmerzen in den Füßen empfinden.
(1820)
Offenbar liegt ein Teil des Grundes von dem Wohlgefallen an dem Tragischen in der Poesie auch darin, daß der unbestimmte, formlose Schmerz über die Uebel des Lebens durch die bildende Kunst Gestalt bekommt und nun nicht mehr als ein Unbegrenztes in dumpfer Marter, sondern als ein zu Ueberschauendes bei vollem Bewußtsein wirkt. – Das bliebe, meine ich, selbst dann noch übrig, wenn man beim Sprechen über Poesie von der Poesie selbst absähe.
(1837)
Man gefällt sich in neuester Zeit darin, einen Unterschied zwischen Dramatischem und Theatralischem zu machen. Ganz falsch, wie mir scheint. Das echt Dramatische ist immer theatralisch, wenn auch nicht umgekehrt. Das Theater ist der Rahmen des Bildes, inner welchem die Gegenstände Anschaulichkeit und Verhältnis zu einander haben. Ueber den Rahmen hinaus sind sie nicht mehr mit einem Blick zu umfassen, die Anschauung wird schwächer und verwirrt sich, sie nimmt mehr die Form der epischen Succession als der dramatischen Gleichzeitigkeit und Gegenwart an.
Die neuesten Aesthetiker wollen der Stoffe suchenden tragischen Kunst bloß allein die Geschichte anweisen, deren Fakta, als unmittelbare Ausflüsse des Weltgeistes, allein die nötige Tiefe und Würde hätten. Lächerlich! Die Begebenheiten mögen wohl allerdings das Werk des Weltgeistes sein, aber die Geschichte? Was ist denn die Geschichte anders, als die Art, wie der Geist des Menschen diese ihm undurchdringlichen Begebenheiten aufnimmt; das, weiß Gott ob, Zusammengehörige verbindet; das Unverständliche durch etwas Verständliches ersetzt; seine Begriffe von Zweckmäßigkeit nach außen einem Ganzen unterschiebt, das wohl nur eine nach innen kennt; Absicht findet, wo keine war; Plan, wo an kein Voraussehen zu denken, und wieder Zufall, wo tausend kleine Ursachen wirkten. Was anders ist die Geschichte? Was anders, als das Werk des Menschen? Da es nun aber nicht die Begebenheiten, sondern ihre Verbindung und Begründung ist, worauf es dem Dichter ankommt, so laßt ihn in Gottes Namen sich auch seine Begebenheiten selbst erfinden, wenn er anders dazu Lust hat.
(1837)
Ein historisches Drama in dem Sinne statuieren, daß der Wert desselben in der völlig treuen Wiedergabe der Geschichte bestehe, ist ebenso lächerlich, als wenn man einst die Aufgabe der Kunst im allgemeinen in der getreuen Nachahmung der Natur suchte und zu finden glaubte. Die Natur in Handlung (Geschichte) ist Natur wie die leblose, und beide Bestreben sind eins so absurd und prosaisch als das andere.
(1819-1820)
Die Aufgabe der dramatischen und epischen Poesie gegenüber der Geschichte besteht hauptsächlich darin, daß sie die Planmäßigkeit und Ganzheit, welche die Geschichte nur in großen Partien und Zeiträumen erblicken läßt, auch in dem Raum der kleinen gewählten Begebenheit anschaulich macht.
(1836)
Die Handlung unterscheidet sich dadurch von der Begebenheit, daß bei letzterer hauptsächlich auf die Folgen einer gegebenen Lage Wert gelegt wird, bei der Handlung aber auf ihre Ursachen, wo denn freilich wieder die Lage selbst in die Reihe der Ursachen tritt und mit einer letzten Folge endlich abschließt.
(1819?)
Der Grund, der dem Schicksal seinen Platz im Drama anweist, ist die strenge Ursächlichkeit, die durch das Wesen des Drama bedingt wird. Alle Ereignisse, die kein unmittelbares Produkt einer freien Willenskraft sind, und die im Epos, abgesondert, als Lauf der Welt, als Zufall gelten, können im Drama nur als Glied einer Kette, als Schicksal (mag man es auch Vorsehung taufen) erscheinen.
(1839)
Man hat öfter über die Bedeutung des Wortes Handlung in poetischer Beziehung gesprochen, und wodurch sie sich vom Ereignis unterscheide. Eben darin, wodurch sie sich historisch oder ethisch unterscheiden. Handlung ist ein Ereignis, dem Absicht zu Grunde liegt. Diese Absicht kann aber entweder in dem Subjekte der Thätigkeit liegen, oder ihrer Thätigkeit von außen entgegengesetzt werden, und zwar wieder entweder von einer andern Person, oder von Umständen, die die Form von Absicht annehmen. Letzteres nennen wir Schicksal.