Franz Grillparzer
Aesthetische Studien. - Sprachliche Studien. - Aphorismen.
Franz Grillparzer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Zur Poesie im allgemeinen.

(1821.)

Die Poesie ist wie der Lichtnebel im Schwert des Orions. Ein ungeheures Lichtmeer läßt dort den Mittelpunkt des Sonnensystems ahnen, aber beweisen kann man nichts.


(1821.)

Was die Lebendigkeit der Natur erreicht, und doch durch die begleitenden Ideen sich über die Natur hinaus erhebt, das und auch nur das ist Poesie.


(1836.)

Poesie ist die Verkörperung des Geistes, die Vergeistigung des Körpers, die Empfindung des Verstandes und das Denken des Gefühls.


(1836.)

Nichts ist abgeschmackter, als von schönen Wissenschaften zu sprechen. Die Poesie ist eine bildende Kunst, wie die Malerei.


(1853.)

Die Wissenschaft und Kunst (Poesie) unterscheiden sich darin, daß die Wissenschaft die Erscheinungen auf das Wesen oder den Grund zurückführt und dadurch die Erscheinung als solche aufhebt, die Poesie dagegen läßt die Erscheinung als solche bestehen und rechtfertigt sie nur dadurch, daß sie sie auf eine tiefer liegende Grunderscheinung bezieht, die, ohne weitere Beglaubigung, durch ihr Vorkommen in allen Menschen sich als eine der Grundlagen der menschlichen Natur im allgemeinen ausweist. Omni autem in re consensio omnium gentium lex naturae putanda est. (Cicero Tuscul. I. 13.)


(1833.)

Die Enunziationen und Eindrücke des Lebens in ihrer Fülle sind der Gegenstand der Poesie. Alles, was den Menschen im Gefühl einer Realität über sich selbst, d. h. über seinen gewöhnlichen Zustand erhebt, hat ihn begeistert, und diese Begeisterung ist die Poesie. Jede Realität nimmt hieran teil. Die Vorstellung oder Darstellung einer Idee erweckt das Gefühl des Aehnlichen im Menschen, bringt ihn für länger oder kürzer seinem Ursprunge, dem Urbilde der Menschheit näher, macht ihn sich wesenhaft fühlen, und der Genuß dieser Wesenhaftigkeit ist die Poesie. Die moralische Kraft gehört auch in den Kreis der Poesie, aber nicht mehr, als jede andere Kraft, und nur insofern sie Kraft, Realität ist; als Negation, als Schranke liegt sie außer der Poesie: und gerade um die Lebensgeister von den ewigen Nergeleien dieser lästigen Hofmeisterin etwas zu erfrischen, dem inneren Menschen neue Spannkraft zu geben, flüchtet man von Zeit zu Zeit aus der Werkstube des Geistes in seinen Blumengarten.

*

Die Poesie ist die Aufhebung der Beschränkungen des Lebens.

*

Die Poesie stellt die Naturverhältnisse wieder her, welche die konventionellen Verhältnisse gestört, und sie ist daher notwendig um so unmoralischer, je verwickelter diese Verhältnisse im Gange der Civilisation werden. Das Verhältnis Achills zur Briseis, das unschuldigste zur Zeit Homers, würde revoltant im Munde eines neuern Dichters sein, eben weil die neue Civilisation das Verhältnis zwischen Mann und Weib . . .


(1819.)

Religiöse Entzückungen unterscheiden sich dadurch von poetischen, daß erstere nur einer innern Wahrheit bedürfen (gleichviel, sei sie nun objektiv oder subjektiv), letztere aber nebst der formalen innern noch auch eine äußere Wahrheit brauchen, d. h. daß sie sich auf das allgemeine Menschengefühl stützen, mit dem wirklichen oder möglich geglaubten Gang der Natur zusammentreffen müssen. Worauf die Vernunft in stetigem Fortschreiten nach Prinzipien folgerecht kommt, das ist wahr, gleichviel, ob sie dafür ein entsprechendes Bild nachweisen kann oder nicht, sie ist ihre eigne Gesetzgeberin, und in der Uebereinstimmung mit sich selbst liegt der Rechtstitel und der Erweis ihrer Ansprüche. Die Phantasie als Schöpferin der Kunst hat aber keine eigene Gesetzgebung aus sich selbst; je weiter sie fortbildet, je mehr ist sie in Gefahr, sich zu verirren, und der Dichter wäre ein Wahnsinniger, wenn er sich ihr allein überließe. Der Verstand muß die Wirksamkeit der Phantasie zwar allerdings formell leiten, wie er denn der formale Leiter aller unserer inneren Vermögen ist; hinsichtlich des eigentlichen Zweckes der Kunst aber kann er uns nicht helfen, da sie nicht auf formale Möglichkeit, sondern auf ideale Wirklichkeit ausgeht und als höchstes Prinzip ihrer Entscheidungen ein dunkles Gefühl des Schönen anzunehmen genötigt ist, das, indes es manches anerkannt Wahre als Nicht-Schön vorbeiläßt, seinen ganzen Beifall oft dem rein Erdichteten zuwendet, insofern es mit jenem dunklen Ideale zusammenstimmt.


(1836.)

Jedes Streben ist prosaisch, das einer Realität nachgeht. Kants Definition wird ewig wahr bleiben: Schön ist dasjenige, was ohne Interesse gefällt. Aller Poesie liegt die Idee einer höhern Weltordnung zum Grunde, die sich aber vom Verstande nie im ganzen auffassen, daher nie realisieren läßt, und von welcher nur dem Gefühl vergönnt ist, dem Gleichverborgenen in der Menschenbrust, je und dann einen Teil ahnend zu erfassen. Zweckmäßigkeit ohne Zweck hat es Kant ausgedrückt, tiefer schauend, als vor ihm und nach ihm irgend ein Philosoph.

*

Die Prosa der neueren Zeit besteht besonders darin, daß sie das Symbolische der poetischen Wahrheit nicht anerkennen wollen und nichts zulassen, was nicht eine Realität ist.

*

Das Symbolische der Poesie besteht darin, daß sie nicht die Wahrheit an die Spitze ihres Beginnens stellt, sondern, bildlich in allem, ein Bild der Wahrheit, eine Inkarnation derselben, die Art und Weise, wie sich das Licht des Geistes in dem halbdunkeln Medium des Gemütes färbt und bricht.


(1836-1838.)

Wissenschaft und Kunst oder, wenn man will: Poesie und Prosa, unterscheiden sich voneinander, wie eine Reise und eine Spazierfahrt. Der Zweck der Reise liegt im Ziel, der Zweck der Spazierfahrt im Weg.

*

Die prosaische Wahrheit ist die Wahrheit des Verstandes, des Denkens. Die poetische ist dieselbe Wahrheit, aber in dem Kleide, der Form, der Gestalt, die sie im Gemüte annimmt. Man hat die poetische Wahrheit auch die subjektive genannt. Unrichtig! denn die Grundlage ist ebenso objektiv, als die andere, denn alle Wahrheit ist objektiv. Aber die Gestalt, das Bild, die Erscheinung ist aus dem Subjekt genommen. Man würde sie am besten die symbolische Wahrheit nennen. Warum nimmt denn aber die Wahrheit Gestalt? Weil alle Kunst auf Gestaltung, Formgebung, Bildung beruht und die nackte Wahrheit ihr Reich ohnehin in der – Prosa hat.


(1849.)

Die Gewalt des bildlichen, also uneigentlichen Ausdrucks in der Poesie kommt daher, daß wir bei dem eigentlichen Ausdruck schon längst gewohnt sind, nichts mehr zu denken oder vorzustellen. Das Bild und, weiter fortgesetzt, das Gleichnis nötigt uns aber aus dieser stumpfen Gewohnheit heraus, und die unentsprechende Bezeichnung wirkt stärker als die völlig gemäße.


(1835.)

Dieses matte Schaukeln zwischen Himmel und Erde, Prosa und Poesie, das die neuere Lyrik charakterisiert, macht mir Uebelkeit; will ich einmal den Boden verlassen, so gescheh' es im Luftball steilrecht in die Wolken hinauf.

*

Vortreffliche Bausteine, diese Legion wahrgefühlter deutscher Gedichte, aber ich sehe kein Gebäude.

*

Andere Nationen suchen in der Kunst Befriedigung, die Deutschen Anregung, Aufregung vielmehr, ein unbestimmtes, endloses Vibrieren gehört unter ihre Genüsse.


(1835.)

Männer suchen in der Kunst Befriedigung, Knaben Anregung. Die Deutschen gehören in die letztere Klasse.


(1837.)

Es handelt sich nicht darum, was die Poesie in ihren ersten Anfängen war: gegenwärtig ist sie da, um in erhabener Einseitigkeit jene Eigenschaften herauszuheben und lebendig zu erhalten, die das menschliche Beisammenleben, die Unterordnung des einzelnen unter eine Gesamtheit, notwendig und nützlich beschränkt und zurückdrängt; die aber eben darum – köstliche Besitztümer der menschlichen Natur und Erhaltungsmittel jeder Energie – ganz verlöschen würden, wenn ihnen nicht von Zeit zu Zeit ein, wenn auch nur imaginärer Spielraum gegeben würde.


(1847.)

Es geht der Poesie gerade so, oder vielmehr umgekehrt, wie der Philosophie. Letztere ist bei ihrem Entstehen mit der Religion vereinigt und umfaßt das gesamte Schauen, Ahnen und Denken des Volkes, bis sie sich endlich von ihr scheidet und sich auf das durch den Verstand Erweisbare beschränkt. Ebenso ist die Poesie anfangs das Organ für den Gesamtinhalt des menschlichen Geistes. Später, nach Erfindung der Prosa, überläßt sie dieser das Lehrhafte und behält für sich die Darstellung, die Empfindung, statt der Einsicht die Aussicht.


(1841.)

Die Gegenwart ist nie poetisch, weil sie dem Bedürfnis dient: das Bedürfnis aber ist die Prosa.


(1841.)

Es ließe sich sehr gut durchführen, daß der Poesie die natürliche Ansicht der Dinge zu Grund liege, der Prosa aber die gesellschaftliche. Die Poesie würdigt Personen und Zustände nach ihrer Uebereinstimmung mit sich selbst, oder der ihnen zu Grunde liegenden Idee; die Prosa nach ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen. Sie sind daher wesentlich voneinander getrennt, zwei abgesonderte Welten; und wer poetische Ideen in die wirkliche Welt einführt, steht in Gefahr, mit prosaischen die Poesie zu verfälschen.


(1836.)

Die Prosa der neueren Zeit besteht besonders darin, daß sie das Symbolische der poetischen Wahrheit nicht anerkennen wollen und nichts zulassen, was nicht eine Realität ist.


(1857-1858.)

Wenn man von einem goldenen Zeitalter der Litteratur spricht, so meint man gewöhnlich den Gipfelpunkt, den die Redekünste, namentlich die Poesie eines Landes erreicht haben. Und mit Recht. Einesteils ist die Poesie der Ausdruck und die Zusammenfassung der litterarischen und menschlichen Bildung einer Nation; ihr Einfluß ist der durchgreifendste und weitgreifendste, und solange es keine Wissenschaften im strengsten Verstande gibt, wird die Poesie immer an der Spitze der geistigen Bestrebungen stehen, da sie das ist oder wenigstens sein kann, was sie sein soll, ein Ziel, das den Wissenschaften entweder für immer, oder doch für jetzt streng versagt ist. Wenn die letzteren einmal demonstrativ werden sollten, wenn sie je die erstletzten Gründe ihrer Folgerungen angeben könnten, würde die Poesie zu einem angenehmen Spielzeug herabsinken, für jetzt aber hat sie den Vorzug, wie die Natur sagen zu können: Das ist, und wenn das Gemüt die Wahrheit empfunden hat, ist von einem Erweis oder Zweifel weiter nicht die Rede.

Man hat lange darüber gestritten, ob die Nachahmung der Natur der Zweck der Kunst überhaupt sei, und die Vernünftigen sind darüber einig, daß diese Naturnachahmung, wenn auch nicht der Zweck, doch gewiß das Mittel der Kunstdarstellung sei. Ja, man könnte sogar sagen, ohne darum ein Anhänger der prosaischen Kunstschule zu sein, daß der Künstler, der sich darauf beschränkt, die Natur vortrefflich nachzuahmen, dabei alle Empfindungen und Gedanken mit in den Kauf bekomme, die dem Beschauer bei der Betrachtung des Originals der Nachahmung in der Wirklichkeit unmittelbar in der Seele entstehen, indes der Künstler, der von Ideen und Empfindungen ausgeht, nichts weniger als sicher ist, jene Gestaltung zu finden, die seine Intentionen aus dem Reich der Möglichkeit zur Anschauung und Wirklichkeit bringt. Die eigentliche Naturnachahmung aber, und die mit dem Abklatschen des Wirklichen nichts zu thun hat, besteht darin, daß den Beschauer des Kunstwerkes, das sich möglicherweise weit von dem gewöhnlich Vorkommenden entfernt, dasselbe Gefühl des Bestehens anwandelt, wie bei Betrachtung der Natur. Das oben erwähnte: Es ist, hat das echte Kunstwerk mit der Natur gemein. Es schließt ab, weil die Gestalt in ihren Grenzen bestimmt ist, und es befriedigt, weil der ewig bewegte Gedanke froh ist, endlich auch einmal zur Ruhe zu kommen.


(1838.)

Das, was aller Poesie zu Grunde liegt, womit sie anfängt, ist etwas, was dem geistigen Wissen gar nicht zur Ehre gereicht. Sie fängt nämlich an mit dem Bilde, dem Gleichnis. Worin liegt es denn nun, daß das poetische Bild, der Tropus, das Gleichnis, einen Eindruck macht, den die zu Grunde liegende Wahrheit ewig nimmer machen würde? – Darin – worüber sich eben die Metaphysik die Haare ausraufen sollte – daß ein wirklich existierendes Staubkörnchen mehr Ueberzeugung mit sich führt, als all die erhabenen Ideen, die unserer geistigen Bildung zu Grunde liegen sollen, oder wirklich liegen.

*

Die ganze Poesie ist nur ein Gleichnis, eine Figur, ein Tropus des Unendlichen.

*

Der Geist der Poesie ist zusammengesetzt aus dem Tiefsinn des Philosophen und der Freude des Kindes an bunten Bildern.


(1822.)

Poesie und Prosa sind voneinander unterschieden wie Essen und Trinken. Man muß vom Wein nicht fordern, daß er auch den Hunger stillen soll, und wer, um das zu erreichen, ekelhaft Brot in seinen Wein brockt, mag das Schweinefutter selbst ausfressen.


(1830.)

Was der Mensch forscht und weiß, ist die Wissenschaft; was der Mensch fühlt und wünscht, ist die Poesie.


(1839)

Ihr habt die Poesie zu etwas Menschlichem gemacht, sie ist aber ein Göttliches: sie ist nicht die Prosa mit einer Steigerung, sondern das Gegenteil der Prosa.

*

Die Prosa ist des Menschen Speise, die Poesie sein Trank, der nicht nährt, sondern erquickt. Man kann aber auch, wie die neuesten Deutschen, Bier trinken, in dem Nahrungsstoffe zur Gärung gebracht sind, wovon man fett wird und noch dazu einen schweren Dusel in den Kopf bekommt.


(1834)

Es besteht nämlich die Poesie aus zwei Teilen: Poesie der Auffassung und Poesie der Darstellung; der Roman ist deshalb auch nur höchstens halbe Poesie.


(1836)

Das ist das prosaische Element der neuesten deutschen Poesie: sie bespricht die Gegenstände, statt sie darzustellen.


(1841)

Was die Poesie ausmacht, ist denn doch die Lebendigkeit der Darstellung, der Schwung der Gedanken und der Rhythmus der Sprache.


(1858)

Was Schiller die naive und sentimentale, Schlegel die antike und romantische Poesie genannt hat, wo aber allen diesen Bezeichnungen teils falsche, teils unbestimmte Nebenbestimmungen anhängen, möchte ich die Anschauungs- und Empfindungspoesie nennen.


(1822)

Nicht die Ideen machen den eigentlichen Reiz der Poesie aus; der Philosoph hat deren vielleicht höhere: aber daß die kalte Denkbarkeit dieser Ideen in der Poesie eine Wirklichkeit erhält, das setzt uns ins Entzücken, Die Körperlichkeit der Poesie macht sie zu dem, was sie ist, und wer sie, wie die Neuern, zu sehr vergeistigt, hebt sie auf. – Hierher gehört der Reiz des Bildes, der Metapher, der Vergleichung, und warum z. B. eine Fabel mehr überzeugt, als der ihr zu Grunde liegende moralische Satz.


(1843)

Jede poetische Figur enthält eine contradictio in adjecto zum deutlichen Beweis, daß die Logik nicht die Richterin der Kunst ist.


(1819)

Als allernotwendigstes Streben hat mir immer geschienen, so wie bei dem gewöhnlichen Menschen Erweiterung, so bei dem ungewöhnlichen Begrenzung; nur so kann in des letztern Wirksamkeit Gestalt kommen und vermieden werden jenes so häufig vorkommende und so zerstörende Verstäuben ins Unermeßliche. Was ich erreichen möchte, wäre: Reines Auffassen in der Idee aller menschlichen und natürlichen Zustände, mit besonnener Resignation über das Weitere, das nur, mit Freiheit aufgefaßt, verschönernd in das erstere hereinstrahlen dürfte.

*

Die unharmonischen Accorde der Poesie, aus denen man in die entferntesten Leidenschaften ausweichen kann, im Gegensatz der charakteristischen, die nur in die Tonart führen, zu der sie gehören.


(1836)

Que les collections d'idées, aux-quelles nous donnons le nom de sentiment. Balzac, le livre mystique T. I, p. 178. Dabei hat der Hanswurst doch etwas gedacht und vielleicht etwas sehr Richtiges.

Denn die vollendete Form ist es, wodurch die Poesie ins Leben tritt, ins äußere Leben. Die Wahrheit der Empfindung gibt nur das innere; es ist aber Aufgabe aller Kunst, ein Inneres durch ein Aeußeres darzustellen.


(1837.)

Den Gedanken festzuhalten auch in einem größern poetischen Werke, ist nicht schwer, wenn man die Teile über der Idee des Ganzen vernachlässigen will. Aber mannigfaltig und lebendig bis ins kleinste sein, und dabei doch nie den Grundgedanken aus den Augen zu verlieren, das ist die Schwierigkeit.


(1837.)

Eigentlich absurde, aber durch ihr immerwährendes Vorkommen als in der innersten Natur des Menschen begründet anzusehende Vorstellungen, daher für die Philosophie verwerflich, für die Poesie aber von hohem Werte: Strafe der Unthat bis ins späteste Geschlecht. Wirkung von Elternfluch und Segen. Vorbedeutende Träume. Das Schicksal, mit Vorauswissen und Vorausbestimmen gedacht. Die Gottheit leidenschaftlich. Eine von den natürlichen Folgen der That verschiedene Nemesis. Wahrsagung. Gespensterglauben. Spezielle Erhörung des Gebetes. Glück und Unglück, objektiv gedacht.


(1834.)

Wenn man von der neuen Zeit und der Notwendigkeit einer neuen Richtung der Poesie spricht, so fallen mir die Griechen ein, die in der Zeit ihrer wütendsten Demagogie noch immer in ihrem monarchischen Homer das höchste Ideal der Poesie verehrten und sich poetisch von ihm ganz befriedigt fanden. Ja, als alle Dynastengeschlechter gestürzt waren und sie die Freiheit bei Salamis und Marathon mit ihrem Blute erkauft, wußte sich die neu entstandene dramatische Poesie keinen gemäßeren Gegenstand, als die Schicksale und Großthaten jener Könige und Machthaber. Den Bedürfnissen der Gegenwart klebt immer etwas Prosaisches an, nur die Erinnerung ist poetisch.


(1840)

Die komische Poesie strebt dem Ideal ebenso nach, wie die ernsthafte. Nur spricht letztere das Ideal aus, indes erstere dasjenige angreift und verspottet, was dem Ideal entgegensteht.


(1838)

Die Poesie der Deutschen hat alle die Fehler, die daraus hervorgehen, daß sie gegen den natürlichen Entwicklungsgang erst nach der Wissenschaft entstanden ist. Lauter Sinn, lauter Sinn! indes die Poesie der Prosa gegenüber doch eine Art Unsinn sein sollte.


(1836)

Warum die Alten besser sind und, bei gleichen Gaben, besser sein müssen, als die Neueren? Weil ihnen das große Feld des Einfachen und Natürlichen auszubeuten frei stand und sie, um neu zu sein (was jeder Schriftsteller will), nicht gekünstelt zu sein brauchten.


(1838)

Man könnte die klassische und romantische Poesie auch als die männliche und weibliche (weibische?) bezeichnen.


(1838)

Die Streitfrage über den Vorzug des Klassischen und Romantischen kommt mir vor, wie wenn ein Hauswirt an der Mittagstafel seine Gäste fragte: ob sie lieber essen oder trinken wollten? Ein Vernünftiger wird antworten: Beides.


(1833)

Das Unterscheidende des Romantischen gegenüber dem Klassischen ist, daß ersteres bloß die Gemütswirkung bezweckt, gleichviel, auf welche Art sie bewirkt wird; das Interessante, das Geistreiche, das Bedeutende, ja das Häßliche, alles ist ihr willkommen, wenn nur die beabsichtigte Aufregung dadurch hervorgebracht wird. Die alte Kunst aber ging bloß auf das Schöne, d. h. auf jene Gemütserhebung, die einzig und allein aus dem sinnlich vollkommenen Eindruck entspringt.


(1835)

Es ist das Grundübel der Poesie (der lyrischen besonders) aller neueren (neuesten) Nationen, daß sie sich zur Prosa hinneigt. Nicht dadurch, daß sie trivial wird (das geschah eher in früheren Zeiten), sondern gerade, wenn sie sich erhebt. Ihre höchste Erhebung ist nämlich bis zum Gedanken, indes nichts poetisch ist als die Empfindung.


(1835)

Diese neuere Lyrik ist kein Fluß, in dem man schwimmen kann; sie ist ein Weiher, in dem sich zwar auch Sonne und Sterne spiegeln, der aber durchrankt von Wasserpflanzen ist, gestockt von Gedankenstämmen, besandet mit Niederschlag aller Art, so daß es ohne Waten nicht abgeht. Man kann darin allerdings noch baden, aber schwimmen nicht. Und es schwimmt sich so erquicklich in Gottes freier Luft ohne Arg und besonders Nachdenken!


(1836)

Die älteren lyrischen Dichter der Deutschen unterscheiden sich von den neueren besonders darin: jenen war das lyrische Ganze das Höchste, Um die Kontinuität des schwellenden Zuges nicht zu unterbrechen, nahmen sie es mitunter mit dem Gedankenreichtum nicht zu genau. Der Gedanke mußte sich dem Ausdruck fügen. Die Neuern setzen sich den Gedanken vor und suchen dann die Einkleidung. Ausdruck und Gedanken sollen aber zugleich geboren werden; wenigstens darf keines vorherrschen.


(1839)

Unterschied von Roman und Novelle: Die Novelle ist das erste Herabneigen der Poesie zur Prosa; der Roman das Hinaufsteigen der Prosa zur Poesie. Jede gute Novelle kann man in Verse bringen, sie ist eigentlich ein unausgeführtes poetisches Sujet; ein versifizierter Roman wäre ein Unding. Daher im Roman die Begebenheiten vielfach vermittelt, in der Novelle positiv auftretend, so daß in ersterm die Ursachen vorherrschen, in zweiter die Wirkungen. Der Roman psychologisch, die Novelle psychopathisch; der Roman, wie schon Goethe bemerkt hat, retardierend, die Novelle fortschreitend.


(1836)

Warum man in der Poesie die Gattungen nicht mischen soll? Weil jede ihren eigenen Standpunkt der Anschauung, einen anderen Grad der Verkörperung mit sich führt und erfordert, welche, gemischt, sich stören und aufheben: Lyrik, Epos, Drama, Aussicht, Umsicht, Ansicht.


(1835-1836)

Das Heer der deutschen Poesie hat schwere und leichte Reiterei, wie jede Kriegsmacht. Die schwere ist Mann und Roß dichtgepanzert, unangreifbar und undurchdringlich. Das Rüstzeug besteht zwar nur aus vielfältig verdoppeltem Papier und Pappdeckel; aber man weiß, daß ein Buch, Druckpapier oder Makulatur, selbst einer Flintenkugel widersteht. Leider hindert sie das Gewicht des Apparats, weiter zu kommen. Selbst unangreifbar, sind sie auch nicht im stande, zu ergreifen, zu bewegen, zu erobern, zu gewinnen. Unbeweglich stehen sie und schwingen den Flamberg ins Blaue. Was freiwillig in ihre Nähe kommt, wird ihre sichere Beute.

Die leichte Reiterei ist ebenso leicht, als die andere schwer ist. Ihre Armatur klafft von allen Seiten. Unfähig, den Wind zu durchschneiden, werden sie vielmehr vom Windzuge vor sich hergetrieben. Sie besiegen alles, was im jeweiligen Strich der Windrose von ihnen überritten wird.

Der größte Teil der Dichter aber gehört zum Fußvolk. Sie sind zwar wie die Reiter und noch dazu meistens schwer gerüstet, haben aber keine Pferde. Sie begnügen sich daher, mit den Füßen zu treppeln, und dazu in die hohle Faust Schnetterdeng, Schnetterdeng zu blasen. Die gefeiertsten Dichternamen der neuern Zeit gehören zu dieser Abteilung. In ihrer Fahne führen sie eine Rose mit einem ganz kleinen p davor.


(Um 1836.)

Weh dem Dichter, der sich seinen Stoff und die Behandlung desselben vom Publikum diktieren läßt. Aber weh auch dem, der vergißt, daß seine Aufgabe ist, sein Werk der allgemeinen Menschennatur verständlich und empfindbar zu machen. Von dieser allgemeinen Menschennatur kennen wir aber keinen unzweideutigeren Ausdruck, als die Stimme der allgemeinen Menschheit.


(1819.)

Wenn man in den Fall käme, einem recht prosaischen Menschen, besonders einem Monarchen vom gewöhnlichen Schlag, die Nutzbarkeit der Poesie beweisen zu sollen, so wüßte ich es von keiner Seite besser zu thun, als von der, daß sie Bewahrerin des Reiches der Idee ist. Daß aber Ideen von Vaterlandsliebe, Selbstaufopferung u. s. w. in besonderen Lagen des Staates von einigem Nutzen seien, ließe sich wohl noch darthun, selbst dem trockensten begreiflich darthun. Wollte aber der Mann dann nur jene Poesie gelten lassen, die sich mit der Aufregung solcher nützlicher Ideen beschäftigt, so müßte man ihm vorstellen, daß das Vermögen, sich auf die Höhe der Idee zu setzen, geübt und in allen Dingen zur Fertigkeit gebracht werden müsse, wenn man im Notfalle hervorrufen wolle, was man eben braucht. Da konnte nun der Calderonische Satz los esfuerços humanos llamando uno, vienen todos ausgeführt werden.


(1822)

Mit der Poesie ist es wie mit den Religionen. Wenn beide einmal ihre Aechtheit durch Wunder bewährt haben, muß man über die einzelnen Sätze keine Beweise mehr fordern, sondern an sie glauben.


(1841)

Was nützt der Glaube ohne Werke. Im Kunstsinn genommen.



 << zurück weiter >>