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Grete Mannes hatte nach dem Beispiel Frau Halligers diese besonders gebeten, daß niemand sie abholen möge. Wie sie dem zur Droschke vorangehenden Kofferträger folgt, meint sie aber doch, in zwei, allerdings recht entfernt stehenden Herren die beiden Künstlerbrüder Degenhardt zu erkennen. Allein gleich darauf sind sie ihren Blicken entschwunden.
Auch auf dem Zentralbahnhof spürt man das dicht vor der Tür stehende Weihnachtsfest. Hallen und Wartesäle sind besonders belebt; fast jedermann blickt dem in tiefe Trauer gekleideten, hochgewachsenen und blühenden Mädchen nach, dessen weizengelbe Zöpfe grell von dem schwarzen Krepp abstechen.
Hinter Grete Mannes hat wieder ein Teil ihres Lebens abgeschlossen. Vor vier Wochen war ihr Vater dahingegangen, und sie konnte nur glücklich sein, den Armen von seinen schrecklichen Qualen endlich, noch weit rascher als sie zu hoffen gewagt, erlöst zu wissen. Die greise Annemarie, die bei Lebzeiten ihres Herrn nie und nimmermehr eingestanden hätte, sich gebrechlich und müde zu fühlen, hat sofort Gretens Vorschlag, in das Blankdorffener Spital zu ziehen, worin der Oberförster seiner getreuen Dienerin schon lange einen Platz gesichert, angenommen.
Schon gleich nach dem Fest sollte ›der Neue‹ in Gretens Vaterhaus einziehen. Das meiste Mobiliar hatte sie dem Nachfolger käuflich überlassen und nur einige besonders schöne, alte Möbel behielt und barg sie, nach eingeholter Erlaubnis, auf dem mächtigen Speicher des Seedlander Herrenhauses. Sowohl während der letzten Lebenslage des Vaters wie in den darauf folgenden Wochen hatte ihr Pastor von Mesting in liebenswürdigster Weise zur Seite gestanden. Die Seedlander selbst, wie auch die Blankdorffener und Sardenner waren sich aufs neue völlig einig darüber, daß der feine Paster die Baugrete heiraten würde.
Wie gerne hatte das junge Mädchen Gertruds Einladung angenommen, auf unbestimmte Zeit ihr Gast zu sein. Die dem Brief beigefügte Nachricht, daß Baron Dombrowsky wieder von Dromshoff zurück wäre, nachdem sein Vetter auf dem Weg völliger Genesung sei, regle die phantasiebegabte Grete zu den optimistischsten und fröhlichsten Gedanken an. – Sie hatte Lise und To lange nicht wiedergesehen. Wie die beiden sie nun an der Haustür empfangen, prallt sie ordentlich zurück. Das große, auch hübsche, aber so blasse Mädchen soll Lise, der blühende, frische Bengel von Kadett mit den Herrenmanieren soll To sein? Wie sie sich aber von diesem gefaßt fühlt, weiß sie, daß er es wirklich ist – geblieben ist. Bei dem jungen Mädchen geht das schwerer; und doch hat sich Lise im Grundton ihres Wesens ja kaum verändert. Vor ihrer Freundin Gertrud steht Grete staunend. So jung, so schön! Die hellere Kleidung mag auch das ihre beitragen. Wie flink und behende sind auch Frau Halligers Bewegungen, wenn sie rastlos, – es gibt ja so viel zu tun vor dem Fest, – im Haus herumwirtschaftet. Aus ihrem wechselnden Gesichtsausdruck wird Grete aber nicht klug. Bald liegt ein unendlich frohes Glück klar daraus, wie Sommersonne auf einem Garten voller Rosen, dann wieder blicken aus den großen Augen Sorge und Unruhe. Mitten in einer Beschäftigung kann Gertrud wie versteinert werden, starr vor sich Hinblicken und sich in die tiefsten, dunkelsten Gedanken verlieren; ein schmerzlichem Zug, der sie plötzlich viel älter macht, Pflegt sich dabei um ihren Mund zu legen.
Der Baron, erst vor einigen Tagen zurückgekehrt, ist in irgend einer Weise fast täglicher Gast im Haus. In kürzester Zeit fällt es Greten auf, daß Lise, die ihre Ferien, ebenso wie To bei der Mutter verbringt, es darauf anlegt, sie – Grete – mit Dombrowsky möglichst oft allein zu lassen. Auch sonst macht die Baugrete Wahrnehmungen am Wesen Lises, welche ihr recht schwere Gedanken machen. Lise gewinnt einen sichtlich wachsenden Einfluß auf den Bruder. Frau Halliger ist jetzt zu beschäftigt, um diese auch nur manchmal zutage tretende Veränderung am jugendlichen Sohn zu bemerken. Man merkt, wie ihr diese Flut von Arbeit gerade gelegen kommt.
Buchlehner sieht mit banger Sorge eine schwarze Kugel rollen. Er meint aber jetzt selbst, daß unter diesen Umständen der Baron und Frau Halliger ihr heimliches Einverständnis nicht mehr länger hinausspinnen dürfen. Er seufzt bang, wie er ihnen rät:
»Laßt's die Weihnachtstag' noch rum gehen! Dann soll die Traudl halt in Gottes Namen mit ihre Kinder reden und ihnen die Sach' sagen!«
Dombrowsky zieht dabei stumm, in heißer Leidenschaft, Gertrud an sich und küßt sie trotz der Gegenwart des alten Freundes, auf Mund und Augen.
»Ich habe solche Furcht!« flüstert Frau Halliger. »Lise träumt nur davon, später ganz mit mir zusammen leben zu können. Wie unglücklich wird sie sein!«
»I mein', das wär dabei das geringste,« rutscht es dem alten Mann über die Lippen, er spricht aber dann, Dombrowsky beobachtend, eilig weiter: »Die Träum' von der Lisl! Das sin ja nur so kindische Sperenzen von ihr! Die wird sich immer selber genug sein und an einem Überschuß von Sentimentalitäten hat das Kind nie g'litten!«
»Onkel Toni!«
»No ja, wahr is 's! Du brauchst mi gar net so vorwurfsvoll anz'schauen!«
Als aber der Baron dann abgerufen wird, da der Briefträger nach ihm verlange, schlingt Frau Halliger die Arme um des Alten Hals und birgt ihr heißes Gesicht an seiner Brust, während sie spricht: »Ich weiß es, du bist nicht zufrieden mit mir! Ich auch nicht mit mir selbst! Aber ich stehe wie unter einem Bann. Wenn Detlev bei mir ist, vergesse ich völlig meine schrecklich traurigen Gedanken und die Eindrücke, die ich durch Rolands Sterbestunde empfangen. Ich neige dann ganz deiner Auffassung zu, daß der Verstorbene es anders, – gut nur, – gemeint haben kann. Ist Detlev jedoch nicht bei mir, nur Lise mit ihrem forschenden, klugen Blick, dann fühle ich, daß ich das Geplante nicht ausführen darf, der Erinnerung jener furchtbaren Stunde wegen! Roland hat eben doch vielleicht – –«
Buchlehner sieht aus, als quäle ihn ein körperlicher Schmerz. Dann sagt er leise und unsicher: »Du weißt's ja, daß ich dir da nicht raten kann. Du allein hast's erlebt, du mußt wissen, ob und wie du damit fertig werden kannst und darfst. So wie ich den Roland kennt hab, ist's freilich rätselhaft, daß er etwas gegen den Detlev hat sagen wollen. Aber du mußt schon das Rechte finden!« – –
Über dem Weihnachtsabend schwebt eine durchaus harmonische Stimmung. Trotzdem später die ganze Degenhardtsche Familie, selbst Eckebergs, bei den Eltern zusammenkommen sollen, feiern dennoch Carlo und Ludwig die ersten Stunden des Abends bei Schwester Gertrud. Otto, der in seinen unbegreiflich wechselnden Stimmungen vielleicht auch gekommen wäre, ist durch eine amtliche, kleine Reise verhindert, früher als am Abend bei den Eltern zu erscheinen. Die zwei Künstlerbrüder stehen gut mit Dombrowsky, und ohne daß ihnen jemand etwas gesagt, hoffen sie in aller Stille, ihn zum Schwager zu bekommen. Ludwig ersehnt es sich geradezu und würde es als höchstes Glück für sein Traudl betrachten. Er selbst macht sich eifriger und intensiver denn je an Grete Mannes, die ihn geradezu entzückt. Carlo hat anscheinend völlig verzichtet, liegt aber in Wirklichkeit doch noch immer im Hinterhalt. Man kann nie wissen! Seit Lise den Baron und Tante Grete in einem Tete-a-Tete getroffen, das nach ihrer Meinung schrecklich intim ausgesehen, meint sie ihrer Sache sicher zu sein. Dadurch wird sie sehr heiter und liebenswürdig, und auch To rekonstruiert sich, wie Onkel Toni meint. Nicht einmal darüber verzieht Lise eine Miene, daß Hanserl mit bei der Bescherung sein darf und reich beschenkt wird.
Tief bewegt und gerührt stehen alle, nachdem die erste halbe Stunde vorüber, vor dem Geschenk, das der Baron Gertrud überreicht. Auf einer Staffelei, dicht neben der großen Tanne und in das beste Licht gerückt, Präsentiert sich das lebensgroße Brustbild Roland Halligers. Er hatte eine starke Abneigung besessen, sich malen zu lassen und war nur auf Lenbachs Andringen, als ihn dieser einmal in Seedland besucht hatte, zu bewegen gewesen, einige Stunden dem Künstler zu sitzen. Jene Skizze hatte Roland, der ihren Wert durchaus nicht anerkennen und sie nicht ähnlich finden wollte, unter Scherzen seinem Vetter geschenkt, bevor dieser seine erste, große Reise angetreten. Nun aber hatte der Münchner Meister auf das liebenswürdigste des Barons Wunsch erfüllt und aus seinem einzigen, schwachen Versuch ein eben so ähnliches, wie technisch vollendetes Porträt in beträchtlicher Vergrößerung gemacht. Von dem tiefdunklen Hintergrund hebt sich der feine, blasse, durchgeistigte Kopf des Professors ab, mit den leuchtenden Augen, die wie magnetisch die Blicke der Beschauer anziehen. Ein Ausdruck strahlender Herzensgüte und schärfsten Verstandes wohnt darin. Jeder der Anwesenden hatte in diesem Augenblick die Empfindung, als wäre der Tote plötzlich wieder in ihre Mitte getreten.
Ganz allein bleibt dann Gertrud vor dem Bild. Einer nach dem anderen war gegangen, im rechten Empfinden, daß sie mit dem lieben Verstorbenen und hier wieder Auferstandenen ohne Zeugen sein müsse. Die Wachskerzen an dem bunt und glitzernd geschmückten Baum sind schon tief herabgebrannt und in den dicht stehenden Nadeln, die einen wundervollen Duft verbreiten, knistert es leise. Die Gold- und Silberfäden, mit denen die Tanne völlig übersponnen ist, zittern sacht, als bewege sie ein Luftzug.
Durch den kräftigen Stamm, dessen Todeswunde durch den kunstvollen Ständer verborgen ist, geht ein Beben. Und doch ist's, als stehe der Baum voll Stolz und Würde. Das ist mein Glück, mein Höchstes, das Schönste, was ich erreichen konnte! Und dann dahin gehen, wie ein Traum zerstiebt!
Ganz, ganz still ist es um die blasse Frau, die zusammengekauert und leise schluchzend vor dem Bild kniet. Wie leises Gemurmel nur dringen der anderen Stimmen vom Gangende und vom Garderobezimmer herüber. Man macht sich bereit, um zu den alten Degenhardts zu gehen.
»Mein Roland, mein Roland!«
All der Segen, das Schöne, Edle und Gute, das er in ihr Leben getragen, blüht wieder tausendfältig vor ihr auf. Sie fühlt seine treue, feste Hand, hört seine traute, klangvolle Stimme. Aber der Platz neben ihr, den er eingenommen und den sie so traurig leer empfunden hatte, ist jetzt fast wieder ausgefüllt. Oder ist es gar nicht der gleiche Platz? Kann er nie ausgefüllt werden? Ist es ein ganz anderer? Ihr kann keine Klarheit werden. Und dennoch steht leuchtend die Liebe zu Detlev vor ihr auf, neben derjenigen, die sie in unverbrüchlicher Treue trotz allem ihrem Mann gehalten.
»Sieh, Roland, ich hab ihn so lieb, – du hast ihn ja auch lieb gehabt, – tue ich dir nun weh damit? Kränke ich dich? Trübe ich dein Andenken?«
Von den Augen ihr gegenüber scheint eine Fülle von Lichtglanz und Wärme zu ihr zu strömen, die sie ganz einhüllt. So ruhig, zufrieden und sicher wird sie. Sachte tippt ihr etwas auf die Schulter. Erst erschrickt sie, gewahrt aber dann erfreut das Hanserl, wie es inbrünstig eine Puppe ans Herz preßt.
»Kann er am End' gar was sagen? Is er wieder lebendig worden?«
»Ich glaube ja, Hanserl! Mir hat er wenigstens etwas gesagt!«
Sie zieht die Kleine an sich, die ihr mit spitzbübischem Lächeln zuflüstert: »Weißt, i' hab mich nur so g'stellt! I hab's schon 'kennt, daß 's nur ein Bild ist; aber er ist halt doch, als tät er leben!«
»Kennst du ihn denn noch? Weißt du auch wirklich, wer es ist?«
»Aber natürlich! Der gute, brave Herr Professor ist's! Weißt, der war immer so arg lieb mit mir!«
Vergeblich und oft ganz verzweifelnd sucht Kathl ihrer Kleinen beizubringen, daß sie ›gnädige Frau‹ und ›Sie‹ zu Gertrud sagen müsse. Das kleine Mädchen aber, das so lange es lebt immer um Frau Halliger ist, schwebt beständig zwischen dem Titel, dem Sie und Du hin und her und kann sich nicht dauernd daran gewöhnen, der Heißgeliebten so steif zu begegnen.
Gertrud wischt sich die Tränen aus den Augen, küßt das Kind nochmals und steht dann auf. Leise streicht sie über das Bild und scheidet mit einem zärtlichen Blick davon, das Hanserl an der Hand. –
Die Wohnung der Eltern ist mit Stechpalmen und Tannenreis reizend ausgeschmückt. Ein schöner, mit künstlichem Schnee bedeckter Baum voller Lichter erstrahlt in Mitte eines runden Tisches, auf dem Geschenke liegen. Jedem hat das alte Paar eine sinnige Gabe zu spendegewußt. An einer zweiten Tanne aber, die sozusagen als Nachtisch erscheint, baumeln in lustigen und witzig anspielenden Endeloppen allerlei Ulkgeschenke. Schon in der ersten Viertelstunde herrscht ein so fröhlicher Ton, daß selbst die Exzellenzen aufzutauen geruhen und Frau Helas alterndes Gesicht durch ein jugendliches Rot einen Schimmer früherer Schönheit bekommt. Sie vergißt auf Stunden auch den Schmerz, den ihr die Abwesenheit der Söhne bereitet, die beide im Ausland sind. Der eine als Mitredakteur eines inferioren Blattes in Spanien, der andere in einer kaufmännischen Stellung in London. Aus keinem ist etwas Rechtes geworden.
Als letzter Gast war der Bauamtmann erschienen. Er ist ziemlich still und elegisch, sieht sich insbesondere den Baron scharf an, gewinnt aber nach und nach seine oft verblüffende Laune wieder und wird endlich sogar einer der Lustigsten.
Emmy, – verflossene Frau Burger, – weilt schon seit Ende Oktober wegen eines nicht unbedenklichen Lungenspitzen-Katarrhs in Arosa, soll aber von dort nach Nachrichten derer, die ihr zufällig begegnet, in Wahrheit schon lange nach Nizza abgereist sein. Ihr ehemaliger, wie ihr jetziger Mann begegnen sich öfter als ihnen lieb ist; früher sahen sie aneinander vorbei, jetzt aber blicken sie sich mürrisch oder mit einem ganz besonderen Ausdruck gegenseitig in die Gesichter. Keiner ist mehr eifersüchtig auf den anderen.
Die Tatsache, daß von seinen neun Kindern nur fünf im Elternhaus das Weihnachtsfest mitfeiern können, wird von Vater Degenhardt durchaus nicht ignoriert, sondern, wenn auch mit kurzen Worten, besonders erwähnt, indem er bei Tisch das Glas hebt: »No also, – auf die auswärtigen Kinder,« man stößt mit etwas süßsaueren Mienen an, und jedes denkt sich sein Teil; aber die treffliche Stimmung ist gleich wieder da. Die zwei Alten verstehen so ausgezeichnete Gastgeber zu sein, daß sich Dombrowsky in diesem Kreis durchaus wohl fühlt. Für Uz und Schnackl ist es selbstverständlich, Freunde ihrer Kinder oder auch ihrer Bekannten sofort aufs herzlichste aufzunehmen.
Es ist spät, wie man sich endlich trennt. Seine Exzellenz der Herr Minister hat einen ganz kleinen Schwipps und kneift, zum hellen Entsetzen seiner Gattin, im Hausgang Grete in die Wange, nachdem er das frische, schöne Mädchen schon lange mit verliebten Äugelchen angesehen. So schnell wie möglich schafft ihn Hela in den unten bereitstehenden Wagen.
Die sternklare Winternacht liegt friedlich auf der weißen Erde. Stark gefroren, trägt diese stolz ihr Festgewand, das glitzert im Schmuck des blanken Eises, der kunstvollen Spitzenarbeiten des Baumgeästes und der Tore und Gitter.
Gertrud geht am Arm Bruder Ludwigs; dicht neben ihr, bisweilen ihre Hand pressend, Detlev. Schon an der nächsten Straßenecke verabschiedet sich Otto, der seine Schwester und Nichte sowie den jungen Neffen herzlich küßt. Buchlehner faßt dann scherzend To und Lise unter, und Carlo, ostentativ laut scherzweise über den Bruder triumphierend, hat sich in Grete eingehakt und nimmt mit ihr die Tete. Frau Halliger blickt hinaus zum wundervollen Firmament. Soll es denn möglich sein? Kann das Große und Herrliche doch noch kommen und des Glückes weiten, blauen Himmel bringen? Tief atmet sie die reine, eiskalte Luft ein, die ihr die heißen Wangen kühlt. Neigt sich Detlev ihr zu, dann spürt sie einen breiten, warmen Hauch, der ihr das Herz erzittern macht. Wie sie in die Mitte der Maximiliansbrücke kommen, bleibt Ludwig stehen und macht sie und den Baron aufmerksam aus die tief unten rauschende, nur an den Rändern gefesselte Isar. Wie Klagelaute, dann wieder trotziges Grollen, tönt es herauf. Carlo stapft mit Grete schon weit voraus. Buchlehner aber hält die Arme Tos und Lises wie in eisernen Schrauben und tänzelt unter lustigem Trala mit ihnen über den weißen, glatten Boden. Deutlich fühlt er, wie das junge Mädchen zögert und zu den Zurückbleibenden streben will; auch meint er ihren unruhigen, mißtrauischen Blick zu sehen, den sie zu den dreien, die sich über das Brückengeländer beugen, nach rückwärts wirft. Aber es hilft ihr nichts, sie muß weiter. Des Professors alte Knochen sind nicht steif und morsch; besonders heut fühlt er sich elastisch und kraftvoll wie ein Junger. Kaum ist die Gruppe vom Dunkel verschlungen, so verläßt Ludwig das Paar, geht quer über die Straße und findet nur mehr die andere Brückenseite interessant.
»No ja, bei dene hat's ja doch g'schnappt,« murmelt er. »Und net a mal a Christkindl-Busserl haben sie sich geben können!«
Er hätte es ihnen von Herzen gegönnt und wäre so glücklich, die beiden vereint zu wissen.
Gertruds Kopf liegt an Detlevs Brust. Lange ruhen seine Lippen aus den ihren. Im selben Augenblick da er sie löst, fällt eine Sternschnuppe herab.
»Das ist ein glückliches, ein schönes Zeichen, Traudl!«
»Ja, Detlev, laß uns daran glauben!«
Sie gehen zu Ludwig hinüber und dann weiter noch die kurze, ganz einsame und verödete Strecke bis zu Gertruds Wohnung.
»Wollt ihr nicht noch oben ein Schnäpschen bei mir nehmen?« lädt Gertrud ihre Begleiter ein.
»Aber natürlich! Los!«
Die Haustüre ist indessen schon offen, und innen tritt rasch Frau Sonca, in einem weißen, losen Gewand und mit offenem Haar hinter den Türflügel. Sie hat eben Herrn Hubmair herauslassen wollen, der den Festabend bei ihr verbracht hatte. Das ganze Haus, überhaupt jedermann, der sich dafür interessiert, weiß, daß der trauernde Witwer heimlich entschlossen ist, so bald als möglich dem trostlosen Zustand, in dem er sich befindet, ein Ende zu machen und die Schneiderin zu ehelichen.
»Donnerwetter,« rufen Carlo und Ludl fast aus einem Mund und bohren ihre Augen neugierig in die dunkle Ecke, wo etwas Weißes schimmert. Aber es rührt sich nichts. Unter einem verlegenen: »Habe die Ehre, – die Ehre,« verschwindet eiligst der Hausherr.
Oben geht Lise ihrer Mutter nicht mehr von der Seite und ist ihr eifrig behilflich, die kleinen Gläschen voll zu schenken. Im dämmrigen Salon, der ganz von Tannenduft erfüllt ist, setzt sich die Baugrete vor das Klavier und spielt gedämpft Stille Nacht, heilige Nacht. Buchlehner zieht die Vorhänge vom Fenster, weist auf die Silberpracht und die Sterne und sagt halblaut: »Ehre sei Gott in der Höhe!« Dann nimmt er die Hände der beiden Kinder, legt sie in die der daneben stehenden Mutter und spricht feierlich zu Ende: »Und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!«