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Anne Bäbi ging nicht zu dem Doktor, bei welchem es früher gewesen, sondern zu einem andern, der ungefähr eine Stunde weit war, und von dem es gehört hatte, der ziehe die Leute nicht so lange umeangere, der fahr recht us, daß man grad wisse, woran man sei.
Als Anne Bäbi hinkam, war der Doktor nicht daheim; aber es hieß, er werde nicht weit sein und bald wiederkommen, es solle nur warten. Da der Doktor nicht kam und Anne Bäbi pressierte, so wurde ein Kind gesandt ga luege, wo dr Vater syg. Das Kind kannte die Spur wohl, wo der Vater nachmittags war, wenn er nicht ausgeritten. Es kam schnell zurück mit dem Bescheid, er werde bald kommen. Es ging aber noch immer eine Weile, ehe er kam und Anne Bäbi barsch mit der Frage anfuhr, was es Pressierlichs habe. Anne Bäbi berichtete, sein Bueb sei krank, und stellte das Wassergütterli auf den Tisch. Der Doktor warf einen Blick darauf und fragte: «Wo fehlts?» Da Anne Bäbi daran gelegen war, Jakobli sobald als möglich auf den Beinen zu haben, so tat es sehr nötlich und machte die Sache recht groß; je nöter es tue, desto stärcher Züg gebe der Doktor, und je stärchere Züg er gebe, desto eher sei der Bub wieder zweg; so kalkulierte Anne Bäbi. Es redete daher von grusamem Fieber, von ganz verirret, und als der Doktor nach dem Durst fragte, so sagte es, emel e halbi Melchtere Tee hätte er getrunken; allemal wenn es ihm brunge heyg, su heyg er gno. Als der Doktor nach der Zunge fragte, sagte es, die hätte es nit gluegt, aber sie werde wohl wüsti sein, schon manchen Tag hätte er nichts gegessen. «Kötzeret es ne?» fragte der Doktor. «Aparti het er nicht geklagt», sagte Anne Bäbi, «aber es wird wohl si; we me ne het gheiße esse, su het er gseit, er mög nit, er heyg dieses no zoberist obe.»
Während diesem Examen hatte der Doktor das Wasser ausgeleert, das Gütterli flüchtig geschwenkt, zwei oder dreier Gattig Rüstig zusammengegossen, zusammengerüttelt und sagte dann: «Lue, Frau, da hast eine Purgaz, die gib ihm unter zwei Malen und brav z'trinke drzu; de morn oder übermorn chumm de wieder cho brichte, vielleicht muß er de no eini näh oder de abführe, es chunnt de druf a.»
«We de öppe dadürechunnst, Doktor, so könntest doch zuchecho, ih bruchti de nit da uche; es is mr zwider; aber expreß chumm nit, es ist si nit z'tüe. We d nit angfähr chunnst, so cha de geng öpper anger cho, we ih nit ma.»
Somit marschierte Anne Bäbi ab und langte zu Jakoblis größtem Schrecken mit der Purgaz an. Er wehrte sich nach seiner Art dagegen, so gut er konnte; da aber alles in ihn drang, Mädi hauptsächlich, und Anne Bäbi ihm brichtete, wie er ganz verirret gewesen sei, daß man nicht gewußt habe, wele Weg das usewell, so begann er zu glauben, es fehle ihm wirklich, und der Doktor meinte es ja auch, sonst hätte er ihm nichts gegeben, und ließ sich endlich die Purgaz einschütten.
Die Purgaz wirkte erst, als das Gütterli verschluckt war, dann aber auch so grüslich, daß alles in Alarm war, es Mädi recht angst wurde und Jakobli meinte, es müsse gestorben sein. Nur Anne Bäbi war guten Muts dabei und sagte, so sei es eben recht, das sei gute Züg; je stärcher er arühre, desto eher bessere es, sos Gottes Wille sei, und es sei schad, syg ds Gütterli us; we no mehr drin wär, er müßte es auch nehmen. We me so recht zBode purgiert heyg, so heyg es de e Rung; we me es Loch sufer leer, so gangs o dest länger, bis es wieder voll syg.
Jakobli war gar jämmerlich übel, mochte die Augen nicht auftun, und die Schwäche oder Abspannung, in der es einem zu sterben gleichgültig ist, war über ihm, und in dieser Schwäche kam ihm Lisi und der Donnstag und das Heiraten immer schrecklicher vor, immer mehr wich ihm aller Mut aus Leib und Seele, und aufstehen mochte er nicht. Mädi sagte, als der Schreck der Purgaz vorbei war, es sei gut, er solle sich nur stillehalten im Bette, so werde es gut kommen. Jakobli sagte, er denke es auch, und es sei jetzt nicht viel zu versäumen. Mädi meinte, Jakobli verstehe ihns, und Jakobli hatte vergessen, was Mädi ihm angegeben; darum widerredete keins dem andern, und keines verstund das andere.
Das Verstehen wäre eigentlich die Hauptsache; aber das Verstehen verstehen noch ganz andere Leute nicht als so ein Mädi. Wie nun Mädi und Jakobli eins waren, weil sie sich nicht verstunden, so geschieht doch das Umgekehrte viel häufiger, daß man sich nicht versteht, eigentlich einig ist und doch sich zankt. Was das Andere will, meint, hofft, das meint man zu verstehen und versteht es nicht.
Da der Doktor am nächsten Tag nicht angfährt kam, so rüstete sich Anne Bäbi zu einer neuen Fahrt, gäb wie Mädi, von Hansli unterstützt, widerredete und meinte, man solle warten und süferli luege, wie es komme, alles ungereinist zwänge me nit, und zviel auf einmal trage nüt ab. Aber Anne Bäbi ließ sich nicht absprengen; es war ihm angst, daß Jakobli wieder auf die Beine kam. Wenn dSach erhocket syg, so hätts dest härter, u we me einist agfange heyg, su hulf es jetz usfahre bis hingerus; das werde schon gut cho. U syr Lebtig heyg es ghört, e Purgaz syg e fürnehmi Sach, u wes vo dene rechte eini syg, su wüß me längs Stück nit, hang no öppis aneangere oder nit, und heyg me no e Gring, oder heyg es ne obeabgsprengt.
Anne Bäbi stattete dem Doktor nun seinen Bericht ab; es sei toll von ihm gange, aber ganz besseret heygs ihm no nit, im Gring nit u i de Gliedere nit; esse mög er noch nicht und auf auch nicht, und wenn es noch mehr gehabt hätte, so hätte es ihm auch noch eingegeben, es werde wohl noch e Satz da sein. «Und ds Fieber?» fragte der Doktor. Von dem hätte es neue nüt meh chönne merke. Wenn er si heyg müsse übergä, su heyg es ne toll ghudelt, sust aber heyg er si ordeli stillgha. «Verwirrt ist er nüt meh?» fragte der Doktor. «Gar nüt», sagte die Mutter, «er ist bi sym gute Vrstang.» «He nun, so wollen wir jetzt mit einer Laxierig probieren; vielleicht bessert es ganz. Bessert es nicht, so kann man immer noch einmal purgieren und druf de wieder laxiere; Gfährligs gseh ih da nüt.» «Dest besser», sagte Anne Bäbi. «Ich ha däicht, du ziehest die Leute nit so lang desume; deswege bin ih o zu dr cho. We me recht drahigeyht, so ist dSach scho halbi gwunne.»
Jakobli sträubte sich, als Anne Bäbi mit dem neuen Trank an ihn kam, und wollte lange nicht daran, aber er mußte, der Vater selbst redete ein und sagte: «Nimm du ne, u wenn es jetzt nüt nützt, so ists für es angers Mal gut!» Mädi hielt sich neutral. Wenn er ume im Bett blyb, nähm er de das Trank oder nit, darauf kömmt es nicht an, dachte es. Jakobli schluckte endlich und schluckte zwei Tage hintereinander, denn es war eine zweitägige Laxierig, und starb fast daran und meinte alle Augenblicke, die Laxierig werde noch der Seele Meister und jage sie ebenfalls aus, und am Montagabend war er matter als nie und lag im Bett fast wie tot.
Drei Tage nach dem Montag war der Donnstag, und dem Bub war es nicht besser, sondern schlimmer geworden; da ward es Anne Bäbi grusam angst, nicht sowohl wegen dem Bub, sondern wegen dem Donnstag. Das müß zwängt sein, sagte es, und sollte es koste, was es wolle, am Donnstag müsse Jakobli mit auf Burgdorf. Es werde aber noch eine Purgaz sein müssen, der Doktor habe schon davon gesagt, und sollten es zwei sein, das Geld reute ihns nichts dafür. Morgens in aller Frühe wolle es eine holen. Es hätts dem Schyßdoktor aber sauft getan, zuchezcho; er sei heut vorbei gefahren, wie es gehört, aber sie werden ihm z'gring sein, daß er sich nicht möge gmühen. Aber Anne Bäbi erfuhr Widerspruch. Jakobli wehrte sich. Es duech ne, er sött afe gnue glaxiert und purgiert sy, und meh gstang er nit us, er gspürs. Hansli sagte: «He, wenn ers nit usgsteyht, was witt de! Ih hulf Geduld ha, es chunnt öppe von ihm selber besser.» Und Mädi sagte: » Emel zu dem wett ih nimme; wenn er ihm hätt chönne helfe, su hätts müsse bessere. Ih hulf zum ene Angere; du chast bi dem no es ganzes Jahr doktere, dSach ist geng am glyche Ort; du gsehst ja wohl, daß Purgiere und Laxiere da nüt abträgt, es wird ihm am e angere Ort fehle, vielleicht am Chrüz oder am Herz.»
Die Bemerkung fiel Anne Bäbi schwer aufs Herz. «Meinst?» sagte es. «Du siehst, wie der dich desumezieht, und er begehrt nicht zu helfen; er könnts, aber er will nicht, darum gehe weiters!» Anne Bäbi fand den Rat richtig. Am folgenden Morgen machte es sich früh auf die Beine und fand den Doktor. Nachdem dieser den Bericht über Jakoblis grusame Krankheit vernommen, fragte er: «Habt ihr noch nichts gemacht; bei wem seid ihr gewesen?» «He wohl», sagte Anne Bäbi, «dr Doktor im Sack het ne afe purgiert und laxiert, und er het gseit, wenn das drvo nit besseri, su müß es no meh sy; aber mir hey du denkt, es chönnt gut sy, we mr o öppis angers probierte.»
Der Doktor examinierte lange, fragte nach Puls, Zunge, Schlaf, Schweiß. Bald wußte Anne Bäbi etwas, bald nicht, und was es wußte, machte es immer ds Halbe größer, damit der Doktor desto mehr Fleiß habe und besseren Zeug gebe. Endlich sagte der Doktor: «Lue, Frau, ich weiß noch nicht, wo es hat, ich sollte ihn sehen; wenns ist, wie du sagst, so könnte es eine Auszehrung geben; aber man weiß es nicht. Da wollen wir mit dem probieren; gib ihm alle Tage morgens und abends zwei Löffeli voll, und wenn d keinen Zeug mehr hast, so komm und gib Bericht! Aber das wird nicht bald bessern; wenn ein Mensch verpfuscht worden, ists bös; verpfuscht ist bald viel, aber gutzmache het e Nase.»
Kaum hatte Anne Bäbi den Rücken gewandt, so packte der Doktor den Anwesenden seinen Zorn aus. Da könne man wieder plätzen, was ein Anderer verpfuscht habe; mit solchem Purgieren und Laxieren könne man ja einen gesunden Menschen krank machen; wenn er so doktern wollte, es stürben ihm alle Leute, und längst hätte er ds Doktere an den Nagel hängen müssen. Da solle er jetzt doktere, und dä alt Sturm hätte keinen Bericht geben können, und daß er käme, begehrten sie nicht, sie hätten schon Kummer, es koste etwas; aber wenn er ungefähr dort durchgehe, so gehe er doch, sie mögen ihm Gesichter machen, wie sie wollen, ehe er ihnen mehr Mittel gebe. Aber die käme nicht wieder, er wisse nicht, was die im Kopfe habe; aber wohl gemerkt hätte er, daß er ihr nicht in den Kram geredet.
Der Doktor hatte ganz recht. Es kochete in Anne Bäbi, und es mochte nicht warten, bis es heimkam, um anzurichten. Da hätte es wieder einen vergebenen Gang getan, und vor das lätze Loch sei es gekommen. Der wisse nichts, begehre einem nur das Geld abzunehmen. Das Wasser hätte er nicht angesehen; er machte lieber Visitleni, Visitleni und ließe die teuer zahlen; für das Wassergschaue gebe ihm niemand etwas. Er hätte ihm auch um die Stauden herumgeschlagen und hätte gerne angefangen zu visitlen, aber es hätte getan, als hätte es keine Ohren. Man solle doch nur sehen; schon das Gütterli, wo man ja kaum einer Laus die Ohren salben könne, koste vier und einen halben Batzen, und für eine Visite hätte er gewiß zehn Kreuzer gefordert oder gar fünf Batzen so für nüt und aber nüt. «Und was soll das helfen, ume zweu Brylöffeli voll es Tags? Und erst, we ds Gütterli us ist, söll ih Bricht gä; er well de luege. Und jetz ist Zyste, und übermorn ist Donnste, und vor em Samste ist me mit dem Lumpezüg nit fertig. Es het mi duecht, ih möcht em ne a Gring schieße, wo er mr ne gä het; aber ih ha mi überha u ha däicht: ›Wart ume, ds Lulli hest no nit im Mul!‹»
Sobald der Ärger obenab war, kam der Jammer nach, wie die blaue Milch kömmt, wenn die Nidel abgenommen. Übermorgen war Donnstag und Jakobli nicht gesund. Das werde nicht alles zwängen, meinte Anne Bäbi zuerst; man reite ja, und es sei styf Wetter, nur der Bysluft gehe etwas räß. Aber Jakobli widerredete doch und sagte, er möge es wäger nicht erleiden, er möge das Hocken kaum erleiden, vrschwyge de ds Fahre, und wenn er us em Bett sei, so duechs ne geng, es well ne afe früre. Jakobli konnte nicht anders als wie die andern an eine Krankheit glauben, und allerdings hatten Purgaz und Laxierig ihn zweggenommen und matt gemacht. Und wer will es ihm verargen, wenn er diese Schwäche nicht kleiner machte als sie war, und er sie als Schild brauchte, hinter dem er sich gegen die Reise verbarg? Hatte er sich doch nicht krank gemacht; und war diese Krankheit etwa von ungefähr? Auch Hansli sagte, das werde öppe nit müsse zwängt sy; es sei öppe ei Donnste wie dr anger.
Anne Bäbi zappelte wie eine Katz am Draht; was die auf dem Zyberlihoger denke werde, wenn man sie noch einmal sprenge, und was man mit dem Jakobli anfange; aus dem Schyßgütterli gebe es ihm keinen Tropfen, und doch könne man die Sache nicht so gehen lassen; er sehe ja aus wie eine Kilchmaus, und wenn es die Auszehrig sei, so muß me drhinger, und zwar Ärstem. So jammerte Anne Bäbi erbärmlich, daß es den Hansli erbarmte. «Schick dr Sami», sagte er, «zu Zyberlis u la absäge bis uf wytere Bscheid; dr Bub syg krankne, u mi müß warte, bis er zweg syg.» Das war das Vernünftigste, und Anne Bäbi, wie sehr es ihm zwider war, mußte sich drein schicken, und Sami marschierte am Mittwochen früh ab mit einem guten Stecken in der Hand und den Schalk im Herzen.
In viel größerer Verlegenheit war Anne Bäbi mit dem Doktern. Mädi redete zu, so stark es mochte, man solle doch warten und der Sache Zeit lassen. Es habe oft gehört, die Sache komme manchmal am besten, wenn man gar nichts mache, sondern der Zeit abwarte. Davon wollte aber Anne Bäbi nichts hören; die Mutterangst saß ihm jetzt im Herzen und die Heiratsangst im Kopf, und wo zwei solche Ängsten zusammenspielen, da ist Zureden vergeblich, Warten unmöglich, da muß gangstet sein. Endlich wurde man rätig, man wolle zu einem bsungerbar e Gschichte; e Gstudierte seis nicht, aber er habe es im Geist, und das sei ganz was angers. I de Büchere chönn jede Löhl luege, was drinne syg, drfür bruch me gar ke Dokter; aber im Geist, da heygs nit en iedere, unger Tusige gäbs chum eine.
Mädi bot sich an, zu gehen; es sei weit, sagte es, und es hätte es ungern, wenn es hieße, Jakobli sei so krank, und Mädi gehe ihm nicht ein einzigmal zum Dokter, dFrau müß geng selber gah. Ob sie es ihm nicht anvertrauen dürften, oder was wohl da sein möge? Aber Anne Bäbi sagte, ds erstmal wolle es selbsten gehen vo wegem Brichte, das könne es niemand anvertrauen; nachher sei es ihm recht, das Laufe erleide ihm, es duechs, man sehe es schon allem an, den Säuen und dem Garten, daß es ein paar Morgen nicht daheim gewesen. Es hätte noch nichts gemerkt, sagte Mädi gestochen, und immer gemacht, was es imstande gewesen, es duechs, man könnte zufrieden sein; aber es sehe wohl, je mehr man mache, desto weniger sei recht. «Fängst schon wieder an zu kifeln?» fragte Anne Bäbi. «Man kann nichts mehr sagen, das recht ist; zweu si emel meh als eis, und we me no, we me daheim ist, zum ene Krankne z'luege het, so muß es öpperem etgelte, sygs de dSäu oder der Garte oder bedisame. Deswegen brauchst es nicht ungern zu haben!» Aber Mädi stachen die Worte doch, und wenn es schon nicht mehr aufbegehrte, so dachte es doch bei sich selbst: «So recht! Ume geng so cho; du mußt doch gwüß no erfahre, wer ih bi!»
Anne Bäbi machte sich also selbst auf den Weg des Morgens früh, obgleich Jakobli ihm anhielt, sie solle doch das unterwege lassen; es duech ne, es wolle abziehen von ihm selber. «Ih merke wohl», sagte Anne Bäbi, «du willst dSach nur verdrehen und meinst, sie erkalte dann von selbst. Aber ohä! Es muß jetz e Weg gah, und es muß abtriebe sy; ih wott mi nit la uslache und no desumeschleipfe, ohä!»
Der Mann, zu welchem Anne Bäbi wollte, hatte einen großen Ruf weit und breit, und je weiter er von ihm war, desto größer war sein Ruf, wie es oft geht, daß etwas von weitem das Gegenteil scheint von dem, was es ist, wenn man es in der Nähe sieht. So geschieht es oft, daß von einem Menschen ein Ruf daherkömmt aus einem Graben oder einem Städtchen, zwischen welchen oft kein großer Unterschied ist, daß man glaubt, der liebe Gott habe den König David und den König Salomo und gar noch den Erzvater Abraham zusammenschweizen und wieder sichtbarlich erscheinen lassen in jenem Graben oder Städtchen, und Respekt kriegt ganze Hütten voll; alles Krumme werde der grad machen, alles Saure süß, alle Löcher ganz, alle Dummheit gut, kurz, das werde der Mann sein, der alles wisse, alles könne, alles heile; so meint man.
Und hat man endlich dieses Wundertier an der Sonne, so ist es schon kein Wundertier mehr, sondern eine ganz gemeine Person; und stellt man es an die Deichsel, so ist es nicht einmal ein Mann mehr, sondern manchmal ein simples Füchslein, manchmal bloß ein Windbeutel, ja manchmal eigentlich gar nichts als ein Tropf. Wie oft ists schon geschehen, daß man in sonderbaren Nächten, wenn in ungewissem Licht die Welt schwimmt, einen Geist zu sehen glaubte in der Ferne, einen wunderbaren Geist, ob gut oder bös, wußte man nicht, aber daß er etwas Besonderes zu bedeuten hätte, das glaubte man. Man bebte und zitterte, nähere mit klopfendem Herzen sich. Aber der Geist schwieg, und je mehr er schwieg, desto mehr klopfte das Herz, desto bedeutsamer, wichtiger erschien er. Endlich redete man ihn an im Namen aller guten Geister, fragte nach seiner Sendung. Aber er schwieg, man mochte Geister nennen, welche man wollte, er schien keinen zu kennen; kein Geist bewegte im geringsten ihn, zog ihn nicht näher, stieß ihn nicht weiter. Und wie der Mensch ein seltsames Geschöpf ist, der zuweilen, je mehr er Angst kriegt, um so neugieriger wird und unwiderstehlich näher und näher gezogen wird, so geht auch der Eine oder der Andere dem schweigsamen Geist, der keinem Geiste antworten wollte, näher und näher auf den Leib, und immer bedenklicher erscheint der Geist; und am Ende, was ists für ein Geist? Ein ganz simpler Türlistock ists, und Türlistöcke antworten aus bekannten Gründen keinem Geiste.
Vielleicht will einer disputieren und sagen: «Es muß aber doch ein ganz aparter Türlistock gewesen sein, daß man ihn für einen Geist nehmen konnte.» Mein Gott, nein, es war ein ganz simpler Türlistock, aber es waren apartige Augen, die ihn in einem apartigen Licht für einen Geist angesehen hatten, und eben ein apartig Licht schien in der Welt.
Der Wundermann, von dem ich reden will, war aber doch nicht ganz so ein Türlistock, der keine Antwort gibt; der hatte ein Maul, und eben mit dem Maul wars, mit welchem er das Licht selbst machte, in welchem er als ein Wundermann erschien, während der Türlistock auf den Mond warten muß, um in apartigen Augen zum Geist zu werden.
Die apartigen Augen, die machte der Mann nicht selbst, die sind auch da im finstern Mond, die wachsen allenthalben von Natur wie Warzen an den Händen und Hühneraugen an den Füßen. Und wie die Hühneraugen in den engsten Schuhen am liebsten wachsen, so wachsen diese Augen auch in den engsten Köpfen am liebsten, und je weniger einer Platz für Geist in seinem Kopf hat, desto mehr Geister plaziert oder sieht er außerhalb, aber nicht am Himmel, nicht in weiten Köpfen, sondern in Türli- und andern Stöcken. Und da, wie enge Schuhe enge Köpfe immer mehr Mode werden, so braucht Einer, der das rechte Licht zu machen weiß, nicht Kummer zu haben für Augen, die ihn ansehen für einen wunderbaren Geist, der alles könne und ds Hexen am besten, und je länger je weniger braucht er Kummer zu haben für diese Augen, denn je länger je mehr gibt es deren wieder, wie es auch manchmal beim schönsten Wetter Schwämme gibt, wenn es wieder regnen will. «He, wie kömmt das?» fragt vielleicht Einer, der meint, das Aufklären gehe wie das Geigen, je länger je schöner, und der sich auf beide gleichviel versteht, das heißt nichts. Denn wenn man es mit dem Geigen übertreibt, so gibts zuerst ein Kratzen, und wenn man nicht lugg läßt, so springt zuletzt eine Saite und dann eine nach der andern, bis es aus ist nicht nur mit dem Geigen, sondern auch mit dem Kratzen.
He, das geht gerade gleich, muß man ihm antworten, wie aus einer Hure eine Betschwester wird, aus einem Radikalen ein Despot, aus einem Gottesleugner ein Schatzgräber und Teufelsbanner, aus einem Ungläubigen ein Abergläubiger. Wer das Christentum über Bord wirft, wird ein Heide; und wer ist wohl blinder und mehr der Außenwelt Knecht und macht sich Götter aus Türlistöcken als eben ein Heide? Wo haben die Wahrsagerinnen mehr Verdienst als im aufgeklärten Paris? Und wo wird mehr gehexet als im aufgeklärten Frankreich? Je weiter einer von Christus, desto näher dem heidnischen Aberglauben. Auch bei uns wird an den sogenannten aufgeklärtesten Orten am meisten gehexet, und von dort aus haben die Wahrsagerinnen den meisten Zulauf. Und je neumodischer man die Kinder erzieht, desto abergläubischer werden sie mit der Zeit werden.
Man sagt die Zeit des blinden Glaubens sei vorbei! Tröpfe sinds, die es sagen. Ja, Hans Joggi glaubt nicht mehr, was in der Bibel steht, und Sämi spöttelt über alles, was der Pfarrer sagt – die sind doch über den blinden Glauben aus! Ohä, der blinde Glaube ist noch da; nur schenkt man ihn jetzt nicht mehr der Bibel oder dem Pfarrer. Hans Joggi hat ihn einer Zeitung geschenkt, bald der einen, bald der andern, und was die sagt, und wenn sie redet wie ein Hornvieh und lügt wie der Teufel selbst, so ist dieses wahr und ewig wahr; er flucht darauf bei allen Zeichen, und wenn einer dagegen redet, so heißts: «Das ist auch von denen Lumpenhunden eine, wo man zTod schla sött wie dFleuge!» Und wie ein Ketzer haßt und verfolgt er ihn. Sami hat seinen Glauben einem Häftlimacher geschenkt oder einem Fürsprecher oder einem Vehdokter, und was dieser ihm sagt, das glaubt er wie das Evangelium, und was dieser ihn heißt, das vollbringt er in unbedingtem Gehorsam; und wenn er ihn heißt, in der kältesten Winternacht nackt auf sein Haus zu steigen und dort einen Schuß loszulassen, er tuts sonder Fragen und Werweisen in blindem Vertrauen. Und wenn Zeitungen und Häftlimacher ihnen erleidet sind, so hängen sie ihren Glauben an Wahrsager und Zeichendeuter, und je weiter sie von Christus sind, um so fester, und je neumodischer sie erzogen sind, desto größern Verdienst haben Zeichendeuter und Wahrsager wieder. Der Glaube ist dem Menschen angeboren; scheint aber Gottes Sonne nicht hinein, so spuckt der Teufel darein.
Darum fehlte es dem Wundermann an Kunden nicht, trotz der aufgeklärten Zeit, und aus allen Ständen waren diese Kunden; denn die Stände sind inwendig nicht halb so sehr unterschieden wie in ihren Kleidern. Kopfhänger kamen und die freveligsten Menschen, Maulhuren und Gotteslästerer; denn oft sind Kopfhänger und Lästerer inwendig Geschwisterkinder und gleich weit von Christus, und wenns wackelt um ihre Beine, gleich zagende, zitternde Sünder, die laut heulend stundenlang vor einem Türlistock an der Straße beten würden, wenn es hülfe.
Oh, man glaubt nicht, was so ein Herr, der alle Tage einen halben Zentner Bifsteak frißt oder hundert Dutzend Austern, so ein Bauer, der in der Woche seine Speckseite versorgt, so ein Wirt, der beim letzten Glas nicht mehr weiß, wann er das erste getrunken, ein Geschäftsmann, der von wegen Geschäften von Schoppen zu Schoppen, von Essen zu Essen kömmt, was denen in die Glieder fährt, wie schauerlich und miserabel es ihnen wird, wenn eine Woche lang Bifsteak, Speck, Gläser, Wein außen bleiben, man glaubt es nicht. Öde wird es ihnen und leer, wie die Welt war, ehe der Geist über die Wesen kam; von wegen mit Bifsteak und Speck und Wein ist Mut, ist Kraft, ist der Geist dahin, der sie aufrecht erhielt und so aufbegehrisch machte, sie fallen zusammen ärger als Pferde, denen der Haber fehlt, es geht ihnen ärger als Schweinsblatern, aus denen man die Luft gedrückt, und die zu einem erbärmlichen Hämpfeli zusammengefallen sind!
Da ist die Zeit, wo sie zum Doktor ins Emmental schicken und fast weinend bitten, man solle sie doch versichern, sie hätten Glauben und seien fromm; sie, die keinen andern Glauben mehr hatten als den an ihren Viviser Weinlieferant und von Frommsein nichts mehr wußten, als daß Mägde und Pferde es sein sollten. So ist noch ein großes Feld für solche Wundermänner, und das Feld wird eher weiter als enger, und s ist wachsig Wetter; gut gedeiht auf diesem Felde die Frucht, und reich ist die Ernte der klugen Schnitter, die auch ernten, was nicht sie, sondern Andere ausgesäet. Zu einem solchen kam Anne Bäbi, und viele Leute waren da und warteten; die Leute mehrten sich immer mehr, und der Doktor erschien nicht.
Wäre das bei einem gstudierten, einem patentierten Arzte geschehen, so würden die Leute sich mit Balgen und Fluchen über den Doktor unterhalten haben. Die einen hätten gesagt, er wäre e Gschickte, aber e Fule, er mög nie uf; andere hätten gesagt, er sei zu hochmütig und möge sich nicht gmühen, wären rätig geworden, so zu warten erleide einem, das andere Mal gehe man zu einem, wo man auch gfergget werde. Son e Muffi sött doch auch Verstand haben und wissen, daß ihrer Gattig Lüt nicht Zeit hätten, einen ganzen Tag desumezhocke; aber so einer, wenn er nur das Geld habe, so frage er dem Rest nichts nach. So ungefähr wäre geredet und aufbegehrt worden; denn den patentierten Arzt betrachtet man als den Diener des Volkes, der geben muß, sobald man etwas will, und der geben kann, was er weiß, sobald er will.
Hier, wo Anne Bäbi war, hörte man von diesem allem nichts. Die Leute saßen und stunden ums Haus herum, brichteten halblaut ihre Übel oder die Übel derer, für die sie kamen; berichteten, wie weit her sie seien, und wie manchem der Mann schon geholfen; berichteten, es nehme sie wunder, wann er käme, gestern hätte man ihn erst nachmittags um drei Uhr gesehen, und es gebe Tage, wo man ihn nie erblicke; da müsse man in Gottes Namen wiederkommen oder sehen, wo man über Nacht sei. Und es gebe es oft, daß er Leute fort sende und ihnen gar nichts geben wolle, gäb wie sie anhielten dr tusig Gottswille.
In allen diesen Reden herrschte eine Art Ehrfurcht, ein gewisses Bangen; man sah den Menschen allen das Bewußtsein an, daß sie hier nichts zu fordern hätten, sondern eine Gnade suchten; daß der Mann niemand etwas zu geben schuldig sei, sondern geben könne, wem er geben wolle, abweisen könne, wen er abweisen wolle; es war also nicht der Diener der Menschen da oder gar der Diener der Natur, sondern der Gnadenspender, der Wohltäter, um dessen Haus sie sich versammelt hatten. Weit entfernt, das Warten übelzunehmen, vermehrte dasselbe die Ehrfurcht und die geheimnisvollen Schauer. Das war nicht der Mann, dem jede Stunde die gleiche ist, wie sie der Spinnerin die gleiche ist und dem Holzhauer, der zu jeder Stunde seine Bücher bei der Hand hat wie der Holzhauer sein Beil, die Spinnerin ihr Rad, oder im Gedächtnis hat, was er auswendig gelernt; das war der Mann, der den Geist hatte und den Geist erhielt. Aber bekanntlich ist dem Geiste nicht jede Stunde recht; oft schweigt er ganz, oft zeigt er sich lange nicht; da ziemt sich keine Ungeduld, sondern ein gelassenes Warten, bis der Herr des Geistes ihn seinem Diener gibt, das Auge ihm öffnet, die Rede ihm frei macht.
Das alles war freilich nicht mit klaren Worten ausgesprochen, aber doch alles so eingerichtet, daß diese Gefühle sich bilden mußten bei den Wartenden. Und wer weiß, wie leicht diese geheimnisvollen Schauer sich bilden, wie leicht es ist, die Menschen zum Ahnen der Nähe einer überirdischen Macht zu bringen, der begreift, wie fast von selbst diese Gefühle die um das Haus eines Wunderdoktors harrende Menge ergreifen müssen. Wie leicht kommen diese Schauer nicht unwillkürlich über alle, welche bei düsterem Lampenscheine eine Gespenstergeschichte erzählen hören oder geheimnisvolle Vorbereitungen sehen zum natürlichsten Spiele.
Als vor etlichen Jahren ein Pfarrer über das Verderben der Welt predigte, erscholl eine Stimme: «Ja, Herr Pfarrer, dir heyt recht!» Da hieß es, die Stimme habe nicht geklungen wie eine Menschenstimme, sei nicht aus dieser Ecke, nicht aus jener gekommen, sondern aus allen zugleich. Es war in der Kirche niemand, der nicht von Schauer ergriffen ward, und vielleicht nicht viele, welche die Stimme nicht für die des Allerhöchsten hielten; und doch war dieser Ort kein pietistischer, sondern eher das Gegenteil davon. In der ganzen Umgegend erscholl die wunderbare Kunde und wurde geglaubt, und als man endlich den Täter ergriff, als er geständig als Täter ausgestellt ward, der zum Schlüsselloch die Worte hineingebrüllt, wie viele waren da, die dieses nicht glaubten, sondern den Glauben festhielten, daß die Stimme eine höhere gewesen!
Seither war es, daß ebenfalls an einem sogenannten aufgeklärten Orte ein Mädchen einen Spuk anstellen konnte, der das größte Aufsehen machte, Glauben fand weit und breit, ein Haus in solchen Verruf brachte, daß man die Fenster mit Laden verschlug.
Dieses nun als Beweis der Leichtigkeit, solche geheimnisvolle Schauer zu erzeugen, ja, wie ohne Worte dieselben bei der leisesten Anregung von selbst sich bilden, wie leicht etwas Ungewöhnliches als Übernatürliches aufgefaßt wird.
Anne Bäbi machte unter der Menge vielleicht die einzige Ausnahme. Das Warten stund ihm nicht an; seine Ungeduld vertrieb die Ehrfurcht und ließ die Schauer des Übernatürlichen nicht in ihm aufkommen; der Ärger vertrieb den Glauben. Wenn es gewußt hätte, daß es da einen Tag verhocken müßte, so hätte es dem Buben aus dem Gütterli gegeben; das hätte doch allweg noch mehr bschossen als da zhocke. Aber es sehe wohl, es sei einer wie der andere, der Eine versäume einem mit dem Züg, der Andere mit Warte, es sei allen nur ums Geld, und wenn sie das hätten, so fragen sie einem fry hell nüt nah.
Endlich zeigte sich der Doktor und diesmal früher als sonst, sei es, weil allerdings der Leute viel geworden, sei es, weil Anne Bäbis Brummen ihm Beine machte. Denn neben dem Mystischen, welches das Warten hatte, war es auch ein Kniff, zu zeigen, wie groß der Zulauf sei; denn der Zulauf ist ein bedeutendes Stärkungsmittel des Glaubens. Der Zulauf macht oder erhält den Ruf wenigstens durch einige Jahre.
«Es ist gstacket voll gsi innefert, u no viel sy ussefert gsi u hey gwartet», das ist ein Zauberspruch für Krämerhaus und Wirtshaus, für Doktorhaus und Gotteshaus; Einer hält sich am Glauben der Andern, und nur allmählig schleicht die Prüfung sich ein, und es beginnt der Abfall; einer folgt wieder dem andern nach, und vielleicht gerade dann ist der Abfall vollendet, wenn der Zulauf am verdientesten wäre; aber ist der Glaube einmal hin, kömmt er nimmer wieder, so wenig als die Unschuld, welche verloren gegangen. Das ist eine Wahrheit, welche die Jungen nicht vergessen sollten und doch so oft vergessen. Ihre Neuheit gewinnt die Gunst der Menschen; aber das Neue wird alt, und gerne vergessen wird die Wahrheit, daß es ist mit der Gunst wie mit dem Gelde, beide sind noch schwerer zu erhalten als zu erwerben. Zählt die Geldstager: die meisten waren zu etwas gekommen, aber da kam der Hochmut, und nach dem Hochmut kam der Fall. Diese Wahrheit sollten namentlich junge Ärzte nicht vergessen; was die Neuheit erwarb unverdient, muß Treue erhalten, und aus der Treue erst und nicht aus dem ersten Zulauf kömmt das eigentliche Verdienst, das Verdienst, das bleibt.
Den künstlichen Zulauf durchs lange Warten, so wie der Müller das Wasser schwellt, um besser mahlen zu können, den versuchen auch einzelne Gstudierte, Patentierte, aber selten mit Glück. Erstlich nimmt man von ihnen nicht an, was von andern, zweitens verstehen sie selten, sich den geheimnisvollen Anstrich zu geben, der dabei sein muß. Vom einen sagt man dann eben, er liege noch im Nest, und vom andern, er führe Mist oder striegle seine Kälber, die Läuse hätten. Ja, in tölpischer, unmenschlicher Taktlosigkeit meinte zuweilen ein unmenschlicher Patentierter, er könnte das Warten auch ausdehnen auf die, welche in Notfällen ihn rufen lassen, oder welche er in Notfällen zu besorgen habe, läßt halbe und ganze Tage zum Einrichten von gebrochenen Gliedern auf sich warten, läßt wochenlang Verbundene unbesorgt und unbesehen, und nicht etwa aus Furcht, sie mit vermehrten Kosten zu erschrecken, sondern läßt sie unbesorgt und unbesehen auf wiederholten Ruf und den Bescheid unerträglicher Schmerzen. Dies geschieht mit der größten Gefühllosigkeit und Sorglosigkeit, weil man weiß, daß solche Dinge von Amtes wegen nie gestraft werden, weil vor dem Recht, was nicht ein Prozeß ist oder ein Kriminalfall, für nutzlos Geäke gehalten und nicht gewürdigt wird, weil man die Erfahrung hat, daß eine solche infame Grausamkeit eine Art Furcht erzeugt, welche ihrem Träger vielfach Nutzen schafft.
Auf dem Lande, wo die Ärzte dünner, die Notfälle häufiger sind als in der Stadt, da, wenn ein solcher Arzt, dessen rohe, boshafte, gewissenlose Gefühllosigkeit bekannt ist, etwas will, so wird es ihm von denen, welche in seiner Nähe wohnen, selten abgeschlagen. «Mi weiß nit, was es eim gä cha, u wie er eim de martereti, we me unger syni Häng chäm», so heißt es; man gewährt ihm Dinge, welche man jedem Andern abgeschlagen, und sieht ihm durch die Finger, wo man jeden Andern auf die Finger getroffen hätte. Wo der Staat seine Pflicht nicht tut, den Schwachen nicht schützt, da wird der Stärkere Meister, und je unvernünftiger er ist, desto größer wird seine Macht, desto mächtiger die Furcht vor ihm. Solche Ärzte sind aber wirklich selten, und wenn auch der Landarzt eine der schwersten, undankbarsten Stellungen im Leben hat, so gibt es doch gerade in diesem Berufe Persönlichkeiten, die zum Muster und Vorbild von Treue und Hingebung aufgestellt zu werden verdienen, wie sie in andern Ständen selten gefunden werden.
So wie der Ruf zum ersten erscholl: «Du söllist ychecho!» kam Bewegung unter die Wartenden; die Spannung wurde mächtiger, jedes drängte näher zur Türe sich, und so oft ein Abgefertigtes aus der Türe trat, ward die Bewegung neu und das Gedränge größer. War dann wieder einer abgerufen, so ward es stiller, und man sah den Abgehenden nach, wie jedes dahinschoß seines Weges, dem Pfeil vom Bogen gleich, und wie es die Erzählung bereitete, warum so spät es heimkomme, wie früh es dort gewesen, und wie Viele schon da und wie Viele noch gekommen; und wem nicht von beiden ds Halbe mehr geworden, ehe es heimkam, das war sicher ein ganz Einfältiges, das gar nichts sinnete ob dem Heimgehen.
Anne Bäbi mußte mit einer alten Frau bis zuletzt warten; das hatte es vollends taub gemacht, so daß es allen Glauben verloren hatte und recht puckt war, als sie endlich alle beide hineingerufen wurden.
Der Mann, vor dem sie erschien, war wohl am Leibe und ein lebendig Zeugnis, daß er nicht von dem Geiste lebte, der weder nach Erdäpfel riecht noch nach Bätzene noch nach dem Schweinstall. Er gschauete Jakoblis Wasser lange und sagte endlich: «Dem wird wohl noch z'helfe sy, aber er ist vrdokteret vo dene Glehrte, u jetzt manglets meh, as we d grad zu mir cho wärist, un es wär mr lieber, du gingest wyters; wenn er sterbe sött, su soll ih ne töt ha, u de vrchlage si mi wieder, die, won im ds Grab grabt hey. So mache es mir die Herre Doktere, un ih sött ihre Sündebock sy, aber ih wott nimme. Bringe ih ne drvo, was han ih drvo? Da seyst du de, du heygist ihm grusam gut gluegt; we das nit gsi wär, we dy Bub am e angere Ort gsi wär, dr Doktor hätt lang chönne.» «Selb nit, Dokter», sagte Anne Bäbi, «ih weiß wohl, daß üsereim nüt zwänge cha, u ums Sterbe ists doch notti nit.» «Das weißt du nicht, Frau», sagte der Mann, «es bös Gallefieber het dy Bub gha, und dGalle ist ihm jetzt usgrunne, und vielleicht schlat si ihm in es Bei, oder es cha dWassersucht gä, mi weiß no nit, weles vo beide, we men ihm nit cha vorfürcho. Das ist allweg e längi Sach, und mit starchem Züg ist da nüt z'zwänge; das muß bi längem gah. Aber wie gesagt, ich wollte lieber mit der Sache nichts zu tun haben. Aber ich weiß wohl, wenn ich nicht helfe, so kanns niemand, und versündigen tut man sich auch nicht gerne.»
Während er so redete, hatte er hier eine Handvoll Kräuter genommen, dort eine, einen großen Papiersack damit gefüllt, mit alten Schnüren ihn zusammengebunden und Anne Bäbi für sieben Batzen mit der Weisung gegeben, daß es alle Morgen über eine große Hand voll eine Maß Wasser schütten, es einkochen solle auf die Hälfte und diese dem Bub den Tag über zu trinken geben, öppe wien es si schickt. Die andere Frau ward auch abgefertigt wie Anne Bäbi, puckt und trocken.
Diesmal machte der Mann nicht den gewünschten Eindruck auf die beiden Weiber; sie waren beide hässig über ihn und sagten, daß der mehr könne als Andere, glaubten sie nicht, er nehme es nur angers für. Absonderlich war Anne Bäbi böse. Es hatte immer die schnelle Heilung im Kopfe. Länger als acht Tage könne das sy Seel nicht gehen, sagte es; bis dorthin müsse er gesund sein, es möge kosten, was es wolle. Was es mit der Rustig anfangen solle; es sei ein Haufen, es würde eine Kuh blähen! Es hätte gute Lust, ihn fortzuschießen, wenn er nicht sieben Batzen gekostet hätte. Jetzt müß er brucht sy, es chönn de öppe eis oder ds anger vo ihne drab treyche, wenns ihm öppe fehli. «Üser Läbtig het dä Bub kes Gallefieber gha; da wird me ja tönigelb, und er ist nie gelbe worden. Eine sagt das, en andere öppis angers, und zletsch wüsse sie allsame nüt.» Es nehme es aber doch wunder, was es eigentlich für eine Krankheit wäre; es duechs, we me das ume afe wüßt, es wohlete ihm scho ds Halbe. Es heyg ihm so wunderlig agfange; mi heyg eigetlig gar nit gwüßt, wo u wie. Mi chönn nit säge, es heyg ihm da agfange u nit dert, weder neue Kopfweh heyg er gklagt. Es heyg no vo ker Krankhit ghört, die so agfange heyg; es werd kum no eini so gä ha.
Die andere Frau, welche ein langes Stück Weg mit ihm zu gehen hatte, sagte, von solchen Krankheiten hätte sie auch schon gehört, aber es gebe sie nicht alle Tage, und man dürfe heutzutage es kaum mehr sagen, was es sei, man werde nur ausgelacht. Aber dem und dem hätte es auch so angefangen, «und alles hat er ausgedoktert gehabt, und keiner hat ihm helfen können, und zuletzt, was meinst, was ist es gewesen? Zletzt hat ihn eine alte Frau, deren Katze sein Hund totgebissen, verhexet gehabt; und Zeit ist gewesen, daß man darübergekommen ist, sonst hätte er sterben müssen. Wo man einmal es gewußt hat, da ist ihm leicht zu helfen gewesen. Wer weiß, ob bi dym Bueb o öppis eso ist?» «He», sagte Anne Bäbi, «das wüßt ih doch nit; syr Lebtig het dä kem Mönsche öppis zleid ta, aber mügli wärs; es git schlecht Lüt, die Früd dra hey, eim zleid z'tue, was sie chönne, we me ne o nüt ta het, ds Kunträri; u de son es arms Tröpfli ga z'vrhexe, wo sust ume eys Aug het u si nüt z'wehre weiß, es ist himmelschreiet! Dä Weg ist ja nimme z'lebe uf dr Welt. Ke Wunger cha ke Dokter nüt! Herr Jemer, Herr Jemer, wenn ne Eini zTod bete ließ oder sonst vrhexet hätt, wie sött me drübercho? Wer wär, der eim drus hulf? U so sött mys einzig Bübli sterbe?» Der Gedanke kam Anne Bäbi schrecklich übers Herz, lautauf weinte es, aber an seiner Begleiterin hatte es eine gute Trösterin.
«Schweig nur, weine nicht!» sagte diese. «Wenns öppis ist, so ist nüt Liechters als drübercho; die, wo jenem geholfen hat, lebt noch und wird dir auch helfen. Es ist eine auf der Luzernere, man sagt ihr nur das Schnupfsäckeli, ein wüst, alt Fraueli, die kann einem alles sagen, was man verloren hat, was einem gestohlen worden, wie es mit einem sein, wie es einem gehen werde. Die hat auch einen Zulauf grusam, und nicht nur von gemeinen Leuten, sondern von solchen, man glaubte es nicht; ja, man läßt sie in Chaisen und Trotschlene holen, und zwar no sellig, wo dTubakpfyffe bolzgraduse hey u sust vo de Glehrte sy wey vor de Lüte und uf der Religion nüt hey allem a und ume zChile gange, für ds Gspött z'trybe oder em Pfarrer öppis ufzrupfe. Daraus kannst du sehen, daß auf dem Schnupfsäckeli etwas zu halten ist, wenn sellig Leute mit ihm desumefahre, und daß es nit nüt mit ihm ist. (Gerade hierin liegt wieder ein merkwürdiger Beweis, wohin die sogenannte Aufklärerei führt, und wie gerade die Leute, welche am meisten über die sogenannten Pfaffen schimpfen und sie anklagen, daß sie es dem Volke verhätten, es in der Dummheit behalten wollen, zu Zeichendeutern und Wahrsagern ihre Zuflucht nehmen.) Das wird dir schon sagen, was mit ihm ist; das hat denen und denen es auch gesagt, und es ist punktum so gsi und so cho. Erst letzthin ist ein junger Bursch zu ihm gekommen und hat ihns gefragt von wegen einer Frau, ob er sie bekomme oder nicht. Da hat es ihm gesagt: ›Du hast sie ja gerade bei dir.‹ Und wo er sich umgesehen, ist ein Mädchen hinter ihm gestanden, das sich auch hat wollen wahrsagen lassen, das er gar nicht gekannt hat. Und wer die erste fahren läßt und das Meitschi zur Frau macht, das sich auch grusam wohl zufrieden gewesen ist, das war er. Ja, das weiß etwas, ich kann es dir sagen!»
Wer kann ermessen, wie es Anne Bäbi wohlete, als es das hörte! Gleich morgen, sagte es, müsse es zu ihm sein, und wenn es sich die Beine ablaufen müßte. Es sei doch kurios, daß das Wahrsagen so eine rare Sache sei, und käme einem doch so kommod. Es fang bald an zu glauben, das wäre nur Verbaust von Gott.
Als Jakobli die Mutter mit dem großen Pack daherkommen sah, schlotterte es ihn über und über, und doch sagte er, es duech ihn, es wolle süferli abzieh, ume sei es ihm so schwer in den Gliedern, und er möge ds Laufe nit erlyde; aber das werd scho bessere, we me Geduld heyg und dr Sach abwarte mög. «Ja, schön bessern!» sagte Anne Bäbi, «ich weiß jetzt, wo es dir bessern würde, im Kilchhof, wenn man dr Sach abwarten wollte!» «Eh Mutter», sagte Jakobli, «so gfährlich ist es nit; es duecht mich wäger, es hätte mir schon viel besseret.» «Du kömmst mir gerade recht», sagte Anne Bäbi, «jetzt ist das grad der recht Bewystum, wos dir fehlt! Die Dolders Hex merkt, daß me re druf ist, drum setzt si ab. Aber die kömmt mir grad recht, und sie muß füre, es mag kosten, was es will! Wenn man lugg ließ, sie fieng ds Spiel gleich wieder an. Verhexet bist, verhexet, Bub, ih bi jetzt drübercho; drum cha ke Doktor nüt a dr mache. Und o dr hüttig het es Gstürm gha, er sött si schäme; dä vrsteyht si nüt üf ds Wasser u sust nüt. Aber die Dolders More muß zweggno sy, koste es, was es wolle; ich will wissen, wer sövli tüflisch ist, is das aztue, u wer is sövli mißgönnt, was mr öppe mit rechte Dinge hey!»
Anne Bäbis Fund war bald allen bekannt. Jakobli sagte nicht viel, Mädi gab ihm Glauben, hingegen Hansli meinte, das trage nicht viel ab. Sie hätten, wo noch der Großätti gelebt, auch einmal geglaubt, der Stall sei ihnen verhexet, und hätten mit Hexen viel Geld verbraucht, und doch hätte es nicht gebessert, bis sie den Stall ausgegraben. Einmal sei ihnen in den Spycher gebrochen worden, und sie seien auch zu einer Wahrsagerin; die habe ihnen den Weg gesagt, durch den die Sache getragen worden, und das Haus angedeutet, in welchem es sein solle. Sie hätten es erlesen lassen, nichts gefunden und meisterlich Verdruß gehabt. Und erst nach Jahren sei man bei einem andern Diebstahl darübergekommen, daß ganz andere Leute die Sachen genommen und sie auch einen ganz andern Weg getragen hätten.
Aber wenn ein Anne Bäbi und ein Mädi in der Sache einig sind, so kann ein Hansli lang. Anne Bäbi erklärte, daß morgen es müsse gegangen sein ohne Fehler. DScheiche täten ihm zwar weh von dem verflümereten Gläuf, und wenn es ihm am Morgen noch so sei, so nehme es die Mähre. «Jä», sagte Hansli, «die kannst du nicht brauchen. Heute, weil der Sami nicht daheim ist, hat sie der Türli Uli, und morgen gibt er uns dann sein Roß zum Fahren; für später hat er es weiters versprochen.» Da bot sich Mädi gar drunglich an, zu gehen. Es hätte es fry ungern, wenn man es nicht auch einmal gehen ließe. Die Leute könnten was wunder meinen, was es für eines sei, oder was Grüsligs es gemacht hätte, daß man ihm nicht sövli anvertraue und dMeisterfrau selbst laufen müsse. Was es verrichten müsse, das sei dann auch verrichtet, und man müsse nicht wieder hingerfür, sie sollten sich nur darauf verlassen. Anne Bäbi stellte den Bescheid hinaus bis am folgenden Morgen, und da das Laufen ihm in der Tat zwider war, so fand es auch, daß Mädi dahin wohl zu schicken sei. Auf sein Brichten komme es nicht an bei einer Wahrsagerin, die werd sust öppe wüsse, woran sie sei.