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Neuntes Kapitel

Wie man grusam suchen kann und ungsinnet finden

Es ist eng von der Brücke weg bis zu Betängs Laden, und Anne Bäbi hatte viel zu betrachten unwillkürlich, obgleich sein Herz ihns vorwärts drängte. Jakobli hatte viel zu leiden von den müßigen Leuten, welche ums Gaffens willen gekommen waren. «Lue dert dä!» sagte Einer, «dr lieb Gott wird ne für es Chrutblatt agseh ha und ne ha la vrhagle.» «Lue dert dä!» sagte ein Anderer, «wenn Wüstsein wehtäte, der brüllete den ganzen Tag graduse.» Und Jakobli war doch eigentlich so wüst nicht, aber Blatternarben fallen jetzt weit unangenehmer in die Augen als früher; sein fehlend Auge fiel umso mehr auf, weil das andere recht schön und blau ihm im Gesichte stand. Daneben war Jakobli recht brav gewachsen und hätte für einen tollen Burschen gelten können, wenn er etwas breiter in Brust und Schultern gewesen wäre.

Anne Bäbi achtete sich wenig darauf; aber mehr als einmal sagte es: «Wenn Sami und Mädi nicht so wüst getan hätten, da könnte man ihnen jetzt einen Kram auslesen.» Und endlich konnte es dem Gelüsten des Kramens nicht widerstehen, kaufte dem Sami ein Halstuch, dem Mädi einen Korsettplätz. Mi chönn nes spare, sagte es, bis sie öppe wieder watlig täten.

In Betängs Laden machte es große Einkäufe: ein halb Pfund Kaffee, einen Vierling Zucker und für einen Batzen Kuchipulver, und als es bezahlt hatte, fragte es, ob nicht eine Frau da gewesen sei mit einem Schienenkörbchen und nach ihnen gefragt hätte. Die sei den Augenblick hier fort und die Bielstraße auf gegangen, aber gefraget hätte sie nach niemanden. Anne Bäbi packte rasch seine Herrlichkeiten in seine weiten Kittelsäcke, wo nötigenfalls in jedem ein Maß Wein und eine fünfbatzige Züpfe Platz gehabt hätte, und schoß um die Ecke der Bielstraße zu; aber keine Frau mit einem Schienenkörbchen, kein Maurer Vreni war zu sehen.

He nu, es werde in die Pinte auf dem Säumärit gegangen sein, sie seien wohl spät, dachte Anne Bäbi und bog links ein. Schwer arbeitete es sich durch die Schweine. Von einem Färech, in welchem zehn schwarzgeneckte, langgestreckte, schwarzgeringelte Ferkel von einer Burde waren, konnte es sich nur losreißen wie eine Hochzeiterin aus einem Dornhag, wie eine Schneidersmutter von ihrem einzigen Jungen, der auf Reisen geht. In der Pinte war ein bedenkliches Gedränge. Wer auf dem Schweinemarkt ein trockenes Maul bekommen hatte – und das begegnete Vielen, denn erstlich ist es dort heiß, und zweitens wird auf demselben mehr geredet als auf einem andern Markte (wenn ein Weib und ein Säuhändler recht aneinanderwachsen, so hätte ein Jude oder ein Welsch noch viel dabei zu lernen) – war froh um einen kühlen Schluck aus gutem Keller.

Anne Bäbi rückte langsam und vorsichtig hinein, Jakobli an der Hand, wie ein Feldherr in einen Talgrund, in den er sich lagern will. Das Maurer Vreni sah es nirgends, aber an einem Tische eine muntere Bernerfrau mit einer noch munterern Tochter und gegenüber einen leeren Platz. Da fuhr es mit dem Jakobli an der Hand durch die Leute wie ein Widder durch einen Bohnenplätz und pflanzte sich jenen gegenüber auf. Dann nahm es seinen Lumpen, wischte sich die triefende Stirne ab, reichte ihn Jakobli dar und sagte: «Wottsch o?» und sagte einer gleitigen Solothurner Kellnerin, die fragen kam, womit sie aufwarten könne: «Eh, bring afe e halbe Schoppe; mi cha de gäng no meh bifehle, we me no meh mangelt. Es macht heiß», sagte Anne Bäbi über den Tisch hinüber. «Ho, ja», sagte die Frau hinter dem Tisch, «wer ume het müsse laufen, wird gnug übercho ha; mir sy gritte, u do hets nit sövli gmacht.» «Ho, was selb ist, mir sy o gritte», sagte Anne Bäbi, nahm einen Schluck aus dem halben Schoppen, reichte ihn dann Jakobli und fragte die Kellnerin, ob ds Murer Vreni nicht dagewesen sei. Die Kellnerin wußte nichts von ihm.

«Das ist mr doch es Züg!» sagte Anne Bäbi, «lue doch a dyr Sackuhr, was hey mr für Zyt, Jakobli?» «Es ist halb zwölf, Mutter», sagte derselbe. «Nein, in zehn Minuten zwölf», sagte jenseits die Tochter und hielt lange die Uhr in der Hand, damit man sehen könne, daß sie recht habe. «Ho», sagte Anne Bäbi, «du wirst e alti Uhr ha, und die laufe geng vor; aber es ist allweg spät, und ih weiß nit, wo das Vreni bleibt, es ist sonst so exakt. Aber du wirst dZyberlibüri sy?» frug es die Frau. «Nit daß ich wüßte», sagte die Andere. Ob denn keine so da gewesen wäre, frug Anne Bäbi. Sie wüßte es nicht, sagte die Andere, sie kenn ke selligi, und so gwunderig sei sie nicht, daß sie alle nach dem Namen frage. Das sei ihm ein schießigs Zeug, klagte Anne Bäbi, es wisse nicht, was machen; oder ob es ächt am lätzen Orte sei, ob etwa noch eine Pinte auf dem Säumärit sei oder noch e angere Wirt da ume.

Ho, sie wisse es aparti nicht, sagte die Andere; aber es seien soviel Stübli und Pinten zringsetum, fast im e jedere Hus, und si wüß nit, wie me ere jedere säg, und denebe zuche ist no dr Hyrze. «Bist du de nit dZyberlibüri und das dys Meitschi?» «Nei wäger nit», sagte die Andere, «mein Mann ist Ratsherr, und wer weiß, was er noch wird; Gmeinschryber ist er scho, und zBern ist er grusam ästimiert, und wenn er allbets ychechunnt, es luegt alles uf ne. Sie hey scho mängist gseit, wenn einist die abgange, wo jetz an der Regierig syge, so müß er zuche, es schickte sich für kene bas als für ihn, er chönn alls und vrstang alls; us de Zytige chönn er längs Stück brichte, und im Große Rat stang kene uf, dem er zObe bim Storche oder bim Sterne nit chönn der Plätz mache.»

«Was frage ih dem nah», sagte Anne Bäbi, «wenn ih ume wüßt, wo ds Murer Vreni wär, syg de dy Ma Ratsherr oder nit. Wenn my Hansli wett, er chönnts o werde; aber öppis Narrs eso fragt er nüt nah, er het Witzigers z'tun. Bhüt Ech Gott und lebit wohl!» sagte Anne Bäbi und zog dem Jakobli voran zur Türe aus die Treppe ab und achtete sich der Reden nicht, die hinter ihm dreinkamen, zog von Stübli zu Stübli, von Pinte zu Pinte, vom Hyrzen zur Lilien, und nirgends fand es das Murer Vreni und nirgends die Zyberlibüri, und den Hansli vergaß es ganz und gar.

Anne Bäbi begann zu glauben, es sei verhexet, und als es nach langem Kreislauf in die Pinte auf dem Säumärit wiederkam und vernahm, daß alle dagewesen: das Murer Vreni und die Zyberlibäurin und Hansli, sein Mann, da glaubte es es ganz und gar und sagte, zSolothurn sehe man es nicht so bald wieder. Die Donners Kapuziner hätten ihm das angerichtet; die Ketzere seien schalus, daß es ihnen noch nichts zu verdienen gegeben. Aber zu denen hätte es keinen Glauben; wenn sie mehr könnten als andere Leute, so wüßte es nicht, warum sie nicht auch etwas gegen die Flöhe könnten, sie täten sie ja fast fressen, bsunderbar im Augsten.

Ärgerlich und bekümmert ging es zum Adler zurück zmitts über die Brücke und sagte dem Jakobli, er solle sich nur nicht fürchten und gut zmitts gehen und nicht links, nicht rechts sehen, so mache es am mingsten; man hätte kein Beispiel, daß, wenn einer zmitts geblieben, er drüberaus gefallen sei. Beim Adler fanden sie keinen Hansli, und niemand wußte etwas von ihm, nicht einmal der Stallknecht. Es wartete lange vor dem Hause in großen Ängsten. Wenn er schon alt genug wäre, um zun ihm selber z'luege, so wüß me doch nie, was es öppe gä chönn, bsungerbar am ene Märit.

Zum Kummer kam der Hunger. Öppis Warms nähms doch afe, sagte es. Aber es hätte gemeint, es wolle dem Hansli warten; es gehe miteinander und kost öppis minger, als wenn es jedes öppis Apartigs hätte. Für zwei Batzen Suppe wäre für ihrer drei hinreichend, und wenn sie hineingingen, so finde Hansli sie aber nicht, und es wisse kein Mensch, wenn sie wieder zusammenkämen. Indessen, die Sonne brannte, der Hunger stach, und beide trieben Anne Bäbi doch hinein, nachdem es dem Stallknecht grusam befohlen hatte, auf den Hansli zu luegen, er hätte eine weißlochtige Kutten an, eine weiße Kappe auf und Ringge uf de Schuhne und Knöpf unten an de Hosen. Sie aßen und tranken langsam, und Anne Bäbi balgete halblaut in einem fort bald über die Suppe, die zu dünn war, bald über das Fleisch, das zu hart war, bald über die kartholischi Chust, wo alles heyg, wes scho Bernerlüt syge hier, bald über Hansli, der nicht kam, oder über Maurer Vreni, das sich nicht sehen ließ; und Jakoblis Uhr zeigte bereits gegen vier, und noch saßen sie alleine. Da sagte ds Anne Bäbi, es halte es sy Seel nicht mehr aus; etwas müsse gehen. Sie wollten Hansli suchen, aber Jakobli sollte doch erst sehen, was dMähre mache; es wollte afange da füre auf die Brücke und luege, gäb Hansli nicht komme.

Jakobli mußte in den dunklen Ställen lange nach der Mähre suchen; endlich fand er sie in einer hintersten Ecke, und sie hatte auch Freude, als sie ihn sah, und rüchelete gar zärtlich. Da ging Jakobli zu ihr, um sie zu tätschien und zu sehen, ob sie noch etwas in der Krippe hätte. Aber ehe er dort war, stolperte er über etwas, und als er darnach griff, kam ihm ein Bein in die Hand; als er noch näher untersuchte, fand er ein zweites, und endlich tauchte von einer Strohburde neben der Wand empor eine ganze Gestalt, und die Gestalt war Hansli, und Jakobli mußte fry einen Gux auslassen vor Freuden, als er den Vater wiedersah, um den er wirklich eine viel größere Angst ausgestanden hatte, als er es sich hatte merken lassen. Sie wollten gerne fort, sagte Jakobli, und heim, ehe die Straße voll voller Leute wäre. He, sagte Hansli, dMähre werde gefressen haben, er wolle sie tränken und anspannen.

Jakobli lief, der Mutter des Vaters Wiederfinden zu verkünden; aber auf der ganzen Brücke war kein Anne Bäbi. Der Jakobli sah rechts, sah links, aber kein Anne Bäbi war rechts, war links; ihm ward seelenangst, er wußte nicht, was er denken sollte: war die Mutter ins Wasser gefallen, gestohlen worden, selbst fortgelaufen? Er frug hin und her, ob niemand sein Mütti gesehen, aber die Leute lachten ihn aus; die Einen frugen ihn, ob er saugen wolle, und Andere, ob sein Mütti aparti zeichnet sei, ob es Hörner hätte. Er wußte nicht, sollte er zum Vater laufen oder in die Pinte auf dem Säumärit; er hätte fast zu weinen angefangen. Endlich sah er sein Mütti beim Hyrzen um die Ecke kommen, und da wars ihm, als komme ein Engel vom Himmel, und mehr wohlete es der Hagar sicher nicht, als ein Engel ihr zu Wasser half, als es Jakobli wohlete, da er sein Mütterli wieder sah.

Wer etwas ängstlichen Gemüts ist, der weiß es, wie es einem so wohltätig durch die Seele fährt, wenn, nachdem man lange gewartet, innig sich gesehnt, die Hoffnung aufgegeben und wieder aufgenommen, hundert Möglichkeiten erwogen und wieder verworfen, die erseufzte Gestalt vor den Augen auftaucht, wie alles Bangen auf einmal untergeht, ein Genügen sich Platz macht, das Glück des Beisammenseins sonder Kluft und Hemmung aufgeht. Ein Vorwurf, der im Herzen verklingt, ehe er im Munde ist, ein vergnüglich Horchen auf die Antwort, die Begebnisse des zu spät Kommenden leiten über das Wiederfinden in das erwartete Glück hinein.«Aber Mütti, Mütti, wo läufst du doch herum und wolltest ja auf der Brücke warten?» sagte Jakobli. «He, du kamst so lange nicht; da dachte ich, der Säumärit sei nur da oben, und vielleicht sei Hansli dort. Er ist son e Gstabelige; wenn er einmal an einem Orte ist, so kann er nicht mehr fort. Aber er war nicht dort; wenn ich nur ums Himmelswillen wüßte, wo dä Gstabi ist.»

«Mutter, ich habe ihn gefunden!» sagte Jakobli, «im Stall neben dr Mähre het er gschlafe. Er het eine Burde Stroh in die Ecke gelegt, und weil er uns nicht gefunden, ist er dorthin ghocket und entschlafen, und fast gar bin ich über ihn gestürchelt, und als ich den Schaden umsah, ist der Ätti da.» «Da Donnstigs Schnürfli, was brucht dä ga z'schlafe am ene Märit! Es duecht mi doch, dä chönnt daheim gnue schlafe.» «Er hat nicht schlafen wollen», sagte Jakobli, «nur ein wenig abhocke, und jetzt spannet er an, und wir können fort.» «He nu so de», sagte Anne Bäbi, «es ist mir anständig, daß wir fortkommen; aber nadisch e Gnietige ist er, dr Ätti; mi sött geng uf ihn luege wie uf enes King.»

Innerlich wohlete es doch Anne Bäbi unendlich, aber sein Mund räsonierte fort, bis sie beim Adler waren. Es habens halt viele Weiber so: je wöhler ihnen etwas tut, desto mehr kifeln sie dabei, nur um nicht den Namen zu haben, als hätten sie Früheres vergessen, vergeben, als seien sie so recht zufrieden. Sie sind halt ans Verleugnen so gewöhnt, daß manche am hässigsten tun, wenn es ihnen im Herzen vor Freuden am lustigsten gramselt. So kifelte Anne Bäbi fort bis zum Adler, und immer heißer ward die Suppe, welche es dem Hansli anrichten wollte; aber vor dem Adler war kein Hansli mehr, war ihr Wägeli nicht mehr, und keine Mähre war mehr im Stalle.

Da vergaß Anne Bäbi das Kifeln, und große Angst um alle drei, um das Wägeli, um Hansli, um die Mähre faßte sein Herz, und hierhin und dorthin lief es, und alle Leute fragte es, ob sie keine Mähre gesehen hätten an einem Wägeli und auf demselben ihren Mann. Es sei mancher Mann auf einem Wägeli da durchgefahren, hieß es; aber ob das Roß eine Mähre gewesen, hätten sie sich nicht geachtet, und die mehrsten hätten Weibervolk bei sich gehabt. Da faßte erst rechte Angst Anne Bäbis Herz. Es sei doch keinem Donnstig z'trauen, gäb wie er ein Gstabi sei, brummte es und stürmte um so ängstlicher auf dem Platz herum, riskierte, von Menschen oder Vieh zertreten zu werden, bis ihm endlich ein Stallknecht sagte, es solle doch machen, daß es einem unter den Füßen wegkäme, es sehe ja, daß keine Mähre und kein Hansli mehr da sei.

Das fand endlich Anne Bäbi selbst am besten; aber sie kämen ihm nicht mehr nach, sagte Anne Bäbi. Wenn er einmal angefangen hätte, wüst zu tun, so sei er ein Utüfel gsi. Er werde einen genommen haben und sich nicht mehr besinnen, daß noch jemand bei ihm sei. Aber dem wolle es, wenn es wieder zu ihm komme. So schoß es durchs Tor und Jakobli hintendrein, durch die Vorstadt, und kein Hansli war zu sehen; durchs zweite Tor über die Brücke, und weithin kein Hansli mehr. Aber dort war ein Wägeli und an demselben auch eine Mähre, und beide waren akkurat wie ihre Mähre und ihr Wägeli; aber kein Hansli war dabei. Sie gschaueten beide wohl, und die Mähre kannte den Jakobli wieder und rieb ihm ihren Kopf am Leibe herum. «Es ist uf my armi üsi Rustig», sagte Anne Bäbi, «aber Herr Jemer, Herr Jemer, wo ist er? Son es Roß alleini z'la, u no drzu, wo alles kartholisch ist, wo es en iedere stehle könnte; er muß sturme a de Lebere sy und o gar nit meh wüsse, was er macht. Der ist beim Schieß vorausgelaufen, weil er gedacht hat, der Sami füttere ihm die Kühe nicht recht, und wird gedacht haben, er wolle uns das Wägeli da lassen, wir würden es schon finden. Wir wollen geschwind nach, weit kann er noch nicht sein.»

Gesagt, getan, Jakobli mußte mit, gäb wie er einwendete, er glaub nicht, daß dr Ätti voraus sei. Anne Bäbi nahm selbst das Leitseil und sagte: «Hü du!» Langsam ging der Zug vorwärts; erstlich pressierte Anne Bäbi nicht, zweitens pressierte die Mähre nicht, und drittens ging es bergauf, und alle Augenblicke stund Jakobli auf und sagte: «Ih gseh ne no nüt, und ih glaube nit, daß er voraus wäre ohne uns.» Sie waren bald oben; da stand die Mähre still, stellte die Beine auseinander und machte es sich behaglich, und Anne Bäbi sagte: «Hättest nit chönne warte bis daheime, du Uflat, und machst noch drzu e ganze Steinkratte voll!»

Unterdessen stand Jakobli wieder auf und sah um sich und rief plötzlich: «Dr Ätti, dr Ätti!» Und richtig, weit hintenher kam der Ätti, und weit um ihn her flatterten ihm die Hosen, und ganze Wolken Staub sprengte er auf mit seinen Schuhen; so hatte den Hansli noch niemand laufen sehen. Man glaubte nicht, wie es Anne Bäbi wohlete, als es ihn endlich wieder sah nach so manchen Stunden und so bangem Suchen; aber es griff ihn doch an mit scharfer Rede: «Wo zum Tüfel gheyst du desume?» «Öppe viel gmacht ist es nicht», sagte Hansli, «z'fahre und mi dahingerla.» «He», sagte Anne Bäbi, «es ist niemere zSinn cho, daß du noch hingernache seiest; wir glaubten, du seiest voraus.» «Öppis Dummes eso!» sagte Hansli. «He, sövli dumm ist das nit, als ds Wägeli im Stich zu lassen und wieder i dStadt z'laufe, wo d erst use gfahre bist, es weiß ke blütige Mensch, warum und mit wem?» «He», sagte Hansli, «warum? Sie wollten mich vor dem Adler nicht dulden; ich sei allen im Weg, sagten sie, und hier fuhr mir einer ans Wägeli und dort einer; ich war nirgends sicher. Da fuhr ich in die Vorstadt, und dort ging es mir auch so, und da fuhr ich bis hieher, und da sah ich, daß ich keine Geisel hatte, und da lief ich zurück, sie zu suchen, und dachte, ich könnte zugleich euch sagen, daß ich da außen sei. Und habe lange euch auf der Brücke gesucht; aber so gehts, wenn man geng am ene angere Ort ist, als me gseit het.»

«He», sagte Anne Bäbi, «wo sind wir anders gewesen, als daß wir dich gesucht? Und warum bist du immer gewesen, wo wir nicht waren?» He, sagte Hansli, er sei nirgends anders gewesen, als wo man ihm gesagt habe, daß er sein solle; aber wenn er gekommen sei, so sei niemand mehr da gewesen. «Wer hätte immer den ganzen Tag auf dich warten können?» sagte Anne Bäbi, «mehr als eine Stunde haben wir in der Pinte auf dem Säumärit gewartet, und du kamest nicht.» «Was kann ich dafür?» sagte Hansli. «Lange wollte mir niemand auf mein Garn bieten; es sei verdreht, sagten alle.» «Das ist eine vrfluchte Lugi», rief Anne Bäbi, «das habe ich ja selbst gesponnen!» «He nu», sagte Hansli, «so hey sie emel gseit.» «Ke Strange tue ih meh zSolothurn uf e Märit», rief Anne Bäbi, «ih will nes reise, dene Kartholische! Jawolle, mys Garn vrdreht! Si wäre froh, wenn im ganze Biet Eini spinne könnte wie ich, die Ketzere!»

«He nu», sagte Hansli, «sie sagten es mir einmal so. Wo ich es endlich verkauft hatte, konnte ich längs Stück den Säumärit nicht finden; ih ha möge gah, wo ih welle ha, su sy Säu gsi; es het mi duecht, die ganze Stadt syg voll Säu. Du han ih endlich e Frau gseh, und es het mi duecht, die meins gut, und die han ih du gfraget, und die het mi du greiset; aber da ist niemere meh da gsy; und als ich nach dir gefraget, sagte man mir, es sei Eine da gewesen mit einem halbblinden Bub, die immer nach dem Maurer Vreni und nach der Zyberlibüri gefragt heyg, aber die sei längstens fort. Da bin ich zur Mähre gegangen; umelaufe, dachte ich, trage nichts ab, und auf der Gasse stehn habe ich auch nicht mögen.»

«Aber schlafen hättest du nicht sollen; das ist schuld daran, daß wir uns so versäumt haben. Meiner Lebtag gehe ich nicht mehr nach Solothurn. Nichts als Verdruß habe ich gehabt, und die Beine wollen mir abfallen vom Umherlaufen; und dann Steine haben sie in den Straßen, sie sollten sich schämen ins blutige Herz hinein; und dann sind wiederum Löcher, wenn man in eins fiele, mi hätt fast e ganze Tag, bis me wider fürechäm. Und daß wir die Zyberlibüri nicht angetroffen, das macht mich ganz lätz. Was wird die denken?»

Nun hielt Anne Bäbi inne und erwartete die Frage, was die Zyberlibüri ihns angehe; denn nicht einmal ihr Name war bis dahin in ihrem Hause bekannt gewesen. Da Hansli kein Wort antwortete, so sah Anne Bäbi hinter sich und erschrak ganz schrecklich, als Hansli ganz weiß war und sagte, es werde ihm neue wunderlich; wenn er ume ein wenig Wasser hätte. Im Solothurnerbiet ist man um solches selten lange verlegen, und Hansli erholte sich bald wieder. Er werde neuis Vrflümerts gegessen haben, sagte Anne Bäbi; er nehme doch dann alles, was zum Maul ein möge, und an fremden Orten könne man sich nicht genug in acht nehmen, bsunderbar zSolothurn. Er hätte seit heute morgen noch gar nichts gehabt, sagte Hansli. «Aber Herr Jemer, du einfalte Tropf, warum gehst du nicht und nimmst etwas?» sagte Anne Bäbi, «es ist nichts so Ungsüngs als son e leere Mage.» «He», sagte Hansli, «ih ha neue nit eleyni möge, und zletzt han ih du neue nit dra gsinnet; es ist mr du gsi, we mr ume hey wäre.» «Du bist geng der dümmst Hung, wos git», sagte Anne Bäbi, «öppis eso ga z'vrgesse. Aber jag dMähre e wenig; we sie scho e wenig springt uf heyzu, es macht nüt. Mir wey im nächsten Wirtshaus einkehren; daß du vom Solothurner Märit ungesse und untrunken heimkehrest, selb nit. Es chönnt di ja töde, und wenns dLüt vrnähmte, so chönnte si ja meine, ich gönnte dirs nicht. Hü, Mähre! Hü! Spring e weneli, du chast de morn leue!» Die Mähre humpelte recht schön auf ihre Art, und schon sah man das Türmchen, wo nahe dabei das Haus stand, in welchem Anne Bäbi ihren Hansli erquicken wollte.

Es war noch heiß, viel Staub auf der Straße, und vor ihnen gingen Zwei, ein kleiner Bube und ein größeres Mädchen; der Bube heulte laut auf, das Mädchen aber weinte leise, tröstete dazu, so gut es vermochte, wollte den Jungen tragen und vermochte es kaum, wollte ihm Schuhe und Strümpfe abziehen, und er wollte kein Bein machen. Da stand das Mädchen in der bittersten Verlegenheit am Wege, und als die Mähre daher zottelte und der Kummet auf ihrem Halse so rührend herumhumpelte, sah es gar bittend nach dem Wägelein, aber kein Wörtchen vermochte es zu sagen; der Bube hingegen schrie: «Reiten will ich, reiten!»

Anne Bäbi hatte das Leitseil wieder, weil es Hansli übel war, und den Kopf voll Sachen, daß es sich des Brülls nicht achtete, sondern zufuhr. «Mutter, los, wie der brüllet! Was haben sie wohl?» sagte Jakobli. «Meinethalb, was sie wollen», sagte Anne Bäbi, «was gehts mich an!» «Mutter, halt doch still, das ist was Unguts; hör doch, wie der Bub brüllet!» «So brüll er mira; mi hätt wohl viel zu tun, wenn man allemal stillehaben wollte, wenn ein Bub brüllet. Und de ists mir vo wegem Ätti, der hat heute noch nichts gehabt», antwortete Anne Bäbi. He, e Stung uf oder nieder, darauf komme es ihm nicht an, sagte Hansli, und Jakobli machte Anstalt, ab dem Wägeli zu springen. Das stellte Anne Bäbi. «Ohä, du Uflat, wart doch, Bub! Wottsch warte oder nit, wottsch stillha oder nit, du More!» schrie sie und zerrte an der Mähre aus Leibeskräften und brachte doch nichts an ihr ab, bis Hansli zu Hülfe kam.

Als das Mädchen sah, daß man seinetwegen hielt, kam es herbei und trug demütig seine Sache vor. Es hätte auf Solothurn müssen zu den Kapuzinern; sie hätten schon lange nicht mehr anken können, und die hätten etwas, das bsunderbar gut wäre dafür. Da hätte der Bube auch mitwollen, weil er noch nie in Solothurn gewesen; sie hätten ihm gesagt, er möge nicht laufen, aber er hätte es zwängt. Schon hinein sei es bös gegangen, und jetzt erst wolle er nicht mehr laufen. Es hätte ihn getragen, aber es hätte selbst die Füße voll Blatern; es sei an die Lederschuhe nicht gewöhnt, und es wüßte weiß Gott nicht, wie heimkommen; es mache ihm grusam Angst.

So erzählte das Mädchen, und unterdessen sah Jakobli, wie es so freundliche blaue Augen hatte und einen Mund wie eine Kirsche und Backen, daß es ihn dünkte, er möchte dareinbeißen, und Züpfen, es het ne duecht, syn Lebtag hätte er keine solche gesehen; sie sind lang gewesen und dick und wie die schönste gelbe Seide. Kleidlein hat es schlechte angehabt: ein dünnes Kitteli, ein grobes Hemmeli, ein schlechtes Schaubhütli; aber alles ist ihm wohl angestanden, daß man hätte glauben sollen, wie köstlich es sei. Und Jakobli hätte noch lange zugehört, wenn das Meitschi noch lange geredet hätte, und an des Ättis Hunger hätte er nicht gesinnet. Aber das Meitschi schwieg, und Hansli sagte: «So gib ne!» und setzte den Buben hinter sich ins Wägeligestell, und Anne Bäbi sagte ungheißen: «Hü, mir wey doch nadisch nit auf der Straße übernachten; wenn d e wenig springst, su mast is sauft nah.»

Die Mähre setzte zum Lauf an ungefähr wie ein Storch zum Fliegen, und Jakobli stach es wie mit Gufen auf seinem Sitz: das Meitschi hätte Blatern an den Füßen und möge nicht nach. Er wolle eher selbst ab, er möge wohl laufen bis da, wo sie einkehren wollten, es tue ihm nur wohl, und dann könne das Meitschi reiten. «Warum nicht gar, das wär mr afe lustig, we me es Fuhrwerch het, daß me de laufe wett und angeri ließ ryten; da käme man ja i dBrattig!» meinte Anne Bäbi. «He», sagte Hansli, «es kann ja da neben mir stehen; es hat Platz, und dMähre mag uns sauft.» «Warum nit gar!» sagte Anne Bäbi. «Hü, du schießige Stopfe, wottsch nit fürers?» Aber Hansli hatte das nicht gehört, sich umgedreht und dem Mädchen einen Wink gegeben, es solle kommen und hinten aufsteigen. Es sei uverschant, sagte das Mädchen; aber die Freude leuchtete ihm doch aus den Augen wie junges Morgenrot, und es begann das Klettern hintenauf, und Jakobli sagte: «Häb doch still, Mutter, das Meitschi könnte fallen!» «So fall es, wenn ich doch nichts mehr zu sagen haben soll!» sagte Anne Bäbi, und eher hätte man ihr den Kopf abgerissen, als daß man es zum Stellen der Mähre bewogen hätte.

«Wo chunnst her?» fragte Hansli das Mädchen. Es komme von Raxigen, gab das Mädchen Bericht; sonst sei es zu Hudelbank daheim. Aber es sei ein armes Waisli; Ätti und Mütti seien ihm gestorben, und da hätte sein Götti zu Raxigen es zu sich genommen dr Gottswille. «So kann man es machen, und zletsch hat man des Tüfels Dank davon und des Tüfels Vrdruß zu allem Schaden, wo man hat», sagte Anne Bäbi. Es hätte es nicht im Sinn, sagte das Mädchen, und werchen tue es, daß es meinte, großen Schaden hätten sie nicht an ihm. «Du wirst auch nicht besser sein als die Andern», sagte Anne Bäbi. Darauf antwortete das Mädchen nichts; aber das Wasser stund ihm hoch in den Augen, und die Andern sagten auch nichts.

Jakobli hätte gerne etwas gesagt, aber er wußte nicht was; denn es war ihm, als hätte das Mädchen ein Fenster vor der Brust, und als sehe er durch dasselbe, wie die Rede der Mutter das Mädchen daure, und wie es jetzt denke, wie bös es es hätte, und wie fleißig es sei, und doch hätte man ihm das dr Gottswillen immer für; und jetzt reite es auch dr Gottswille, und dafür gebe man ihm schnöde Worte und trumpfe es ab. Es sei doch auch nicht recht, daß man von Gottswillen sage, und plage einem dafür vom Tüfel, und es nehme ihns doch wunder, wie das der liebe Gott ansehe. So müßte das Meitschi denken, dachte Jakobli, und es dünkte ihn, als rege es sich in seinem eigenen Herzen wie Haß gegen die Mutter, und als müßte er ihr auch etwas sagen.

Aber er sagte es ihr doch nicht. Denn während dem Schweigen spürte er erst recht, daß das Mädchen hinter ihm stand, daß es die Hände hinter seinem Rücken auf der Sitzlehne hatte. Das machte ihm gar wunderlich; er drückte mit dem Rücken an die Lehne, um die Hände zu fühlen, und doch nur leise. Denn einmal hatte das Meitschi bei dem Druck geglaubt, es sei ihm im Weg, und hatte die Hand weggetan. Aber gäb wie leise er die Hände auch drückte, so gramselte es ihm doch den Rücken auf, den Rücken ab, und im Gesicht ward es ihm so warm und im Herzen so wohl; und es dünkte ihn, als müßte er dem Mädchen etwas sagen; allein weil er nicht wußte was, so blieb er stillesitzen, und die Hände an seinem Rücken strömten durch seine halbleinene Kutte einen sanften, stillen Strom durch sein ganzes Wesen, daß er alles vergaß und selig lebte, und als Anne Bäbi vor dem Wirtshaus an der Mähre riß und «Ohä!» sagte, da war es Jakobli, als erwache er aus seligem Schlafe, als falle er vom Himmel auf die Welt. So wunderlig und doch so wohl sei ihm sein Lebtag nie gewesen; wenn es ihm nur immer so wäre, dachte er.

Sie stiegen vom Wägelein, das Mädchen auch, und Jakobli konnte am Meitschi sich nicht satt sehen; es war ihm, als sei vorhin noch ein Umhang vor dem Meitschi gewesen und sehe er jetzt etwas, was er sein Lebtag noch nie gesehen. Von wegen Jakobli hatte gar still gelebt, und seine Gedanken waren nicht über Schafe und Tauben und Hühner hinausgegangen, und mit Meitschene hatte er nie das Geringste gehabt weder mit Gedanken noch mit Worten. Darum erfuhr er auch, was eine Meitschihand für eine Gewalt hat selbst durch eine Halbleinkutte hindurch, so wie ein elektrischer Strahl auch durch Wasser fährt und Feuer und Flammen zeuget, wo er aufs rechte Metall schlägt. Er sah das Meitschi an mit seinem einen Auge und stand da wie ein Ölgötz, der nicht reden kann, und dem kein vernünftiger Mensch einen Gedanken zutraut. Und einen solchen hatte er wirklich nicht, bis daß das Mädchen sagte, es danke ihnen zum allerhöchsten, und den Buben vom Wägelein heben wollte; da dünkte es ihn, er müsse reden, aber eine unsichtbare Gewalt hielt ihm die Stimme zurück in ihrer dunkeln Kammer, auch nicht eines Lautes war er mächtig.

Da brüllte der Bube und schlug mit Händen und Füßen drein, er wolle nicht laufen, er wolle reiten, und das Mädchen versuchte umsonst die zärtlichsten Worte an ihm. Hansli war mit der Mähre und ihrem Sacke in den Stall gegangen. Anne Bäbi stund auf der Bsetzi, und es dünkte Jakobli, es wolle ihm das Herz zerreißen, und er wußte nicht, warum, und reden konnte er nicht.

Da kam Hansli aus dem Stalle, und als er das Brüllen und Ringen am Wägeli sah, sagte er: «He, la du ne sy und wart e wenig, und de chast no e Stung ryte, u de syt dr grad daheime; de man er de sauft laufe.» Das Meitschi, welches das Weinen wieder zuvorderst hatte, sagte, es wisse nicht, wie machen; es sehe wohl, es bringe ihn nicht fort, und doch, wenn es so spät heimkomme, so werde es grusam balget, und man glaube ihm nicht, wenn es sage, was gegangen sei. «Das sumt di nüt», sagte Hansli, «wir machen nit lang, und wenn d is wartist, so bist so früh, als wenn d laufist.» «Dankeigist du», sagte das Meitschi, «aber es ist unvrschant, und wenn ih heichume, so weiß ih wohl, daß ih doch de a allem soll dSchuld sy.»

Da rief Anne Bäbi von der Bsetzi, ob sie nicht kommen wollten; dä Weg kämen sie nie heim. Unterwegs brummelte es halblaut zu ihnen, sie sollten doch das Möntschli und dä Brüli la gheye, sie gange se ja nüt a, und dr Mähre gang es um so gnüger.

Drinnen waren viele Leute, von denen es wohl keiner hatte wie Hansli, der noch nichts gehabt hatte; die meisten waren des Zufüllens halber da. Es geht nämlich vielen Menschen so, wie es allen Fässern geht. Wenn man Fässer füllt und dann mit dem Hammer auf die Reifen mächtig schlägt, so setzt sich der Wein, und man kann nachgießen, und schlägt man noch einmal tüchtig, so kann man noch einmal nachgießen, aber nur ganz wenig; meist gießt man zuviel, und es läuft über. Hat nun Einer an einem Markt genug getrunken und setzt sich auf sein Wägelein, so rüttelt das ihm den Wein runter, und wo es leer geworden ist, da wird es auch trocken; es entsteht Durst, es muß wieder zugefüllt werden, einmal, zweimal, je nachdem weit die Reise geht und die Reife zusammengerüttelt werden; aber verdammt in acht muß man sich dabei nehmen. Denn, wie gesagt, es läuft gerne über.

Kybig saß Anne Bäbi da; aber besonders wohl war es Hansli. Wer niemals einen Tag lang nichts Warmes gehabt, der wisse nicht, wie wohl es einem dueche, wenn er einmal dazu komme; er hätte es niemere glaubt, sagte er. Suppe packte er ein, Anne Bäbi sagte, es hätte es nie so gesehen, und das Fleisch hieb er in der Mitte durch, nahm die eine Hälfte und sagte dann: «Näht, wenn dr meut!» Jakobli aber war es unwohl; es fehlte ihm etwas, er wußte nicht was. Alle Augenblicke mußte er hinaus, um nach der Mähre zu sehen, und wenn er dann das Mädchen noch dasitzen sah, so duechte es ihn, es gehe der Mähre nit übel; aber kaum war er wieder drin, so ward ihm wieder angst um die Mähre. Anne Bäbi sagte, das sei ihm doch afe es Gläuf; er söll doch einist blybe hocke und essen, bis sie fort wollten. Der Stallknecht gefalle ihm neue nüt, sagte Jakobli, und es wäre doch lätz, wenn dMähre ihri Sach nit überchäm. «U wenn», sagte Anne Bäbi, «sie het dr ganz Tag chönne fresse; warum het si nit gno! Iß auch und trink, wir wollen nicht umsonst da sein.» Er möge neue nit, sagte Jakobli.

Es war ihm wirklich, als wäre ihm der Wein fast zwider, und es duechte ihn, wenn er ihn nicht trinken müßte, er wollte fry einen Batzen geben. Zuschanden wollte er ihn nicht gehen lassen, er könnte ihn ja dem Mädchen draußen bringen, das so fleißig Wasser ab der Brunnenröhre trinke und sicher Wein nähmte, wenn es ihn hätte. Aber wie ihn bringen? Das war über Jakoblis Kräfte. Er hatte es noch niemand gebracht, am wenigsten einem Meitschi. Er gehörte nicht zu denen, die meinen, wenn man sie in einem Wirtshause nicht allein höre, so sei es eine Schande für sie. Je strenger ihn Anne Bäbi nötete, um so übler schien ihm der Wein zu machen. Da sagte Anne Bäbi: «He nu so de, gschände wollen wir ihn nicht, ich will ihn nehmen.» Kaum aber war das Glas leer, so duechte es Jakobli, er möchte wieder.

Jakobli aß ein Stücklein Fleisch und sagte, das hätte ihm wohl gemacht, aber durstig; es dueche ihn, er möchte wieder trinken. «Es hat mich doch duecht», sagte Anne Bäbi und schenkte voller Freude Jakobli ein Glas voll ein. Aber kaum hatte derselbe angesetzt, so setzte er wieder ab und sagte, der Wein hätte eine so arigi Chust; es dueche ihn, wenn sie eine Halbe bessern hätten, er möchte. «Es duecht mich, da täts», sagte Anne Bäbi. «He, we er ne nit trinke mag», sagte Hansli. «He nu», sagte Anne Bäbi, «mir ists recht; mi cha de dyne dem Stallknecht gä, dä nimmt ne scho.» Und wenn man vom Wolfe redet, so ist er nicht weit. Der Stallknecht aber kam gerade herein, und Anne Bäbi griff rasch auf Jakoblis Glas und rief: «Chumm, es gilt dr!» Der machte nicht lange Umstände, umklafterte das Glas mit weiter Hand: «Gsundheit, es gilt dr ume!» «Mach us, mach es früsches!» Und vor Jakobli hin stellte der Stallknecht das leere Glas, als soeben die Stubenmagd eine frische Halbe brachte.

Der Stallknecht hatte Jakoblis Wein getrunken; alle seine Ränke hatte Anne Bäbis Raschheit mit dem Schwerte zerschnitten, und hülflos saß er da; mutlos antwortete er, als Anne Bäbi ihn fragte, ob der gut sei: «Er duecht mi emel besser, aber ich hülfe austrinken und gehen.» Das pressiere nicht sövli, sagte Anne Bäbi; es wisse niemand, wann sie wieder so beisammen wären, und wenn man einmal dabei sei, so komme es nicht darauf an, ob eine Stunde mehr oder weniger. Da dünkte es Jakobli, die Mutter tue ihm doch expreß alles zleid, was sie nur könne. Er hätte es nie geglaubt, wenn er es nicht erfahren, wie sie es eigentlich mit ihm meine; und wenn er nur wüßte, wie machen, so wollte er ihr zeigen, daß sie doch nicht alles zwängen solle.

Während es so innerlich in Jakobli kämpfte, stand Hansli auf, und als er wiederkam, kam das Meitschi hinter ihm drein und hatte die eine Hand im Gesichte, und mit der andern wußte es nicht, wohin, und Hansli sagte: «Seh, tue Bscheid!» Da war es Jakobli, er wußte nicht wie; es flimmerte ihm vor den Augen, und als das Mädchen mit ihm Gesundheit machen wollte, da konnte er fast nicht vor innerer Angst und Freude, und es war akkurat, als ob er es ungerne täte. Als Hansli das Mädchen austrinken hieß, fragte es, ob es den Rest nicht dem kleinen Buben bringen dürfe. Er täte ihm auch wohl, sagte es, und er hafte dann um so besser bei ihm. «Wie d witt», sagte Hansli. «DMähre hat us, dr Stallknecht tränkt; ih ha däycht, er chönni gleich anspannen», sagte Hansli. «Du hast doch ein Pressier», sagte Anne Bäbi, «ich weiß gar nicht, was das bedeuten soll!» Aber Jakobli dünkte es, er hätte den Vater noch einmal so lieb, und er hätte ihm gern ein Müntschi gegeben, wenn er nur gewußt hätte, wie machen; denn er hatte ihm bei seinem Wissen noch nie eins gegeben.

Als das Mädchen wieder hereinkam und das Glas brachte, wollte Anne Bäbi nicht das mindere sein und zeigen, daß es so gut über den Wein zu regieren hatte wie der Hansli, und nötete das Meitschi noch zu einem Glase und sagte: «Nimm ume, nimm, du magst sauft; es hätt nit es n iederes a dä Gränni dusse däycht.» Da dünkte es Jakobli, er möchte der Mutter auch ein Müntschi geben; das sei bravs von ihr, und sie sei doch eigentlich nicht halb so wüst als er gedacht, und meine es mit ihm nicht so bös. Aber was Jakobli alles dachte, das sah ihm kein Mensch an. Das Meitschi tat so styf und manierlich, daß es selbst Anne Bäbi nicht übel gefiel und es frug: «Wie sagt man dir eigentlich?» «Man sagt mir nur Meyeli», sagte es, «aber eigentlich heiße ich Maria Lieblig.» «Das ist e arige Name», sagte Anne Bäbi, «den habe ich noch nie gehört.»

Draußen hatte Jakobli wieder den Ätti so lieb; es duechte ihn, er sollte doch müde sein und sollte hocken auf den Sitz; er selbst könnte hintenauf stehen. Zwar war er so wohl gefahren, als das Meitschi hinter ihm stund; und noch einmal so zu fahren, das, duechte ihn, wäre fast wie der Himmel. Aber er überwand sich, stieg zuerst übers Rad hinten aufs Wägeli, und als das Hansli sah, sagte er, es sei ihm graglych, es sei ihm so wunderlich in den Beinen, fast wie wenn sie gstabelig werden wollten. Als alle oben waren, war Meyeli noch unten, und der etwas munter gewordene Hansli sagte: «Seh, Meitschi, mach, daß du hinaufkömmst!» Es möchte jetzt wohl laufen, sagte es. Das dünkte Jakobli grusam; er meinte, es schäme sich, neben ihm zu stehen. «Seh, chumm!» sagte Hansli. Da setzte Meyeli zwei-, dreimal an und tat sehr uwatlich, ehe es oben war. Jakobli tat gar nicht, als sehe er es, und doch wäre dem Meitschi mit einer einzigen raschen Handbietung geholfen gewesen. Das sei e hochmütige Kerli, dachte das Meyeli; es tät dem doch wohl, ihm es Brösmeli z'helfe; es würde seiner Hübsche dabei nicht viel abgehen.

Indessen hatte das gute Herz diese Regung vergessen, sobald es oben war, und glaubte, für sein Unverschantsein sei eine Entschuldigung nötig, damit der Kerli nicht höhn sei, daß es da neben ihm stehe. Es sei öppe nit gwohnt z'ryte, aber dr Fuß tue ihm grusam weh; nit, daß es nicht gewohnet sei z'laufe, aber dStrümpf und dSchuh maches; er solle luegen. Somit zog es einen Schuh aus – des Strumpfes hatte es sich schon vor dem Wirtshaus entledigt – streckte seitwärts gegen ihn hin unter dem Kittel hervor einen kleinen braunen Fuß, und auf jedem der fünf niedlichen Zehen quoll eine zornige, weiße Blase auf, weil der verknorzete Schuh eines Dorfkünstlers schlecht paßte zu dem Füßchen, wie es sein sollte, und welches Gott selbst geformt hatte.

Jakobli war ganz verlegen, vergaß sich fast ob dem Füßchen, welches er ansah, und antwortete, als das Mädchen ihn fragte: «Gsehst se?», «Ja, ih ha o scho gha und no größere.» Da meinte Meyeli, der Kerli meine, es sei nicht dr wert, so nötli z'tue und nit möge z'laufe, zog rasch sein Füßchen zurück und dachte bei sich: «Das ist mr doch dr Wüstist! Es ist gut, daß es nicht auf den ankömmt, sonst müßte ich vom Wägeli herab und könnte sehen, wie ich nachkäme; der lacht mich nur aus, und tun die Füße mir doch so weh. Aber wer glaubt nur auch, wie es mir ist, und wem darf ichs sagen?» Und die Wehmut kam wie eine düstere Wolke und verhüllte seine Seele, daß es fast vergaß, wo es war.

Unterdessen hatte vornen auf dem Sitz sich ebenfalls ein Gespräch angesponnen. Der durch den so selten ihm werdenden Wein gesprächiger gewordene Hansli hatte gefragt: «Was hest mit dr Zyberlibüri? Ih chenne die nüt.» «He, du wirst es wohl wissen!» sagte Anne Bäbi, ebenfalls nicht zur Heimlichkeit gestimmt, sondern froh, eines Geheimnisses sich zu entladen. «Es hat mir niemere nüt gseit», antwortete Hansli. «He nu», sagte Anne Bäbi, «es ist müglich; aber du weißt, daß brühmt Lüt grate hey, wenn Jakobli wybi, su werds ihm bessere.» «Öppis Narrs eso!» sagte Hansli. «He wohl, freilich», sagte Anne Bäbi, «aber du achtest dich selbigem nicht und bist grusam vergeßlich; wenn ich nicht an alles sinnete, es weiß kei Mönsch, wie es ging. Da kein Zeug helfen will, so habe ich gedacht, es müsse doch sein. Da ist mir ds Zyberlibüris älteste Tochter auf dem Zyberlihoger grusam gerühmt worde, und die hat kommen sollen heute zum Wirt auf den Säumärit, und da hätte man luegen wollen, ob da öppis z'mache sei. Es solle eine grusam Brave sein und eine Werchbare, und Mittel solle sie auch haben; gerade so eine wäre am schickigste für e Jakobli. Er sei grusam e Wüste, und da könnte er doch Freude haben an einer hübschen Frau.» Wider ds Wybe hätte er nichts, sagte Hansli; das sei ihm öppe graglych, ob eine mehr oder eine minder; aber es dueche ihn, es sollte öppe eini i dr Nächtsami z'ha sy; er hätte immer gehört, nüt zämezellt, mit Kühne, die man auf dem Märit kaufe, sei man immer bschisse.

Diesmal wäre es ihm nicht so gegangen, sagte Anne Bäbi; es hätte zu guten Bericht; aber ds Ungfäll hätte wollen, daß sie nie zusammen kämen; es glaube noch jetzt, sie seien verhext gewesen. Es hätte wahrscheinlich so sein sollen, sagte Hansli. «Öppis Dumms eso!» antwortete Anne Bäbi. Natürlich ging von diesem Gespräch für die hintenauf Stehenden kein Wort verloren, machte aber auf beide einen ganz verschiedenen Eindruck. Jakobli wußte von dem Projekt so wenig als Hansli. Mädi war abgeschreckt worden, und Anne Bäbi in seiner Geschäftigkeit, in seiner Befangenheit, in seinen Gedanken, hatte gar nicht daran gedacht, ihm etwas davon zu sagen. Wem das Wyben so auf einmal vor den Füßen liegt wie ein schöner See an heißem Sommertage, ein lustig sprudelnder Quell in grüner Waldesnacht, wem geht da nicht die Lust auf, wer stürzt sich nicht in die tanzenden Wellen zu plätscherendem Gekose?

So rieselte es auch freundlich und wunderlich durch Jakobli, der zum erstenmal hörte, daß er wyben solle. Seitwärts sah er die gelbseidenen Züpfen, die runden braunen Arme, die lieblichen Backen seiner Gefährtin. «Ja, so eins», dachte er, «so eins möchte ich wohl; aber selliges nimmt mich nicht. Es gibt mir ja kein freundlich Wort und schämt sich, neben mir zu reiten; es luegt ja nicht einmal nebe ume.» Allerdings achtete sich Meyeli des Weges und seiner Umgebung wenig; das vor ihm geführte Gespräch hatte ihns noch wehmütiger gestimmt. «Ach, ich bin ein armes Waisli», mußte es immer denken, «mich schätzt niemand.» Kaum merkte es, wo der Weg nach seinem Raxigen abging, und wenn Hansli nicht gefraget hätte: «Wottsch da abe?» es hätte ihn verpaßt. Meyeli dankte gar herzlich fürs Reiten, und dem Jakobli gab es noch die Hand, sagte: «Zürn doch recht nüt!» und ging mit dem hinkenden Buben seiner Wege. «Aber warum bin ich gegangen und habe dem Muggi die Hand gegeben, was ist mir auch angekommen?» dachte es. «Und was hat er mir gesagt? Nichts hat er gesagt als: ‹Ich wüßte nicht warum›, und vorher nichts und nachher nichts. Ich bin gleich reuig gewesen; aber es ist mir so angekommen, ich weiß nicht wie; aber ein andermal kann er lange warten. Aber was werden sie sagen daheim? Die werden afe wüsttun.» Nun nahm die Angst seine Gedanken gefangen und jagte seine wunden Füßchen.

«Zürn doch recht nüt, hat es gesagt», dachte Jakobli. «Was hat es damit gemeint, was habe ich zürnen sollen? Spöttisch waren die Worte nicht gemeint; es hat mich so lieblich angesehen und son es freundlich Mieneli gmacht, ich habe noch nie so es liebligs gseh. Warum hat es gemeint, ich könnte zürnen? Ich habe ihm doch nichts Leides gesagt? Nichts habe ich ihm gesagt, und darum wird es gemeint haben, ich sei höhn; und alle haben es ihm gebracht, nur ich nicht, und wo es mir gesagt: ‹Zürn doch recht nüt!› so habe ich nur so gmürmt, ich wüßt nicht warum, und drvor nüt und drnah nüt. Was wird es auch von mir sinnen und denken; was wird es auch meinen, was ich für einer bin; was wird es von mir sagen?»

Schwerer und schwerer fiel das dem Jakobli aufs Herz; er wäre abgesprungen, wäre dem Mädchen nachgeeilt, hätte ihm gesagt, es solle doch recht nicht zürnen; er sei kein Redi, und Sauersehn sei seine Freundlichkeit; er meine es aber daneben nicht bös. Aber wo hätte er das Herz dazu nehmen sollen, und was hätten die Leute dazu gesagt? Wie ein helles Bild stund das Mädchen mit dem gelben Haar vor seiner Seele; er fühlte dessen Hände hinten an seiner Halbleinenkutte, sah dessen zutraulich Füßchen, hörte sein lieblich «Zürn doch recht nüt!» und die Hand gab es ihm noch dazu; und jetzt war das Mädchen fort, und sein Lebtag sah er es kaum wieder, konnte ihm nie sagen, daß er es nicht bös meine; und das Mädchen hatte es bös, und er konnte ihm nicht helfen, und es ward vielleicht unglücklich, und er vernahm es nicht, sah es sein Lebtag nie wieder.

Da ward ihm bitter weh im Herzen; so weh tat es ihm nicht, als er die Blattern hatte, als er das Auge verlor, als die Leute sagten, so einen Wüsten hätten sie nie gesehen; es wollte ihm das Herz zerreißen, bald hätte er laut aufschreien, bald sich im Stillen so recht satt weinen mögen. Es war ihm, als sei in der Welt alles untergegangen, die Menschen, die Sonne, der Mond und die Sterne, und als sei er einzig noch übrig auf einem großen, großen Berge, und um ihn sei Nacht, und unter ihm rausche ein schwarzes Meer, und es stehe weder die Sonne mehr auf noch der Mond, sondern er sei da in ewiger Nacht, und keine Stimme sage ihm mehr: «Zürn doch recht nüt!» und keine warme Hand lege sich mehr in seine, und keine Augen blickten ihn mehr an; sondern er sei da verbannt, fern von Menschen und fern von Gott, in eine schwarze, dunkle Hölle für sich alleine und für immerdar.

In sein Elend versunken, merkte er nicht, wie sie heimkamen, wie man dem Sami und dem Mädi rufen mußte, wie die schnöde Gesichter machten und schnöde Worte brauchten. Er sagte, er sei grusam schläfrig und neue nit am besten, und suchte alsobald sein einsames Lager. Da ward er erst so recht elend, je schöner das Meyeli vor seinen Augen stand; er weinte bitterlich, und in Tränen schlief er ein. Und die Tränen wurden ihm zu Sternen, und heller ward es wieder vor seiner Seele; und nach den Sternen ging die Sonne auf, und am jungen, schönen Morgen sah er, wie ihre braune Mähre schön gestriegelt ihn und Meyeli in die Welt führte. Beide saßen auf dem Sitze; schöne Kränzchen hatten sie auf, schöne Meyen an der Brust; und Meyelis Gesicht war schöner als der schöne Morgenstern, und seine Haare waren schöner als Silber und Gold, und in seinem Herzen war der Himmel; und es war ihm, als wäre er mitten in der Herrlichkeit Gottes, für die der sterbliche Mensch sonst weder Augen noch Ohren hat, nur in seligen Träumen ihren Vorgeschmack.


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