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Lange sah er ihr mit großen Augen und offenem Mund nach; lange ließ er seine Blicke über die Büsche hinschweifen . . .
Es gingen Fremde vorüber; ein Vogel flog vorbei. Eine des Weges kommende Bauerfrau fragte, ob er Beeren kaufen wolle – er stand wie ein Stock.
Er ging wieder langsam dieselbe Allee entlang, gelangte sachte bis zur Mitte derselben und stieß auf die Maiglöckchen, welche Olga hatte hinfallen lassen, und auf den Fliederzweig, den sie abgepflückt und ärgerlich weggeworfen hatte.
»Warum hat sie das getan? . . .« überlegte er und suchte in seinem Gedächtnisse nach . . .
»Ich Dummkopf, ich Dummkopf!« sagte er plötzlich laut, hob die Maiglöckchen und den Zweig auf und eilte beinah laufend die Allee entlang. »Ich habe sie um Verzeihung gebeten, und sie . . . ach, wirklich? . . . Welch ein Gedanke!«
Glücklich und strahlend, gleichsam »mit einem Mond auf der Stirn«, wie seine Kinderfrau einst zu sagen pflegte, kam er nach Hause, setzte sich in eine Sofaecke und schrieb schnell im Staube auf dem Tische mit großen Buchstaben: »Olga«.
»Ach, was für ein Staub!« sagte er, indem er von seinem Entzücken wieder zu sich kam. »Sachar! Sachar!« rief er lange; denn Sachar saß mit einigen Kutschern am Tore, das nach einer Seitengasse hinaus lag.
»So geh doch hin!« flüsterte diesem Anisja, ihn am Ärmel zupfend, ärgerlich zu. »Der Herr ruft dich schon lange.«
»Sieh mal, Sachar, was ist das?« sagte Ilja Iljitsch, aber sanft und freundlich; er war nicht imstande, jetzt auf jemand böse zu sein. »Du willst wohl auch hier dieselbe Unordnung einführen: Staub und Spinnweben? Nein, nimm's mir nicht übel, das erlaube ich nicht! Olga Sergejewna läßt mir sowieso schon keine Ruhe: ›Sie lieben den Schmutz!‹ sagt sie.«
»Ja, die hat gut reden; bei denen sind fünf Dienstboten«, erwiderte Sachar und wandte sich zur Tür.
»Wo willst du hin? Fege das hier gleich weg; man kann ja hier nicht sitzen und nicht den Arm auflegen . . . Das ist ja eine greuliche Wirtschaft; das ist Oblomowerei!«
Sachar warf den Mund auf und blickte den Herrn von der Seite an.
»Na ja!« dachte er. »Hat er sich noch so ein klägliches Wort ausgedacht! Aber ein bekanntes!«
»Nun, so fege doch aus; was stehst du noch?« sagte Oblomow.
»Wozu soll ich ausfegen? Ich habe heute schon ausgefegt!« antwortete Sachar eigensinnig.
»Aber wo kommt denn der Staub her, wenn du ausgefegt hast? Sieh nur, da! da! Das geht nicht! Fege gleich aus!«
»Ich habe ausgefegt«, wiederholte Sachar; »ich kann doch nicht zehnmal ausfegen! Der Staub aber kommt von der Straße . . . hier sind Felder; wir sind auf dem Lande: da ist viel Staub auf der Straße.«
»Hör mal, Sachar Trofimowitsch«, sagte Anisja, die aus dem Nebenzimmer hereinblickte, »das ist unpraktisch, daß du zuerst den Fußboden und dann die Tische abfegst; da setzt sich ja der Staub wieder hin . . . Du solltest zuerst . . .«
»Wie kannst du herkommen und mir Anweisungen geben?« rief Sachar wütend mit seiner heiseren Stimme. »Geh dahin, wo du hingehörst!«
»Wo hat man das je gesehen, daß einer zuerst den Fußboden fegt und dann die Tische in Ordnung bringt? . . . Darum ist der Herr auch ärgerlich . . .«
»Nun halte den Mund!« schrie er und holte aus, als ob er sie mit dem Ellbogen vor die Brust stoßen wollte.
Sie lächelte und verschwand. Oblomow wies auch ihn mit einer Handbewegung hinaus. Er legte sich mit dem Kopfe auf ein gesticktes Kissen, hielt die Hand an das Herz und horchte, wie es klopfte.
»Das ist ja gesundheitsschädlich«, sagte er vor sich hin. »Was soll ich tun? Wenn ich den Arzt befrage, schickt er mich am Ende noch nach Abessinien!«
Solange Sachar und Anisja nicht miteinander verheiratet gewesen waren, hatte ein jeder von ihnen sein Department verwaltet und sich in das des andern nicht eingemischt, das heißt, Anisja besorgte die Markteinkäufe und die Küche und beteiligte sich an der Reinigung der Zimmer nur einmal im Jahre, wo sie die Fußböden scheuerte.
Aber nach der Hochzeit hatte sie zu den Zimmern des Herrn freieren Zutritt erhalten. Sie half Sachar, wodurch es in den Zimmern reiner wurde, und nahm überhaupt einige Obliegenheiten ihres Mannes auf sich, teils freiwillig, teils weil Sachar sie ihr in despotischer Weise auferlegte.
»Da, klopfe mal den Teppich aus!« fuhr er sie gebieterisch an, oder: »Du solltest mal nachsehen, was da in der Ecke herumliegt, und solltest das, was da nicht hingehört, in die Küche hinaustragen.«
So war er einen Monat lang glückselig: in den Zimmern war es sauber; der Herr brummte nicht, sagte keine »kläglichen Worte«, und er, Sachar, tat nichts. Aber diese Glückseligkeit nahm ein Ende, und zwar aus folgendem Grunde. Jedesmal, wenn Sachar mit Anisja zusammen in den Zimmern des Herrn herumzuwirtschaften begann, stellte sich alles, was Sachar tat, als Dummheit heraus. Keine seiner Handlungen war richtig und ordnungsgemäß. Fünfundfünfzig Jahre lang war er auf Gottes Welt umhergegangen in der festen Überzeugung, daß alles, was er tat, gar nicht anders und besser getan werden könne.
Und jetzt bewies ihm Anisja auf einmal im Laufe von vierzehn Tagen, daß er nichts verstand, und überdies tat sie das mit einer so beleidigenden Freundlichkeit, so sanft, wie man nur mit Kindern oder vollständigen Dummköpfen verkehrt, und dabei lächelte sie noch, wenn sie ihn ansah.
»Weißt du, Sachar Trofimowitsch«, sagte sie freundlich, »das ist unpraktisch, daß du zuerst die Ofenklappe zumachst und dann die Luftscheibe öffnest; dadurch machst du die Zimmer wieder kalt.«
»Aber wie soll ich es denn deiner Meinung nach machen?« fragte er mit der Grobheit des Ehemannes. »Wann soll ich denn die Luftscheibe öffnen?«
»Wenn du einheizt; die schlechte Luft zieht hinaus, und dann wird es wieder warm«, antwortete sie sanft.
»Dummes Frauenzimmer!« sagte er. »Zwanzig Jahre lang habe ich es so gemacht, und nun werde ich es deinetwegen anders machen . . .«
Auf ein und demselben Brette im Schranke hatte er den Tee, den Zucker, die Zitronen und das Silberzeug zusammen liegen und daneben die Stiefelwichse, die Bürsten und die Seife.
Eines Tages ging er vorbei und sah auf einmal, daß die Seife auf dem Waschtisch lag, die Bürsten und die Wichse in der Küche auf dem Fensterbrette, und der Tee und der Zucker in einem besonderen Kommodenkasten.
»Warum bringst du mir alle meine Sachen nach deinem Belieben in Unordnung?« fragte er barsch. »Ich habe absichtlich alles in eine Ecke gelegt, damit ich es bei der Hand habe, und du hast das eine hierhin geworfen und das andere dahin!«
»Damit der Tee nicht nach Seife riecht«, antwortete sie freundlich.
Ein andermal zeigte sie ihm zwei oder drei Mottenlöcher in den Kleidern des Herrn und sagte ihm, die Kleider müßten unbedingt wöchentlich einmal ausgeschüttelt und ausgebürstet werden.
»Erlaube, ich werde sie mit dem Badebast ausklopfen«, schloß sie freundlich.
Er riß ihr den Badebast und den Frack, den sie schon genommen hatte, weg und tat beides an den früheren Platz.
Als er sich ferner einmal nach seiner Gewohnheit über den Herrn beklagte, weil dieser ihn unverdientermaßen wegen der Schaben gescholten habe, die er, Sachar, doch nicht erdacht habe, da räumte Anisja stillschweigend von den Regalen die dort seit undenklichen Zeiten umherliegenden Brotstücke und Brotkrümel weg, fegte und wusch die Schränke und das Geschirr aus – und die Schaben verschwanden fast vollständig.
Sachar verstand immer noch nicht recht, woran die Sache lag, und schrieb alles nur ihrem Eifer zu. Aber als er einmal ein Präsentierbrett mit Tassen und Gläsern trug, zwei Gläser zerbrach, nach seiner Gewohnheit zu schimpfen anfing und das ganze Präsentierbrett auf den Boden werfen wollte, da nahm sie ihm das Präsentierbrett aus den Händen, stellte andere Gläser darauf, tat noch die Zuckerdose und das Brot hinzu, arrangierte alles so, daß sich auch nicht eine Tasse rührte, und zeigte ihm dann, wie man das Präsentierbrett mit der einen Hand nehmen und mit der andern fest stützen müsse, und ging darauf, das Präsentierbrett nach rechts und links drehend, zweimal im Zimmer hin und her, ohne daß sich auf ihm auch nur ein einziges Löffelchen bewegt hätte. Da wurde es ihm auf einmal klar, daß Anisja klüger war als er! Er riß ihr das Präsentierbrett weg, wobei die Gläser hinfielen, und konnte ihr das seitdem nicht verzeihen.
»Nun weißt du, wie man es machen muß!« fügte sie noch ruhig hinzu.
Er blickte sie stumpf und hochmütig an; aber sie lächelte.
»Ach, du Bäuerin, du Soldatenweib, willst du dich hier als die Kluge aufspielen? Haben wir nicht in Oblomowka ein viel, viel größeres Hauswesen gehabt? Und alles stand unter meiner Verwaltung: da waren allein schon an Lakaien, die Burschen mitgezählt, fünfzehn Stück! Und solche Frauenzimmer wie du waren so viele da, daß man nicht einmal ihre Namen behalten konnte.
Und da willst du hier . . . Ach, du . . .«
»Ich meine es ja nur gut«, fing sie an.
»Na, nun halte den Mund!« schrie er und machte seine drohende Gebärde mit dem Ellbogen nach ihrer Brust hin. »Mach', daß du aus den Zimmern des Herrn hinauskommst; scher' dich in die Küche . . . kümmere dich um deine Weiberarbeit!«
Sie lächelte und ging; er aber blickte ihr finster von der Seite her nach.
Sein Stolz war verletzt, und er behandelte seine Frau mürrisch. Wenn es aber vorkam, daß Ilja Iljitsch nach irgendeinem Gegenstande fragte und dieser entweder nicht zu finden war oder sich als zerbrochen herausstellte, und überhaupt, wenn im Hause etwas Ungehöriges stattgefunden hatte und sich über Sachars Haupte ein von »kläglichen Worten« begleitetes Gewitter zusammenzog, dann zwinkerte Sachar seiner Frau zu, nickte mit dem Kopfe nach dem Zimmer des Herrn hin, zeigte mit dem Daumen dorthin und flüsterte ihr gebieterisch zu: »Geh du zum Herrn und sieh, was er will!«
Anisja ging hinein, und das Gewitter löste sich immer in eine harmlose Aussprache auf. Und Sachar selbst machte seinem Herrn, sobald in dessen Rede »klägliche Worte« vorzukommen anfingen, den Vorschlag, doch Anisja hereinkommen zu lassen.
Auf diese Weise wäre in Oblomows Zimmern wieder alles verwahrlost worden, wenn nicht Anisja gewesen wäre: sie rechnete sich schon zu Oblomows Hause, teilte unbewußt mit ihrem Manne das unzerreißbare Band, das diesen mit Ilja Iljitschs Leben, Hause und Person verband, und ihr weibliches Auge und ihre sorgsame Hand wirkten munter in den vernachlässigten Räumen.
Sowie Sachar sich irgendwohin abgewandt hatte, wischte Anisja den Staub von den Tischen und Sofas ab, öffnete die Luftscheibe, brachte die Rouleaus in Ordnung, trug die mitten ins Zimmer hingeworfenen Stiefel oder ein Paar über einem guten Lehnsessel hängende Beinkleider an ihren Platz, musterte alle Kleider, sogar die Papiere, die Bleistifte, das Federmesser und die Federn auf dem Tische und ordnete alles, wie es sich gehört; sie schüttelte das zerdrückte Bett auf und legte die Kissen in Ordnung – und all das mit wenigen raschen Bewegungen; dann warf sie noch einen schnellen Blick auf das ganze Zimmer, rückte einen Stuhl zurecht, schob einen halbgeöffneten Kommodenkasten zu, zog die Serviette vom Tische und schlüpfte hurtig in die Küche, wenn sie Sachars knarrende Stiefel hörte.
Sie war ein lebhaftes, rühriges Weib von siebenundvierzig Jahren, mit einem sorglichen Lächeln, mit munter nach allen Seiten umherlaufenden Augen, mit kräftigem Halse und kräftiger Brust und roten, flink zugreifenden, nie ermüdenden Händen.
Sie hatte fast gar kein Gesicht: man bemerkte eigentlich nur die Nase: diese war zwar nicht groß, hatte sich aber sozusagen von dem Gesichte losgelöst oder war ungeschickt daran angebracht; zudem war ihr unterer Teil nach oben gewendet, so daß das Gesicht dahinter nicht wahrzunehmen war; dieses war so schlaff und verblichen, daß man von der Nase schon längst einen klaren Begriff bekommen hatte, wenn man das Gesicht noch gar nicht bemerkt hatte.
Es gibt in der Welt viele solche Ehemänner wie Sachar. Manchmal hört ein Diplomat nachlässig den Rat seiner Frau an, zuckt darüber die Achseln – und schreibt im stillen so, wie sie es ihm geraten hat.
Manchmal antwortete ein Verwaltungsbeamter pfeifend mit einer Grimasse des Bedauerns auf das Geschwätz seiner Frau über eine wichtige Angelegenheit – und am andern Tage trägt er würdevoll dieses Geschwätz dem Minister vor. Diese Herren gehen mit ihren Frauen ebenso mürrisch um wie Sachar; oder sie verkehren mit ihnen nur so leichthin, erachten sie kaum eines Gespräches für würdig und halten sie, wenn auch nicht für dumme Bauernweiber, wie Sachar, so doch nur für Blumen, die dazu da sind, dem Manne nach den ernsten Geschäften des Lebens eine Zerstreuung zu gewähren . . .
Der Mittag brannte schon lange hell und heiß auf den Wegen des Parks. Alle Leute saßen im Schatten unter Leinwanddächern; nur die Kinderfrauen mit den Kindern gingen mutig gruppenweise umher oder saßen auf dem Rasen unter den Strahlen der Mittagssonne.
Oblomow lag immer noch auf dem Sofa; er dachte über das Gespräch nach, das er am Morgen mit Olga gehabt hatte, und faßte dessen Sinn bald so, bald so auf.
»Sie liebt mich; in ihr regt sich ein freundliches Gefühl für mich. Ist es möglich? Sie denkt in ihren Träumereien an mich; für mich hat sie so leidenschaftlich gesungen, und die Musik hat in uns beide den Keim zu wechselseitiger Zuneigung gelegt.«
Ein edler Stolz schwellte seine Brust; vor seinem geistigen Blicke strahlte das Leben auf mit seiner zauberhaften Ferne, mit allerlei Farben und Strahlen, die noch vor kurzem nicht vorhanden gewesen waren. Er sah sich schon mit ihr im Auslande, auf den Schweizer Seen, in Italien; er wanderte mit ihr in den Ruinen Roms umher, fuhr mit ihr in einer Gondel, verlor sich dann mit ihr in der Volksmenge von Paris und London, und dann . . . dann war er mit ihr in seinem irdischen Paradiese – in Oblomowka.
Sie ist eine Göttin, mit diesem lieblichen Geplauder, mit diesem feinen, weißen Gesichtchen, mit dem schlanken, zarten Halse . . .
Die Bauern haben nie etwas Ähnliches gesehen; sie fallen vor diesem Engel nieder. Sie schreitet still mit ihm über den Rasen dahin, wandert mit ihm im Schatten des Birkenwäldchens umher; sie singt ihm etwas vor . . .
Und er empfindet im voraus dieses Leben, sein stilles Dahinfließen, seine lieblichen Strömungen, sein angenehmes Plätschern . . . Die erfüllten Wünsche und die Fülle des Glückes lassen ihn in ein süßes Sinnen versinken.
Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht.
»Nein, es ist nicht möglich!« sagte er laut, stand vom Sofa auf und ging im Zimmer hin und her. »Wie könnte sie mich lieben, mich lächerlichen Menschen, mit dem schläfrigen Blicke, mit den schlaffen Backen . . . Sie macht sich nur über mich lustig . . .«
Er blieb vor dem Spiegel stehen und betrachtete sich lange, zuerst ohne Wohlwollen; aber dann hellte sich sein Blick auf; er lächelte sogar.
»Ich glaube, ich sehe besser und frischer aus als zu der Zeit, wo ich in der Stadt lebte«, sagte er; »meine Augen sind nicht trübe . . . Da hatte sich ein Gerstenkorn gebildet, aber es ist wieder vergangen . . . Das kommt gewiß von der hiesigen Luft; ich gehe viel, trinke gar keinen Wein, liege nicht . . . Da brauche ich auch nicht nach Ägypten zu reisen.«
Es kam ein Diener von Marja Michailowna, Olgas Tante, mit einer Einladung zum Mittagessen.
»Ich werde kommen, ich werde kommen!« sagte Oblomow.
Der Diener wollte gehen.
»Warte! Hier ist etwas für dich!«
Er gab ihm Geld.
Ihm war fröhlich und leicht zumute. Die ganze Natur ist von Helligkeit erfüllt. Alle Menschen sind gut; alle genießen ihr Leben; allen steht die Glückseligkeit auf dem Gesichte geschrieben. Nur Sachar ist mürrisch und sieht seinen Herrn immer von der Seite an; aber dafür lächelt Anisja so gutmütig. »Ich will mir einen Hund anschaffen«, beschloß Oblomow, »oder einen Kater . . . lieber einen Kater: Kater sind freundlich und schnurren.«
Er lief zu Olga.
»Aber dennoch . . . daß Olga mich liebt!« dachte er unterwegs. »Dieses junge, frische Geschöpf! Vor ihrer Einbildungskraft hat sich jetzt gerade die poetischste Seite des Lebens aufgetan: sie muß eigentlich von schwarzlockigen, schlanken, hochgewachsenen, nachdenklichen Jünglingen träumen, mit verborgener Kraft, mit Kühnheit im Gesichte, mit einem stolzen Lächeln, mit diesem Funken in den Augen, der im Blicke untergeht und zittert und so leicht zum Herzen dringt, mit einer weichen, frischen Stimme, die wie eine metallene Saite klingt. Indes, es werden doch auch solche Männer geliebt, die keine Jünglinge sind, keine kühnen Gesichter haben, nicht geschickt Masurka tanzen, nicht hoch zu Rosse einhergaloppieren . . . Allerdings ist Olga kein Dutzendmädchen, dessen Herz sich vom Geklapper eines Säbels rühren läßt; aber dann ist eben etwas anderes nötig: zum Beispiel ein starker Verstand, dem das Weib sich unterwirft, vor dem es das Haupt neigt, und vor dem auch die Welt sich beugt . . . Oder es muß einer ein berühmter Künstler sein . . . Aber ich, was bin ich? Ich bin Oblomow, weiter nichts. Nehmen wir dagegen Stolz, das ist eine andere Sache. Stolz ist ein kluger Mensch; er ist eine Macht; er versteht es, sich und andere und das Schicksal zu leiten. Wohin er nur kommt, mit wem er nur in Beziehung tritt – ehe man sich dessen versieht, hat er die Oberhand gewonnen und spielt auf jedem wie auf einem Musikinstrumente. Aber ich? Nicht einmal mit Sachar kann ich fertig werden . . . und ebensowenig mit mir selbst . . . ich bin Oblomow! . . . Stolz, o Gott; sie liebt ihn ja«, dachte er erschrocken; »sie hat es selbst gesagt; ›wie einen Freund‹, sagt sie; aber das ist eine Unwahrheit, vielleicht eine unbewußte . . . Es gibt keine Freundschaft zwischen einem Manne und einer Frau . . .«
Von Zweifeln überwältigt ging er immer langsamer und langsamer.
»Wie aber, wenn sie mit mir nur kokettiert? . . . Wenn sie nur . . .«
Er blieb vollständig stehen und war einen Augenblick lang wie versteinert.
»Wie? Wenn das ein hinterlistiges Komplott ist? . . . Wie bin ich denn nur auf den Gedanken gekommen, daß sie mich liebt? Gesagt hat sie es nicht; das ist nur eine teuflische Einflüsterung meiner Eitelkeit! Andrei! Ob sie ihn wirklich . . . nein, es ist nicht möglich: sie ist so . . . so . . . da sehe ich ja, wie sie ist!« sagte er plötzlich freudig, da er die ihm entgegenkommende Olga erblickte.
»Nein, sie ist nicht so eine; sie ist keine Betrügerin«, sagte er sich mit aller Bestimmtheit. »Die Betrügerinnen sehen einen nicht mit so freundlichem Blicke an . . . die kichern alle nur . . . Aber . . . gesagt hat sie es doch nicht, daß sie mich liebe!« dachte er plötzlich wieder ängstlich. »Das habe ich mir nur so zurechtgelegt . . . Aber woher kam dann der Ärger? . . . O Gott, in was für eine tiefe Stelle bin ich da im Wasser geraten!«
»Was haben Sie denn da?« fragte sie.
»Einen Zweig.«
»Was für einen Zweig?«
»Sie sehen ja: einen Fliederzweig.«
»Wo haben Sie den denn her? Hier wächst ja kein Flieder. Wo sind Sie denn gegangen?«
»Sie haben ihn vorhin abgebrochen und hingeworfen.«
»Warum haben Sie ihn aufgehoben?«
»Bloß so, ohne Grund; es gefällt mir, daß Sie ihn ärgerlich weggeworfen haben.«
»Mein Arger gefällt Ihnen – das ist ja etwas ganz Neues! Warum denn?«
»Das sage ich nicht.«
»Sagen Sie es doch! Ich bitte Sie darum . . .«
»Um keinen Preis, um alle Schätze der Welt nicht!«
»Ich bitte Sie inständig.«
Er schüttelte verneinend den Kopf.
»Aber wenn ich singe?«
»Dann . . . vielleicht . . .«
»Also wirkt auf Sie nur die Musik?« sagte sie, die Augenbrauen zusammenziehend. »Ist das wahr?«
»Ja, die Musik, wenn Sie sie wiedergeben . . .«
»Nun, dann werde ich singen . . . Casta diva, Casta di . . .« stimmte sie Normas feierliche Anrufung an und hielt dann inne.
»Nun, dann reden Sie jetzt!« sagte sie.
Er kämpfte eine Weile mit sich.
»Nein, nein!« sagte er dann in noch entschiedenerem Tone als vorher. »Um keinen Preis . . . niemals! Wenn es nun nicht wahr ist? Wenn es mir nur so vorgekommen ist? . . . Niemals, niemals!«
»Was ist es denn? Wohl etwas Furchtbares?« sagte sie, indem sie nachdachte und einen forschenden Blick auf ihn richtete. Dann überzog allmählich ein Schimmer von Verständnis ihr Gesicht; in jeden Zug desselben drang ein Strahl von Erkenntnis ein, und auf einmal leuchtete ihr ganzes Gesicht in vollem Verständnis auf. So tritt die Sonne manchmal aus einer Wolke heraus und beleuchtet nach und nach zuerst einen Strauch, dann einen zweiten, dann ein Dach und übergießt endlich auf einmal die ganze Landschaft mit ihrem Lichte. Olga wußte nun, was Oblomow dachte.
»Nein, nein, ich werde es nicht über die Lippen bringen . . .« versicherte Oblomow. »Fragen Sie lieber nicht!«
»Ich frage Sie auch gar nicht«, antwortete sie in gleichmütigem Tone.
»Aber wie geht das zu? Noch soeben wollten Sie doch . . .«
»Kommen Sie ins Haus«, sagte sie ernst, ohne auf ihn zu hören, »ma tante wartet.«
Sie ging voran, ließ ihn mit der Tante zusammen und begab sich geradewegs nach ihrem Zimmer.