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Zweiter Aufzug.

Ein kleines Zimmer im Wirtshause. Ein Bett, ein Tisch, ein Koffer, eine leere Flasche, ein paar Stiefel, eine Kleiderbürste etc.


Erster Auftritt.

Ossip (auf des Herrn Bett liegend).

Hol mich der Teufel! Einen Hunger hab' ich und im Bauch rumort es mir herum, als ob drin ein ganzes Regiment in die Trompeten schmetterte! ... Nein, wir kommen nimmer nach Hause! Aber was macht man?! Über einen Monat schon sind wir von Petersburg fort! Das ganze Geld hat der lockere Vogel unterwegs verjubelt, jetzt mausert er und ist ganz kusch! Und das Geld hätte gelangt, hätte völlig gelangt für die Postpferde! Aber freilich – in jeder Stadt mußte er sich zeigen! (Im Tone seines Herrn.) »Ossip, bestelle mir ein Zimmer – das beste – und ein Mittagsessen – das feinste: ordinäre Küche vertrag' ich nicht, ich muß extrafein speisen!« Und wenn noch was Besonderes an dem Mann wäre! Ein ganz alltäglicher Kollejen-Jelistrator! Macht Bekanntschaften auf der Reise, spielt mit ihnen Karten und – wird kapp und kahl gerupft! .... Ach, wie ich dieses Lebens überdrüssig bin! Wirklich, im Dorf auf dem Gut ist's weit schöner! Fehlt's auch an Publizität, so fehlt's doch auch an Sorgen: man hat sein Weibchen, liegt den ganzen Tag auf dem Hängeboden und ißt Pasteten ... Allerdings der Wahrheit die Ehre: nichts Herrlicheres giebt's auf der Welt als das Leben in Petersburg! Ja, ein feines, ein politisches Leben ist's, – nur muß man Geld haben! Da giebt's Kejather, Hundeballet – kurz alles, was das Herz begehrt! Alle sprechen mit so feiner Delikatesse, beinahe wie die hohe Aristokratie! .... Geht man auf den Stschukinmarkt, – gleich rufen einem die Kaufleute zu: »Euer Gnaden!« .... Läßt man sich im Boot über die Newa oder einen Kanal setzen, – sitzt man mit einem Beamten Seite an Seite! .... Suchst du dir Gesellschaft, – geh in die erste beste Krämerbude: ein Kavalier erzählt dir dort vom Lagerleben und erklärt die Bedeutung eines jeden Sterns am Himmel, als läge er dir auf der flachen Hand ... Eine alte Offiziersfrau tritt in den Laden oder es hüpft ein Stubenmädchen herein, so ein niedliches junges Ding – hi, hi, hi! (schüttelt den Kopf.) Ein galanterievoller Umgang, hol mich der Teufel! Nie hört man ein unhöfliches Wort: Jeder sagt »Sie« zu dir! .... Bist du des Gehens müde oder überdrüssig – nimmst du eine Droschke und fährst dahin wie ein großer Herr; und willst du dem Kutscher nicht zahlen, – bitte: jedes Haus hat zwei Thore, die auf zwei verschiedene Straßen führen; vor dem einen steigst du ab, durch das andere entwischst du – und dann kann dich kein Teufel abfassen! ..... Eines nur ist schlimm: heute möchte man vor Sattigkeit platzen und morgen vor Hunger – wie z. B. jetzt. Und daran trägt nur er die Schuld! Was mach' ich mit ihm? Hat Papa Geld geschickt, so wird's nicht sparsam verthan, sondern flott verbummelt: gefahren wird nur in der feinsten Kalesche, tagtäglich muß ich ihm ein Kejatherbillet besorgen, und ist die Woche um – muß ich seinen neuen Frack auf dem Trödelmarkt verklopfen! Manchmal behält er nichts auf dem Leibe als einen elenden Rock und einen armseligen Mantel; – bei Gott, ich lüge nicht! Und von so vornehmem englischen Tuch war der Frack! Hundertfünfzig Rubel hat er ihm gekostet, und der Trödler bekommt ihn für zwanzig; von der Hose ganz zu schweigen: die geht für ein Butterbrot hin! Und warum das alles? Weil er sich mit nichts Ernstem beschäftigen will, weil er, statt in sein Bureau zu gehen, auf der Newskij-Perspektive umherschlendert und Karten spielt! Wenn das der alte Herr wüßte! Husten würde er darauf, daß du ein Beamter bist: das Hemdchen würde er dir aufkrempeln und dir so aufwichsen, daß du dich vier Tage lang kratzen würdest! Und mit Recht: dienst du, so diene! .... Da sagt nun der Wirt, er würde uns nicht eher zu essen geben, bis das Frühere bezahlt ist; wenn wir nun aber gar nicht zahlen? (Seufzend.) O Gott, mit der dünnsten, magersten Kohlsuppe würde ich jetzt zufrieden sein! Ich glaube, ich könnte die ganze Welt verschlingen! ... Es klopft – vermutlich ist er's. (Steht schnell vom Bett auf.)


Zweiter Auftritt.

Ossip und Chlestakow.

Chlestakow.

Da, nimm! (Giebt ihm Mütze und Spazierstock.) .... Hast dich wieder auf dem Bett herumgewälzt?

Ossip.

Was brauch' ich mich herumzuwälzen? Habe ich vielleicht kein Bett gesehen?

Chlestakow.

Du lügst! Wohl hast du dich gewälzt: das ganze Bettzeug ist zerwühlt! Siehst du?

Ossip.

Was mach ich mit einem Bett? Weiß ich vielleicht nicht, was ein Bett ist? Ich habe Beine und kann stehen, sodaß ich Ihr Bett nicht brauche.

Chlestakow (im Zimmer auf- und abgehend).

Sieh mal, ob noch Tabak im Paket da ist.

Ossip.

Tabak? Wo sollte der herkommen? Sie haben ihn ja schon vor vier Tagen zu Ende geraucht!

Chlestakow
(geht auf und ab, die Lippen verschiedenartig zusammenpressend; in lautem und entschiedenem Ton).

Hör mal, Ossip!

Ossip.

Was befehlen Sie?

Chlestakow (in lautem, doch weniger entschiedenem Ton).

Geh mal hin ...

Ossip.

Wohin?

Chlestakow
(in einem Ton, der weder laut, noch entschieden, sondern fast bittend klingt).

Hinunter, zum Buffet .... Sage dort ... daß man mir das Mittagessen heraufschickt.

Ossip.

Ne, das thu' ich nicht.

Chlestakow.

Wie wagst du es, Dummkopf –

Ossip.

Ja, denn wenn ich auch hinginge – es würde doch nichts nützen! Der Wirt sagt, er werde uns kein Mittagsessen mehr verabfolgen.

Chlestakow.

Wie darf er das? Unsinn!

Ossip.

Und er droht obendrein, zum Stadthauptmann zu gehen, da wir schon über zwei Wochen hier sind und noch keinen Groschen bezahlt haben. »Ihr beide – sagt er – seid Spitzbuben, und dein Herr ist ein Gauner! Wir kennen Euch – sagt er, – ihr Schmarotzer und Halunken!«

Chlestakow.

Und du, Esel, hast deine Freude daran, mir das alles wörtlich zu wiederholen!

Ossip.

Er sagt: »So kann jeder kommen, sich festsaugen, frisch drauf lospumpen und sich nicht mal herauswerfen lassen! Ich verstehe – sagt er – keinen Scherz, ich werde eine Klage einreichen! Vors Gericht mit Euch und ins Gefängnis!«

Chlestakow.

Genug, genug, du Dummkopf! Geh und sprich mit ihm wegen des Mittagsessens. Der Grobian!

Ossip.

Lieber hol ich den Wirt herauf.

Chlestakow.

Wozu brauch ich den Wirt? Geh, sprich du mit ihm.

Ossip.

Herr, wirklich –

Chlestakow.

Hol dich der Teufel! Ruf ihn! (Ossip ab.)


Dritter Auftritt.

Chlestakow (allein).

Ich habe einen fürchterlichen Hunger! Glaubte mir durch einen kleinen Spaziergang den Appetit zu vertreiben, – aber den Teufel auch, er läßt sich nicht vertreiben! Ja, hätte ich in Pensa nicht so in den Tag hineingelebt, hätte ich jetzt Geld genug zur Heimreise. Bei dem Infanteriekapitän bin ich tüchtig reingefallen: staunenswert schlägt die Canaille die Volte! In einer kleinen Viertelstunde hat er mich kapp und kahl geplündert!..... Und dennoch möchte ich mich gar zu gern noch einmal mit ihm messen! Schade, daß sich keine Gelegenheit dazu bieten wird!.... Ist das eine erbärmliche Stadt! Nichts bekommt man auf Borg in den Buden! Das ist nun einfach niederträchtig! (Pfeift erst eine Melodie aus »Robert dem Teufel,« dann »Näh' mir nicht, o Mütterlein, den roten Ssarafan« und schließlich etwas ganz Wirres.) Niemand will kommen!


Vierter Auftritt.

Chlestakow, Ossip und ein Kellner.

Kellner.

Mein Herr läßt fragen, was Sie wünschen.

Chlestakow.

Ah, guten Tag, mein Bester! Wie geht's dir?

Kellner.

Gott sei Dank, gut.

Chlestakow.

Und wie steht's sonst im Wirtshaus? Doch gut?

Kellner.

Gott sei Dank, ja.

Chlestakow.

Habt ihr viel Fremdenbesuch?

Kellner.

Ja, genügend.

Chlestakow.

Hör mal, mein Lieber .... man hat mir bis jetzt mein Mittagsessen nicht heraufgebracht, da treibe sie, bitte, etwas zur Eile an ... denn siehst du, gleich nach dem Mittagsessen muß ich mich an eine wichtige Arbeit machen.

Kellner.

Ja, aber der Wirt meint, er werde Ihnen kein Essen mehr verabfolgen. Er wollte sogar, glaub' ich, heute zum Stadthauptmann gehen und Beschwerde führen ....

Chlestakow.

Beschwerde führen? Aus welchem Grunde? .... Urteile selbst, mein Bester: ich muß doch essen, ich kann doch nicht zum Gerippe abmagern! Und daß mich ungemein hungert, sage ich dir in allem Ernst.

Kellner.

Sehr wohl. Doch er meint: »Ich gebe ihm nicht eher zu essen, bis er das Frühere bezahlt hat.« Das sind seine eigenen Worte.

Chlestakow.

So bringe ihn zur Raison, rede ihm ins Gewissen!

Kellner.

Ja, was kann ich ihm sagen?

Chlestakow.

Mach' es ihm begreiflich, daß ich unbedingt essen muß. Und was die Bezahlung betrifft, – so ist das eine Sache für sich .... er glaubt wohl, der Bauer, daß, wenn er ohne Schaden einen ganzen Tag fasten kann, es auch die anderen können? Da ist er auf dem Holzweg!

Kellner.

Gut, ich will's sagen. (Der Kellner ab mit Ossip.)


Fünfter Auftritt.

Chlestakow (allein).

Da hört aber doch alles auf, wenn er mir wirklich kein Essen mehr verabfolgt! Ich habe Hunger wie noch nie! Sollte ich nicht etwas von meiner Garderobe zu Gelde machen? Vielleicht die Hosen verkaufen? Nein, lieber halbverhungert, aber in einem Petersburger Kostüm nach Hause kommen! Schade, daß der Wagenbauer Jochim mir keinen Wagen geliehen hat .... hol's der Teufel, es wäre doch gar zu schön, hingegossen im Wagen mit Laternen, den livreebekleideten Ossip hinten auf dem Tritt, bei einem Gutsbesitzer in der Nachbarschaft vorzufahren! Ich kann mir denken, wie das ganze Haus in Aufruhr gerät! »Wer ist's? Wer mag das nur sein?« Da kommt mein Lakai (einen anmeldenden Diener vorstellend): »Iwan Alexandrowitsch Chlestakow aus Petersburg! Befehlen Sie, daß er eintrete?« Aber diese Tölpel wissen viel, was es heißt: »Befehlen Sie, daß er eintrete?« Wenn zu ihnen mal irgend ein Gutsbesitzer zu Besuch kommt, so trottet er wie ein Bär, unangemeldet direkt ins Gastzimmer! ... Da sitzt die Tochter vom Hause, ein junges, hübsches Ding. »Mein Fräulein, erlauben Sie« ... (reibt sich die Hände, macht Kratzfüße und spuckt plötzlich aus.) Mir wird geradezu übel vor Hunger!


Sechster Auftritt.

Chlestakow, Ossip, dann der Kellner.

Chlestakow.

Nun?

Ossip.

Das Mittagsessen kommt.

Chlestakow (klatscht in die Hände und hüpft auf seinem Stuhle).

Es kommt, es kommt, es kommt!

Kellner (mit Tellern und Serviette).

Der Wirt verabfolgt Ihnen das letzte Mal das Essen.

Chlestakow.

Der Wirt? Ich huste auf den Wirt! Was bringst du denn da?

Kellner.

Suppe und Braten.

Chlestakow.

Wie, nur zwei Gerichte?

Kellner.

Nur.

Chlestakow.

Das fehlte noch! Ich nehm's gar nicht an! Da hört doch alles auf! Sage deinem Herrn, das sei zu wenig!

Kellner.

Mein Herr meint im Gegenteil, es sei zu viel.

Chlestakow.

Und wo bleibt die Sauce?

Kellner.

Wir haben keine.

Chlestakow.

Ihr habt keine? Ich habe aber, als ich an der Küche vorbei ging, gesehen, wie eine ganze Menge präpariert wurde! Und im Speisesaal aßen heute morgen zwei kleine Herren Lachs und manches andere.

Kellner.

Allerdings, wir haben Sauce .... und haben sie auch wiederum nicht ..

Chlestakow.

Was heißt das: ihr habt und habt nicht?

Kellner.

Nun, eben .... wir haben sie nicht ...

Chlestakow.

Aber Lachs, Fisch, Koteletten?

Kellner.

Die haben wir auch, aber nur für das anständigere Publikum.

Chlestakow.

Ach, du Dummkopf!

Kellner.

Ja, so steht's.

Chlestakow.

Ach, du Spanferkel! ... Ich soll das nicht essen, was die anderen essen? Warum nicht, zum Teufel? Bin ich nicht ganz so ein Reisender wie die anderen?

Kellner.

Nu, nicht ganz ...

Chlestakow.

Warum nicht?

Kellner.

Nun, das ist doch klar: die anderen Reisenden bezahlen.

Chlestakow.

Mit einem Narren, wie du, will ich gar nicht sprechen (Gießt sich Suppe in den Teller und ißt.) Ist das eine Suppe? Das ist ja reines Wasser, das du da hineingegossen hast .... ganz geschmacklos ... und riecht widerwärtig! Diese Suppe will ich nicht, hole mir eine andere!

Kellner.

Nun, dann tragen wir sie wieder fort. Der Wirt meint, wenn sie Ihnen nicht schmeckt, so brauchten Sie sie nicht zu essen.

Chlestakow (streckt die Hände über den Teller).

Na, na, laß stehen, Dummkopf! Wenn du mit den anderen Gästen so grob verfährst, so rate ich dir, mit mir höflicher umzugehen: ich bin nicht sie! (Er ißt.) Mein Gott, welche Suppe! (Fährt im Essen fort.) Kein Mensch auf Gottes Erdboden, glaub' ich, hat jemals eine solche Suppe gegessen: Federn schwimmen umher statt der Fettaugen! (Zerschneidet ein Huhn.) Au, au, au, was für ein Huhn! Gieb den Braten!... Da ist etwas Suppe nachgeblieben, Ossip, iß sie .... (Zerschneidet den Braten.) Was ist das für ein Braten? Das ist gar kein Braten!

Kellner.

Was denn anders?

Chlestakow.

Das weiß der Teufel, aber Braten ist's nicht, denn das ist kein Fleisch, sondern eine geröstete Stiefelsohle! (Ißt.) Spitzbuben, Canaillen! Was sie den Gästen vorsetzen! Wenn man ein solches Stück zerkaut, verrenkt man sich die Kinnbacken! (Stochert sich mit dem Finger die Zähne.) Schufte! Die reine Baumrinde, nicht herauszuziehen! Und zudem bekommt man schwarze Zähne nach solchen Leckerbissen! Gauner! (Wischt sich den Mund mit der Serviette ab.) Weiter giebt's nichts?

Kellner.

Sonst nichts.

Chlestakow.

Canaillen, Halunken! Keine Sauce, kein Dessert! Taugenichtse! Aber den Reisenden das Fell über die Ohren zu ziehen, das verstehen sie! (Der Kellner räumt ab und trägt mit Ossip die Teller fort.)


Siebenter Auftritt.

Chlestakow, dann Ossip.

Chlestakow.

Wirklich, mir ist, als hätt' ich gar nichts gegessen! Im Gegenteil: ich habe mir den Appetit nur noch mehr gereizt! Hätt' ich Kleingeld, würde ich mir vom Markt etwas Weißbrot holen lassen.

Ossip (kommt).

Unten steht der Stadthauptmann und fragt nach Ihnen.

Chlestakow (erschreckt).

Da haben wir's! Die Bestie von Wirt hat mich eingeklagt! Wie, wenn man mich in der That ins Gefängnis schleppt? Nun, wenn's auf delikate Manier geschieht, so ... doch nein, nein, ich will nicht! Auf der Straße könnten mir Offiziere und verschiedene andere Leute begegnen, denen ich gezeigt habe was feiner Ton heißt; auch die Kaufmannstochter, mit der ich geliebäugelt habe – nein, ich will nicht!.... Und in der That, – wie darf er's wagen? Bin ich ein Kaufmann oder ein Handwerker? (Faßt Mut und wirft sich in die Brust.) Ich werde ihm sagen: »Wer untersteht sich ....« (Die Thürklinke bewegt sich; Chlestakow erblaßt und zieht den Kopf zwischen die Schultern.)


Achter Auftritt.

Chlestakow, der Stadthauptmann und Dobtschinskij.
Der Stadthauptmann tritt ein und bleibt stehen. Beide sehen sich mit weit aufgerissenen Augen erschreckt einige Augenblicke an.

Stadthauptmann (ermannt sich, militärisch-stramm).

Gehorsamster Diener!

Chlestakow (verbeugt sich).

Guten Tag!

Stadthauptmann.

Verzeihen Sie ....

Chlestakow.

Bitte ....

Stadthauptmann.

Meine Pflicht als Oberhaupt dieser Stadt gebietet es, Sorge zu tragen, daß die Reisenden und alle anderen Standespersonen keinerlei Unannehmlichkeiten –

Chlestakow.
(stottert anfangs ein wenig, spricht aber weiterhin fließend und laut).

Was sollte ich thun? .... Es ist nicht meine Schuld! .... Wirklich, ich werde bezahlen .... sobald ich von Hause das Geld geschickt bekomme. (Bobtschinskij lugt zur Thür herein.) Der Wirt trägt die meiste Schuld: das Fleisch, das er mir vorsetzt, ist hart wie Holz; statt der Suppe giebt er Manscherei, die ich aus dem Fenster gießen mußte! Tagelang läßt er mich hungern .... Auch ist sein Thee sehr verdächtig: riecht nach Fisch! Und da soll ich ... Das fehlte noch!

Stadthauptmann (furchtsam).

Verzeihen Sie .... wirklich, ich bin unschuldig. Auf unserem Markt ist das Fleisch jederzeit gut; gebracht wird es von Kaufleuten aus Cholmogory, nüchternen Menschen von bravem Betragen. Es ist mir ganz unbegreiflich, wo der Wirt sein schlechtes Fleisch hernimmt! Und sollte noch anderes Ihre Unzufriedenheit .... so gestatten Sie mir den Vorschlag, mit mir ein anderes Quartier zu beziehen.

Chlestakow.

Nein, das wünsch' ich durchaus nicht! Ich weiß, was Sie unter Ihrem »anderen Quartier« verstehen – das Gefängnis! Aber welches Recht haben Sie, wie unterstehen Sie sich .... mich, einen Beamten aus Petersburg .... (stolz) Ich .... ich .... ich ....

Stadthauptmann (beiseite).

O Gott, wie zornig er ist! Alles haben ihm die verfluchten Kaufleute verraten, er weiß alles!

Chlestakow (Mut fassend).

Und sollten Sie Ihre ganze Polizeimannschaft auf die Beine bringen, – ich gehe nicht! Direkt an den Minister werd' ich mich wenden! (Schlägt mit der Faust auf den Tisch.) Sie ... Sie ...

Stadthauptmann.

(eine noch strammere Haltung annehmend und dabei am ganzen Leibe bebend).

Erbarmen, Gnade! Ich habe eine Frau und kleine Kinder ... stürzen Sie mich nicht ins Verderben!

Chlestakow.

Nein, ich thu's nicht! Das fehlte noch! Was kümmert's mich? Weil Sie Frau und Kinder haben, soll ich ins Gefängnis? Ist das ein Grund? (Bobtschinskij steckt den Kopf zur Thür herein und zieht ihn erschreckt wieder zurück.) Nein, danke bestens, ich thu's nicht!

Stadthauptmann (zitternd).

Es geschah aus Unerfahrenheit, bei Gott, aus Unerfahrenheit und aus Mangel an Existenzmitteln. Geruhen Sie selbst zu urteilen: das Gehalt reicht nicht einmal für Thee und Zucker! Und wenn ich mich auch manchmal habe bestechen lassen, so nahm ich stets nur Kleinigkeiten entgegen: etwas für den Tisch oder Zeug zum Anzug. Was die Unteroffiziersfrau betrifft, die in der Kaufmannschaft Heiraten vermittelt, so ist es eine Verleumdung, daß ich sie habe durchpeitschen lassen, bei Gott, eine schändliche Verleumdung. Das Gerücht haben meine Feinde ausgesprengt; das ist eine solche Bande, daß sie fähig wäre, mich zu ermorden.

Chlestakow.

Was kümmern mich Ihre Feinde? (Nachdenklich.) Ich begreife gar nicht, warum Sie mir von Ihren Feinden und einer Unteroffiziersfrau sprechen .... Die Unteroffiziersfrau, das ist was ganz anderes ... aber mich dürfen Sie nicht durchpeitschen lassen .... dazu haben Sie kein Recht .... Das fehlte noch! Da könnte mancher kommen! .... Ich werde bezahlen, aber augenblicklich hab' ich kein Geld, verstehen Sie? Keinen Groschen, und nur darum sitz' ich hier! ...

Stadthauptmann (für sich).

O, eine feine Finte! Sand in die Augen und Nebel um die Nase! Wir kennen den Pfiff! Aber wo soll ich ihn fassen? Nun, einerlei, frisch gewagt, ist halb gewonnen, mag kommen was will, ich wag's! (Laut.) Sollten Sie wirklich Geld oder sonst etwas brauchen, so stehe ich augenblicklich zu Ihren Diensten. Es ist meine Pflicht, den Reisenden zu helfen.

Chlestakow.

Ja, ja, leihen Sie mir Geld, und ich befriedige augenblicklich den Wirt. Ich brauche nur zweihundert Rubel, sogar noch weniger.

Stadthauptmann (reicht ihm seine Brieftasche).

Hier sind genau zweihundert Rubel, sie brauchen sich mit dem Zählen nicht zu bemühen!

Chlestakow (das Geld nehmend).

Schön Dank. Ich werde es Ihnen sofort von Hause schicken .... bei mir ist alles gesagt – gethan .... Jetzt sehe ich, daß Sie ein anständiger Mensch sind; jetzt ist die Sache eine andere.

Stadthauptmann (für sich).

Gott sei Dank, er nimmt Geld! Jetzt wird's schon gehen! Statt zweihundert habe ich ihm vierhundert in die Hand gespielt!

Chlestakow.

He, Ossip! (Ossip kommt.) Rufe den Kellner! (Ossip ab; zum Stadthauptmann und zu Dobtschinskij.) Aber Sie stehen ja, meine Herren! Nehmen Sie gefälligst Platz! (Zu Dobtschinskij.) Bitte, setzen Sie sich.

Stadthauptmann.

Bitte, wir können auch stehen.

Chlestakow.

Thun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie Platz! Jetzt erst haben Sie mir die Aufrichtigkeit und Herzlichkeit Ihres Charakters bewiesen; anfangs – ich muß bekennen – glaubt' ich, Sie wollten mich .... (Zu Dobtschinskij.) Aber so setzen Sie sich doch, bitte! (Der Stadthauptmann und Dobtschinskij setzen sich. Bobtschinskij lugt zur Thür herein und horcht.)

Stadthauptmann (für sich).

Ich muß mutiger vorgehen! Er will inkognito bleiben. Nun gut, ich will den Dummen spielen und mich stellen, als wüßte ich gar nicht, wer er ist! (Laut.) Ich und Pjotr Iwanytsch Dobtschinskij – Grundbesitzer allhier – waren in Dienstangelegenheiten ausgegangen und in dies Gasthaus getreten, um zu sehen, ob's den Reisenden auch an nichts fehlt – denn ich bin nicht wie andere in meinem Amt, die sich um nichts kümmern. Doch nicht nur als Stadthauptmann sondern auch aus christlicher Nächstenliebe will ich, daß jeder Sterbliche gut behandelt werde – und da läßt mich der Zufall, just als wollte er mich belohnen, Ihre werte Bekanntschaft machen.

Chlestakow.

Auch ich freue mich ungemein. Denn ohne Sie – ich will's gestehen – hätt' ich noch lange hier sitzen müssen: ich wußte nicht, womit ich den Wirt bezahlen sollte ....

Stadthauptmann (für sich).

Erzähle du nur! Du nicht wissen, womit zu bezahlen! (Laut.) Darf ich mir gestatten, zu fragen, wohin Sie reisen?

Chlestakow.

Auf mein Gut im Ssaratowschen Gouvernement.

Stadthauptmann (für sich, mit ironischer Miene).

Ins Ssaratowsche Gouvernement! Und errötet nicht einmal! O, mit ihm heißt's, die Ohren gespitzt! (Laut.) Sie thun sehr wohl, zu reisen. Freilich, unterwegs ärgert man sich über die Verzögerung der Postpferde, aber anderseits findet der Geist viel Zerstreuung .... Sie reisen wohl hauptsächlich zu Ihrem Vergnügen?

Chlestakow.

Nein, der Vater verlangt nach mir. Der Alte ist wütend, daß ich bis jetzt in Petersburg noch gar nicht avanciert sei. Er meint, man brauche nur nach Petersburg zu kommen, um sofort den Wladimir-Orden ins Knopfloch zu erhalten. Er thäte gut, sich mal selbst etwas in den Kanzleien herumzudrücken!

Stadthauptmann (für sich).

Ich bitte Sie, der lügt ja wie gedruckt! Sogar der alte Vater muß vorhalten! (Laut.) Und gedenken Sie lange im Ssaratowschen Gouvernement zu verweilen?

Chlestakow.

Wirklich, ich weiß es nicht. Mein Vater, der alte Racker, ist nämlich eigensinnig und dumm wie ein Klotz! Ich werde ihm ins Gesicht sagen: wie Sie wollen, aber ohne Petersburg kann ich nicht atmen! In der That, wozu soll ich mein junges Leben unter dem Bauernpack zu Grabe tragen? Die Zeiten haben sich geändert, meine Seele lechzt nach Aufklärung!

Stadthauptmann (für sich).

Der versteht's, einen Knoten zu knüpfen! Jedes Wort eine Lüge! Und verschnappt sich nicht mal .... Und wie unansehnlich und klein er ist: mit dem Daumennagel könnt' ich ihn zerdrücken! .... Aber wart nur, ich werde dich schon fassen, du mußt und wirst dich verplappern! (Laut.) Da geruhten Sie, eine sehr richtige Bemerkung zu machen! Allerdings, was thut man in einer geistigen Wüste? Nehmen wir unseren Krähwinkel: Tag und Nacht arbeitet man zum Besten des Vaterlandes, man opfert sich auf – und hat keine Aussicht auf seines Eifers Belohnung! (Das Zimmer musternd.) Dieses Zimmer scheint etwas feucht zu sein?

Chlestakow.

Ein ganz schändliches Zimmer! Und Wanzen giebt's hier wie ich sie noch nie gesehen! Beißen wie die Hunde!

Stadthauptmann.

Was Sie sagen! Ein so illustrer Gast muß Martern erdulden! Und von wem? Von erbärmlichen Wanzen, die es gar nicht verdient haben, das Licht der Welt zu erblicken!.... Und auch finster scheint das Zimmer zu sein?

Chlestakow.

Ganz finster! Der Wirt hat es sich nämlich zur Gewohnheit gemacht, mir keine Kerzen zu geben! Mitunter wandelt mich die Lust an, etwas zu arbeiten, zu lesen, oder aber meine Phantasie drängt mich zum Dichten – es ist unmöglich: stockfinstere Nacht herrscht ringsum!

Stadthauptmann.

Dürfte ich Sie bitten .... doch nein, ich bin unwürdig dieser Ehre ....

Chlestakow.

Was giebt's?

Stadthauptmann.

Nein, nein .... ich habe eine solche Ehre nicht verdient! ...

Chlestakow.

Ja, was meinen Sie eigentlich?

Stadthauptmann.

Ich wage es .... Ich habe in meinem Hause ein prächtiges, helles und ruhiges Zimmer ... doch nein, ich fühle selbst, daß die Ehre zu groß für mich sein würde .... Zürnen Sie mir nicht: bei Gott, ich machte Ihnen den Vorschlag in der Einfalt meines Herzens!

Chlestakow.

Wofür sollte ich Ihnen zürnen? Im Gegenteil: mit Vergnügen nehm' ich Ihr Anerbieten an, denn in einem Privathause werde ich mich viel wohler fühlen als in dieser Schenke.

Stadthauptmann.

Ich bin hoch erfreut! Und wie glücklich wird erst meine Frau sein! Es liegt in meinem Charakter: schon von Kindesbeinen an war ich gastfreundlich, besonders illustren Persönlichkeiten gegenüber. Halten Sie meine Worte nicht für Schmeichelei: dies Laster ist mir fremd, aber aus der Fülle meines Herzens ....

Chlestakow.

Ich bin Ihnen sehr verbunden. Auch ich liebe die Achselträger nicht. Ihre Freimütigkeit und Herzlichkeit gefällt mir ungemein und, offen gestanden, verlange ich nur, daß man mir eines erweise: Ergebenheit und Hochachtung, Hochachtung und Ergebenheit.


Neunter Auftritt.

Die vorigen und der Kellner, von Ossip begleitet. Bobtschinskij schaut zur Thür herein.

Kellner.

Sie haben nach mir verlangt?

Chlestakow.

Ja, gieb mir die Rechnung.

Kellner.

Ich habe Ihnen neulich zum zweitenmal eine gegeben.

Chlestakow.

Soll ich deine dummen Rechnungen alle im Kopf haben? Wie viel macht's im ganzen?

Kellner.

Am ersten Tage bestellten Sie ein Mittagsessen, am zweiten verlangten Sie nur einen Lachsimbiß und von da an nahmen Sie alles auf Borg.

Chlestakow.

Du Schafskopf willst mir alles vorrechnen? Ich frage dich: wie viel macht's im ganzen?

Stadthauptmann.

Bemühen Sie sich doch nicht: er kann warten. (Zum Kellner.) Mach, daß du fortkommst: das Geld wird hinuntergeschickt werden.

Chlestakow.

In der That, Sie haben recht. (Steckt das Geld wieder in die Tasche. Der Kellner ab. Bobtschinskij blickt durch die Türöffnung.)


Zehnter Auftritt.

Der Stadthauptmann, Chlestakow und Dobtschinskij, später Bobtschinskij.

Stadthauptmann.

Vielleicht wäre es Ihnen jetzt gefällig, einige Institute in unserer Stadt in Augenschein zu nehmen, wie z. B. die Armenanstalten und andere?

Chlestakow.

Was soll ich denn da?

Stadthauptmann.

Nun, ich meine, um sich von der Verwaltung und der Ordnung zu überzeugen ....

Chlestakow.

Mit dem größten Vergnügen; ich bin bereit. (Bobtschinskij steckt den Kopf zur Thür herein.)

Stadthauptmann.

Auch wünschten Sie vielleicht, der Kreisschule Ihren Besuch abzustatten, um sich zu überzeugen, mit welcher Fürsorge die Wissenschaften vorgetragen werden

Chlestakow.

Gewiß, gewiß.

Stadthauptmann.

Sodann wäre es Ihnen vielleicht gefällig, das Gefängnis und die Polizeikerker zu besichtigen, um sich von der Lage der Verbrecher –

Chlestakow.

Warum denn das Gefängnis? Beschränken wir uns doch auf die Armenanstalten! ....

Stadthauptmann.

Ganz wie Sie befehlen. Gedenken Sie Ihre eigene Equipage zu benutzen oder in meiner Droschke –

Chlestakow.

Ja, ich fahre lieber mit Ihnen in der Droschke.

Stadthauptmann (zu Dobtschinskij).

Pjotr Iwanytsch, da wäre kein Platz mehr für Sie –

Dobtschinskij.

Thut nichts, thut nichts, ich werde auch so ....

Stadthauptmann (leise zu Dobtschinskij).

Laufen Sie über Hals und Kopf und bestellen Sie zwei Briefchen: einen an den Kurator Semljanika und den anderen an meine Frau. (Zu Chlestakow.) Darf ich Sie um die Erlaubnis bitten, meiner Frau ein paar Zeilen schreiben zu dürfen, damit sie sich zum Empfange eines so ausgezeichneten Gastes bereit halte?

Chlestakow.

Wozu denn? ... Übrigens, hier ist Tinte und Feder, aber Papier ... ich weiß wirklich nicht ... Es sei denn auf dieser Rechnung ....

Stadthauptmann.

O, gewiß, warum nicht? (Schreibt und spricht für sich.) Na, wir wollen mal sehen, wie die Sachen stehen werden nach dem Frühstück mit der Flasche Dickbauch! Auch erzeugt unser Gouvernement einen Madeira, der zwar ein unscheinbares Äußere hat, aber selbst einen Elefanten zu Falle bringen könnte! Hauptsache für mich ist, in Erfahrung zu bringen, was er eigentlich vorstellt und in welchem Grade ich mich vor ihm in acht zu nehmen habe! (Giebt die beiden Billets Dobtschinskij, der mit ihnen auf die Thür zugeht; doch in diesem Augenblick geht die Thür aus den Angeln und Bobtschinskij, der an der anderen Seite gelauscht hatte, fällt mit ihr auf die Bühne. Alle stoßen einen Schrei aus. Bobtschinskij erhebt sich.)

Chlestakow.

Haben Sie irgendwo Schaden genommen?

Bobtschinskij.

Nirgends, nirgends .... es ist ausgezeichnet abgelaufen ... nur hier, über der Nase, eine kleine Schlappe .... Ich eile zu Christian Iwanytsch Hiebner .... er hat ein Pflaster .... Es wird schon vergehen ....

Stadthauptmann.

(macht Bobtschinskij ein Zeichen des Vorwurfs; zu Chlestakow).

Beunruhigen Sie sich nicht! .... Also darf ich ergebenst bitten? Ich werde Ihrem Diener sagen, daß er Ihren Koffer hinüberschafft. (Zu Ossip.) Lieber Freund, trage mal alle Sachen deines Herrn zu mir, dem Stadthauptmann; jedes Kind wird dir den Weg weisen .... Also, bitte ergebenst! .... (Läßt Chlestakow vorangehen und folgt ihm, kehrt sich jedoch um und sagt in vorwurfsvollem Ton zu Bobtschinskij.) O Sie, Sie! ... Haben Sie wirklich keinen anderen Ort zum Fallen wählen können? Streckt sich aus wie ... wie ... weiß der Teufel, wie. (Ab, Bobtschinskij folgt ihm. Der Vorhang fällt.)



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