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Nikolaj Wassiljewitsch Gogolj

Nikolaj Wassiljewitsch Gogolj.

Eine biographische Skizze.

Der geniale russische Dichter ist am 19. März 1809 in dem Flecken Ssorotschinzi (Gouv. Poltawa) geboren. Sein Vater, Wassilij Afanasjewitsch, gleichfalls ein nicht unbegabter Schriftsteller und Verfasser des hübschen Lustspiels: »Der Simpel, oder Frauenlist,« starb, als G. fünfzehn Jahre alt war; von der Mutter hatte der Knabe den Keim zu jener Religiosität empfangen, die späterhin zu den verhängnisvollsten Folgen führte. Zehn Jahre alt, kam G. in eine Vorbereitungsanstalt in Poltawa und sodann ins »Gymnasium der höheren Wissenschaften« zu Njeshin, wo er vom Mai 1821 bis Juni 1828 verblieb und nur recht mittelmäßige Kenntnisse erwarb; er schrieb zumeist Gedichte. Den Kopf voll großartiger, aber unklarer Pläne, begab er sich im Dezember 1828 nach Petersburg, wo er Schauspieler werden wollte und sodann für kurze Zeit Beamter war. 1829 gab er unter dem Pseudonym W. Alow ein romantisches Idyll heraus: »Hans Küchelgarten.« In seiner krankhaften Sucht nach praktischer Bethätigung seiner Kräfte begab er sich zu Schiffe nach Lübeck und – war schon nach einem Monat wieder in Petersburg: er motivierte seine Reise durch einen Befehl Gottes oder auch eine hoffnungslose Liebe: im Grunde hatte er nur vor sich selbst die Flucht ergriffen. Es zog ihn nach einem phantastischen Glücksland, das er in Amerika zu finden hoffte. Statt aber über den Ocean zu reisen, wurde er Beamter des Apanagendepartements (1830-1832). In diese Zeit fällt seine Bekanntschaft mit Shukowskij und A. Puschkin, den er auch in der Folge vergötterte; Pljetnow vermittelte ihm eine Lehrerstelle am Patriotischen Institut. 1831 und 1832 erschienen die »Abende auf dem Meierhofe bei Dikanjka« und machten Aufsehen, das sich mit den Sammlungen »Arabesken« und »Mirgorod« (beide 1835) noch steigerte. Anfang 1833 sehen wir G. als – Geschichtsprofessor an der Petersburger Universität: die verantwortliche Stellung verdankte er dem damaligen Unterrichtsminister Grafen Uwarow; noch bedenklicher erscheint der Umstand, daß der unberufene Professor trotz seines ständigen Fiaskos anderthalb Jahre lang das historische Katheder schmücken durfte. 1834 giebt Puschkin seinem Freunde die Idee zum »Revisor;« Es handelte sich um einen Abenteurer, der sich in einer kleinen Stadt des Nowgorodschen Gouvernements für einen Ministerialbeamten ausgab und die Krähwinkler tüchtig ausbeutelte; ja, Puschkin selbst wurde in Orenburg, wo er Materialien zu seiner Geschichte Pugatschows sammelte, für einen mit geheimen Instruktionen versehenen Revisor gehalten. Indes wäre auch noch zu berücksichtigen, daß die Komödie des damals in Rußland sehr populären Kotzebue »Die deutschen Kleinstädter« bereits 1803 erschienen war und dem Dichter bekannt sein mochte; ist doch auch die Verlesung des Briefes im fünften Akt des »Revisors« entlehnt dem vierten Auftritt des fünften Aufzugs von Molières » Le misanthrope zwar erklärte G. selbst am 4. Dezember 1835 die Komödie für endgiltig bearbeitet, doch erhielt sie erst 1842 die vorliegende Bühnengestalt und erscheint hier zum erstenmal in maßgebender Form. Das Lustspiel wurde 1836 gedruckt und darauf erst (am 19. April) in Petersburg aufgeführt: Kaiser Nikolaus selbst setzte die Inscenirung durch; der Eindruck auf das Publikum war ein unerhörter und erregte einen Orkan gehässigen Verdrusses und enthusiasmierten Beifalls.

Im Juni desselben Jahres begab sich Gogol ins Ausland, wo er, mit kurzen Unterbrechungen, jahrelang verblieb. Er weilte in Deutschland und der Schweiz, und erhielt in Paris die Nachricht von Puschkins Tode, die ihn niederschmetterte. Vorwiegend lebte er in Rom, das ihm eine zweite Heimat deuchte, und schrieb dort seine »Toten Seelen,« zu denen ihm gleichfalls Puschkin die Idee gegeben hatte. 1841 war der erste Teil fertig, und G. fuhr nach Rußland, den Druck des Werkes zu besorgen. Sodann begab er sich wieder ins Ausland und lebte bald in Rom, Frankfurt a. M. und Düsseldorf, bald in Nizza, Paris und Ostende. Die pietistischen Keime in ihm begannen immer tiefere Wurzeln zu fassen. Die hohe Meinung, die er von seinem Talent und seiner hohen Mission hatte, führten ihn zu der Überzeugung, daß die Vorsehung aus ihm rede und daß er vor allem an seiner Selbstvervollkommnung zu arbeiten habe, die jedoch nur durch den Gottgedanken erzielbar sei. Mehrere schwere Krankheiten, die er glücklich überstand, bestärkten ihn in seiner religiösen Schwärmerei, und die ihn umgebenden Freunde nährten seinen exaltierten Zustand. Er redete die Sprache der Propheten, hatte Visionen und erklärte (ein Präcedenzfall für Leo Tolstoi!) alle seine Werke für sündig und seiner weltbeglückenden Vorbestimmung unwürdig. In einem Augenblick solch krankhaft-mystischen Grübelns »opferte er Gott« den zweiten Teil der »Toten Seelen« – er verbrannte ihn (in Rom). Statt dessen beschloß er eine geläuterte Fortsetzung des Buches zu schreiben, um »die ganze Gesellschaft dem Schönen zuzuwenden.« Mitten in der gewaltigen Bewegung der Geister hinsichtlich der bevorstehenden Aufhebung der Leibeigenschaft erschien, 1847, sein »Ausgewählter Briefwechsel mit Freunden,« in welchem er alle liberalen und humanen Ideen seiner Zeit mit Füßen trat und einen Sturm der Entrüstung hervorrief, der sich namentlich in einem Briefe Bjelinskijs (in Rußland verboten) aussprach, auf den der Unglückliche keine Erwiderung finden konnte. Sein Trost blieb die religiöse Manie, die ihn 1848 nach Jerusalem zum Grabe Christi trieb. Körperlich und seelisch niedergedrückt, kehrte er heim und lebte abwechselnd auf dem Gute seiner Mutter in Klein-Rußland, in Kaluga, Odessa und Moskau. Hier, im Januar 1852, marterte ihn die Angst vor dem Tode, er fastete während des Karnevals, betete Tag und Nacht, glaubte sein nahes Ende verkündet zu hören und wurde am 21. Februar vor den Heiligenbildern tot – verhungert, wie es heißt – aufgefunden. Beerdigt ist er im Danilowschen Kloster zu Moskau. –

In seinem »Bekenntnis eines Schriftstellers« schreibt Gogolj u. a.: »Ich beschloß, im ›Revisor‹ alles Schlechte in Rußland zu einem Ganzen zu häufen, alle Ungerechtigkeiten, die an Orten und bei Gelegenheiten verübt werden, wo vor allen Dingen Gerechtigkeit vom Menschen verlangt wird, um sodann mit eins über alles zu lachen. Allein der Eindruck hiervon war bekanntlich ein erschütternder. Aus dem Lachen tönte dem Leser versteckter Schmerz entgegen.« Diese letzten Zeilen sind für den Schauspieler von weittragender Bedeutung, denn sie geben den Grundton des Stückes an und dienen gleichzeitig als Kammerton für das ganze darstellende Personal. Trotz der vielfachen Übertreibungen und plumpen Effekte ist der »Revisor« doch keine Posse, sondern eine jener eigenartigen russischen Komödien, welche »die lachende Thräne im Wappen« führen; wir lächeln, »als wenn der Tod uns kitzle mit seiner Sense,« wie Heine sagt. In einem Aufsatz »Bemerkungen für diejenigen, welche den ›Revisor‹, wie es sich gehört, darstellen wollen,« warnt Gogolj: »Vor allen Dingen fürchte man zur Karikatur zu werden. Nichts Überzeichnetes oder Triviales darf selbst in den kleinsten Rollen vorkommen. Im Gegenteil: der Schauspieler muß ganz besonders danach trachten, bescheidener, schlichter und gleichsam edler zu sein, als es die von ihm darzustellende Person in der That ist.« Die Rolle Chlestakows unterliegt zumeist einer ganz falschen Auffassung seitens der Schauspieler: sie stellen ihn als einen verschmitzten und geriebenen Gauner dar, während Chlestakow zu einem ganz anderen Menschenschlage gehört. Iwan Alexandrowitsch ist ein beschränkter, bodenlos leichtsinniger, aber sonst ganz gutmütiger junger Geck aus der Residenz, beinahe ein Gigerl seiner Zeit; er schwadroniert tapfer drauf los und hat bereits im Nebensatz vergessen, was er im Hauptsatz sagen wollte: er prahlt und lügt unbewußt, er glaubt an die Wahrheit seiner Worte. Und da hätte der Darsteller Gogoljs Ausspruch in seinem Briefe gelegentlich der ersten Aufführung der Komödie zu beherzigen: »Überhaupt verstehen unsere Schauspieler gar nicht zu lügen. Sie bilden sich ein, Lügen sei nichts weiter als Quasseln. Nein, Lügen heißt eine Unwahrheit in einem Tone sprechen, der in dem Grade an Wahrheit grenzt, sich dermaßen natürlich und naiv giebt, wie nur die Wahrheit selbst gesprochen werden kann – und hierin gerade steckt die Komik der Lüge.«

Ein Wort schließlich über die Übertragung: sie entspricht der Wilhelm Lange'schen sehr wenig, weil das Russische seine Stiefmuttersprache ist; ich mache mich anheischig, dem Übersetzer fast auf jeder Seite seines Buches die allergröbsten Mißverständnisse nachzuweisen .... Ich muß dies harte Urteil fällen, lediglich im Interesse des großen russischen Dichters.

St. Petersburg.

F. F.

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