Johann Wolfgang von Goethe
Aus einer Reise in die Schweiz über Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart und Tübingen im Jahre 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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Von Stuttgart nach Tübingen

Tübingen, den 7 September 1797.

Früh 5½ Uhr von Stuttgart abgefahren. Auf der Höhe hinter Hohenheim ging der Weg durch eine schöne Allee von Obstbäumen, wo man einer weiten Aussicht nach den Neckarbergen genießt. Man kommt durch Echterdingen, ein wohlgebautes heiteres Dorf, und die Straße geht sodann auf und ab, quer durch die Täler, welche das Wasser nach dem Neckar zuschicken.

Über Waldenbuch, das im Tale liegt und wo wir um 8½ Uhr ankamen, hat man eine schöne Aussicht auf eine fruchtbare, doch hügelige und rauhere Gegend, mit mehreren Dörfern, Feldbau, Wiesen und Wald. Waldenbuch selbst ist ein artiger zwischen Hügeln gelegener Ort mit Wiesen, Feld, Weinbergen und Wald, und einem herrschaftlichen Schloß, der Wohnung des Oberforstmeisters.

Eine ähnliche Kultur dauert bis Dettenhausen fort, doch ist die Gegend rauher und ohne Weinberg. Wir sahen Weiber und Kinder Flachs brechen. Weiterhin wird es etwas flacher. Einzelne Eichbäume stehen hie und da auf der Trift, und man hat die schöne Ansicht der nunmehr nähern Neckarberge, so wie einen Blick ins mannichfaltige Neckartal. Wir sahen bald das Tübinger Schloß und fuhren durch eine anmutige Aue nach Tübingen hinein, wo wir bei Cotta einkehrten.

Ich machte bei ihm die Bekanntschaft mit Herrn Dr. Gmelin und ging gegen Abend mit beiden die Gegend zu sehen. Aus dem Garten des Dr. Gmelin hatte man die Aussicht auf das Ammertal und Neckartal zugleich. Der Rücken eines schön bebauten Sandsteingebirges trennt beide Täler, und Tübingen liegt auf einem kleinen Einschnitt dieses Rückens wie auf einem Sattel und macht Face gegen beide Täler. Oberhalb liegt das Schloß, unterhalb ist der Berg durchgraben, um die Ammer auf die Mühlen und durch einen Teil der Stadt zu leiten. Der größte Teil des Wassers ist zu diesem Behuf weit über der Stadt in einen Graben gefaßt; das übrige Wasser, im ordentlichen Bette, so wie die Gewitterwasser, laufen noch eine weite Strecke, bis sie sich mit dem Neckar vereinigen.

Die Existenz der Stadt gründet sich auf die Akademie und die großen Stiftungen; der Boden umher liefert den geringsten Teil ihrer Bedürfnisse.

Die Stadt an sich selbst hat drei verschiedene Charaktere: der Abhang nach der Morgenseite, gegen den Neckar zu, zeigt die großen Schul-, Kloster- und Seminarien-Gebäude; die mittlere Stadt sieht einer alten zufällig zusammengebauten Gewerbstadt ähnlich; der Abhang gegen Abend, nach der Ammer zu, so wie der untere flache Teil der Stadt wird von Gärtnern und Feldleuten bewohnt; er ist äußerst schlecht, bloß notdürftig gebauet und die Straßen sind von dem vielen Mist äußerst unsauber.

 

Tübingen, den 8 September 1797.

Mittags lernte ich die Herren Plouquet, die beiden Gmelin und Schott kennen. In dem Plouquetischen Garten, der auf der unterhalb der Stadt wieder aufsteigenden Berghöhe liegt, ist die Aussicht sehr angenehm; man sieht in beide Täler, indem man die Stadt vor sich hat. An der Gegenseite des Neckartals zeigen sich die höhern Berge nach der Donau zu, in einer ernsthaften Reihe.

 

Den 9 September 1797.

Gegen Abend mit Cotta auf dem Schlosse. In den Zimmern finden sich sowohl an Decken als an Wänden und Fenstern artige Beispiele der alten Verzierungsmanier, oder vielmehr jener Art die Teile des innern Ausbaues nach gewissen Bedürfnissen oder Begriffen zu bestimmen. Da man denn doch bei einem Baumeister manchmal solche Angabe fordert, so wird er hier verschiedne Studien machen können, die mit Geschmack gebraucht gute Wirkung tun würden.

Abends die kleine Kantische Schrift gegen Schlosser, so wie den Gartenkalender und die würtembergische kleine Geographie durchgelesen und angesehen.

 

Den 10 September 1797.

Früh mit Professor Kielmeyer, der mich besuchte, verschiedenes über Anatomie und Physiologie organischer Naturen durchgesprochen. Sein Programm zum Behuf seiner Vorlesungen wird ehestens gedruckt werden. Er trug mir seine Gedanken vor, wie er die Gesetze der organischen Natur an allgemeine physische Gesetze anzuknüpfen geneigt sei, z. B. der Polarität, der wechselseitigen Stimmung und Korrelation der Extreme, der Ausdehnungskraft expansibler Flüssigkeiten.

Er zeigte mir meisterhafte naturhistorische und anatomische Zeichnungen, die nur des leichtern Verständnisses halber in Briefe eingezeichnet waren, von Georges Cuvier, von Mümpelgard, der gegenwärtig Professor der vergleichenden Anatomie am National-Institut in Paris ist. Wir sprachen verschiedenes über seine Studien, Lebensweise und Arbeiten. Er scheint durch seine Gemütsart und seine Lage nicht der völligen Freiheit zu genießen, die einem Mann von seinen Talenten zu wünschen wäre.

Über die Idee, daß die höhern organischen Naturen in ihrer Entwickelung einige Stufen vorwärts machen, auf denen die andern hinter ihnen zurückbleiben. Über die wichtige Betrachtung der Häutung, der Anastomosen, des Systems der blinden Därme, der simultanen und successiven Entwickelung.

 

Den 11 September.

Diktiert an verschiedenen Aufsätzen nach Weimar bestimmt. In der Kirche Besichtigung der farbigen Fenster im Chor. Aufsatz darüber. Mittags Professor Schnurrer, nach Tische Visiten bei den Herren die ich hier im Hause hatte kennen lernen, so wie bei Professor Meyer. Abends die Nachricht von der erklärten Fehde des Direktoriums mit dem Rate der 500. Regnichter Tag.

 

An den Herzog von Weimar

Tübingen, den 11 Sept. 1797.

Vom 25 August an, da ich von Frankfurt abreiste, habe ich langsam meinen Weg hierher genommen. Ich bin nur bei Tage gereist und habe nun, vom schönen Wetter begünstigt, einen deutlichen Begriff von den Gegenden die ich durchwandert, ihren Lagen, Verhältnissen, Ansichten und Fruchtbarkeit. Durch die Gelassenheit womit ich meinen Weg mache, lerne ich, freilich etwas spät, noch reisen. Es gibt eine Methode durch die man überhaupt in einer gewissen Zeit die Verhältnisse eines Orts und einer Gegend, und die Existenz einzelner vorzüglicher Menschen gewahr werden kann. Ich sage gewahr werden, weil der Reisende kaum mehr von sich fordern darf; es ist schon genug, wenn er einen saubern Umriß nach der Natur machen lernt und allenfalls die großen Partien von Licht und Schatten anzulegen weiß; an das Ausführen muß er nicht denken.

Der Genuß der schönen Stunden, die mich durch die Bergstraße führten, ward durch die sehr ausgefahrnen Wege einigermaßen unterbrochen. Heidelberg und seine Gegend betrachtete ich in zwei völlig heitern Tagen mit Verwunderung und ich darf wohl sagen mit Erstaunen. Die Ansichten nähern sich von mehrern Seiten dem Ideal, das der Landschaftsmaler aus mehrern glücklichen Naturlagen sich in seiner schaffenden Phantasie zusammen bildet. Der Weg von da nach Heilbronn ist teils fürs Auge sehr reizend, teils durch den Anblick von Fruchtbarkeit vergnüglich.

Heilbronn hat mich sehr interessiert, sowohl wegen seiner offnen fruchtbaren wohlgebauten Lage, als auch wegen des Wohlstandes der Bürger, und der guten Administration ihrer Vorgesetzten. Ich hätte gewünscht diesen kleinen Kreis näher kennen zu lernen.

Von da nach Stuttgart wird man von der Einförmigkeit einer glücklichen Kultur beinah trunken und ermüdet. In Ludwigsburg besah ich das einsame Schloß und bewunderte die herrlichen Alleenpflanzungen, die sich durch die Hauptstraßen des ganzen Ortes erstrecken.

In Stuttgart blieb ich neun Tage. Es liegt in seinem ernsthaften wohl gebauten Tal sehr anmutig und seine Umgebungen, sowohl nach den Höhen, als nach dem Neckar zu, sind auf mannichfaltige Weise charakteristisch.

Es ist sehr interessant zu beobachten auf welchem Punkt die Künste gegenwärtig in Stuttgart stehen. Herzog Carl, dem man bei seinen Unternehmungen eine gewisse Großheit nicht absprechen kann, wirkte doch nur zu Befriedigung seiner augenblicklichen Leidenschaften und zur Realisierung abwechselnder Phantasien. Indem er aber auf Schein, Repräsentation, Effekt arbeitete, so bedurfte er besonders der Künstler, und indem er nur den niedern Zweck im Auge hatte, mußte er doch die höheren befördern.

In früherer Zeit begünstigte er das lyrische Schauspiel und die großen Feste; er suchte sich die Meister zu verschaffen, um diese Erscheinungen in größter Vollkommenheit darzustellen. Diese Epoche ging vorbei, allein es blieb eine Anzahl von Liebhabern zurück und zu Vollständigkeit seiner Akademie gehörte auch der Unterricht in Musik, Gesang, Schauspiel und Tanzkunst. Das alles erhält sich noch, aber nicht als ein lebendiges, fortschreitendes, sondern als ein stillstehendes und abnehmendes Institut.

Musik kann sich am längsten erhalten. Dieses Talent kann mit Glück bis in ein höheres Alter geübt werden; auch ist es, was einzelne Instrumente betrifft, allgemeiner, und von jungen Leuten erreichbar. Das Theater dagegen ist viel schneller Abwechselungen unterworfen und es ist gewissermaßen ein Unglück, wenn das Personal einer besondern Bühne sich lange nebeneinander erhält; ein gewisser Ton und Schlendrian pflanzt sich leicht fort, so wie man z. B. dem Stuttgarter Theater an einer gewissen Steifheit und Trockenheit seinen akademischen Ursprung gar leicht abmerken kann. Wird, wie gesagt, ein Theater nicht oft genug durch neue Subjekte angefrischt, so muß es allen Reiz verlieren. Singstimmen dauern nur eine gewisse Zeit; die Jugend, die zu gewissen Rollen erforderlich ist, geht vorüber und so hat ein Publikum nur eine Art von kümmerlicher Freude durch Gewohnheit und hergebrachte Nachsicht. Dies ist gegenwärtig der Fall in Stuttgart und wird es lange bleiben, weil eine wunderliche Konstitution der Theateraufsicht jede Verbesserung sehr schwierig macht.

Miholé ist abgegangen und nun ist ein anderer Entrepreneur angestellt, der die Beiträge des Hofes und Publikums einnimmt und darüber, so wie über die Ausgaben, Rechnung ablegt. Sollte ein Schaden entstehen, so muß er ihn allein tragen; sein Vorteil hingegen darf nur bis zu einer bestimmten Summe steigen, was darüber gewonnen wird, muß er mit der herzoglichen Theater-Direktion teilen. Man sieht, wie sehr durch eine solche Einrichtung alles was zu einer Verbesserung des Theaters geschehen könnte, paralysiert wird. Ein Teil der ältern Acteurs darf nicht abgedankt werden.

Das Ballett verhält sich überhaupt ungefähr wie die Musik. Figuranten dauern lange, wie Instrumentalisten, und sind nicht schwer zu ersetzen; so können auch Tänzer und Tänzerinnen in einem höhern Alter noch reizend sein, unterdessen findet sich immer wieder ein junger Nachwuchs. Dieses ist auch der Stuttgarter Fall. Das Ballett geht überhaupt seinen alten Gang, und sie haben eine junge sehr reizende Tänzerin, der nur eine gewisse Mannichfaltigkeit der Bewegungen, und mehr Charakteristisches in ihrem Tun und Lassen fehlt, um sehr interessant zu sein. Ich habe nur einige Divertissements gesehen.

Unter den Particuliers hat sich viel Liebe zur Musik erhalten, und es ist manche Familie die sich im Stillen mit Klavier und Gesang sehr gut unterhält. Alle sprechen mit Entzücken von jenen brillanten Zeiten, in denen sich ihr Geschmack zuerst gebildet, und verabscheuen deutsche Musik und Gesang.

Bildhauer und Maler schickte der Herzog, wenn sie gewissermaßen vorbereitet waren, nach Paris und Rom. Es haben sich vorzügliche Männer gebildet, die zum Teil hier sind, zum Teil sich noch auswärts befinden. Auch unter Liebhaber hat sich die Lust des Zeichnens, Malens und Bossierens verbreitet; mehr oder weniger bedeutende Sammlungen von Gemälden und Kupferstichen sind entstanden, die ihren Besitzern eine angenehme Unterhaltung, so wie eine geistreiche Kommunikation mit andern Freunden gewähren.

Sehr auffallend ist es, daß der Herzog gerade die Kunst die er am meisten brauchte, die Baukunst, nicht auf eben die Weise in jungen Leuten beförderte und sich die so nötigen Organe bildete; denn es ist mir keiner bekannt, der auf Baukunst gereist wäre. Wahrscheinlich begnügte er sich mit Subjekten die er um sich hatte und gewohnt war, und mochte durch sie seine eignen Ideen gern mehr oder weniger ausgeführt sehen. Dafür kann man aber auch, bei allem was in Ludwigsburg, Stuttgart und Hohenheim geschehen ist, nur das Material, das Geld, die Zeit, so wie die verlorne Kraft und Gelegenheit was Gutes zu machen, bedauern. Ein Saal, der jetzt in der Arbeit ist, verspricht endlich einmal geschmackvoll verziert zu werden. Isopi, ein trefflicher Ornamentist, den der Herzog kurz vor seinem Tode von Rom verschrieb, führt die Arbeit nach Zeichnungen von Thouret aus. Dieses ist ein junger lebhafter Maler, der sich aber mit viel Lust auf Architektur gelegt hat.

Das Kupferstechen steht wirklich hier auf einem hohen Punkte; Professor Müller ist einer der ersten Künstler in dieser Art und hat eine ausgebreitete Schule, die, indem er nur große Arbeiten unternimmt, die geringern buchhändlerischen Bedürfnisse, unter seiner Aufsicht, befriedigt. Professor Leybold, sein Schüler, arbeitete gleichfalls nur an größern Platten und würde an einem andern Orte, in Absicht der Wirkung auf eine Schule, das bald leisten was Professor Müller hier tut.

Übersieht man nun mit einem Blicke alle diese erwähnten Zweige der Kunst und andere die sich noch weiter verbreiten, so überzeugt man sich leicht, daß nur bei einer so langen Regierung, durch eine eigene Richtung eines Fürsten, diese Ernte gepflanzt und ausgesäet werden konnte; ja man kann wohl sagen: daß die spätem und bessern Früchte jetzo erst zu reifen anfangen. Wie schade ist es daher, daß man gegenwärtig nicht einsieht, welch ein großes Kapital man daran besitzt, mit wie mäßigen Kosten es zu erhalten und weit höher zu treiben sei. Aber es scheint niemand einzusehen, welchen hohen Grad von Wirkung die Künste, in Verbindung mit den Wissenschaften, Handwerk und Gewerbe in einem Staate hervorbringen. Die Einschränkungen die der Augenblick gebietet, hat man von dieser Seite angefangen und dadurch mehrere gute Leute mißmutig und zum Auswandern geneigt gemacht.

Vielleicht nutzt man an andern Orten diese Epoche und eignet sich, um einen leidlichen Preis, einen Teil der Kultur zu, die hier durch Zeit, Umstände und große Kosten sich entwickelt hat.

Eigentlich wissenschaftliche Richtung bemerkt man in Stuttgart wenig; sie scheint mit der Carls-Akademie wo nicht verschwunden, doch sehr vereinzelt worden zu sein.

Den preußischen Gesandten Madeweiß besuchte ich, und sah bei ihm ein Paar sehr schöne Bilder, die dem Legationsrat Abel, der gegenwärtig in Paris ist, gehören. Die Sammlung dieses Mannes, der für sich und seine Freunde sehr schätzbare Gemälde aus dem französischen Schiffbruch zu retten gewußt hat, ist aus Furcht vor den Franzosen in den Häusern seiner Freunde zerstreut, wo ich sie nach und nach aufgesucht habe.

Den sehr korpulenten Erbprinzen sah ich in der Komödie; eine schwarze Binde, in der er den vor kurzem auf der Jagd gebrochnen Arm trug, vermehrte noch sein Volumen. Die Erbprinzeß ist wohlgebaut, und hat ein verständiges gefälliges Ansehen, ihr Betragen, sowohl nach innen als nach außen, muß, wie ich aus den Resultaten bemerken konnte, äußerst klug und den Umständen gemäß sein. Der regierende Herzog scheint, nach dem Schlagflusse der ihn im Juni des vorigen Jahres traf, nur noch so leidlich hinzuleben. Die Wogen des Landtags haben sich gelegt und man erwartet nun was aus der Infusion sich nach und nach präzipitieren wird.

Ich machte in guter Gesellschaft den Weg nach Kannstadt und Neckar-Rems, um das Lager von den ungefähr 25 000 Mann Östreichern zu sehen, das zwischen Hochberg und Mühlhausen steht und den Neckar im Rücken hat; es geht darin, wie natürlich, alles sauber und ordentlich zu.

Darauf sah ich auch Hohenheim mit Aufmerksamkeit, indem ich einen ganzen Tag dazu anwendete. Das mit seinen Seitengebäuden äußerst weitläufige Schloß und der mit unzähligen Ausgeburten einer unruhigen und kleinlichen Phantasie übersäete Garten, gewähren selbst im einzelnen, wenig Befriedigendes; nur hier und da findet man etwas, das besser behandelt eine gute Wirkung hervorgebracht haben würde.

Einen tätigen Handelsmann, gefälligen Wirt und wohl unterrichteten Kunstfreund, der viel Talent in eignen Arbeiten zeigt und den Namen Rapp führt, fand ich in Stuttgart und bin ihm manchen Genuß und Belehrung schuldig geworden. Professor Dannecker ist, als Künstler und Mensch, eine herrliche Natur und würde, in einem reichern Kunstelemente, noch mehr leisten als hier, wo er zu viel aus sich selbst nehmen muß.

So ging ich denn endlich von Stuttgart ab, durch eine zwar noch fruchtbare, doch um vieles rauhere Gegend, und bin nun am Fuße der höhern Berge angelangt, welche schon verkündigen was weiterhin bevorsteht. Ich habe hier schon den größern Teil von Professoren kennen gelernt, und mich auch in der schönen Gegend umgesehen, die einen doppelten Charakter hat, da Tübingen auf einem Bergrücken, zwischen zwei Tälern liegt, in deren einem der Neckar, in dem andern die Ammer fließt.

Wie auslöschlich die Züge der Gegenstände im Gedächtnis seien, bemerkte ich hier mit Verwunderung, indem mir doch auch keine Spur vom Bilde Tübingens geblieben ist, das wir doch auch, auf jener sonderbaren und angenehmen ritterlichen Expedition, vor so viel Jahren berührten.

Die Akademie ist hier sehr schwach, ob sie gleich verdienstvolle Leute besitzt und ein ungeheures Geld auf die verschiednen Anstalten verwendet wird; allein die alte Form widerspricht jedem fortschreitenden Leben, die Wirkungen greifen nicht in einander und über der Sorge wie die verschiedenen Einrichtungen im alten Gleise zu erhalten seien, kann nicht zur Betrachtung kommen, was man ehemals dadurch bewirkte und jetzt auf andere Weise bewirken könnte und sollte. Der Hauptsinn einer Verfassung wie die würtembergische bleibt nur immer: die Mittel zum Zwecke recht fest und gewiß zu halten, und eben deswegen kann der Zweck, der selbst beweglich ist, nicht wohl erreicht werden.

 

Über Glasmalerei. Fortsetzung

Tübingen, den 11 September 1797.

In dem Chor der Tübinger Kirche befinden sich bunte 20 Fenster, welche ich beobachtete und folgende Bemerkungen machte:

 

Den Grund betreffend

Derselbe ist bräunlich, scheint gleich aufgetragen zu sein und in einem trockenen Zustande mit Nadeln ausgerissen. Bei den hohen Lichtern ist der Grund scharf weggenommen, die übrige Haltung aber mit kleinen Strichlein hervorgebracht, wie man auf einem dunkeln Grund mit Kreide höhen würde. Auf diese Weise ist die Haltung bewirkt, und das Bild befindet sich auf der Seite die nach innen gekehrt ist. Der Grund ist rauh und unschmelzbar, und muß durch ein großes Feuer in das Glas gebrannt sein; die feinsten Nadelzüge stehen in ihrer völligen Schärfe da; es konnte damit auf weißen und allen andern Gläsern operiert werden. Hier sind Vögel und Tierarten auf gelbem Grunde mit unglaublicher Geschicklichkeit radiert; sowohl die Umrisse als die tiefsten Schatten scheinen mit dem Pinsel gemacht zu sein, so daß der erste Grund doch gleichsam schon als eine starke Mitteltinte anzusehen ist.

 

Die Färbung betreffend

Man kann hierüber bei den Tübinger Scheiben wenig lernen, weil sie äußerst zusammengesetzt sind. Sie haben zwar sehr gelitten und sind mitunter höchst ungeschickt geflickt; aber man sieht doch, daß sie gleich von Anfang aus sehr kleinen Stücken zusammengesetzt waren, z. B. selbst die einzelnen Teile eines Harnisches, der doch völlig einfarbig ist.

Wenn hier auf einem Glas zwei, ja drei Farben vorkommen, so ist es durch das Ausschleifen geleistet. Es sieht sehr gut aus, wenn eine weiße Stickerei auf einem farbigen Kleide ausgeschliffen ist. Dieses Ausschleifen ist vorzüglich bei Wappen gebraucht. Die weiße Wäsche neben den Gewändern so auszuschleifen, würde einen sehr guten Effekt tun. Durch dieses Mittel können z. B. viererlei Farben auf einmal dargestellt werden, ja mehrere. Eine Purpurschicht wird auf ein weißes Glas geschmolzen, das Schwarze wird auf den Purpur gemalt, das Übrige wird herausgeschliffen und man kann auf der Rückseite des Weißen wieder Farben anbringen, welche man will. Sehr dünner Purpur tut einen herrlichen Effekt, und würde bei dem geschmackvollsten Kolorit seinen Platz gehörig einnehmen. Eben so könnte gelb auf Purpur geschmolzen und eine Farbe ausgeschliffen werden.

Das Schwarze habe ich hier auf der innern Seite sehr dicht aufgemalt gesehen. Es sind auf diese Weise teils die schwarzen Teile der Wappen, teils große Zierraten auf farbige Scheiben aufgetragen.

Zu Holz, Stein und anderem Nebenwesen gibt es sehr artige Töne, die aus dem Grünen, Roten, Gelben und Violetten ins Braune spielen. Man müßte damit, bei geschmackvollerer Malerei, seine Gründe sehr sanft halten können.

Die Fleischfarbe ist nun freilich am wenigsten gut, sie steigt vom Gelben bis zum Rotgelben; ja ich habe an Nebenfiguren ein violettlich Braun bemerkt. Wollte man überhaupt wieder etwas in dieser Art versuchen, so müßte man sich einen gewissen Styl machen, und nach den mechanischen Möglichkeiten die Arbeiten behandeln.

Die Hauptfarben sind alle da, und zwar in ihrer höchsten Energie und Sattheit.

Ein Dunkelblau ist vortrefflich. Ein Hellblau scheint neuer. Eine Art von Stahlblau, vielleicht von hinten durch eine graue Schmelzfarbe hervorgebracht. Gelb vom hellsten bis ins Orange, ja Ziegelrot, Smaragdgrün, Gelbgrün, Violett, und zwar ein blauliches und ein rötliches, beides sehr schön. Purpur in allen Tönen, des hellen und dunkeln, von der größten Herrlichkeit.

Diese Hauptfarben können, wie schon oben gesagt, wenn man wollte, getötet werden, und man müßte nicht allein diese lebhafte und heftige, sondern auch eine angenehme Harmonie hervorbringen können.

 

An Schiller

Tübingen, den 14 September 1797.

Seit dem 4 September, an dem ich meinen letzten Brief abschickte, ist es mir durchaus recht gut gegangen. Ich blieb in Stuttgart noch drei Tage, in denen ich noch manche Personen kennen lernte und manches Interessante beobachtete. Als ich bemerken konnte, daß mein Verhältnis zu Rapp und Dannecker im Wachsen war, und beide manchen Grundsatz, an dem mir theoretisch so viel gelegen ist, aufzufassen nicht abgeneigt waren, auch von ihrer Seite sie mir manches Gute, Angenehme und Brauchbare mitteilten, so entschloß ich mich ihnen den Herrmann vorzulesen, das ich denn auch in einem Abend vollbrachte. Ich hatte alle Ursache mich des Effekts zu erfreuen, den er hervorbrachte, und es sind uns allen diese Stunden fruchtbar geworden.

Nun bin ich seit dem 7ten in Tübingen, dessen Umgebungen ich die ersten Tage, bei schönem Wetter, mit Vergnügen betrachtete, und nun eine traurige Regenzeit, durch geselligen Umgang, um ihren Einfluß betrüge. Bei Cotta habe ich ein heiteres Zimmer, und, zwischen der alten Kirche und dem akademischen Gebäude, einen freundlichen, obgleich schmalen Ausblick ins Neckartal. Indessen bereite ich mich zur Abreise, und meinen nächsten Brief erhalten Sie von Stäfa. Meyer ist sehr wohl und erwartet mich mit Verlangen. Es läßt sich gar nicht berechnen, was beiden unsere Zusammenkunft sein und werden kann.

Je näher ich Cotta kennen lerne, desto besser gefällt er mir. Für einen Mann von strebender Denkart und unternehmender Handelsweise hat er so viel Mäßiges, Sanftes und Gefaßtes, so viel Klarheit und Beharrlichkeit, daß er mir eine seltene Erscheinung ist. Ich habe mehrere von den hiesigen Professoren kennen lernen, in ihren Fächern, Denkungsart und Lebensweise sehr schätzbare Männer, die sich alle in ihrer Lage gut zu befinden scheinen, ohne daß sie gerade einer bewegten akademischen Zirkulation nötig hätten. Die großen Stiftungen scheinen den großen Gebäuden gleich in die sie eingeschlossen sind; sie stehen wie ruhige Kolossen auf sich selbst gegründet und bringen keine lebhafte Tätigkeit hervor, die sie zu ihrer Erhaltung nicht bedürfen.

Sonderbar hat mich hier eine kleine Schrift von Kant überrascht, die Sie gewiß auch kennen werden: Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie; ein sehr schätzbares Produkt seiner bekannten Denkart, das so wie alles was von ihm kommt, die herrlichsten Stellen enthält, aber auch in Komposition und Styl Kantischer als Kantisch ist. Mir macht es großes Vergnügen, daß ihn die vornehmen Philosophen und die Prediger des Vorurteils so ärgern konnten, daß er sich mit aller Gewalt gegen sie stemmt. Indessen tut er doch, wie mir scheint, Schlossern unrecht, daß er ihn einer Unredlichkeit, wenigstens indirekt beschuldigen will. Wenn Schlosser fehlt, so ist es wohl darin, daß er seiner innern Überzeugung eine Realität nach außen zuschreibt, und kraft seines Charakters und seiner Denkweise zuschreiben muß; und wer ist in Theorie und Praxis ganz frei von dieser Anmaßung? Zum Schlusse lasse ich Ihnen noch einen kleinen Scherz abschreiben; machen Sie aber noch keinen Gebrauch davon. Es folgen auf diese Introduktion noch drei Lieder in deutscher, französischer und spanischer Art, die zusammen einen kleinen Roman ausmachen.

 

Der Edelknabe und die Müllerin

Altenglisch

Edelknabe
Wohin? Wohin?
Schöne Müllerin!
Wie heißt du?

Müllerin
Lise.

Edelknabe
Wohin denn? wohin
Mit dem Rechen in der Hand?

Müllerin
Auf des Vaters Land,
Auf des Vaters Wiese!

Edelknabe
Und gehst so allein?

Müllerin
Das Heu soll herein,
Das bedeutet der Rechen;
Und im Garten daran
Fangen die Birn' zu reifen an,
Die will ich brechen.

Edelknabe
Ist nicht eine stille Laube dabei?

Müllerin
Sogar ihrer zwei
An beiden Ecken.

Edelknabe
Ich komme dir nach,
Und am heißen Mittag
Wollen wir uns drein verstecken.
Nicht wahr? im grünen vertraulichen Haus –

Müllerin
Das gäbe Geschichten.

Edelknabe
Ruhst du in meinen Armen aus?

Müllerin
Mit nichten!
Denn wer die artige Müllerin küßt
Auf der Stelle verraten ist.
Euer schönes dunkles Kleid
Tät' mir leid
So weiß zu färben.
Gleich und gleich! so allein ist's recht!
Darauf will ich leben und sterben.
Ich liebe mir den Müller-Knecht
An dem ist nichts zu verderben.


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