Johann Wolfgang von Goethe
Aus einer Reise in die Schweiz über Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart und Tübingen im Jahre 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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Von Frankfurt nach Heidelberg

Den 25 August 1797.

Bei neblichtem, bedecktem, aber angenehmem Wetter früh nach 7 Uhr von Frankfurt ab. Hinter der Warte war mir ein Kletterer merkwürdig, der mit Hülfe eines Strickes und zweier Eisen an den Schuhen auf die starken und hohen Buchen stieg. Auf der Chaussee von Sprenglingen bis Langen findet sich viel Basalt, der sehr häufig in dieser flach erhobenen Gegend brechen muß; weiterhin sandiges, flaches Land, viel Feldbau, aber mager. Ich sah seit Neapel zum ersten Mal wieder die Kinder auf der Straße die Pferde-Exkremente in Körbchen sammeln.

Um 12 in Darmstadt, wo wir in einer Viertelstunde expediert wurden. Auf der Chaussee finden sich nun Steine des Grundgebirges: Sienite, Porphyre, Tonschiefer und andere Steinarten dieser Epoche. Darmstadt hat eine artige Lage vor dem Gebirge, und ist wahrscheinlich durch die Fortsetzung des Wegs aus der Bergstraße nach Frankfurt in frühern Zeiten entstanden. In der Gegend von Fechenbach liegen sandige Hügel, gleichsam alte Dünen, gegen den Rhein vor, und hinterwärts gegen das Gebirg ist eine kleine Vertiefung wo sehr schöner Feldbau getrieben wird. Bis Zwingenberg bleibt der Melibokus sichtbar, und das schöne wohlgebaute Tal dauert fort. Die Weinberge fangen an sich über die Hügel bis an das Gebirge auszubreiten. In der Gegend von Heppenheim ist man mit der Ernte wohl zufrieden. Zwei schöne Ochsen, die ich beim Postmeister sah, hatte er im Frühjahr für 25 Carolin gekauft, jetzt würden sie für 18 zu haben sein. Die Kühe sind im Preise nicht gefallen. Wegen Pferdemangel fuhren wir erst halb sechs von Heppenheim weiter. Beim Purpurlichte des Abends waren die Schatten, besonders auf dem grünen Grase, wundersam smaragdgrün. Man passiert zum ersten Mal wieder ein Wasser von einiger Bedeutung, die Weschnitz, die bei Gewittern sehr stark anschwillt. Schöne Lage von Weinheim. Abends halb zehn Uhr erreichten wir Heidelberg und kehrten, da der goldene Hecht besetzt war, in den drei Königen ein.

 

Heidelberg, den 26 August 1797.

Ich sah Heidelberg an einem völlig klaren Morgen, der durch eine angenehme Luft zugleich kühl und erquicklich war. Die Stadt in ihrer Lage und mit ihrer ganzen Umgebung hat, man darf sagen etwas Ideales, das man sich erst recht deutlich machen kann, wenn man mit der Landschaftsmalerei bekannt ist, und wenn man weiß, was denkende Künstler aus der Natur genommen und in die Natur hineingelegt haben. Ich ging in Erinnerung früherer Zeiten über die schöne Brücke und am rechten Ufer des Neckars hinauf. Etwas weiter oben, wenn man zurücksieht, hat man die Stadt und die ganze Lage in ihrem schönsten Verhältnisse vor sich. Sie ist in der Länge auf einem schmalen Raum zwischen den Bergen und dem Flusse gebauet, das obere Tor schließt sich unmittelbar an die Felsen an, an deren Fuß die Landstraße nach Neckargemünd nur die nötige Breite hat. Über dem Tore steht das alte verfallene Schloß in seinen großen und ernsten Halbruinen. Den Weg hinauf bezeichnet, durch Bäume und Büsche blickend, eine Straße kleiner Häuser, die einen sehr angenehmen Anblick gewährt, indem man die Verbindung des alten Schlosses und der Stadt bewohnt und belebt sieht. Darunter zeigt sich die Masse einer wohlgebauten Kirche und so weiter die Stadt mit ihren Häusern und Türmen, über die sich ein völlig bewachsener Berg erhebt, höher als der Schloßberg, indem er in großen Partien den roten Felsen, aus dem er besteht, sehen läßt. Wirft man den Blick auf den Fluß hinaufwärts, so sieht man einen großen Teil des Wassers zu Gunsten einer Mühle, die gleich unter dem untern Tore liegt, zu einer schönen Fläche gestemmt, indessen der übrige Strom über abgerundete Granitbänke in dieser Jahreszeit seicht dahin und nach der Brücke zufließt, welche, im echten guten Sinne gebaut, dem Ganzen eine edle Würde verleiht, besonders in den Augen desjenigen, der sich noch der alten hölzernen Brücke erinnert. Die Statue des Kurfürsten, die hier mit doppeltem Rechte steht, so wie die Statue der Minerva von der andern Seite, wünscht man um einen Bogen weiter nach der Mitte zu, wo sie am Anfang der horizontalen Brücke, um so viel höher, sich viel besser und freier in der Luft zeigen würden. Allein bei näherer Betrachtung der Konstruktion möchte sich finden, daß die starken Pfeiler, auf welchen die Statuen stehen, hier zur Festigkeit der Brücke nötig sind; da denn die Schönheit wie billig der Notwendigkeit weichen mußte.

Der Granit, der an dem Wege heraussteht, machte mir mit seinen Feldspatkrystallen einen angenehmen Eindruck. Wenn man diese Steinarten an so ganz entfernten Orten gekannt hat und wiederfindet, so geben sie uns eine erfreuliche Andeutung des stillen und großen Verhältnisses der Grundlagen unserer bewohnten Welt gegen einander. Daß der Granit noch so ganz kurz an einer großen Plaine hervorspringt, und spätere Gebirgsarten im Rücken hat, ist ein Fall, der mehr vorkommt; besonders ist der von der Roßtrappe merkwürdig. Zwischen dem Brocken und den ebengenannten ungeheuern Granitfelsen, die so weit vorliegen, finden sich verschiedene Arten Porphyre, Kieselschiefer u. s. w. Doch ich kehre vom rauhen Harz in diese heitere Gegend gern und geschwind zurück, und sehe durch diesen Granit eine schöne Straße geebnet; ich sehe hohe Mauern aufgeführt, um das Erdreich der untersten Weinberge zusammen zu halten, die sich auf dieser rechten Seite des Flusses, den Berg hinauf, gegen die Sonne gekehrt, verbreiten.

Ich ging in die Stadt zurück, eine Freundin zu besuchen, und sodann zum Obertore hinaus. Hier hat die Lage und Gegend keinen malerischen, aber einen sehr natürlich schönen Anblick. Gegenüber sieht man nun die hohen gutgebauten Weinberge, an deren Mauer man erst hinging, in ihrer ganzen Ausdehnung. Die kleinen Häuser darin machen mit ihren Lauben sehr artige Partien, und es sind einige, die als die schönsten malerischen Studien gelten könnten. Die Sonne machte Licht und Schatten, so wie die Farben deutlich; wenige Wolken stiegen auf.

Die Brücke zeigt sich von hier aus in einer Schönheit, wie vielleicht keine Brücke der Welt; durch die Bogen sieht man den Neckar nach den flachen Rheingegenden fließen, und über ihr die lichtblauen Gebirge jenseit des Rheins in der Ferne. An der rechten Seite schließt ein bewachsener Fels mit rötlichen Seiten, der sich mit der Region der Weinberge verbindet, die Aussicht.

Gegen Abend ging ich mit Demoiselle Delf nach der Plaine, zuerst an den Weinbergen hin, dann auf die große Chaussee herunter, bis dahin, wo man Rohrbach sehen kann. Hier wird die Lage von Heidelberg doppelt interessant, da man die wohlgebauten Weinberge im Rücken, die herrliche fruchtbare Plaine bis gegen den Rhein, und dann die überrheinischen blauen Gebirge in ihrer ganzen Reihe vor sich sieht. Abends besuchten wir Frau von Cathcart und ihre Tochter, zwei sehr gebildete und würdige Personen, die im Elsaß und Zweybrücken großen Verlust erlitten. Sie empfahl mir ihren Sohn, der gegenwärtig in Jena studiert.

 

Heidelberg, den 26 August 1797.

An der Table d'hote waren gute Bemerkungen zu machen; eine Gesellschaft östreichischer Offiziere, teils von der Armee, teils von der Verpflegung, gewöhnliche Gäste, unterhielten sich heiter und in ihren verschiedenen Verhältnissen des Alters und der Grade ganz artig.

Sie lasen in einem Briefe, worin einem neuen Eskadron-Chef von einem humoristischen Kameraden und Untergebenen zu seiner neuen Stelle Glück gewünscht wird; unter andern sehr leidlichen Bonmots war mir das eindrücklichste:

»Offiziere und Gemeine gratulieren sich, endlich aus den Klauen der Demoiselle Rosine erlöst zu sein.« Andere brachten gelegentlich Eigenheiten und Unerträglichkeiten verschiedener Chefs aus eigener Erfahrung zur Sprache. Einer fand grüne Schabracken mit roten Borten bei seiner Eskadron und erklärte diese Farben für ganz abscheulich; er befahl also in Gefolg dieses Geschmacks-Urteils sogleich, daß man rote Schabracken mit grünen Borten anschaffen solle. Eben so befahl er auch, daß die Offiziere Hals- und Hosen-Schnallen völlig überein tragen sollten, und daß der Obrist alle Monate genau darnach zu sehen habe.

Überhaupt bemerkte ich, daß sie sämtlich sehr geschickt und sogar mit Geist und Verwegenheit, mit mehr oder weniger Geschmack, die richtige und komische Seite der Sachen auffanden; doch zuletzt war das Sonderbare, daß ein einziges vernünftiges Wort die ganze Gesellschaft aus der Fassung brachte. Einer erzählte nämlich von dem Einschlagen eines Gewitters, und sagte bezüglich auf den alten Aberglauben: daß so ein Haus eben immer abbrenne. Einer von den Freunden, der, wie ich wohl nachher merkte, ein wenig in Naturwissenschaften gepfuscht haben mochte, versetzte sogleich: »ja, wenn es nicht gelöscht wird!« worin er zwar ganz recht hatte, allein zugleich zu vielem Hin- und Widerreden Anlaß gab, bei dem der ganze Diskurs in Konfusion geriet, unangenehm wurde und zuletzt sich in ein allgemeines Stillschweigen verlor.

Unter andern skizzierten sie auch einen Charakter, der wohl irgendwo zu brauchen wäre: Ein schweigender, allenfalls trocken humoristischer Mensch, der aber, wenn er erzählt und schwört, gewiß eine Lüge sagt, sie aber ohne Zweifel selbst glaubt.

Geschichten vom General W. und seinem Sohne, der im Elsaß zuerst zu plündern und zu vexieren anfing. Überhaupt von der seltsamen Konstitution der Armee: ein Wunsch des Gemeinen nach Krieg, des Offiziers nach Frieden.


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