Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Fabeln
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Die Eiche und der Kürbiß.

    Sohn, mit Weisheit und Verstand
Ordnete des Schöpfers Hand
Alle Dinge. Sieh' umher!
Keines steht von ohngefähr,
Wo es steht! Das Firmament,
Wo die große Sonne brennt,
Und der kleinste Sonnenstaub,
Deines Athems leichter Raub,
Trat, auf unsers Gottes Wort,
Jegliches an seinen Ort.
Jedes Ding in seiner Welt
Ist vollkommen; dennoch hält
Mancher Thor es nicht dafür,
Und kunstrichtet Gott in ihr!

Solch ein Thor war jener Mann,
Den ich dir nicht nennen kann,
Der, als er an schwachen Ranken
Einen Kürbiß hangen sah',
Groß und schwer, wie deiner da,
Den du selbst gezogen hast,
Den verwegenen Gedanken
Hegete: Nein, solch eine Last
Hätt' ich an so schwaches Reis
Wahrlich doch nicht aufgehangen!
Mancher Kürbiß, gelb und weiß,
Reih' bei Reih', in gleichem Raum,
Hätte sollen herrlich prangen
Hoch am starken Eichenbaum!

Also denkend geht er fort,
Und gelanget an den Ort
Einer Eiche; lagert sich
Längelang in ihren Schatten
Und schläft ein. –
                              Die Winde hatten
Manchen Monat nicht geweht;
Aber als er schläft, entsteht
In der Eiche hohem Wipfel
Ein Gebrause; starke Weste
Schütteln ihre vollen Aeste;
Plötzlich stürzt von dem Bewegen
Prasselnd ein geschwinder Regen
Reifer Eicheln von dem Gipfel.
Viele liegen in dem Grase,
Aber eine fällt gerade
Dem Kunstrichter auf die Nase!

Plötzlich springt er auf und sieht,
Daß sie blutet. Dieser Schade
Geht noch an! denkt er und flieht
Und bereuet auf der Flucht
Den Gedanken, welcher wollte,
Daß der Eichbaum eine Frucht,
Gleich dem Kürbiß, tragen sollte.
»Traf ein Kürbiß mein Gesicht«,
Sprach er, »nein, so lebt' ich nicht!
O, wie dumm hab' ich gedacht!
Gott hat alles wohl gemacht!«

 


 


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