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Buchschmuck

XXV. Kapitel.
Das Rencontre

Als Frithjof Toilette machte für die Audienz bei Lars, diesen schwersten Gang seines Lebens, zwang er sich zu Scherzen, um Ethel über seine Stimmung zu täuschen. Er ahnte nicht, daß die ängstlich spähenden Blicke aus ihren schwarzen Augen ihn durchschauten. Auch tat sie ganz harmlos, als ob sie es nicht sähe, wie er eben verstohlen einen Revolver in die rückwärtige Tasche gleiten ließ.

Auf dem Wege gab er sich wilden und stürmischen Gedanken hin. Seine Erregung wuchs, als er auf der Straße ein ungewöhnliches Leben sah; zahlreiche Gruppen drängten sich um die an Kaffee- und Geschäftshäusern angeschlagenen Depeschen und debattierten erregt; an den größeren Plätzen ein Menschenschwall, der sich hier staute, dort hastig nach vorwärts drängte; eine auffallend große Zahl von Wagen raste durch die Stadt; vor den Wechselstuben besprachen kleinere Gruppen von Bürgern lebhaft die neuesten Ereignisse in Verbindung mit der Börse. Frithjof hörte einzelne Worte: »Holthoffscher Konzern – erhöhter Kurs – Lieferungen – Kriegsanleihen – aufgelegt – sehr günstig - überzeichnet –« Jungen rannten an ihm vorüber und schrien Extrablätter feil. An manchen Stellen der Straßen war das Gedränge lebensgefährlich, er hatte Mühe, vorwärts zu kommen.

Frithjof ahnte nicht, daß Ethel, von innerer Unruhe gepeitscht, ihm – kaum er das Haus verlassen – gefolgt war.

Als er eben in die Vorhalle des Ministeriums trat, weckte ihn ein flüchtiges Seidenrauschen aus seinen Träumen: Zwei Frauenkleider, die auf der Treppe nach den Privatgemächern des Ministers verschwanden, ein schwarzes und ein helles Kleid; er vermutete Mama Ehrsam und Lydia.

Man führte ihn diesmal in einen besonderen Warteraum, wo nur er allein war. Bald darauf trat Helmut ein. Der Staatssekretär begrüßte ihn mit alter burschikoser Kameradschaftlichkeit, aus der Frithjof herausfühlte, wie falsch jeder Ton klang. Schattenfroh war noch immer die alte kräftige Gestalt, nur der dichte blonde Schnurrbart in dem bleichen, abgearbeiteten Gesicht schien noch buschiger geworden zu sein. Die Züge hatten unter dem neuen Spiel der diplomatischen Schlauheit gelitten. Ihre biedere Offenheit war ein wenig künstlich geworden und hatte die grelle Nuance vorsichtig tastender Herablassung erhalten. Man sah ihm die Arbeit und die Sorge an. Zugleich aber auch das Hochgefühl der Überlegenheit. Auf seinem Gesicht stand die Überzeugung geschrieben: Die Flut, die ihn gehoben, die habe er selbst gemacht. Wenigstens hatte er die Überzeugung davon, wie der glückliche Spieler an der Roulette den Gewinn des Zufalls seiner Schlauheit zuschreibt.

Als Helmut hereintrat, konnte Frithjof noch durch die halbgeöffnete Tür bemerken, wie Helmut im Halbdunkel des anderen Zimmers eine Damenhand geküßt hatte, einer Dame, die nach demselben Seidenrauschen wie vorhin an der Treppe unten zu schließen, sich eben zu entfernen schien.

Kaum hatten Frithjof und Helmut einige Worte gewechselt, als der Diener wieder die Tür öffnete und den kleinen geheimnisvollen Mann mit dem Katzenschritt und den funkelnden Augen eintreten ließ, den Herrn Dr. Lehmann, der mit der steifen Korrektheit eines Offiziers die Hacken zusammenschlug und sich vor dem Staatssekretär verbeugte. Frithjof beobachtete unter seinen halb gesenkten Augenlidern unwillkürlich die beiden und sah, wie ein feines Lächeln der Verständigung über ihre Gesichter lief. Sie sagten sich unzweifelhaft: Heute wird es gemacht.

Frithjof erriet sofort die Situation. Es handelte sich um eine Falle. Lars hatte ihm die Audienz bewilligt, um ihn da hineinzulocken. Der Direktor der Landesirrenanstalt war nicht umsonst erschienen. Frithjof kam es vor, als ob er beim Öffnen der Tür draußen im halbdunklen Vorzimmer die Schatten zweier großer stämmiger Gestalten erblickt hätte! Oder waren es nur Bilder seiner aufgescheuchten Phantasie?

In diesem Augenblick trat auch schon Lars aus seinem Arbeitskabinett.

»Ah,« sagte der Minister, »da sind Sie ja wieder! Schon lange nicht das Vergnügen gehabt!«

Es war sein alter Android. In dem dunklen Bart waren einige Haare farblos geworden. In die Gummihaut des Gesichtes hatten sich Falten eingeschlichen, die ihm etwas besonders Unehrliches und doch wieder sehr viel vornehm überlegene Schlauheit aufprägten. Die Zeit hatte in diesem Gesichte gearbeitet wie ein Theaterfriseur: hier ein paar Schatten, dort ein paar Furchen, hier eine Ausdehnung, dort eine kleine Zusammenziehung, hier etwas welk-graues, dort etwas bleiches – und das Gesicht der Puppe hatte einen Charakter bekommen. Glücklicherweise einen sehr feudalen Charakter.

Frithjof begann mit einer Einleitung, wie er sie sich in seiner Nervosität zurechtgelegt hatte, über die letzten politischen Ereignisse. Aber Lars schien nicht darauf zu hören. Er sprach von ganz anderem. Nur als aus Frithjofs Mund das Wort Krieg fiel, reagierte er heftig:

»Äh .. wissen Sie nicht, was Moltke gesagt hat: Der Kri … Krieg gehört zur … äh … go … go … gottgewollten Weltordnung. Mit dieser unvergänglichen Sentenz hat sich der große, strenggläubige Schlachtenlenker zu einem … äh … Hohepriester des Christentums erhoben.«

»Gottgewollt? Hat er denn jemals darüber mit Gott gesprochen? Woher wußte er denn dies so genau?« wollte Frithjof schon fragen. Doch erinnerte er sich, selbst diesen Satz in seinem Androiden festgelegt zu haben wie viele andere ähnliche. Es war unzweifelhaft, er hatte es mit seinem Automaten zu tun. Es wurde ihm ganz wirr vor Augen.

Als Frithjof so – nach langer Zeit – wieder seinem Androiden gegenüber stand, fühlte er sich wie in einem krabbelnden Ameisenhaufen. Ihn bedrückte ein Gefühl sehr großer Ehrerbietung.

Er kann dieses Gefühl nicht bewältigen: es ist ja eine Exzellenz! Noch einmal steigen in ihm die grausamen Zweifel auf: Ob das wirklich sein Automat ist? Ob er sich nicht täuscht? Ob nicht sein eigenes Hirn verrenkt ist? Auf einmal blitzt es durch seinen Geist: Unzweifelhaft, für diese selbe Stunde war der leitende Arzt der Landesirrenanstalt zum Minister bestellt; handfeste Wärter oder Geheimpolizisten sind ihm beigegeben. Unzweifelhaft: sie befinden sich im anstoßenden Raume. Frithjof ließ seinen prüfenden Blick von Helmut auf den Direktor, vom Direktor auf Helmut gleiten, dann blinzelte er Lars in die unergründlich grünen, nichtssagenden Augen und dachte: »Vielleicht bin ich wirklich wahnsinnig?« Und beim Knistern des Getäfels an der Tür des Nebenzimmers sagte er sich! »Da lauern sie dahinter! Sie warten nur auf das Signal!«

Seines schöpferischen Hirnes harrte die ungeheuerlichste Vernichtung: der geistige Tod! – Welch ein Ende! –

Aber er hatte eine Pflicht zu erfüllen, einen Kampf zu Ende zu kämpfen, einen Verzweiflungskampf! Es fiel ihm ein, was er einst der kranken Ethel so richtig gesagt: »Das Leben ist kein Gefecht mit blanken Schwertern, es ist ein Kampf von Niedrigkeiten gegen Niedrigkeiten; etwas Verstohlenes, Heimtückisches, Hämisches.«

Hämisches! Das Lächeln um die Lippen des Ministers, des Bonvivant, trug ganz diesen Charakter: ein unendlich ätzender Hohn, herablassend, demütigend. Vergebens sagte sich Frithjof, daß er sich mit Unrecht verletzt fühle; er selbst hatte ja diese Finesse des Muskelspiels, diese Macht des Ausdrucks in die Gunmibänder des Gesichts geprägt. Es war nichts als ein Spiel von Kontraktionen, Bänder, die sich ausdehnten, zusammenzogen, nichts als Gummi elasticum. Und dennoch konnte er gegen seine Empfindungen nicht aufkommen. Dennoch demütigte ihn dieses Kontraktionsspiel, trieb ihm das Blut zu Kopfe, verwirrte, entgeistigte und entmannte ihn. Vergebens sagte er sich, daß der Blutmechanisrnus in seinem eigenen Herzen, in seinem eigenen Hirn falsch reagiere, – er fühlte seine Ohnmacht vor diesem Gummigaukelspiel, und fühlte sie – wie alle anderen Menschen auch!

Wie ehrerbietig steif der Herr Staatssekretär dastand; nichts mehr von Helmut in seiner alten Burschenherrlichkeit; und wie erst in untertänigster Gehorsamkeit der kleine Jaguar!

Plötzlich und unbegründet kicherte der Minister, allerdings höchst diskret und nur vorsichtig vor sich hin. Die Anwesenden waren verblüfft. Der Direktor senkte den Blick: »Seine Exzellenz hatte gewiß einen guten Einfall.«

Helmut dagegen, gewöhnt an dieses spöttische Kichern und zugleich beleidigt, dachte mit der Überlegenheit des Kammerdieners über seinen Herrn:

»Die Albernheit kichert aus ihm.«

Frithjof aber fand den Effekt für einen Automaten ganz amüsant.

Als Frithjof sich wieder dem Minister zuwandte, bemerkte er, daß die Haut, obwohl der Fabrikant für zehn Jahre garantiert hatte, über der Nase bereits welk und leicht gefältelt war: Welche gedankengefurchte Stirn!

Frithjof sträubte sich vergebens gegen diese Macht natürlicher Suggestion! vor seinen Augen wuchs die Persönlichkeit von Lars gewaltig hinan. War er schon imponierend gewesen als Großindustrieller, so schwebte er jetzt in fast unerreichbaren Höhen: Minister!

Auf der Herzseite vom Rocke Lars' gleiste, umgeben von blitzenden Brillanten, ein hoher Orden. Soeben, vor einer halben Stunde, hatte Seine Majestät ihm denselben als Ausdruck huldvollster Zufriedenheit allergnädigst zu verleihen geruht.

Frithjof dachte: »Noch einige Tage und mein Lars wird als hohe und allerhöchste Auszeichnung in Gnaden die Verleihung von Nasenringen einführen. Nasenringe dritter, zweiter, erster Klasse! Nasenringe mit roten, blauen, bunten Schleifchen! Nasenringe in Brillanten! Wenn die Walze Nr. 375 noch glatt in ihrem Lager läuft, dann ist das in kurzer Zeit zu erwarten. Ich sehe schon hohe Beamte, Generäle, Hofräte, berühmte Professoren und andere verdienstvolle Leute in gut gespielter Bescheidenheit herumstolzieren, ihre Nasenringe hochtragend. Ich sehe schon einen künftigen Helmholtz mit Würde der Akademie der Wissenschaften präsidieren, indes an seiner Nasenspitze etwas Glitzerndes baumelt. In des Reifleins Diamantzier verfängt sich von Zeit zu Zeit ein Strahl elektrischen Lichtes und blinzelt dem einen oder anderen der gelehrten Herren hinein in die voll Ehrerbietung erschauernde Mannesbrust! O süß blinzelnder Huldstrahl aus gnädigst verliehenem Nasenring!«

Mitten in der drohenden Gefahr überkam Andersen der ungeheure Humor der Situation. Er hatte sich seinen Androiden als Scherz für eine Gesellschaft fröhlicher Gesellen gedacht, Leute, die dem Leben überlegen wären. Nun war die Maschine unter die goldchamarrierten Hochnasen des Daseins geraten und diese machten sich gläubig zu Packpferden seines Witzes. Eine Jasagemaschine, eine Bücklingmaschine, eine Ergebenheitsmaschine, eine Maschine von Drohungen, Versprechungen, Nichtigkeiten! Ein Android als Minister in einem androidalen Staate mit androidalen Untertanen!

Er schämte sich vor sich selber, daß das Bewußtsein, einem Minister gegenüber zu stehen, ihn innerlich ebenso mit ungeordneten Blutwellen überströmte und lähmte – wie alle anderen Menschen auch. Unzweifelhaft, die mechanische Folge der Erziehung, die geheime Feder des Triebes zur Anbetung.

Der Trieb zur Anbetung! Er schämte sich seiner selbst! …

Er wird auf Lars zustürzen und ihm einen wuchtigen Faustschlag an die Schläfe versetzen. Vielleicht geraten dann alle Walzen durcheinander und mit dem Automaten ist es zu Ende. Doch nein! Wer weiß! Wenn er wirr zu reden anfängt, ob nicht die Leute aus ihm noch eine Gottheit machen werden? Konnte man wissen?

In dieser Tragikomik der Situation drängte sich Frithjof noch eine Beobachtung auf:

Unzweifelhaft, mit seinem Automaten war etwas vorgegangen. Die Sprechwalzen saßen nicht mehr fest in ihrem Lager. Sie ächzten jedesmal, sie stockten, sie schnarrten. Das kam aus dem Munde Lars hervor wie ein Äh … Äh … ein Stottern, ein Näseln. Und erst der nervöse Tic, der seine linke Augenwimper von Zeit zu Zeit zucken machte! Kurz, es war ganz feudal!

Und wie hocharistokratisch war erst die strenge Gemessenheit aller Bewegungen, das vollendet Automatische, das wie vornehmste Selbstbeherrschung, erhabene Kühle wirkte! Jeder Kavalier hätte ihn bewundert, beneidet um diese gelenke Steifheit. Auch sprach er jetzt halbleise, so daß man mit angestrengter Aufmerksamkeit folgen mußte! Dadurch gewann jedes Wort an Bedeutung! Höchst feudal!

»Heu … heute,« sagte er, »war mein lieber Graf von .. äh.. äh.. Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen … bei mir, äh! Edelmann – von Kopf zur Zehe – von Kopf zur Zehe – sehr patriotisch! Wollte seinen Sohn ins … äh … Feld schicken. – Die von Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen … Patrioten – exzessive Patrioten … altes Geschlecht … verdienter Adel.«

Andersen wußte, was kommen würde und freute sich im Vorhinein über die verblüfften Gesichter, welche die beiden, Helmut und der devote Nervenarzt, machen würden; er versuchte deshalb Lars auch das Stichwort zu geben: »Für den Adel ist diese ganze Treue wie alle Ideale Geschäft. Krieg, Thron, Altar, alles Geschäft, Dünger für ihre Stammbäume. Die Schweizer haben das billiger gegeben. Sie taten es schon für ein Handgeld! Während der Adel mit Titeln, Orden, Ehren, Stellen, Dotationen nicht zu sättigen ist.«

»Äh … äh … allerdings –« näselte Lars, »die … von Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen … fa … famoses Geschlecht! Wenn Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen der Jüngere … auf dem Schlachtfelde auch nur ei … einen … äh … Hosenknopf verliert … werden sie es … äh … bis in die zehnte Generation … durch alle Stammbäume und Ahnenbibeln … in Verrechnung bringen und der … äh … äh … zehnte Nachfolger Seiner Majestät … wird noch dafür den zehnten … äh … Urenkel derer von Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen mit einem Stellchen … äh … Ä … Ämtchen oder dergleichen entlohnen müssen. Der Adel tut eben alles für Gott, König und Vaterland … äh … aber nichts umsonst.«

Der Nervenarzt kicherte devot: »Exzellenz ist doch von einem genialen Witz.«

Helmut berührte dieser Sarkasmus ganz angenehm; von Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen mit seinen Forderungen und seinen Drohungen war ihm in den letzten Tagen besonders lästig geworden.

»Natürlich,« sagte Andersen mit humorvoller Entrüstung, »die Eitelkeiten derer von Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen sind für den Staatsmann maßgebend, nicht aber die Tausende, die verbluten, die Schulze, die Meyer? Das herausgeschlagene Gehirn eines Schulze, die hervorquellenden Eingeweide eines Meyer, die Tränen ihrer Mütter sind wohl nicht der Rede wert!«

Der Minister dreht beim Schlagworte blitzschnell den Kopf um.

»Schulze, Meyer!« ruft er, »äh … vor … vorzüglich … Wenn Fünfzigtausend Schulzen das Gehirn herausgeschlagen und hunderttausend Meyers die Eingeweide … das ist … allerdings … das ist … vom Standpunkte des … äh … landesväterlichen Herzens höchst bedauerlich, hö … höchst bedau … bau … dauerlich, Habe da eine Statistik. Im Lande sind … sind 150 673 Schulzen und 363 735 Meyer, natürlich mit ebensovielen Müttern, Schwestern, Bräuten … bleiben also immer no … noch … äh … 105 761 Schulzen … und 261 735 Meyer, mit Gehirn und Eingeweiden … zum he … he … herausschlagen, auch so viele Mütter Meyer, Schwestern Meyer, Bräute Meyer … Äh! … 's ist mal das Schicksal der Schulze und Meyer! Man kann doch nicht alle 514 408 Schulze und Meyer bis in die zehnte Generation belohnen! – Das kann man nur … äh … bei meinem lieben Freund dem Grafen Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen … äh! Für die Belohnungen sind ja eben die E … E … Edelsten der Nation da!«

Lars machte einen Anlauf, in sein altes Lachen auszubrechen. Aber die Lachwalze war wohl auch beschädigt. Es schlich sich nur ein hüstelndes Kichern heraus. Doch das klang ebenfalls hübsch feudal, klang ganz glücklich der Situation angepaßt. Andersen freute sich aus den Zahlen zu entnehmen, daß die alte Rechenmaschine noch einigermaßen, wenn auch falsch funktioniere. Er sagte mit einem Schmunzeln:

»Aber die Schulzen und Meyer sind doch auch sozusagen Menschen.«

»Sozusagen?« fiel Lars mit (Eifer darauf ein; sein linkes Augenlid zuckte heftig: »Nein, nein, … nicht ›sozusagen‹ … sie … sie sind  … äh … ›durchaus‹ Menschen, nur Menschen! Vorzügliches Material für uns!« – Die Stimme von Lars wurde hier ganz besonders tiefsinnig nasal. – »Für uns … Staats .. mäh .. äh.. änner … ist alles nur Schulze und Meyer … Habe auch deswegen im Plane .. äh .. politische Uniformierung einzuführen. Alle sollen von nun an Meyer heißen. 31 Millionen Untertanen 31 Millionen Meyer. Vereinfacht .. äh .. das Regieren außerordentlich! U .. u .. ungeheuer! … Ungeheuer!

Die Dynastie hat 31 Millionen Meyer zu verzehren; … ein Meyer mehr, ein Meyer weniger spielt keine Rolle; … bleiben ja immer noch 30999999 übrig! Und dann, eine einzige kitzliche Frühlingsnacht liefert uns deren hunderttausend neue. Bedenken Sie: die automatisch funktionierende Zeugungsmaschinerie! … Fällt ein Meyer für König und Vaterland, so hört seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit deswegen .. äh .. noch nicht auf. Meyer steht noch 31 Millionen mal bereit, für König und Vaterland zu sterben … Sündigt ein Meyer … etwa Majestätsbeleidigung … äh … so sind alle Meyer verantwortlich! … Die Schande fällt auf Meyer, alle Meyer! – Pfui Teufel! – Zahlt Meyer Steuern, so weiß der Kerl … seine Pflicht ist noch nicht getan … er hat sie 31 Millionen mal zu za .. zahlen. Avanciert Meyer … im Staatsdienst, … dann ist er uns doppelt verpflichtet … bekommt dann den Ehrennamen: Meyer-Meyer. Die doppelten, die Meyer-Meyer, sind dann auch unsere hauptsächlichsten .. äh .. Stützen gegen die Kratzbürstigkeiten der einschichtigen Meyer. Der fünfzigtausendköpfige Meyer-Meyer ist uns der Zer.. Zer.. Zerberus gegen den einunddreißigmillionenköpfigen Meyer.«

Lars wollte wieder in sein gellendes Lachen ausbrechen und wieder wurde ein salonfähiges, hüstelndes Kichern daraus. Auch Andersen lachte, aus der Bitterkeit seines Herzens. Seine eigenen Reden, die er schon längst vergessen, gefielen ihm in dieser neuen Ausgabe ganz ausnehmend.

»Haben Sie Erbarmen,« sagte er, »und lassen Sie auch einige Schulze zu.«

Nein, nein!« erwiderte Lars mit Strenge. »Solche Ausnahmen bereiten den Geist der Opposition vor, des Aufruhrs. Unsere . . äh .. treuen Untertanen wünschen auch gar nichts anderes als unterwürfigsten Gehorsam, sie wollen alle Meyer sein! Ihre ganze Denkweise ist ein meyern … in ihren patriotischen Gefühlen, in ihrer Begeisterung für Gott, König und Vaterland sind sie alle überzeugte Meyer! Sehen Sie sich mal so einen Meyer an, wenn sein Sohn auf die Visitenkarte »Leutnant der Reserve!« setzen darf! … Nein! Keine Schulzen! Wir stehen im Zeichen des Imperialismus! Alles Meyer! … Sehe schon .. äh .. unser Volk … eine ideale Nation, … alle gemeyert! Und alle .. äh .. von der Begeisterung erfüllt, … mit Sch .. Sch .. Schwert und Sch .. Sch .. Schnaps die Welt zu erobern .. äh .. und alle anderen Nationen ebenfalls zu meyern! Das höchste Ideal Meyers ist meyern! Wozu will er denn die Welt erobern? Doch nur, um andere, tiefer stehende Nationen auch zu Meyer zu machen. Meyern ist die do .. do .. dominierende Kulturwohltat! Meyern .. äh .. das ist die Wurzel des Imperialismus!«

»Und diese Meyer sind so leicht in Zucht zu halten: Mit viel Peitsche und etwas Zuckerbrot!« warf Frithjof ein.

Sofort reckte sich der Minister überlegen in die Höhe, zog ein pfiffiges Augurengesicht und sagte nachlässig sein:

»Peitsche und Zuckerbrot! … Ausgezeichnet! … Peitsche und Zuckerbrot! Meine alte … Sta . . Staatsraison! .. äh .. beste Staatsraison! Die Peitsche ist da, damit die Leute für Zuckerbrot dankbar sind. Und das Zuckerbrot ist da, damit sie die Hand .. äh .. küssen, die die Peitsche aufklatscht. Aber immer muß das Zuckerbrot nach der Peitsche kommen, … immer nach, … nicht umgekehrt. Es ist dies ein feines .. äh .. Geheimnis der Menschenseele, … Psychologie der Massen!«

Und wieder kicherte der Minister und hüstelte sich vielsagend durch eine geschickt angebrachte Gedankenpause hindurch: – »Wenn man diese Reihenfolge einhält, werden besondere … sentimentale Schwingungen in den .. äh .. Kinderbusen der guten Bürger ausgelöst. Es ist ein Genuß, diese … überquellenden Empfindungen, diese ergebensten Schwingungen der .. äh .. treuen Untertanengemüter zu belauschen. Das ganze .. äh .. Herz läuft ihnen über; es ist eine Wirkung, wie sie die zauberhafteste Mu .. Musik nicht auslöst: Zuckerbrot und Peitsche!«

»Aber wie wollen Sie ein ganzes Volk meyern? Die Leute werden sich's nicht gefallen lassen!« meinte Frithjof.

»Oho! Man muß nur eine Ehrung daraus machen! Durch einen Ritterschlag!«

»Einunddreißig Millionen den Ritterschlag?«

»Nichts einfacher als das. Man läßt die Männer der Nation in den Kasernenhöfen antreten; Feldwebel schreiten die Reihe rückwärts ab und geben jedem staatstreuen Bürger einen kräftigen Tritt. Ein Korporalstiefel, so was ehrt ungemein!«

»Ob die beiden anderen etwas merken?« frug sich Frithjof. »Es steckt doch etwas tief Mystisches in diesem Scheusal, das wie ein Mensch spricht und hantiert und doch kein Mensch ist«.

Frithjof erwiderte nichts mehr. Er hat den Androiden auf die Probe gestellt, ob es wirklich sein Android ist. Nur noch ein einfaches Schlagwort wird er ihm hinwerfen. Und auf die Gefahr hin, verrückt zu erscheinen, sagte er nur einfach: »Der Trieb zur Anbetung!«

Sofort fiel Lars eifrig ein:

»Das ist es eben … das Geheimnis des Sklaventums, .. daß es eine verborgene … Feder, einen Trieb hat, der es zum Sklaventum prädestiniert. Die Knechte sind immer die ersten, die Notwendigkeit ihrer Sklaverei .. äh .. einzusehen, sich dafür zu opfern. Sie bitten um die Kette, sie erflehen die Peitsche, denn Kette, Peitsche ist für sie die .. äh .. Ordnung. Sie können gar nicht begreifen, wie sie ohne … auskommen sollten … Ohne .. äh .. Kette! Jemine! Ohne .. äh.. Peitsche! … Gott, o Gott! … Meyer muß dienern … das ist das Geheimnis, die Triebfeder des … Meyertums! Sie werden untertänigst um eine recht schwere Kette petitionieren. Denn sie sollen damit losschlagen können, wenn sie über die … Meyer eines anderen Landes herfallen. Sie werden die Kette noch, noch schwerer haben wollen, um sich damit gegen angeblich … verbrecherische … Kameraden, gegen den sogenannten .. äh .. inneren Feind verteidigen zu können. Man muß dem Sklaven nur die Furcht vor dem Nachbarsklaven, die Überzeugung seiner eigenen Sündhaftigkeit beibringen, das Gruseln vor sich selbst! Er ist dann zu jeder De- … und Wehmut bereit.«

Lars kicherte in sich hinein:

»Das ist eben einer der Flüche der Menschenenge: Du sollst anbeten! – Wen er anbeten soll, ist … völlig gleich. Wer gerade da ist. Zum Beispiel … das .. äh .. goldene Kalb. Und wenn ein goldenes nicht vorhanden ist, ein … gewöhnliches Kalb … ein störrisches Kalb .. äh .. ein Kalb wie alle anderen Kälber – die Anbetung denkt sich schon das Gold hinein. In wie viele Kälber hat sich die Anbetung nicht schon Gold und glitzernde Ideale hineingedacht! Und so rutschen die Menschen auf den Knien vor zahllosen Kälbern und beten an, beten an, beten an! Die Menschheit ist nichts anderes als eine indische Gebetmühle. Und gerade dies ist das Glück der Menschheit, das Glück der Bürger! Aller Meyer! Denn dank diesem Triebe besitzt der Staat Kälber, die Ideale sind, während sonst die Kälber eben nur Kälber wären. Gesegnet sei die Anbetung der Kälber! – Unangenehm wird sie nur, wenn das Kalb zum Stier wird – zur hohen Pe .. Persönlichkeit des .. äh .. Staatsstiers. Dann duckt sich der brave Bürger, wenn der Stier los ist, hinter seiner Haustür, tut am Biertisch erstaunt und entrüstet, oder aber er brüllt seinen Schmerz in die Welt hinaus: Er habe geglaubt, das Kalb werde immer Kalb bleiben und nun habe es sich gegen alle Regeln seiner bürgerlichen Borniertheit zum Stier entwickelt! …

... Jetzt ist es die Anbetung des .. äh .. eh .. ehernen Stieres, in dessen Bauch sie gebraten werden.«

Helmut wollte ihm ins Wort fallen. Es war ihm höchst unangenehm, daß Seine Exzellenz so aus der Schule plauderte, sich eine solche Blöße gab. Der Irrenhausdirektor dagegen lachte unbändig und dabei ganz ergebenst, und lispelte mit einer korrekten Verbeugung:

»Ach, Exzellenz sind heute trefflicher Laune.«

Frithjof antwortete nichts: Es war sein Automat! Es machte ihm nur Scherz, daß seine Wälzchen so gut funktionierten! Er hatte sie zwar für andere Situationen zurechtgelegt, aber so ist das Leben immer: Aus einem Kirchenlied entsteht die Marseillaise, ein Jesuitenschüler wird zum genialsten Aufklärer, man kreuzigt einen armen Aufwiegler zwischen zwei Verbrechern und erhöht damit den edelsten der Geister zum Religionsstifter, zum Gottessohne –!

So ist das Leben immer: Ein Stift auf einem Wälzchen, der zum Ereignis wird.

Da fiel es Frithjof ein: er wird die beiden in Verlegenheit bringen, er wird Lars veranlassen, den alten Satz herzuleiern, der ihre dunklen Absichten zu verraten scheint. Wie ihr verstohlenes Tun, die geheimnisvollen Umstände, unter denen er den Direktor der Irrenanstalt angetroffen, in ihm selbst eine Kombination feindlicher Absichten, den Verdacht, daß etwas gegen ihn im Werke sei, ausgelöst, so wird er in Lars einen Satz auslösen, der wie die zynische Enthüllung des ganzen schändlichen Planes erscheinen wird. Frithjof gab daher das Stichwort:

»Exzellenz sind heute so merkwürdig aufrichtig. Exzellenz haben uns aber noch nicht Ihre Meinung über verschiedene Verbesserungen in der Justiz und im Polizeiwesen gesagt. Besonders was die Psychiatrie betrifft …«

Lars fiel ihm ins Wort: »Zu jeder anderen Unschädlichmachung einer Person bedarf man Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Verteidiger – zumal die Verteidiger machen sich unangenehm bemerkbar. Dann überflutet der Skandal die Presse, die immer ›sensationslüstern‹ und ›den Behörden aufsässig,‹ die öffentliche Meinung irre führt. Der Psychiater jedoch arbeitet sauber und glatt. Es gibt da keine Einsprüche, keine öffentlichen Sitzungen, keine motivierten Sentenzen, keine Rechtsanwälte, keine Instanzen! Das Sanatorium ist ein elegantes Neu-Kaledonien, die Psychiatrie die geräuschloseste Guillotine, die in verschlossenen Räumen arbeitet und immer nur weißes Blut vergießt.«

Helmut und der Irrenarzt waren betroffen, wie zwei ertappte Verschwörer, als sie den Minister so offenherzig ihr Spiel aufdecken sahen. War dieser Tropf von Exzellenz unzurechnungsfähig geworden? Der Irrenarzt wurde in seiner Verlegenheit noch steifer, seine Hacken hielten sich ängstlich aneinander. Helmut schien ihm einen Wink gegeben zu haben. Denn der Psychiater verneigte sich sehr tief und empfahl sich mit einem Seitenblick auf Frithjof, indem er sagte:

»Exzellenz geruhen wohl, mich zu entlassen.«

Auch Helmut verneigte sich. Lars rührte sich nicht. Der Irrenhausdirektor hatte den Eindruck, als ob er gnädigst entlassen sei.

Frithjof aber stutzte. Denn Helmut war, als er ging, aschfahl geworden. Offenbar bereitete sich jetzt draußen etwas vor.

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