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Woppl hatte alle Überredungskünste angewandt, um Andersen an sich zu fesseln. Er hatte bereits mit mehreren Kapitalisten gesprochen, fabelhafte Aussichten, unglaubliche Summen! Eine halbe Million würde Andersen sofort bekommen. Er bot ihm außerdem fünf, zehn, fünfzehn Prozent von der Verwertung, rechnete aus, daß dies allein jährlich hunderttausende Mark betragen müßte. Vier Kapitalisten hatte er an der Hand; er nannte sie mit Namen, lauter erstklassige Bankiers …
Sie saßen auf der Terrasse und debattierten über die Möglichkeit, einen vollkommen täuschenden Automaten herzustellen.
Andersens Vater war eine zeitlang Unterrichtsminister in Schweden gewesen. Frithjof hatte dabei Gelegenheit, all' die idealen Phrasen und Künste der hohen Schule, die ihn als Kind und Jüngling stürmisch bewegt, glühend erregt, von oben herab anzuschauen, »im Grundriß«. Von oben herab erschien denn auch alles furchtbar plattgedrückt. Lauter Umrisse, keine Höhen mehr! Christentum, Sittlichkeit, der vollkommene Bürger, der Kämpfer für Menschenrechte! Alles verschwand vor kleinlich politischen Rücksichten. Wie ein stolzer Bau, von der Vogelperspektive aus gesehen, in die Erde gesunken scheint. Sein Vater wäre in einem absolutistischen Reiche der beste Unterrichtsminister gewesen. Er war es ebenso in einem Lande, wo man den vorwitzigen Bürger wider seinen Willen zum Gehorsam zu erziehen hatte. Der alte Andersen war zugleich ein begeisterter Sport- und Pferdeliebhaber. Besonders die psychischen Erscheinungen der Pferdedressur fesselten ihn ungemein.
Er übertrug seine blendende Stallseelentheorie auf den Menschen. Er sagte: Unser Geistesleben beruht auf feststehenden Verbindungen zwischen Eindrücken, Empfindungen und Begriffen; die wachsen wie Geäste ineinander. Bei jedem Menschen von einiger Erziehung weckt der Gedanke einer Untat blitzschnell die Nebenvorstellungen von Unwürdigkeit, Strafe, Furcht; der Gedanke einer edlen Tat die von Pflicht, Ehre, Lohn, Freiheit. Diese Gedankenassoziationen heißt man Gewissen. Erziehung ist nichts anderes, als Schaffung und Fixierung dieser Zwangsvorstellungen. Große Energie muß die Dressur einleiten; sie gibt dem Pferd den Begriff einer höheren Macht. Dem muß aber bald Sanftheit, gepaart mit Festigkeit folgen. Eine Mischung von Schwäche, Fahrlässigkeit und Jähzorn verdirbt in der Manege das Pferd, in der Werkstatt den Lehrling, im Hause das Kind. Wie der Priester dem Pfarrschäflein, der Offizier dem Gemeinen, der Machthaber dem Volke, muß der Reiter dem Pferd mit einer geheimen, unendlichen, unbesiegbaren Gewalt ausgestattet erscheinen, gegen die jeder Widerstand nur mit Niederlage enden kann. Peitsche, Sporn usw. müssen dem Tiere Werkzeuge von großer Furchtbarkeit dünken. Es muß überzeugt sein, es habe den lieben Gott auf dem Rücken und den Teufel unter dem Bauch. Gott muß es gehorchen, will es nicht zu tun haben mit dem Teufel.
Es ist doch bekannt, wie man bei der Pferdedressur vorgeht. Dem Pferde muß vor allem beigebracht werden, daß sein Reiter eine Art höhere Macht sei, nichts könne ihr widerstehen. Niemals darf die Widerspenstigkeit des Tieres gegen seinen Dresseur ohne die Demütigung des ersten enden … »Nun, der Bürger ist ein Packpferd und Erziehung ist nicht viel anders als Pferdedressur,« pflegte er zu sagen.
Hier war in Andersen zum erstenmal der Gedanke aufgeblitzt, daß der Mensch etwas Mechanisches sei, daß man eine nach Willkür dienstbar gemachte Maschine aus Fleisch und Blut durch eine viel gefügigere eiserne ersetzen könne. Schien auch das Gelingen zweifelhaft, war es doch immerhin ein Experiment, das den Schweiß wohl lohnte ….
Woppl hatte Frithjof mit der Gesellschaft bekannt gemacht und den Engländerinnen jene seltsame Nacht im Laboratorium lebhaft geschildert.
Woppl zeigte sich vor allem über Frithjofs Gegenwart überaus erfreut: »Sie bleiben wohl recht lange hier, Herr Doktor?«
Frithjof bedauerte, er habe sich nur drei Wochen Urlaub gegeben, denn über diese Zeit hinaus könne er sein Laboratorium und seinen Automaten nicht in den Händen seines Dieners lassen. Woppl war ganz erstaunt.
»Dieser Bobbe! Das seltenste Exemplar von einem Menschenkind!«
»Schon der sonderbare Name ….?«
»Er ist nämlich der Sohn einer notorisch liederlichen Frauensperson aus Harlem. Sein Vater war ein norwegischer Matrose, der alle zehn Jahre einmal auftauchte und verschwand –«
»So eine Art ›Fliegender Norweger‹?«
»Ganz recht! Von ihm hat er auch den Vornamen: Gunnar. Ein Chamäleon von Charakteren, eine Raketenkiste.«
»Ich habe ihn für den treuesten aller Diener gehalten.«
»Das ist er auch, aber nur wenn er nüchtern ist. Der bravste aller Menschen, aber Quartalssäufer. Wenn seine Zeit kommt, muß er sich acht Tage lang dem intensivsten Trunk hingeben.«
»Und machen Sie nichts dagegen?«
»Allerdings, ich interniere ihn dann in einer Anstalt. Als mein Vater ihn aufgriff und in unser Haus nahm, war er ein durch Trunk herabgekommener Maler; ein eigenartig geniales Menschenkind. Er gehört zu jenen Talenten, die nur arbeiten können, wenn sie in einem anormalen, in einem krankhaften Zustand sich befinden. Dann werden sie wahrhaft genial, von dämonischen Einfällen. Wissen Sie, was er malte? Höllen-Breughel! Er hat in solchem Zustand eine infernale Phantasie; was er da zuwege bringt, sind Gestalten, grotesk und vertrackt, seltsame Tiere, Schlangen, Chamäleone, die in den aberwitzigsten Farben schillern, Gesichter, Fratzen, die teuflisch und verzerrt, etwas unheimlich Unirdisches an sich haben und den Beschauer, der sich in sie vertieft, in eine Art Suggestion, einen Augenblick lang in einen Zustand von Wahnwitz versetzen. Nebenbei ein phänomenales Talent für Maschinenbau, für Feinmechanik. Nicht gelernt, alles Natur! Er hat mir bei meiner Arbeit unglaublich viel genützt. Er war auch der Erste, der auf die Idee kam, einen Menschenbrutapparat zu bauen, welchem Apparat ich auch mein Dasein verdanke. Ich habe Ihnen ja bereits davon erzählt.
Nun, mein Vater, als strenger Bürger, unterstützt von einer Reihe braver Spießbürger der Mäßigkeit, hatte sich's in den Kopf gesetzt, meinen armen Maler aus der spirituösen und spirituellen Gosse auf das trockene Trottoir der Tugend zurückzuführen. Trockenheit und Tugend ist aber für diese Sorte nichts anderes als Sterilität. Mit seiner Mäßigkeit schnappte sein Talent zusammen. Sie wissen, es gibt solche Naturen! Ich erinnere Sie nur an Amadeus Hoffmann und Grabbe.«
Miß Mabel verstand zwar nicht alles, aber sie stellte schon Vergleiche zwischen Andersen und Woppl an.
Ethel: »Ja, was fürchten Sie denn?«
»Alles! Alles! – Er ist im stande, mir den ärgsten Streich zu spielen. Nicht etwa aus Bosheit! Aber sein Rausch ist von einer dämonischen Produktivität.«
»Glauben Sie, daß er ernstlich etwas gefährden könnte?« frug Ethel besorgt.
»Er spielt mir unzweifelhaft einen Streich! Es gibt bei einem solchen Werke Ideen, die wir vielfach mit einander besprochen haben, und deren Lösung mir nicht gelungen ist. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß ich mich vergebens bemüht habe, dem Automaten jene volle Selbständigkeit zu geben, jenes Ich-Bewußtsein, das jedem lebenden Wesen, bis herab auf das stumpfste Tier, eigen ist. Was wir Persönlichkeit, Individualität nennen – es ist ein Nichts! Jede Qualle, jede Zelle besitzt sie, diese Selbständigkeit! Sie ist nur der Rahmen, der das Bild des Menschen zusammenhält. Und doch ist sie alles!
Und so wie diese, lagen hundert andere Ideen in der Luft. Hatte er doch aus seinem Trinkerhirn mir den schändlichen Plan vorgeschlagen, einen zwerghaften Verwandten von ihm, ein Ungeheuer wie er, ein Gunnar in Kindesgröße, Mißgeburt und Wechselbalg, im Bauch des Automaten unterzubringen. Wie jener berüchtigte Charlatan Kempelen mit seinem King-fu, dem schachspielenden Automaten. Er stellte ihn in allen Großstädten aus und ließ ihn zum Staunen der Welt mit berühmten Schachmeistern die schwersten Partien spielen. Bis man hinter das Geheimnis kam: Im Automat saß ein Zwerg. Ich weiß nicht, welchen teuflischen Streich Gunnar mir ausheckt. Und ich komme zurück und ich stehe statt vor einer Maschine, vor irgend einem gespenstischen Rätsel, einer Ausgeburt der abenteuerlichen Phantasie alkoholdurchtränkter Hirnzellen.
Wir haben unsern Gunnar scherzweise immer ›Kohol‹ genannt, aber der Scherz hat seine ernste Seite. In Kohol steckt etwas unnatürlich Dämonisches, und wenn ich nicht von Jugend auf an ihn gewöhnt wäre, und wenn nicht meine ganze Naturanschauung mir verbieten würde, an Zauberwerk und übersinnliche Kräfte zu glauben, ich weiß nicht, ob ich nicht in seiner Gesellschaft das Gruseln lernen würde. Vielleicht kommt dies nur daher, daß unsere Phantasie in der Kindheit mit dem Irrlichtspiel von Märchen, Zauberern und Teufeln krank und empfindsam gemacht wurde. Bei Sonnenlicht ist ja dies alles lächerlich. Aber in einsamen Nächten! Wenn die Seele, wie ein verlassenes Boot auf einem Ozean, zwischen Finsternis und Stille dahintreibt, wenn sie gleich einem steuerlosen Luftballon suspendiert ist im schwarzen Medium der nächtlichen Atmosphäre wie in einem grenzenlosen, lichtlosen Nichts, wenn die ermüdeten Nerven mit düsteren Melancholien unser Gemüt überfluten, dann glaube ich aus den Blicken und aus dem Geiste jenes stummen Andern, mit dem ich unter Maschinen und Retorten zusammen bin, unnatürliche, dämonische Triebe in Unheimlichkeit emporwachsen zu sehen, emporwachsen zu bösen übermächtigen Einflüssen, denen ich mich vergebens zu entziehen suche, vergebens den Schauer abzuschütteln suche. In solchen Momenten frägt sich unser, von Kindheit an zur Furchtsamkeit der Kreatur herabgestimmter und unterjochter Geist, ob es nicht wirklich zwischen Himmel und Erde Dinge gäbe, die sich die exakte Forschung nicht träumen läßt.«
»Sie sagen das so bitter!«
»Soll ich nicht? Werden wir nicht vom zartesten Alter an gewickelt an Körper und Geist?! Statt eines heiteren Phantasiespiels verknüpft man unsere Vorstellungen eng mit Angstgefühlen. Und wovor? Wie bei den Wilden vor Dingen, die wir nicht wissen. Ja, an die wir nicht einmal glauben. Knechtschaft, nichts als Knechtschaft! Sogar unter der Spukknute unserer Einbildung!«
»Wie aber, wenn diese Erziehung ein notwendiges Durchgangsstadium wäre? Wie ja die wilde Menschheit einst durch diese Entwickelung hindurch mußte,« meinte Ehrsam.
»Die Notwendigkeit müßte erst praktisch erwiesen werden.«
Woppl wurde bedenklich. »Halten Sie es für möglich,« frug er, »daß Ihr Diener durch Versetzen weniger Räder den Androiden so umgestaltet, daß dieser das Gegenteil von dem tut, was er nach Ihrer Anordnung tun sollte?«
»Das wäre das Wenigste,« meinte Andersen.
»Was fürchten Sie denn?«
»Das kann ich Ihnen so mit wenigen Worten nicht sagen. So viel unausgesprochenes Geheimnis liegt in der Arbeit, Sie würden mich vielleicht auch nicht ganz verstehen.«
»Aufrichtig gesagt, er ist mir schon im ersten Augenblick sonderbar vorgekommen.«
»Wissen Sie, von wem er stammt? Seine Ururgroßmutter ist die berüchtigte Hille Bobbe aus Harlem, die Hexe!« – Die Damen lachten überlegen. – »Sie haben recht zu lachen. Franz Hals hat ihr Porträt gemalt. Es ist eine lustige Hexe, mit einer sprechenden Krähe auf der Schulter, grau in grau, ein Aufblitzen dumm-dreister List in dem verschmitzten Lachen einer derbdrolligen, grauschmutzigen Dirne, Haben Sie nicht das Bild im Berliner Museum gesehen.«
»Ob ich es gesehen habe! In Berlin …« Woppl hatte grundsätzlich alles gesehen.
»Seine Lebensgeschichte, eigentlich seine Krankengeschichte, ist äußerst interessant. Ich besitze das Manuskript von den Doktoren van Heulen und van Gräulen und werde es Ihnen geben.«
»Es wird mich kolossal interessieren.« Woppl interessierte sich auch für alles und grundsätzlich kolossal.
»Sie werden daraus ersehen, welch' komplizierte Maschine der Mensch ist! Und wie man das Beste von ihm in Stahl und Eisen wiedergeben kann.«
»Das Beste?!« riefen alle wie aus einem Munde.
Andersen war sehr gut aufgelegt und sagte deshalb mit viel ironischem Pathos: »Was ist das Höchste, das wir im gesellschaftlichen, im geschäftlichen Umgang am Menschen schätzen? Doch nur das Korrekte, die gesetzmäßige Funktion. Wer ist der Brauchbarste? Der heute arbeitet wie gestern, der gestern gearbeitet hat, wie er morgen arbeiten wird, zur Sekunde, gleichmäßig, ausdauernd. Was schätzen Sie an Ihren Untergebenen? Die maschinenmäßig verläßliche Funktion, die heute abläuft, wie sie gestern abgelaufen ist, wie sie morgen ablaufen wird. Das Hirn, das stets mit derselben Genauigkeit arbeitet, keinen Stimmungen, keinen Launen unterworfen ist, das bei der Addition oder Multiplikation der größten Zahlenreihen, bei der Kombination von zwei oder drei Vordersätzen immer logisch dasselbe Resultat, denselben Schlußsatz ergibt.«
Hier wurde er von Herrn von Holthoff unterbrochen, der herbeikam und sich ihm vorstellen ließ. Woppl, der Frithjof im Eifer sah, ersuchte ihn, fortzufahren.
»Unsere Technik hat die Welt ganz umgeschaffen. Früher wurde alles mit Hand und Kopf gemacht, jetzt bewältigt's die Maschine. Die Maschine schafft in der gleichen Zeit das hundert-, das tausendfache; das tausendste Stück mit der gleichen Präzision, der gleichen Vollkommenheit, der gleichen Schönheit wie das erste. Die Stickmaschine des glücklosen John Duncan aus Glasgow stickt in einer Woche in 15 Yards Mousseline 60 000 Blumen ein, von denen die letzte genau der ersten gleicht.«
»Oder die Druckereimaschine,« warf Woppl ein. »Sie besorgt alles! Rollt das endlose Papier ab, bedruckt, schneidet, falzt es, sie zählt die Blätter, heftet, leimt und legt sie hübsch in Gruppen zusammen. Wo früher 10, 20 Hirne mit 20, 40 flinken Händen nötig waren, genügen jetzt fast ebenso viele Zahnräder.«
Ehrsam meinte: »Das Zahnrad ist das Geheimnis der Welt.«
Frithjof nickte: »Sie geben dem Rad eine ganz bestimmte Anzahl Zähne und diese Zahl ist das grundlegende Element für die mannigfaltigen und großartigen Kombinationen. Mit dem Menschenhirn ist es nicht anders. Was ist die Grundbedingung für das richtige Funktionieren eines Hirns? Doch nur daß Sie in der Jugend lernen: zwei mal zwei ist vier. Das weiß das Kind nicht von Natur aus, das muß ihm mühsam eingeprägt werden. So lange diese Grundbeziehung zwischen den Körpern nicht in sein Hirn hineingelegt und festgehämmert wird, so lange funktioniert es unrichtig. Und wie viele Menschen gibt es, für die zwei mal zwei immer fünf sein werden! Die Zähnezahl, das ist dasselbe, was wir im Menschenhirn die Logik nennen: das Bedingte und Bedingende, das Unwandelbare. Brechen Sie einen Zahn aus, und das Uhrwerk schlägt 13, der Mensch ist irrsinnig. Was machen sie mit all den Uhrwerken, die 13 schlagen? Sie sperren sie in Irrenhäuser. Sie sehen, der Mensch ist nichts als eine Maschine; die ist nur dann brauchbar, wenn alle Zahnräder in Ordnung sind.«
»Das wäre alles recht schön und gut,« unterbrach ihn Woppl, »aber ein Mensch besitzt doch Geist, Witz, Idee. Das alles können Sie Ihrer Maschine nicht geben.« –
Holthoff grinste beifällig; Woppl sah ihn an mit der Freundlichkeit eines Bundesgenossen, während er innerlich dachte: Seine Nase hängt ihm herab, wie ein heißer Wachstropfen, der jeden Augenblick abzufallen droht.
Andersen lächelte philosophisch. »Nehmen Sie die erfolgreichsten Menschen, die Sie kennen, den Fabrikanten X oder Y. Haben Sie an diesen Leuten schon viele überflüssige Ideen bemerkt?«
»Im Gegenteil,« rief Holthoff, »wie oft habe ich schon die Hände gerungen und geschrieen: ›Mein Gott, sind die Leute borniert!‹«
»Das ist es eben! Jeder Durchschnittsmensch besitzt eine Anzahl von Ideen, eine beschränkte Zahl; die variiert er nach Belieben. Ja, man könnte so weit gehen und behaupten, daß die großen Erfinder, die im zähen Kampf eine Idee in Wirklichkeit umgesetzt haben, eigentlich nur von einem einzigen fixen Gedanken besessen waren, gewissermaßen Wahnwitzige, Maniaken, deren Manie zufällig ein vernünftiges Ziel faßte. Einer will mit einer Handvoll Kohle Berge in die Luft heben und erfindet das Pulver. Einer bildet sich ein, daß er des Himmels Blitze mit einem Papierdrachen entwaffnen könnte und erfindet den Blitzableiter. Tesla will den Lichtschein von der Kerze trennen, ähnlich wie die Schildbürger Sonnenstrahlen in Fässern einfangen; er erfindet sein ›Licht der Zukunft‹.
Und erst der Durchschnittsmensch! Der Geistreichste besitzt vielleicht vier oder sechs Ideen, die sein ganzes Tun beherrschen. Ist es Ihnen nicht schon oft vorgekommen, wenn Sie z. B. mit einem gewiegten Börsenmann über ein außerhalb seiner Erfahrung liegendes Gebiet, z. B. die Amateurphotographie sprachen, daß er sich über die einfachsten Elemente in Unkenntnis befand und, vollkommen hilflos wie ein Kind, mit Worten fuchtelte! Ja, ich möchte sogar das Paradoxon wagen, je weniger Ideen ein Mensch hat und je ausschließlicher und intensiver er sich diesen wenigen widmet, desto mehr ist er Persönlichkeit, desto mehr hervorragendes wird er leisten.
Es ist also nichts einfacher, als einem Automaten vier oder sechs oder sagen wir 20 leitende Grundideen zu geben, Grundlagen seiner Tüchtigkeit, und in seinem Räderwerk Spielraum zu lassen für die zahllosen möglichen, mannigfaltigsten Kombinationen dieser 20 Ideen.«
Holthoff warf ein: »Was aber, wenn eine oder mehrere dieser Kombinationen ein unpraktisches Resultat ergeben.«
Andersen ließ sich nicht beirren. »Aber das kommt ja auch beim gescheitesten Menschen vor! Ja, bei allen Menschen, die Sie oder ich kennen! Nehmen die nicht im Laufe des Tages so oder so viel unrationelle Handlungen vor? Sprechen sie nicht viel Unverantwortliches? Der vernünftige Mensch, der Normalmensch ist nur eine Fiktion. Lombrosos mit Unrecht berühmtes Buch ›Genie und Irrsinn‹ ist schon deswegen vollkommen falsch, weil es von der Annahme eines Normalmenschen ausgeht. Eines Menschen von gewöhnlichen, durchaus gleichmäßigen Fähigkeiten und durchaus gleichmäßigen Gefühls-, Gesundheits- und Gemütsapparaten. Einen solchen Menschen gibt es nicht. Fast jeder Mensch pendelt im Laufe des Jahres, ja vielleicht schon im Laufe jedes Tages zwischen den zwei Polen Irrsinn und Genie, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod hin und her, – ich erinnere Sie an die zwei Gegensätze Wachen und Schlafen. So ist das ganze Buch ein Nonsens. Und deshalb ist es auch nicht nötig, daß mein Automat in jedem Augenblick logisch funktioniert! Im Gegenteil! Wie der geschickte Zahnarzt ein künstliches Gebiß nicht blendend weiß, fehlerlos, von unnatürlicher Symmetrie herstellen wird, einfach, weil man die Täuschung sofort durchschauen müßte, wie der wirkungssichere Dramatiker seine großartigsten Gestalten mit den Flecken, Fehlern und Bedürfnissen der Wirklichkeit ausstattet, damit sie um so lebensvoller, aus dem Realen gegriffen erscheinen, – so wird auch der Automat am lebevollsten sein, der in seiner Vollkommenheit alle Mängel, alle Unzulänglichkeiten des natürlichen Menschen vereinigt!«
»Ganz richtig,« sagte Woppl, »aber Witz!«
»Ja, Witz! Das ist eben mein Triumph« … war Andersen im Begriff zu erwidern, als er von dem Portier unterbrochen wurde, der ihm eine Depesche reichte. Die Furcht vor etwas Unangenehmem überkam ihn. Hastig riß er das Papier auf. »Ich muß fort!« sagte er bestürzt. »Der Gunnar …! Ich wußte, es wird was passieren! Ich muß sofort abreisen.«
Die Gesellschaft, neugierig was vorgefallen, versuchte ihn festzuhalten. Aber er wehrte ab, da er den nächsten Zug noch erreichen wollte.
»Mit Ihrem Automaten und Ihrem Diener ist wohl was los?« frug Woppl, der am besorgtesten war. Andersen nickte und ging seine Sachen packen.
Aber er hatte sich überflüssigerweise geeilt; er erfuhr, daß er erst den Zug des nächsten Tages benützen könne.
Woppl trachtete, ihn nicht einen Augenblick aus den Augen zu verlieren; er war entschlossen, ihm zu folgen.