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Ethel hatte allen Grund über Frithjofs Stimmungen ängstlich zu wachen. Er – in seiner Gelehrteneinfalt – hielt den drohenden Ausbruch der gegenseitigen Zerfleischung zweier Nationen für ein Unglück von weitgehendsten Folgen. Ein Gefühl der Verantwortung, das er nicht bezwingen konnte, erwachte in ihm, grub sich mit seinen grübelnden Gedanken immer tiefer und tiefer in sein Herz. War nicht er an dem finster herandrohenden Unheil schuld? Hatte er nicht diesen Automaten in die Welt gesetzt, der eben im Begriffe war, unendlichen Jammer über das Reich, über Väter, Mütter, Kinder zu säen? – Zuerst mit stillen Vorwürfen, dann in immer heftiger anwachsender Gewissenspein, in schlaflosen Nächten, fühlte er es wie eine zermalmende Schuld auf sich lasten, von Tag zu Tag schwerer und schwerer …
Die seelische Depression wuchs von Stunde zu Stunde, während die politischen Ereignisse sich überstürzten, hastig sich kreuzten, verzweifelt sich widersprachen! Dabei unerbittlich wachsend, immer drohender und drohender! Wie stets in solchen Fällen, pendelten auch hier die Nachrichten von einem Extrem ins andere; bald hieß es, der Friede sei gesichert, bald war man jeden Augenblick auf eine Kriegserklärung gefaßt. Andersen litt zu sehr.
Er kam auch körperlich immer mehr herunter. Er hatte keine Ruhe, weder im Hause noch bei der Arbeit.
Endlich war seine Nervenanspannung auf das höchste gestiegen. Er mußte irgend etwas tun, um diesem Ungeheuerlichen vorzubeugen, diesem Ungeheuerlichen, das nur von einem einzigen Entschluß, einem einzigen Mechanismus, einer einzigen – Stahlfeder abhing …
Er kämpfte mit sich einen langen Kampf, er stellte sich die Gefahr vor, die er lief, die mikroskopische Winzigkeit seiner Chancen, die Unmöglichkeit des Erfolges. – Aber er stellte sich auch andere Kämpfer, andere Gekreuzigte vor.
Er verbarg seine Gedanken vor Ethel oder glaubte wenigstens, daß es ihm gelinge, die liebende Frau zu täuschen, die ihm jede Sorge von der Stirne ablas; und die bekümmerten Herzens schweigend nach einem Heilmittel suchte.
In solchen Zeitläuften des Kampfes hatte Frithjof die gute Ethel an seiner Seite. Sie hielt, was sie versprochen. Sie war ganz das Weib nach ihrem Sinne – nichts ist schwerer, als zu sein nach seinem eigenen Sinne. – Es gab auch nicht einen Augenblick, wo sie anderer Meinung war als Frithjof, nicht einen Gedanken, mit dem sie ihn im Stiche gelassen hätte. Und ihre Überzeugung für ihn hüllte sie in die ausdruckvollste Zärtlichkeit.
Sie härmte sich, wurde blässer und magerer; aber es war merkwürdig, wie sich die Seelenkraft in ihr vervielfältigte, je mehr sie körperlich dahinzuschwinden schien. Frithjof erinnerte sich an seine Ideale und Sehnsüchte in Landro. Ethel und Lydia zu vergleichen, ja nur nebeneinander zu nennen, wäre ihm jetzt unmöglich gewesen. Lydia verschwand ganz aus dem Gesichtsfeld seiner Idealwelt, wie auf einer riesigen Ebene am Horizonte ein winziges Pünktchen, von dem man nicht mehr weiß, was es ist, ein Mensch oder ein Huhn?
Frithjof ahnte, oder richtiger gesagt, kombinierte sich bald zusammen, was ihm bevorstand. Und doch war er am nächsten Tage auf dem Wege zum Minister. Denn er hielt es für seine Pflicht, »als Urheber und Verschulder« der ungeheuerlichen Entwicklung dem Treiben seines Androiden ein Ende zu machen. Obwohl er wußte, was seiner harrte, hatte er sich doch Audienzen beim Staatssekretär Schattenfroh und beim Minister Andersen erwirkt. Aber schon stand alles für ihn auf Ungünstigste, war alles im vorhinein verloren. Mama Ehrsam hatte in ihrem Eifer um die Staatsgeschäfte Helmut erzählt, daß Frithjof Drohungen ausgestoßen habe – man wollte jeden Skandal vermeiden. Helmut erinnerte sich und andere zur rechten Zeit, daß man Frithjof einst für einen verrückten Erfinder, Maniaken, Rabiaten angesehen, und hier setzte er den Hebel ein: Wenn Frithjof sich wiederum im Ministerium zeigte, sollte er unschädlich gemacht werden, der »verrückte Erfinder«, der, wie man sich erinnerte, einmal einen durchgegangenen Androiden gesucht hatte. Frithjof war zufällig gewarnt worden. Es war Frau Ehrsam selbst, die etwas munkeln gehört, und die in einer Anwandlung schwiegermütterlichen Zornes Frithjof das Geheimnis einer Verschwörung durchschauen ließ, von der sie eigentlich selbst keine klare Kenntnis besaß. Er erinnerte sich plötzlich, daß es eine der stehenden Redensarten von Lars sein müsse, daß der Psychiater die bequemste Polizei sei. Zu jeder anderen Unschädlichmachung einer Person bedürfe man Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Verteidiger – zumal die Verteidiger machen sich unangenehm bemerkbar. Dann überflutet der Skandal die Presse, die immer »sensationslüstern« und »den Behörden aufsässig«, die öffentliche Meinung irreführe. Der Psychiater jedoch arbeitet sauber und glatt. Es gibt da keine Einsprüche, keine öffentlichen Sitzungen, keine motivierten Sentenzen, keine Rechtsanwälte, keine Instanzen! Das Sanatorium ist ein elegantes Neu-Caledonien, die Psychiatrie die geräuschloseste Guillotine, die in verschlossenen Räumen arbeitet und immer nur weißes Blut vergießt.
Im Wartezimmer des Staatssekretärs Schattenfroh ging es lebhaft zu, wenn auch jeder der zahlreichen Harrenden nur im Flüstertöne sprach und sich der bescheidensten Bewegungen befliß. Nur einer war lauter als die anderen, obwohl er seine etwas kreischende Stimme zu Kämpfen sich mühte. Sein Temperament riß ihn fort. Frithjof glaubte die Stimme zu erkennen. Er näherte sich einem dichten Kreise von Herren, die zum Teil hyperelegant, zum Teil überflüssig nachlässig gekleidet waren. Sie umstanden einen korpulenten, stark schwitzenden Herrn, der mit den Armen fuchtelnd ihnen etwas auseinandersetzte. Es war Holthoff. Er gab sich alle Mühe, das Gespräch leise zu führen, wurde aber wider Willen immer lauter und lauter; es konnten ihn ja schließlich auch nur die Eingeweihten verstehen. Frithjof entnahm, daß es sich um große Geschäfte handelte, Anleihen und Lieferungen im Betrage von einer halben Milliarde. Besonders einflußreich schien ein schlanker, dürrer, höchst elegant gekleideter, sehr feudal, aber auch sehr klapperig aussehender Herr zu sein, dem der Lebemann auf dem ausgemergelten, übernächtigen Gesicht deutlich geschrieben stand. Holthoff war mit ihm besonders freundlich und in seiner gewohnten Protzigkeit sehr kordial und einschmeichelnd. Er sprach ihn immer »Graf« an; nur ein einziges Mal nannte er den vollen Namen: »von Kreutz-Schneutz-Drillingen-Schnepfenhausen«, indem er den Einfluß dieses ahnenreichen Geschlechtes am Hofe mit devoter Stimme hervorhob. Ohne in den wenigen Augenblicken das Gespräch und dessen Gegenstand übersehen zu können, hatte Frithjof aus den erregten Mienen und gefallenen Worten den Eindruck, daß Holthoff den Herren um sich schwere Staatsnotwendigkeiten klar machte, die Willigen anfeuerte, die Einflußreichsten mit zart angedeuteten Drohungen vorwärts stieß. Obwohl das Wort Krieg gar nicht fiel und auch nur das Wort Verwicklungen mit größter Diskretion verwendet wurde, war es gar kein Zweifel, um was es sich handelte.
Als jemand einwarf, der Minister oder die Abgeordneten würden nicht zu haben sein, grinste Holthoff mit seiner brutalen Unappetitlichkeit unter dem Gelächter der Umstehenden:
»Minister? Abgeordnete? Das sind für uns nur Dukatenmännchen: Wir quetschen sie und sie . . . schenken … uns Dukaten!«
Frithjoff dachte sich gleich, daß er lange würde warten müssen, als diese Gesellschaft vor ihm vorgelassen wurde. Er verließ deshalb das Wartezimmer und kam erst nach zwei Stunden wieder. Allein, wie ihm der Diener mitteilte, war das Konsortium noch immer bei Helmut.
Frithjof suchte sich die Zeit zu vertreiben, indem er seine Gedanken mit dem Einzigen, der außer ihm noch im Wartezimmer sich befand – die anderen waren weggeschickt worden, da eine Audienz für heute aussichtslos war – beschäftigte. Es war ein kleiner, sehr kräftiger und behender Herr, der bescheiden in einer Fensternische stand, anscheinend auf das Straßengewühl hinab sah, aber von Zeit zu Zeit lauernde Blicke nach Frithjof herüberwarf. Frithjof glaubte ihn zu kennen, eine unbestimmte, unangenehme Empfindung, eine Idiosynkrasie war sogar mit dieser Halberinnerung verknüpft; Frithjof konnte sich nur nicht gleich entsinnen, wer es war, wo er ihn gesehen?
Die Audienz des Konsortiums Holthoff dauerte vier geschlagene Stunden. Frithjof war eben im Begriffe wieder fortzugehen, als sich die Tür zum Kabinett Helmuts öffnete und die überlaute, fast erschöpfte, aber doch triumphierende Stimme Holthoffs sich hören ließ. Holthoff kam an der Spitze seiner Gesellschaft heraus mit lachendem Gesicht. Er war glänzend aufgelegt, trat auf Frithjof zu, reichte ihm beide Hände und fragte ihn scherzhaft, ob er nicht irgend eine wichtige Erfindung für die Armee hätte, irgend einen Tausendtot oder dergleichen.
Andersen wurde – war es Mißverständnis oder Absicht – gleichzeitig mit dem anderen Wartenden vorgelassen. Er fand Helmut ganz erschöpft von der vorhergehenden lange dauernden Konferenz. Helmut ging, wie zermalmt, im Zimmer auf und ab; um den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung gebracht, rang er, ohne auf Frithjof zu achten, seine Hände und sagte:
»Sie wollen es, sie wollen es – und ich muß.«
Dann fuhr er auf, sich der Anwesenden erinnernd, und bat Frithjof, am nächsten Tage wiederzukommen, da er für heute zu ermüdet sei. Zuvor stellte er noch den anderen vor, einfach als Dr. Lehmann. Da durchblitzte es Frithjof: Er erinnerte sich sofort, den Herrn auf einem wissenschaftlichen Kongreß von Psychiatern gehört zu haben, er durchschaute, daß Helmut den Irrenarzt bestellt hatte, damit dieser sich ein Bild vom geistigen Habitus des Erfinders mache. Nur die Abgespanntheit und seelische Depression, welche die Verhandlungen mit Holthoff in Helmut erzeugt, durchkreuzten für heute diesen Plan. Aber morgen!
Frithjof verließ das Ministerium. Auf dem Wege fiel ihm ein, daß der angebliche Dr. Lehmann Direktor der Landesirrenanstalt sei. Er erinnerte sich auch, ihn schon einmal gesehen zu haben, ehe noch dieser strebsame Herr Geheimrat geworden war. Von mittlerem Wuchs, machte er fast den Eindruck eines kleinen Mannes; die kräftige Gedrungenheit, die sich unter den Kleidern verbarg, ließ seine Körperproportionen ungünstiger erscheinen. Sein glanzbäckiges Gesicht spiegelte einen seltsamen Sadismus wider, eine Katzengier, mit Seelen zu spielen und sie spielend zu vergewaltigen, – ein »Umgang mit Menschen« eigener Art. Frithjof waren damals die funkelnden, vorgewölbten Augen ausgefallen, aus denen Tücke und Entschlossenheit lächelten. Dieser glatte, fast elegante Mann, der, Karriere zu machen um jeden Preis, entschlossen schien, was um so schwerer war, als er nicht den modernen Passepartout des Professorentitels besaß! Während Frithjof sich auf dem Wege zu Ethel befand, erstand jene Gestalt wieder und wieder vor seinem beunruhigten Gedächtnis, immer kleiner, immer glänzender, immer muskelrunder, der Herr Direktor mit den tänzelnden Bewegungen, von jener eigentümlichen Flinkheit und Energie, die an ein Raubtier erinnerten, ein tänzelnder Jaguar …
Manches an diesem Mann war Frithjof nicht klar, besonders die hastigen und doch festen Bewegungen und Gebärden, mit denen der Direktor der Landesirrenanstalt seine natürliche Lebhaftigkeit noch durch affektierte zu überkleiden versuchte. Frithjof war in manchen Beziehungen ein ausgezeichneter Physiognomiker. Sein scharfer Blick erkannte im Hintergründe jenes Sadismus, der aus den blitzenden Kugeln der Augenhöhlen des geheimnisvollen kleinen Mannes funkelte, ein ängstliches Lauern, einen unnennbaren Schrecken. Doch den seelischen Zustand, der zu diesem Schrecken geführt hatte, konnte Frithjof nicht durchschauen. Dieser Zustand war eines jener Grundgeheimnisse, welche die Individualität jedes Menschen formen und die jeder aufs peinlichste vor fremden Augen hütet. Denn wie alle Menschen eine Lebenslüge und eine Lebenshoffnung, so haben sie auch alle einen Lebensschrecken, der nur ihnen eignet, eine der unerklärlich geheimen Triebfedern ihrer Handlungen. So erging es auch dem unter dem Namen Dr. Lehmann vorgestellten Psychiater. Da er wußte, wie leicht sich die Indizien des Wahnsinns von jedem Handwerker der Psychiatrie aneinander reihen ließen, fürchtete er immer, daß man ihm selbst das Schicksal bereiten könnte, das er hundert anderen bereitet. Er fürchtete seine Gedächtnislücken zu offenbaren, seine Inkonsequenzen, die phantastischen Vorstellungen, bei denen er sich ertappte und tausend andere seelische Brüchigkeiten, von denen er ebenso geplagt war wie alle anderen Menschen. Nur hatte er, der mit der Wissenschaft prahlende keine Ahnung, daß dies das allgemein Menschliche war; er hielt die Fetzen, aus denen die Seelen zusammengeflickt sind, alle und immer, für ebensoviele individuelle, zufällige Krankheiten. Er fürchtete, daß seine zahlreichen Gegner in der wissenschaftlichen Welt, die er sich in Streberrücksichtslosigkeit gemacht hatte, und besonders jene, die ihn um sein auffallend rasches Avancement beneideten, darauf lauerten, ihn zu vernichten. In Wirklichkeit aber war er selbst sein einziger Auflauerer, sein eigener unerbittlicher Spion. Die Selbstbeobachtungen und Selbstzerfleischungen, die Dichtern und Neurhastenikern eigen ist, halten bei ihm, dem Nervenarzt mit den pedantisch klassifizierten Schulbegriffen, dem der Überblick über das phantastisch dunkle Reich der Menschenseele und über deren Hexensabbath von gesunden Möglichkeiten fehlte, die tödliche Furcht großgezogen, daß er selbst nicht normal sei – jeden Tag konnte er entdeckt werden. Sein Sadismus in der Art der Beobachtung und Behandlung seiner wirklichen oder angeblichen Irren, die er mit Zwangsjacke, Kaltwasser, Anschnallen am Bett und anderen Grausamkeiten marterte, kam ihm selbst wie ein maniakalischer Trieb vor. Die hochnäsige Art, wie er diese Mißhandlungen anordnete, die wissenschaftlichen Ausdrücke, mit denen er sein infernalisches Laster vor den Assistenten, den Wärtern und seinen Kollegen maskierte, verursachten ihm Anstrengungen, hinter denen er sich selbst desto schärfer als geistig defekt zu erkennen glaubte. Er hatte eine tödliche Angst vor seinen Kollegen, die zugleich seine Konkurrenten, vor seinen Helfershelfern, die zugleich seine heimlichen Feinde waren; er zitterte, sich eine Blöße zu geben, irgend einen sogenannten Kunstfehler zu begehen. Wenn ihm das Schreien und Wimmern der Gefolterten ein unendliches Freudegefühl verursacht hatte, befiel ihn oft kurz danach die Angst, es könnte auch ihm einmal so ergehen, man könnte sein geheimstes Inneres entdecken, den Maniaken, der sich in seinem Herzen verkroch; – man könnte ihn unter die Dusche schleppen, in die Zwangsjacke knoten, den ohnmächtig Knirschenden auf die Matratze schnallen! So glitt in all sein Handeln und Denken eine tödliche Furcht hinein, und wenn er mit raschen Befehlen und muskelkräftiger Hand herrisch agierte und seine Opfer vergewaltigte, legte es sich zugleich auf seine eigene Schulter wie ein eisiges Schauern, wie die Knochenhand eines Gerippes. Er war im steten Kampf mit den grausamen Gespenstern in seinem Innern, die wie losgelassene Tollwütige ihn in seiner eigenen Folterkammer zu überwältigen drohten.
Als Frithjof Ethel von Holthoff und Helmut erzählte und von dem Ausgange der Audienz, verschwieg er ihr wohlweislich die Gegenwart von Dr. Lehmann. Nur eine Bemerkung machte er, als Ethel darüber spottete, daß ein Automat die höchsten Ehren im Staate genieße. War das nicht Wahnsinn? Ethel belustigte sich darüber. Frithjof aber sagte mit feinem Lächeln, voll trauriger Ironie, in jenem gelegentlichen Dozententon, in den er wider Willen manchmal verfiel:
»Der Wahn ist das Wesentliche des menschlichen Daseins. Aus dem Traumleben, in dem die Bakterie, die Puppe, der Embryo, der schlafende Mensch eingesponnen ist, entwickelt sich in Jahrmillionen das Leben des Geistes, aus diesem Weben wirrer Phantasien und dunkler Empfindungen entfaltet sich der Traum des Tages. Wie die Menschheit im Schlafe stöhnt, wie sie um sich schlägt, wie sie lächelt und wie sie röchelt! Träume! Irre, wirre Träume! Daseinsschäume! Das ganze Erdenleben ist ein einziger ungeheurer Schaumschlag phantastischen Waltens. Das Genie ist der Erwachende. In winzigen lichten Augenblicken ringt er sich zur Dämmerklarheit empor. Es schummert seltenes Licht zwischen den Wimpern, es bricht ein grauer Schein in unseren Geist. Aber auch über dieser scheinbaren Klarheit des Gestern, des Heute gibt es noch eine höhere, die Klarheit von morgen. Jahrtausende des besten Wissens sind nichts als Schwebezustände, freudige, ängstliche, alpbedrückte, zwischen Träumen und Erwachen! Die Menschheit erwacht stufenweise. Schon sieht man die wirren Gebilde des Traumes sich entkörpern, verflachen, ergrauen, erblassen und verhauchen, schon hört man mit halbem Ohr das wahre Rauschen des Tages, fühlt schon durch das geschlossene Lid den Goldschimmer der Sonne. Alles ist Wahn und Wahnsinn, abgestuft durch die Jahrtausende. Wenn ein Android die höchsten Ehren im Staate genösse, das wäre neben so vielen tollen Königen und verrückten Religionsidolen noch lange nicht der größte Wahnsinn der Menschheit …«
Frithjof brach hier ab. Denn in ihm wühlte noch ein schmerzlicher Gedanke: »Für diesen Wahnsinn der Menschheit müssen sie, die Schöpfer der Werke, die Zwangsjacke bekommen.«
Schon erhoben sich düster-drohend im Hintergrunde, wie im Nachtdunkel, schwarze ungeheuerliche Gefängnistürme, das Gespenst der Einkerkerung unter dem Deckmantel des Irrsinns. Seine Feinde zeigten ihm in der Ferne das Narrenhaus. Je höher das Werk stieg, desto tiefer mußte der Werkmeister stürzen. Es war die Tragödie des Geistes! – Galilei, für den man das Los der Scheiterhaufen erwägt.
Er fügte noch hinzu, wie im Selbstgespräch:
»Von jeher fühlten sich die größten Geister auf die Folterbank des Daseins gespannt, von jeher waren sie die Weltentsetzten. Daseinsgefoltert und Weltentsetzt! So offenbart sich der Widerspruch des Seins im Herzen der Denker.«
Und nun schwieg er und dachte daran, daß dieses Schicksal bei ihm auch nach außen eine schreckliche Gestalt anzunehmen drohte – dasselbe Schicksal wie des genialen Entdeckers Robert Mayer, der in der Irrenanstalt Winnenthal vom Medizinalrat Zeller im Zwangsstuhl an Leib und Seele gebrochen wurde, … im klaren Ätherlicht des Jahrhunderts der siegreichen Naturerkenntnis!