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Buchschmuck

XV. Kapitel.
Brautstand

Frau Ehrsam war ohne die gewünschten Resultate aus Tirol heimgekehrt. Wenn Andersen an sie dachte, dachte er sie sich noch schwärzer und theatralischer als sonst. Sie hatte, von Woppl und Holthoff bedrängt, nachgeben müssen. Lydia und Frithjof waren verlobt, wenn auch noch nicht offiziell. Noch schwamm zu sehr alles im Ungewissen. Woppl hatte zwar der alten »Teufelskralle« versichert, daß der Automat ein Vermögen bedeute: »Ich bin fest überzeugt, daß er für meinen Teil allein eine jährliche Rente von 50000 abwerfen wird. Ich bitte Sie, 50000, ohne einen Finger zu rühren!« Diese Worte blieben ihr im Ohr. Aber sie hatte nun einmal kein Vertrauen. Holthoff, das wäre ihr Mann gewesen. Auf ihn hatte sie in erster Linie gehofft: Ein Schwiegersohn mit solchen Millionen! Aber Holthoff war zu blasiert. Er war in den fashionabelsten Kurorten und Seebädern gewesen; die elegantesten Schönen am Strand und in den Bergen, um die Brunnen und auf den Esplanaden, vom Backfisch an bis zur kinderreichen Witwe hatten ihn als Papa, Onkel, Freund, Bruder, Beschützer und beinahe auch als Bräutigam gehätschelt. Es war rührend, wie schon die Kindheit zarte, liebevolle Ehrfurcht vor seinen Millionen besaß, wie die reifen Fräulein kindlicher wurden und Witwen jungfräulich, mit etwas »Reinem«, etwas »Weißem« im Wesen. Und die Väter waren Unterwürfigkeit und die Mütter Zephyrsäuseln.

Auch Holthoff hatte ihr zugeredet. Und nun überstürzten sich die Ereignisse. Holthoff verschaffte ihrem Manne eine Stellung als Direktor in einer Druckerei in M.

Sie mußte umziehen. Sie mußte ein neues Leben beginnen. Das war ihr gleichbedeutend mit dem Zusammenbruch des Alten. Wie so oft im Leben, mußte sie sich jetzt wieder mit einem Kompromiß begnügen. Und welch' ein Kompromiß! Sie hatte zu dem zwangsweise substituierten Schwiegersohn nicht das mindeste Vertrauen. Zum Androiden schon gar nicht. Wenn es wenigstens Ethel gewesen wäre! Mit der stand sie immer auf feindlichem Fuße. Die war so widerspenstig, romantisch-eigensinnig. Aber Lydia! Ihr Goldköpfchen Lydia, der eine vornehme Partie sicher war! Am bittersten war's, daß sie das schöne B., in das sie sich ganz hinein gelebt, verlassen mußte. Sie hatte schon vorher Erkundigungen eingezogen über die Lebensweise in M., die Preise von Wohnungen, Fleisch, Gemüse. Auch über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Und schweren Herzens hatte sie ihren Haushalt auf den Möbelwagen des Spediteurs geladen, diesen Leichenwagen langjähriger Gewohnheiten. Die Stellung, die Ehrsam dort als Leiter einer großen Buchdruckerei gefunden, war eine Verschlechterung gegenüber seiner vergangenen. Er mußte es auch büßen. Sie mißhandelte »Ernstchen« zu Tode und begrub ihn in niederschmetternd tragischen Szenen, mit hochdramatischen Effekten der Stimme, mit Dolchen in den schwarzen Blicken, unter melodramatischen Tränenflüssen. Ethel dagegen, außerordentlich zäh und widerstandsfähig, war ihrer Mutter so ziemlich gewachsen, was bei den üblichen heftigen Auseinandersetzungen und heißen Redeschlachten oft zu einer Niederlage der Mama führte. Das Unglück hatte aber Ethel unnahbar gemacht, so daß sie für ihre Mutter weder Worte noch Widerspruch hatte, was diese äußerst erbitterte und außer Fassung brachte. »So sprich doch, so sag' doch ein Wort! es ist ja um aus der Haut zu fahren, wenn du immer so schweigst!« Das waren die Zornausbrüche, mit denen sie ihre Tochter zur unterhaltenden Redeschlacht aufzustacheln sich bemühte. Aber vergebens!

Lydia, als noch nicht offizielle aber doch offiziöse, sehr heiß angebetete Braut, erhielt häufig Briefe von ihrem Bräutigam, voll glühendster Schwärmerei, voll heißer Wünsche und zarter Bewunderung. Wenn man sie frug, ob sie glücklich sei, konnte sie aufrichtig mit Ja antworten. Andersen war ein interessanter und hübscher Mensch, ein bedeutender Gelehrter. Seine Briefe schmeichelten ihr maßlos, erhoben sie über sich hinaus, und da er als Bräutigam sagen konnte, was andere Herren im gesellschaftlichen Verkehr nur andeuten durften, so bildete dies Verhältnis eine neue Phase in ihrem Leben. Sie liebte ihn beinahe, oder glaubte doch wenigstens, ihn zu lieben. Was seiner Leidenschaft einen ganz besonderen Wert gab, war der Triumph über ihre Schwester. Nicht etwa Bosheit war's, sondern das einfache kindische Gefühl, über eine so nahe Rivalin gesiegt zu haben, deren Fehler, Vorzüge und Überlegenheiten sie tagtäglich neben sich sah und an deren Bekämpfung sie sich mit Sportleidenschaft beteiligte.

Andersen hatte eine dunkle Ahnung von diesem Verhältnis. Aber er hätte schwerlich sagen können, woher er sie habe; ja, diese Ahnung kam ihm nicht einmal zum Bewußtsein. Es war ein sonderbarer Zustand, er wußte es, und wußte es nicht; es war jenes Zwitterwissen, das uns im Halbtraum so oft befällt. Wir erwachen und schlagen uns vor den Kopf. Lydia bemitleidete die Tränen der Schwester. Aber im Grunde genommen tat ihr das wohl; jeder Tropfen war eine Perle mehr im Diadem ihrer Schönheit. Und dafür war sie Andersen dankbar, außerordentlich dankbar. Nicht aus Schlechtigkeit, Gott bewahre! Aber aus einer glücklich ausgebildeten Selbstliebe; und endlich und nicht zuletzt fühlte sie sich in dem noch unentschiedenen Zustand ihm gegenüber so vollkommen sicher, vor Übereilung so durchaus sicher! Denn sie wußte, daß sie ihn nicht früher würde heiraten dürfen, eh' er nicht den Automaten für eine große Summe verkauft, eh' er nicht ein reicher Mann geworden. Sie wußte sich so gut geführt unter den Flügeln der alten Henne.

Und doch! Wenn sie sich täuschte! Sie erörterte die Frage öfters mit Mama. Sie malte sich das Leben so sorglos und so elegant. Ganz anders als im Vaterhaus. Hier wurde jeder Groschen zehnmal umgedreht, mit den Händlern, der Modistin ins Endlose gefeilscht, jedes neue Kleid war ein Gegenstand von Debatten zwischen Papa und Mama, Kämpfen, Krämpfen, Tränen. Aber vor den Menschen mußte man tun, als ob der Luxus selbstverständlich wäre. Alles ging auf elegante Verpackung, das vergoldete Etikette. Bei ihrem Manne sollte das anders sein. In ihrem Vaterhaus war's wie in vielen anderen Bürgerhäusern: Das Aushängeschild kostete mehr als das eigentliche Leben; das war aufs dürftigste zugeschnitten. So war ihr der seidene Schein zum Ekel geworden! Diese schlechten Abschlagszahlungen für gleißende Lebensfreuden! Diese unerträgliche Lüge! Diese stete Mühsamkeit, den unmäßig hohen Ansprüchen der Gesellschaft zu genügen! Ihr Dasein war – wie das von Millionen anderer – ein freiwillig und töricht heraufbeschworener Schwertraum, ein Scheinspiel mit selbstgewählter Not und selbstgezüchtetem Alpdruck. Das sollte anders werden, sie wollte es, sie hoffte es. Sie wollte aufatmen in ihrer Ehe! Aber wird ihr Frithjof alles bieten können?! Wird der Erfolg des Androiden wirklich sein, was Woppl ihr vorgeschwatzt hatte?!

In dieser Stimmung schrieb sie an Andersen, sehr oft und sehr lange Briefe. Voll Liebe, da es sie keine innere Anstrengung kostete. Ihre Jugend und ihre Reife bildeten an sich schon einen natürlichen Quell der Zärtlichkeit; dann plauderte es sich auf dem Papier so leicht; eine besondere Verantwortung für die Aufrichtigkeit ihrer Empfindungen fühlte sie nicht; es vertrieben sich so angenehm einige Stunden des Vormittags mit diesen heiteren Gedankenlosigkeiten; und schließlich gab es doch kein entzückenderes Spiel, als den Bräutigam zu neu sich steigernden Bewunderungen und Ausbrüchen der Leidenschaft zu reizen. Und er war so gut und dankbar. Und gerade die Worte, bei denen sie sich gar nichts gedacht hatte, aber auch gar nichts, fand er so entzückend naiv, so sehr den Ausdruck eines reinen unschuldsvollen Mädchenherzens, »eines Kindes mit einer Seele von frischgefallenem Schnee«, wie er einmal schrieb! Sie fühlte sich nie wohler, als wenn sie sich an den Schreibtisch niederließ und aus ihrer Feder Perlen rollten. Sie fühlte sich dabei wie der Schwan im Teich des Schloßgartens; sie breitete aus in seiner vollen Pracht das Schneegefieder ihrer Kindlichkeit und wiegte sich in der Sonne seiner Liebe auf den glitzernden Wogen ihrer Eitelkeit.

Seine Persönlichkeit wäre so immer mehr mit ihren Hoffnungen verschmolzen; sie hätte ihn wirklich zu lieben begonnen, indem sie ihn nach und nach mit den Goldbergen und Spitzenläden ihrer Träume verwechselte. Aber ihre Mutter war da und hielt sie ängstlich auf der Hut vor »– Gott behüte –« einem »Reinfall«. So tauchte immer wieder der Inbegriff des Geldsacks, der bedingungslosen Kaufkraft, Holthoff, vor ihren Augen auf. Wie ehrfurchtgebietend in seiner Leibesbreite! Die Mannheit des Goldes! Kühl, überlegen, mit seinem erhaben-blasierten Scherzwort bei jedem Ereignis, das andere verblüffte: »Hab' schon größere Zwerge gesehn.« – Und fleißig wiederholte ihr die Mama: »Der kauft sich mit seinem Gelde den Androiden, und Andersen und Woppl dazu.«

»Der kauft sich …!« Was galt der Ruhm der Naturunterjocher, Erfinder, Weltumspanner! »Der« … »kauft sich« Natur und Welt und alle Unterjocher und Umspanner dazu …! »Der kauft sich …!« – »Und am Ende auch Mädchenliebe, Herzen und Glück!«

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