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Buchschmuck

II. Kapitel.
Im Laboratorium des Sonderlings

Der höfliche Doktor war zu verlegen, um seiner Entrüstung Ausdruck zu geben. Er machte aber ein sehr ernstes Gesicht. Nur der stumme Diener erhob ein lautes Lallen, das sonderbar zu allen Gemütern sprach. Er wirkte mit seiner halb klagenden, halb heulenden Melodie beschämender auf die Eindringlinge, als die kräftigsten Verwünschungen. »Lieder ohne Worte,« sagte der unvermeidlich geistreiche Herr Woppl, aber niemand lächelte, er fühlte, wie der plumpe Scherz ins Leere fiel. Alle drängten sich um den unwillkürlich in ein lautes Gelächter ausbrechenden Doktor, als er, halb mitleidig, den weidlich durchgebläuten Kistenmacker aus den Händen der künstlichen Gerippe befreite. Zu gleicher Zeit hatte der stumme Diener im Vorflur die Frau Mantzen aus der zärtlichen Umarmung der unheimlichen Spukgestalt erlöst, und während die zerknirschte Frau vor ihm stand, hielt er ihr eine Rede, die auf sie einen niederschmetternden Eindruck machte, obzwar der Text nichts anderes war als ein und dieselbe Silbe in erregten Modulationen, ein bald bitter hervorgesprudeltes, bald verachtungsvoll höhnendes: »La, la, la, la …  … la la …!«

Nach und nach waren die überflüssigen Herrschaften hinauskomplimentiert. Der niedergeschlagene Herr Kistenmacker schlich als letzter davon, indem er rückwärts an der schwarzen Redingote mit beiden Händen sich vergewisserte, ob die langen Schöße den schmerzhaft gedemütigten Teil seines Körpers deckten. Draußen wandte er sich vorsichtig noch einmal um und ballte die Faust: »Warte!«

Nur Fabrikdirektor Ehrsam mit Frau und Töchtern waren noch zurückgeblieben. Auch der junge Herr Woppl fühlte sich festgehalten durch einen schmachtenden Augenaufschlag Lydias. Er schmiegte sich so gern an Frau Direktor an, sie war für ihn so ungewohnt sanft und klug und mütterlich warm. Ehrsam leitete nämlich den Betrieb der Firma Zisch & Woppl. Herr Woppl, immer elegant und schneidig, sogar Leutnant der Reserve, war so tüchtig gewesen, sich schon in der Wiege zum vermögenden Mann aufzuschwingen; dabei war er – was Schneider und Kravatten anbelangte – eine durchaus selbständige Natur, ein Mann genialer Ideen und origineller Einfälle, sozusagen self-made-man. Frau Ehrsam nahm an ihm ein besonderes Interesse.

Dem Fabrikdirektor lagen brennende Fragen auf der Zunge. Das Verhalten der Gerippe erfüllte ihn mit tausend Vermutungen. Er hätte gerne wissen mögen, wie sie da hineingeraten waren, Kistenmacker in die Mausefalle und Frau Mantzen in die Umarmung. Er faßte den Doktor gleich am Brustzipfel seines Rockes, ohne den strafenden Blick seiner Frau wahrzunehmen, und stellte allerlei hastige Fragen und Bemerkungen. Er wäre Fabrikdirektor, hätte mit hunderten Maschinen tagtäglich zu tun, insbesondere mit Reklame-Automaten für Schaufenster und Verkaufs-Automaten; und alles, was Mechanik hieße, interessierte ihn außerordentlich. »Außerordentlich, außerordentlich!« wiederholte er sichtlich erregt. Woppl lächelte, Andersen lächelte, die Damen lächelten; alle hatten die Empfindung, als ob das feine geistige Spiel der Mechanismen für den Mann, der im Aussehen der kalte Techniker war, eine Spielerleidenschaft bedeute, wie für andere der Wettsport oder die Roulette.

»Er ist Techniker, mit Leib und Seele,« sagte die Frau Direktor entschuldigend, während sie bei sich dachte: »Leider! Der Körper genau nach der Geometrie, die Kleidung nach der ›wissenschaftlichen Methode‹ der neuesten ›Schneider-Akademie,‹ alles, ohne Schönheitslinie, rechtwinklig, praktisch, eine lebende Formel!«

Die beiden jungen Damen blickten mit so charmantem Lächeln auf den Doktor, den ihr Vater nicht zu Worte kommen ließ, daß Herr Woppl fast eifersüchtig wurde. Nur der stumme Diener schüttelte mürrisch den Kopf, als ob er sie alle verwünschte. Er machte sich brummend mit dem Ordnen der Apparate zu schaffen. Dennoch fühlte er sich ein wenig geschmeichelt, daß die Blicke der Mädchen so andächtig am blonden Gelehrtenkopf seines jungen Herrn hingen. Ohne aufzusehen behielt er doch alle im Auge und merkte bald, daß sein junger Herr und die Damen alte Bekannte wären, zwischen denen sich ein leichtes Spinnennetz von Beziehungen knüpfte. Geradezu ein Spinnennetz! Der Alte war ein unheimlich scharfer Beobachter und alle Vorstellungen nahmen bei ihm die Form plastischer Gleichnisse an. Als er bemerkte, wie die Mutter auf die jungen Leute blickte und Herrn Woppl geringschätzig über den Doktor zuzwinkerte, griff er unwillkürlich mit der Hand aus, um das Spinnennetz zu zerstören – und die Spinne dazu. Ein unsäglich boshafter Ausdruck zuckte über sein dämonisch fahles Gesicht, zerrissen von Pockennarben und von hämischen Spuren verwüstender Leidenschaften; sein verschleiertes Auge funkelte auf. Die Frau Direktor aber sah nur die Handbewegung, deren Bedeutung sie nicht verstand, und lachte. Und als sie zu Ende gelacht, mischten sich in die Schatten ihres Gesichtes wieder gelbe Nüancen und ihre Fröhlichkeit wurde zu Galle.

Sie hatte bemerkt, daß der unheimliche Geselle besonders tückisch wurde, wenn sie sich einem Gegenstande unter all dem Gerümpel und Apparatenwirrwarr näherte. Es war ein sargähnlicher Kasten, schwarz, mit schweren schwarzen Schnörkeln und Reliefs verziert, mit krausen, kabbalistischen, weißen Zeichen beschrieben. Er stand mitten unter den Maschinen und schien doch isoliert, hatte nichts von Metall und Mechanismus an sich, sondern eher etwas Menschliches, Geheimnisvolles. Als sie zu lange forschend darauf blickte, wurde auch Andersen nervös. Das steigerte natürlich ihre Neugierde. Um sie abzulenken, auch um die Fragen des Direktors zu beantworten und dem Austausch verlegener Blicke zwischen sich und den Damen ein Ende zu machen, lud der Doktor die Anwesenden ein, Platz zu nehmen. Erst nachdem er diese Einladung ausgesprochen, besann er sich, daß eigentlich gar keine brauchbaren Möbel vorhanden wären. Es war ein Laboratorium mit allem Kunterbunt eines solchen. Er entschuldigte sich und holte unter Assistenz seines Dieners Stühle aus dem Nebenzimmer. Während er draußen war, meinte Woppl: »Sie scheinen den Doktor schon von früher zu kennen?«

»Wir haben letzten Sommer im Gebirge seine Bekanntschaft gemacht,« erwiderte der Direktor. »Noch nie war mir ein so grandioser Phantast begegnet, der jede Unwahrscheinlichkeit mit einer solchen Leidenschaft erfaßt. In allem, was er sprach, offenbarte sich ein wunderbar tiefes Wissen und zugleich eine Übertreibung, die ins genialisch Große ging.«

»Ach, er ist nur ein Blender,« erklärte Frau Ehrsam. »Für seine Projekte, wenn ihre Ausführung gelingen sollte, scheint es notwendig, Geister zu beschwören.«

»Sage das nicht, liebe Amalie! Wenn man ihn spricht, rückt er an die Stelle des Überirdischen natürliche Kräfte, nennt ein physikalisches Gesetz nach dem andern, eine Naturkraft nach der andern, wie sie unser Zeitalter der Technik aus dem mystischen Dunkel der uns umgebenden Welt herausgeschält hat. Er beweist seine Behauptungen durch Zahlen, durch Formeln, durch die überwältigende Kenntnis aller, ja, aller Erscheinungen. Er kombiniert sehr geschickt weit auseinanderliegende, blendende Ideen. Die erhellen blitzgleich seine Gedankengänge. In seinem Kopfe wird auch das scheinbar Unmögliche zur Möglichkeit.«

»Papa hat recht,« sagte Ethel, indem sie ihn dankbar ansah. »Der Doktor scheint wirklich mit seinen verträumten grauen Augen immer in einer anderen, imaginären Welt dahinzuwandeln. In seinem Wesen liegt etwas unheimlich Weltentrücktes …«

»Etwas Dämonisches,« ergänzte Lydia.

Die Direktorin hatte unterdessen versucht, sich wie rein zufällig jenem geheimnisvollen Sarge zu nähern. Aber sie fühlte die Blicke des wachsamen Pockennarbigen wie vergiftete Pfeile auf sich zuschießen. Und jetzt schien es ihr, als ob in seinem von Narben zerrissenen Gesichte dieselben rätselhaften, kabbalistischen Zeichen, blaß und verschlungen, ständen, wie dort auf jenem Sarge. Der enthielt unzweifelhaft etwas, dessen Bekanntwerden sowohl dem Herren wie dem Diener höchst unangenehm sein mußte. Vielleicht etwas, was die Gesetze verbieten und das die Menschen mit Entsetzen erfüllt. »Ja,« murmelte sie und zwinkerte dabei Lydia zu »etwas Dämonisches! Sicherlich!«

Sie stieß mit dem Ellbogen Woppl an, um auch ihn auf jenen sonderbaren Gegenstand aufmerksam zu machen. Aber Woppl hatte ihn schon bemerkt. Es hatten ihn fast alle bemerkt, denn er stand da mitten im Wust fühlloser Instrumente wie ein Wahrzeichen des Lebens und Leidens. Nur Ethel sah ihn noch nicht.

In diesem Augenblick trat Doktor Andersen mit zwei Stühlen ein. Es waren die einzigen, die er besaß. Er entschuldigte sich nochmals, wobei er den aschblonden Schopf zurückstreichen mußte, der ihm über die Stirne geglitten:

»Ja, sehen Sie,« sagte er, »wenn man so die ganze Neugierde, ja ich möchte sagen, den ganzen Haß des Hauses auf sich ruhen fühlt, muß man jeden Augenblick gegen irgend eine Bosheit oder einen Überfall gerüstet sein. Gegen Bosheit hilft nur Bosheit. Und da ich in meinen müßigen Stunden gern scherze, habe ich zum Schutz meines Haus- und Arbeitsfriedens mir auch einige Scherzobjekte gebaut. Sehen Sie diese Gerippe, sie sind die Frucht langjähriger anatomischer Studien. Die Knochen sind Eisen, die Sehnen Stahl, aber alles funktioniert getreu wie in der Natur. Und bitte sehen Sie sich mal meinen Automaten im Vorzimmer an!« Er schritt hinaus, die anderen folgten ihm. Da stand der dunkle Dämon mit den grinsenden Zähnen, schillernden Augen und dem Grabesschimmer im Gesicht, von dem ein phosphoreszierender Hauch Moderduft aufzusteigen schien. Er stand noch immer an der Wand neben der Tür, kerzensteif und regungslos. Den beiden jungen Damen war es etwas gruselig. Wie uns ja immer ein seltsames Gefühl beschleicht zur Nachtzeit in Gesellschaft von Puppen, die lebensähnlich sind und totenstill. Die brünnette Mutter zog ihre schwarzen Augenbrauen zusammen und sah resolut auf den Automaten, als ob sie es mit jedem aufnehmen wolle. Der Direktor schob seine Brille höher an die Nasenwurzel hinauf, beguckte den Türhüter von allen Seiten und wollte ihn gerade noch mit den Fingern prüfend berühren, als ihn der Doktor zur rechten Zeit davon abhielt:

Nehmen Sie sich in acht; er gibt Funken.«

»So?« Er fuhr hastig mit der Hand zurück.

»Das ist mein Portier, oder wenn Sie wollen, mein Hausknecht. Der greift gleich zu, und zwar derb. Öffnet man die Türe, so macht er eine Wendung und breitet die Arme aus, man muß direkt hineingeraten. Sehen Sie hier!« der Doktor bückte sich nach der Schwelle, »da liegt ein Brett; sobald man es betritt, wird ein Kontakt geschlossen und ein elektrischer Strom setzt meinen Hausknecht in Bewegung. Die Glühlämpchen in seinen Augen und hinter seinen Zähnen beginnen zu funkeln, seine Arme umfassen den Eindringling mit einer Wucht, wie sie eben nur Eisen und Stahl äußern können …«

»Prächtig, prächtig!« sagte der Fabrikdirektor.

»Nein, was heutzutage alles möglich ist!« flüsterte Fräulein Lydia, die Blonde, deren blaue Augen sich jetzt wie Blumen dem Doktor erschlossen. Er wandte sich ganz ihr zu, als ob er ihr allein all sein Wissen und Wirken zu Füße legte. Woppl wurde ernst.

»Heutzutage?!« sagte der Doktor, »Nein, schon vor 800 Jahren! Bereits Albertus Magnus, der ein ebenso großer Bischof wie Gelehrter war, hat einen Automaten konstruiert, der ihm Türsteherdienste leistete. Jedenfalls muß jener Automat einen sehr unheimlichen Eindruck gemacht haben, denn er büßte es mit seiner Existenz.«

»Wieso das?« frug die feine Ethel, zart wie ein Kind, trotz ihrer neunzehn Jahre, brünett wie die Mutter und vielleicht ebenso resolut.

»Wie die tiefen dunklen Augen fragen können!« dachte der Doktor, indem er sich unwillkürlich in ihren Anblick versenkte, mit dem Gefühl der Untreue gegenüber den blauen. Er stotterte:

»A … A … A … Albertus Magnus, Sie müssen wissen, war nämlich mit Thomas von Aquino eng befreundet. Daß Aquino empört war über das unheilige Machwerk, über die Anmaßung des Menschen, die Natur nachzubilden, den Schöpfer zu spielen, können Sie sich denken. Sie müssen im Auge behalten, es war die Zeit, wo die Naturfreude eine Verführung der Hölle war. Sie wissen

›Natur ist Sünde, Geist ist Teufel‹ …

So kann es Sie ja nicht weiter in Erstaunen setzen, daß Thomas von Aquino beim Anblick des automatischen Beelzebübchens aufschrie: ›Weg mit dem Teufelsspuk!‹ Er erhob den Stock, zertrümmerte das Werk. – So erlag die Schöpfung des hellen Genies dem übersinnlich sinnlosen Mißgeist der Zeit.«

Der Direktor schüttelte den Kopf:

»Es ist unglaublich, daß der Mensch schon so früh jenen lockenden Lichtern gefolgt ist, die uns heute zu den großartigsten Schätzen der Kultur hinleiten. Es scheint, es gab schon damals Zauberer, in deren feinen Fingern Wünschelruten goldkündend zuckten! Nur waren sie ihrer Zeit zu weit voraus. Es existiert eine Vergeudung geistiger Kraft in der Weltgeschichte, die wirklich beklagenswert ist: die Vergeudung der zu früh Geborenen!«

»Allerdings,« sagte Andersen, der sich ins Feuer hineinzureden begann, »Allerdings, Sie haben recht: die Vergeudung der zu früh Geborenen! Zukunftsgeister, die in der Dumpfluft ihrer Zeit ersticken. Was hätten sie leisten können, lebten sie heute! Heute, wo wir den Übermut tosender Wasserstürze in die ehernen Fesseln der Turbinen bannen. Da laufen sie denn als viele tausend Pferdestärken im Geschirr, treiben unsere Fabriken, Tag und Nacht, unermüdlich nützlich. Sie nehmen uns die tierisch-mechanische Arbeit ab, diese Wasserkobolde, diese Wind- und Ätherdämonen! Über dem Nacken der Elementargeister steht mit der Geistesgeißel das höhere Wesen, der Mensch. Der Triumph unserer ganzen Industrie ist nur durch die Zwangsarbeit dieser Sklaven möglich.

Aber auch wir sind Maschinen. Wissenschaft und Technik schneiden aus uns, den höchsten Lebewesen, das rein Mechanische heraus. Schon Cartesius, der Philosoph, betrachtete sämtliche Tiere als bloße Automaten; nur der Mensch war ihm seelebegabt.«

Lydia lächelte: »Also, nach ihm waren Automaten jeder Hund, jede Katze, jeder Ochs und jeder Esel!«

Ethel: »Ja, warum verfertigte er denn nicht selbst solche Automaten?«

»Die Frage ist schlagend; er soll angeblich auch einen solchen verfertigt haben. Er nahm ihn auf eine Seereise mit und die abergläubischen Matrosen schlugen ihn in Stücke.«

»Was, schon Cartesius?« rief erstaunt der Direktor.

»Ach, du weißt wohl,« sagte die Frau Direktorin, »derselbe, der den berühmten Ausspruch getan hat: Ich denke, folglich bin ich!« Sie sagte das, als ob sie sich täglich mit nichts anderem beschäftigte, als Philosophie, Gemüse, Kochkunst und wiederum Philosophie. Während der Direktor sich ganz erdrückt fühlte von dem überlegenen Wissen, dachte der Doktor:

»Wo mag die Gans dies aufgeschnappt haben?«

Der diplomatische Woppl aber sagte rasch: »Gnädige sind eine Frau von Geist.«

»Von Geist nicht, aber von Galle,« murmelte der Direktor zwischen den Zähnen.

»Ja, Mama weiß doch alles,« hauchte die Blonde, sich mit Silbertönen an den Doktor anschmeichelnd, während die Brünette mit komischem Pathos aussprach:

»Im Urtext heißt es sogar: Cogito ergo sum

Über diesen Mutwillen brach die ganze Gesellschaft in fröhliches Lachen aus; selbst der stumme Diener, der an der Eingangstüre zum anderen Zimmer stand, lachte, ohne recht zu wissen warum.

»Wenn es aber schon vor dreihundert Jahren möglich war, einen menschenähnlichen Automaten zu schaffen,« sagte der Direktor nach kurzer Besinnung, »dann ist es doch gewissermaßen ein Armutszeugnis, daß es der heutigen, so hoch gelobten und reklamehaften Technik nicht gelungen ist, etwas ungleich Vollkommeneres auf diesem Gebiete zu erzeugen.«

»Lästern Sie nicht unser berühmtes Jahrhundert,« sagte der Doktor. »Seit Albertus und Cartesius haben wir die unglaublichsten Dinge erlebt. Haben Sie denn nicht von Vaucanson gehört?«

»Vaucanson?« scherzte Lydia, »Gewiß ein Schwede wie Petersen und Andersen.«

» You are wrong, my dear,« sagte der Papa, »Vaucanson war Franzose. Wann er gelebt hat, weiß ich allerdings nicht –«

»Mitte vorvorigen Jahrhunderts,« unterbrach ihn der Doktor.

»Also, sagen wir Mitte vorvorigen Jahrhunderts! – Er erfreute seine Lyoner Mitbürger durch einen Webstuhl, den statt eines Webers – die Weber streikten damals oft – ein Esel, ein lebendiger oder künstlicher, treiben sollte. Er versprach ihnen, darauf die wunderbarsten Seidenstücke zu weben. Mehr weiß ich aber auch nicht.«

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen zu Hilfe komme,« bemerkte der Doktor. »Vaucanson hat die aufsehenerregendsten Automaten erfunden, die es jemals gegeben hat. Der ganze Hof zu Paris war entzückt. Er hat einen Flötenspieler gebaut, der ein Dutzend der reizendsten Melodien, die damals en vogue waren, auf seiner Flöte blies. Mund und Lippen bewegten sich, die Finger glitten über die Schallöcher mit einer ungeheueren Natürlichkeit. Der ganze Körper war Ebenmaß der Formen und Anmut der Bewegungen, indes der Hauch seines Mundes sich in liebliche Tonwellen verwandelte.«

»Was sind unsere allerdings sehr reichen Musikwerke und Orchestrions dagegen?« rief der Fabrikdirektor. »Nichts sind sie, Groschenautomaten sind sie! Ja, der Vaucanson! Jetzt erinnere ich mich. Ich habe von ihm schon gelesen. Die Ente, sagen Sie doch gleich Herr Doktor, was war das mit der Ente?«

»Ja, was war das mit der Ente?« rief Ethel schelmisch.

»Sie konnte weder gebacken, noch gebraten werden.« Der Doktor ging auf den neckischen Ton ein.

»Und was konnte die Ente?« frug Lydia, »Konnte sie watscheln, konnte sie schwimmen?«

»Sie konnte watscheln, sie konnte schwimmen.«

»Das ist aber wenig! Wissen Sie, was eine Ente können muß, was überhaupt der Entenberuf auf Erden ist: gegessen werden.«

»Da muß ich allerdings bedauern,« sagte der Doktor. »Gegessen konnte sie nicht werden, aber etwas anderes konnte sie, sie konnte selbst essen.«

Ein komisches »Ah!« entfuhr den fünf Zuhörern.

»Was verstehen Sie unter essen«? fragte der Direktor pedantisch, seine Brille wieder zurechtrückend. Offenbar erwartete er noch den eigentlichen Kunstgriff.

»Sagen wir, was Vaucanson unter essen verstand. Sobald man der Ente eine Schüssel mit … was essen die Enten?«

»Mais« sagte, Lydia.

»Sehr gut!« sagte der Doktor, »ich sehe, Sie haben Talent zur Geflügelzucht. Also sobald man der Ente eine Schüssel mit Mais vorrückte, watschelte sie bedächtig auf diese zu, griff mit ihren: Schnabel hinein, begann die Körner langsam zu zerreiben, herunter zu schlucken, zu verdauen und …« der Doktor machte eine großartige Kunstpause.

»Und?« … fragten alle wie aus einem Munde.

»Und … das Einfachste von der Welt … sie gab das Verdaute wieder von sich!«

»Shocking,« rief Lydia.

»Shocking,« lachte Ethel auf.

»Shocking,« echote im liefen Baß und naserümpfend Frau Ehrsam.

»Natur ist Natur,« murmelte Ehrsam. »Naturalia non sunt turpia!« Aber Amalie warf ihn: einen scharfen Blick zu.

Der Doktor hatte bei ihr wieder einen Point verloren.

Woppl strahlte.

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