Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 32

»Squire Dayton«, sagte Cook, als sich die Tür hinter den Frauen schloß, »Mr. Hawes verließ gestern nachmittag unsere Farm, und zwar einzig und allein in der Absicht, ja sogar mit dem ganz besondern Auftrage, Sie zu sprechen und Ihnen wichtige Mitteilungen zu machen. Wie ich aber eben gerade höre, hat er sich hier in Helena nicht einmal sehen lassen. Mrs. Dayton –«

»Sie irren sich«, entgegnete ihm ruhig der Squire; – »er war hier, und wenn Sie in derselben Absicht hierherkommen wie er selbst, so sehe ich allerdings Ihre Eile und Aufregung gerechtfertigt.«

»Er war hier?« fragte Cook erstaunt. – »Mrs. Dayton sagte aber doch –«

»Ich traf ihn unten in der Stadt«, fiel ihm der Squire ins Wort, »und weil mir die Sache zu wichtig schien, auch nur eine Sekunde zu verzögern, so sandte ich ihn, damit er nicht durch einen bloßen Höflichkeitsbesuch die kostbare Zeit vergeuden sollte, augenblicklich nach Sinkville, während ich selbst das zu besorgen übernahm, was hier zu tun blieb. Wie er mir sagte, wollten Sie im Lande oben an Männern aufbieten, was Sie in der Eile zusammenbekommen könnten, damit wir, sobald er zurückkehrte, den entscheidenden Streich führen könnten. Ist das geschehen?«

»Ich sollte es meinen«, rief Cook schnell, »der Alte und Bill mit noch ein paar anderen Drapers sind mit einer tüchtigen Schar im Anzuge.«

»Gut, dann wollen wir uns wenigstens jetzt so lange ruhig verhalten, bis wir von Sinkville Nachricht bekommen. Mr. Hawes hatte ganz recht, daß er mir besonders ans Herz legte, die Verbrecher nicht vor dem entscheidenden Schlage gegen das aufsteigende Unwetter zu warnen. Auf jeden Fall möchte es geraten sein, die Farmer nicht früher nach Helena selbst hereinzulassen, bis wir nicht auch ungesäumt gegen den Feind aufbrechen können.«

»Mr. Hawes mochte damals recht haben«, fiel ihm hier Cook in die Rede; – »die Sache hat sich jetzt aber geändert. Allerdings waren wir ebenfalls der Meinung, nicht alle auf einmal in die Stadt zu rücken; denn jene Bande hat ganz gewiß ihre Spione in Helena. James und ich ritten deshalb sogar voraus, und die übrigen lagern etwa eine Meile von hier in der ›Skalpprärie‹, Ihr kennt ja wohl den Platz, Squire, wo vor zwei Jahren die beiden Männer beraubt und skalpiert wurden. Der entscheidende Streich wird auch verschoben werden müssen, bis wir eine hinreichende Macht gesammelt haben; es sind aber unterdessen andere Vorbereitungen nötig geworden, und zwar hier in der Stadt selbst.«

»Hier in Helena?«

»Ja, – Hawes wird Ihnen gesagt haben, daß Cotton entflohen ist.«

Der Squire nickte einfach mit dem Kopfe.

»Gut«, fuhr Cook fort; – »im Anfang glaubten wir, er würde entweder versuchen, an die Sümpfe oder über den Mississippi hinüber zu entkommen. Dem ist aber nicht so; er muß hier nach Helena zu geflüchtet sein, mein Schwiegervater und Drosly haben ihn deutlich aufgespürt, und so ritten wir beiden denn, James und ich, gestern abend noch von zu Hause fort, um heute morgen gleich in aller Frühe unsere Nachforschungen beginnen zu können. Unterwegs wollten wir nun ein paar Stunden lagern und die Pferde rasten lassen, überlegten uns aber, daß wir nicht wissen könnten, ob wir die Tiere vielleicht in nächster Zeit sehr anstrengen müßten. Deshalb beschlossen wir, scharf zuzureiten und im Union-Hotel den Nigger herauszuklopfen. So kam es denn auch, daß wir etwas vor Tagesgrauen den oberen Teil der Stadt und zwar, wie James sagte, das Wirtshaus ›Zum Grauen Bären‹ erreichten, wo noch Licht und Lärm genug war. James verspürte hier merkwürdige Lust nach einer Tasse heißen Kaffee, und da ich ebenfalls nichts dagegen hatte, klopften wir an. Wäre das einfache Klopfen ein Donnerschlag gewesen, der das kleine Nest bis in die Wurzel hinein traf, so hätte die Wirkung nicht zauberhafter sein können. Der ganze Lärm verstummte im Nu, und James, der noch ein paar Schritte hinter mir war und die erleuchteten Seitenfenster übersehen konnte, meinte, sie seien dunkel geworden, ehe er hätte Jack Robinson sagen können.«

»Und antwortete niemand auf das Klopfen?« fragte der Richter.

»Ei, allerdings«, fuhr Cook fort, »ganz Opossum konnten sie doch nicht gut spielenDas Opossum, die amerikanische Beutelratte, stellt sich, wenn sie angegriffen oder auch nur berührt wird, augenblicklich tot und läßt alles über sich ergehen: es ist daher ein in den Backwoods sehr häufiges und allgemeines Sprichwort, für jemanden, der sich verstellt, zu sagen: »Er spielt Opossum.«; ein alter Bursche kam endlich, als ich noch einmal mit dem Fuß an die Tür stieß, heraus und fragte, was wir wollten. James, der jetzt neben mich trat, brachte unser Anliegen vor; der Alte aber ließ ihn nicht einmal ausreden, versicherte, keinen Mais und keinen Kaffee zu haben, wünschte uns einen guten Morgen und schlug uns die Tür vor der Nase zu.«

»Nun? – Und das Verdächtige?« fragte der Richter.

»Ei, ich sollte denken, das wäre verdächtig genug gewesen«, meinte Cook; »doch hatten wir noch immer kein Arg, gingen wieder zu unseren Pferden zurück, die auf der Straße angebunden standen, und ritten eine kurze Strecke nach Helena zu. Da gerade als wir den offenen Fleck erreichten, wo der einzelne rebenumhangene Gum neben dem Papaodickicht steht – sahen wir von jenseits des Flusses drüben ein paar Raketen aufsteigen, die nach gar nicht langer Zeit vom ›Grauen Bären‹ aus erwidert wurden. Natürlich hielten wir jetzt, wo wir uns gerade befanden, um das, was hier vorging, abzuwarten und hörten auch in kaum einer halben Stunde die regelmäßigen Ruderschläge eines Bootes, das vom anderen Ufer drüben herüberkam. Es konnte etwa von derselben Stelle ausgefahren sein, wo die Raketen aufgeblitzt waren.«

»Und es landete am ›Grauen Bären‹?«

»Allerdings tat es das«, erwiderte ihm Cook, »wenigstens an dem Flatboot, das unter dem Hause am Ufer liegt. Weiter konnten wir freilich für den Augenblick nichts erkennen.«

Der Squire blickte lange Zeit nachdenklich vor sich nieder; endlich wandte er sich rasch gegen den Farmer um und fragte ihn: »Wie viele Raketen waren es, – und was für Licht hatten sie?«

»Was für Licht?« fragte verwundert der Farmer, der wohl schon Raketen gesehen und davon gehört hatte, eine Lichtunterscheidung aber nicht kannte. – »Wieviel? – Kennen Sie etwa das Zeichen?«

»Ich? Nein«, lächelte der Richter, – »ich meine nur, wenn es vielleicht bloß eine, irgendeine gewöhnliche Rakete war, so konnte die auch zufallig geworfen sein. Flatboote machen sich oft den Spaß oder geben sich auch manchmal ein Zeichen, wenn zum Beispiel Arbeiter von ihrem Boote vorausgerudert sind und am Ufer warten, um ihnen das Fahrzeug anzudeuten, zu dem sie gehören.«

»Ja ja, das weiß ich wohl«, sagte Cook, – »dasselbe würden wir auch gedacht haben, – wozu aber dann das augenscheinliche Verborgenhalten der Leute im Hause? Weshalb ließen sie uns nicht ein und öffneten den anderen, die später kamen, die Tür?«

»Ich weiß nicht«, meinte Squire Dayton, – »Sie können sich doch wohl irren.«

»Ja, Squire«, sagte der Farmer, etwas eifriger werdend, »wir können uns irren; jetzt aber ist nicht die Zeit, solche Sachen auf die leichte Schulter zu nehmen. Daß eine gefährliche Bande auf jener Insel im Mississippi existiert, wissen wir, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß auch in Helena ein Absteige- und Hehlquartier dieser Schurken zu finden ist. Jener ›Graue Bär‹ soll noch dazu, wie mir James versichert, schon seit langem einen fast mehr als zweideutigen Ruf haben, und andere Verbrechen sind ebenfalls in unserer Nähe, und zwar auf dem festen Lande verübt worden, von denen der Verdacht noch stärker auf Helena fällt. Der Farmer Howitt, der am Mittwoch abend hier von Helena fortritt, ist gestern im Walde, gar nicht weit von uns entfernt, erschlagen aufgefunden worden, und einen anderen armen Teufel haben sie hinter Strongs Postoffice kaltgemacht und beraubt. Cotton ist ebenfalls hierher nach Helena geflohen, und wir müssen jetzt ernsthafte Maßregeln ergreifen, um dem ein Ende zu machen.«

»Aber wo ist denn jetzt James Lively?« fragte der Richter und blickte sinnend vor sich nieder. – »Ist er mit nach Helena gekommen?«

Die Tür öffnete sich, und Adele schaute herein.

»Ist es erlaubt, mir nur meinen Bonnet zu holen?« fragte das junge Mädchen lächelnd. – »Ich möchte einen Sprung zu Mrs. Smart gehen und habe ihn hier liegenlassen, oder sind es Geheimnisse, in denen ich störe? Ich gehe gleich wieder fort.«

Der Richter sah zerstreut zu ihr auf; Cook aber erwiderte: »O bewahre, Miß, nicht für Sie, wenn auch vielleicht für andere Leute. – James Lively, Sir?« wandte er sich dann wieder, die Frage beantwortend, an den Squire, während Adele, die schon den Bonnet ergriffen hatte und eben wieder hinausgehen wollte, fast unmerklich zusammenfuhr und ordentlich fühlte, wie sie rot wurde. Das durfte sie die Männer doch nicht merken lassen, und verließ sie jetzt das Zimmer, so mußte sie gerade an ihnen vorbei. Sie trat schnell an den Nähtisch, wo sie den beiden den Rücken zukehren durfte, und zog ihn auf, als ob sie darinnen etwas suche.

Cook fuhr fort: »James Lively traute dem Frieden nicht recht und meinte, dem geheimnisvollen Wesen läge wohl noch mehr zugrunde. Er bat mich also, hierher zu reiten und Sie von dem Vergangenen in Kenntnis zu setzen, während er selbst sein Pferd in dem Papaodickicht befestigte, neben dem wir hielten, und dann zurück zum Hause schleichen wollte. Von Nebel und Dunkelheit begünstigt, hoffte er herauszubekommen, was dort getrieben würde, und als ich ihn verließ, flüsterte er mir noch zu, wir sollten ihn, falls wir selber herauskämen oder nach ihm schickten, in dem Kieferndickicht gleich über dem ›Grauen Bären‹ droben finden.«

Adele hatte inzwischen ihren Sonnenbonnet aufgesetzt, zog ihn sich fast ganz in die Stirn hinein und schlüpfte gleich darauf mit einem kaum halblaut geflüsterten »Guten Morgen, Gentlemen« rasch aus der Tür.

»Mein Rat ist jetzt«, sprach Cook weiter, ohne den Gruß zu erwidern, ja wahrscheinlich, ohne ihn zu hören, »daß wir vor allen Dingen die Spelunke da oben umzingeln, den Insassen derselben die Flucht zu Wasser und zu Lande abschneiden und dann einmal sehen, was für ein Kern in der Schale sitzt. Wer weiß, ob wir da nicht die Wurzel des ganzen Übels fassen und vernichten können, so daß wir nachher mit den übrigen leichtes Spiel haben.«

»Lieber Mr. Cook«, sagte der Squire ernst, – »auf einen bloßen Verdacht hin kann ich in das Privateigentum eines Bürgers der Vereinigten Staaten nicht gut eindringen. Ja, wenn Sie nur für irgend etwas eine Art Beweis hätten –«

»Ei, zum Henker mit Ihren Beweisen, Sir!« rief der Hinterwäldler trotzig aus. »Wenn ich die hätte, brauchten wir Sie und alle Umstände nicht; Beweise sind es ja gerade, zu denen uns das Gesetz verhelfen soll; finden wir die, nachher werden wir auch wissen, wie wir zu handeln haben.«

»Mein guter Sir«, erwiderte der Richter achselzuckend, »Sie scheinen zu glauben, daß Sie noch am Fourche la Fave sind und nur einen Aufruf ergehen zu lassen brauchen, um die ganze Nachbarschaft zur Ausübung des Lynchgesetzes bereit zu finden. Nicht wahr, Sie gehörten mit zu den Regulatoren?«

»Allerdings«, sagte finster der junge Mann.

»Nun, sehen Sie wohl, Sie werden sich getäuscht finden. Wir leben hier in einer zivilisierten Stadt, und sosehr ich auch selbst geneigt bin, jeden Verbrecher seiner gerechten Strafe überliefert zu sehen, so werde ich mich doch andererseits sicherlich jedem willkürlichen Gerichtsverfahren widersetzen.«

»Also haben wir auf Ihre Hilfe nicht zu rechnen?« fragte Cook scharf.

»Allerdings haben Sie das«, entgegnete der Richter, »ich halte es sogar für meine Pflicht, Ihnen in jeder gerechten Sache Vorschub zu leisten, ebenso aber auch jede ungerechte zu unterdrücken. Übrigens glaube ich wirklich«, brach er plötzlich lächelnd ab, »daß Sie diese Sache in zu schwarzen Farben sehen. Ich habe jenes Haus schon seit längerer Zeit selber in Verdacht, bin aber ziemlich fest überzeugt, daß es nichts Schlimmeres als eine Spielhölle ist, die jedoch allerdings auch ungesetzlich wäre und deshalb nächstens einmal ausgehoben werden soll. Nur fehlen mir erst noch die Beweise; habe ich die erst, so sollen auch die Gesetze in aller Strenge ihre Ausübung finden.«

»Ja, das haben wir in Vicksburg gesehen«, sagte Cook unwillig; »was hat der Magistrat dort ausrichten können? Nichts! Die Bürger mußten sich erst selbst ihre Hilfe verschaffen, und hätten sie nicht damals die Verbrecher ohne weitere Umstände gehängt, so liefen sie jetzt noch zum Skandal der Menschheit und zur Schande der Stadt herum. Doch wir vertrödeln hier die schöne kostbare Zeit, Squire Dayton; deshalb jetzt direkt zu meinem Auftrage. Ich fordere Sie vermöge der mir verliehenen Vollmacht hiermit im Namen meiner Nachbarn nochmals auf, uns vor allen Dingen und ohne weiteren Aufschub Ihre Hilfe zu leihen, jene Kneipe, ›Zum Grauen Bären‹ genannt, zu umstellen und durchsuchen zu lassen. Ich verspreche Ihnen auch noch, daß wir Farmer uns bei der ganzen Sache gar nicht wirklich tätlich beteiligen, sondern nur Ihre Schutzwache bilden wollen. Das übrige mag sich später aus dem ergeben, was wir dort finden.«

»Sir«, entgegnete der Richter ernst, »bedenken Sie, was Sie tun! Sie wollen gesetzlose Menschen bestrafen und stellen sich zu gleicher Zeit auf dieselbe Stufe mit ihnen. – Sie wollen –« Er hielt plötzlich inne und horchte hoch auf, und auch Cook bog sich, aufmerksam lauschend, dem Fenster zu. Ein wunderlicher Laut tönte von dort herauf. Fast wie das schäumende Gebraus der See vor Ausbruch eines Sturmes murmelte es in dumpfen, drohenden Tönen, und nur dann und wann scholl der einzelne gellende Schrei einer zürnenden Menschenmenge hervor aus dem Chaos von immer wachsendem Lärm und Aufruhr. Aus dem Fenster, an dem sie standen, konnten sie die in die Stadt hineinführende Straße übersehen, und von dorther wälzte sich jetzt ein wildverworrenes Menschenknäuel, den Konstabler an der Spitze, gerade auf das Haus des Squire zu und verlangte nach dem Friedensrichter.

»Hallo, da gärt's schon!« rief jetzt Cook freudig. »Nun, Sir, wollen wir doch einmal sehen, ob die Männer von Helena aus anderem Teig geknetet sind als die vom Fourche la Fave.«

Er riß schnell das Fenster auf und rief mit lauter, fröhlicher Stimme auf die Straße hinunter: »Was gibt's, meine wackeren Burschen? Wo hat's eingeschlagen? Wo brennt's?«

Ein tolles, entsetzliches Geschrei, aus dem nur manchmal die einzelnen Wort »Breidelford – Mörder – Räuber« hervorschallten, war die Antwort, und Cook, der sich rasch gegen den Richter wandte, sah, daß dieser leichenblaß wurde und vom Fenster zurücktrat.

»Alle Wetter, Sir«, rief der Farmer und blickte ihn erstaunt an, »Sie werden ja käseweiß; – sind Sie krank?«

»Krank? – Ich? Nein, – wahrhaftig nicht«, sagte Squire Dayton schnell; »aber die Nachricht überraschte mich. – Ich weiß kaum, ob ich recht gehört habe; – es wäre fürchterlich!«

»Was ich aus dem Gebrüll heraushören kann«, sagte Cook und griff rasch nach seinem Hute, »ist, daß sie einen gewissen Breidelford ermordet haben, – kenne den Menschen nicht.« Und mit flüchtigen Sätzen sprang er die Treppe hinab, riß beinahe den Konstabler um, dem Cäsar eben die Tür geöffnet hatte, und sprang mitten zwischen das Volk hinein.

»Hallo, Boys!« rief er, als er hier mehrere Bekannte aus der Nachbarschaft erblickte. »Seid ihr gekommen, um die Gerichte zu holen, oder was gibt's sonst? Keine Spur von den Mördern gefunden?«

»Noch keine, Cook«, sagte ein langer Virginier, der sich vorarbeitete und dem Freunde die Hand bot; »ich denke aber, wir finden sie, haben auch noch gar nicht gesucht; denn die Burschen da wollten sich absolut erst den Richter holen, damit der Magistrat vor allen Dingen die Nase in die Geschichte stecke. Nun, mir kann's recht sein; Zeit wär's aber, daß auch in Helena ein bißchen nachgespürt würde.«

»Schändlich ist's«, rief ein anderer aus der Schar, »eine arme, alleinstehende Frau zu überfallen! Das Haus muß versiegelt werden, bis ihre Verwandten kommen. – So eine gute, brave Seele, wie sie war!«

»Nun, ihre Güte ließ sich allenfalls tragen«, murrte einer von der entgegengesetzten Seite; »sie hat in letzter Zeit besonders viel mit verdächtigem Gesindel verkehrt. Aber, Donnerwetter, wenn das hier dem einen mitten in der Stadt passieren kann, so ist auch der andere nicht besonders sicher, und da müssen wir doch sehen, ob wir den Mörder nicht herausbekommen können.«

»Heda, Richter!« schrie jetzt ein vierter aus der Menge. »Macht, daß Ihr herunterkommt! Die Zeit vergeht, und die Schufte gewinnen mit jeder Minute nur noch größeren Vorsprung.«

»Gentlemen«, sagte Squire Dayton, der neben dem Konstabler in der Tür erschien und die Versammelten aufmerksam und forschend zu prüfen schien, mit tiefer, fast tonloser Stimme, »es ist, wie ich eben höre, ein entsetzlicher Mord geschehen. Ohne Zögern sollen augenblicklich die nötigen Vorkehrungen –«

»Ist schon sämtlich in bester Ordnung besorgt«, fiel ihm hier der Virginier ohne große Umstände in die Rede; »der Konstabler hat gleich alles getan, was sich für den Augenblick nur tun ließ. Vor allen Dingen haben wir den Fluß besetzt, daß uns kein Kahn entrinnen kann. Es fehlt jetzt nur noch eine Untersuchung des Hauses selbst, ob wir dort vielleicht irgendeine Spur von den Mördern finden, und wir wollten Euch dazu abholen, Sir, damit die Sache doch auch ein bißchen gesetzlich aussähe und wir später keine weiteren Umstände haben.«

Der Richter schaute wie in tiefen Gedanken die Straße hinunter und hinauf. Sein Antlitz hatte eine unheimliche Blässe angenommen, und seine Augen blickten stier und glanzlos. Die Wege, die er übersehen konnte, waren menschenleer; alles schien sich dem Schauplatze des Mordes zugedrängt zu haben. Da tönte das Geräusch knarrender Ruder an sein Ohr. Sein Blick flog über den Strom hin und erkannte dort eines jener mächtigen Kielboote, die im Westen Amerikas gewöhnlich noch solche Flüsse befahren, auf denen Dampfer nicht gut angewandt werden konnten, wie sie auch manchmal auf dem Mississippi zu allerlei Zwecken benutzt und, mit Waren beladen, stromab geführt werden.

Es trieb augenscheinlich auf die Stadt zu, und vier Bootsleute arbeiteten langsam mit den schweren Finnen das breitbauchige Fahrzeug dem Lande entgegen. Daytons Lippen umzuckte aber ein triumphierendes Lächeln; denn auf der langen, knarrenden Steuerfinne der sogenannten Arche flatterte ein rot-grünes Fähnchen.

»Habt Ihr die Geschworenen schon zusammengerufen, Konstabler?« fragte er.

»Ja, Sir«, sagte der Mann; »sie werden wohl schon oben sein.«

»So kommt, Gentlemen!« entgegnete der Squire und schritt, von den wenigen gefolgt, die bis dahin noch zurückgeblieben waren, rasch dem Hause der Witwe zu.

Cook war schon ein kleines Stück vorausgelaufen, und der Virginier wollte ebenfalls gerade folgen, als er sich von der Hand eines jungen Burschen zurückgehalten fühlte, der ihn wie schüchtern mit einem kaum hörbaren »Sir« anredete.

Er ging in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler gekleidet, aber alles, was er trug, schien nicht für ihn gemacht; es war viel zu weit und zu groß. Der blaue, grobe Rock hing ihm förmlich auf den Schultern, und die Ärmel bedeckten fast seine Hände. Besonders war ihm der alte, schwarze Filz bis tief in die Augen hereingerutscht. Der Virginier lachte, als er ihn sah.

»Sir«, sagte der Kleine und wandte sich, um den Davoneilenden nachzusehen, halb von dem Mann, mit dem er sprach, ab, »war der eine – ich meine den mit dem weißen Filzhut – wirklich der Richter hier aus Helena?«

»Jawohl, mein Bursche«, sagte der Lange, »weshalb?«

»Und er heißt – wie heißt er denn eigentlich?«

»Dayton, Squire Dayton nennen sie ihn gewöhnlich; – der andere, der mit ihm geht, ist der Konstabler.«

»Wohnt er hier in der Stadt?«

»Wer? – Der Konstabler?«

»Nein, der Richter.«

»Das versteht sich doch wohl von selber; wo denn sonst? Aber ich muß fort. – Nun, was gibt's jetzt noch?«

»Kennt ihr ihn sonst nicht? Ist er vielleicht – wißt Ihr nicht, ob –«

»Nein, – kenne ihn weiter gar nicht«, rief der Virginier und machte sich von der Hand, die ihn hielt, frei, »habe auch jetzt keine Zeit, denn ich möchte nicht gern zu weit zurückbleiben. Wollt Ihr mehr über ihn wissen, so steht da oben am Fenster seine Frau, die wird Euch nähere Auskunft geben.« – Und er eilte fort, blieb aber gleich darauf unwillkürlich wieder stehen und sah sich nach dem jungen Burschen um. Die Hand, die er eben in der seinen gehalten hatte, war so weich und warm gewesen, – der Hutrand hatte ihn bis jetzt noch ganz daran verhindert gehabt, das Gesicht des Kleinen zu sehen. Dieser mußte sich indessen rasch von ihm abgewandt haben; denn er drehte ihm jetzt den Rücken zu und starrte zu dem geöffneten Fenster hinauf, aus welchem Mrs. Dayton ängstlich der davonstürmenden Volksmenge nachschaute.

»Hallo, Mills!« rief da Cook dem Virginier zu. »Kommt, wir dürfen nicht die letzten drüben sein!«

»Ay, ay«, lautete dessen Antwort, indem er dem Rufe rasch Folge leistete, – »bin gleich dort. – Merkwürdig zartes Bürschchen«, murmelte er dann vor sich hin, während er durch schnelleren Lauf das Versäumte wieder nachzuholen versuchte. »Die Hand fühlte sich an wie das Fell eines fliegenden Eichhorns; muß mir ihn doch nachher einmal genauer betrachten.«

Der junge Bursche stand vor Squire Daytons Tür allein, und sein Blick hing stier an dem lieblichen Frauenbild, das sich bleich und tränenden Auges aus dem Fenster beugte.

Wenige Sekunden schien er mit sich zu kämpfen, tat ein paar schnelle Schritte nach dem Hause zu, blieb nochmals stehen, wandte sich, als ob er den Platz fliehen wollte, und trat dennoch plötzlich, wie von einem raschen Entschluß bestimmt, hinein. Gleich darauf schloß sich hinter ihm die Tür.

 

Im Hause der sonst so genauen und ordentlichen Mrs. Luise Breidelford sah es gar wild und schauerlich aus. – Die stets festverschlossen gehaltene Haustür stand heute weit geöffnet, und aus und ein strömten Scharen von Neugierigen und gingen treppauf, treppab in dem kleinen Gebäude. Freilich konnten sie nur ein einziges Zimmer betreten; die übrigen hatte der Konstabler schon durch gewaltige Vorhängeschlösser verwahrt, und nur hier und da suchten die in reichlicher Anzahl versammelten Knaben und jungen Burschen durch Schlüssellöcher und Türspalten, wenn auch meist erfolglos, einen Blick in die geheimnisvollen Räume zu gewinnen.

Oben in dem Zimmer aber, wo man die Leiche gefunden hatte, standen in ernstem und feierlichem Schweigen die Leichenbeschauer – geschworene Bürger von Helena – und sahen auf das bleiche, krampfhaft verzerrte Antlitz der Erschlagenen nieder. Wunden hatten sich weiter nicht an ihr gefunden als am Kopfe. Dort war die Haut von dem gewaltigen Faustschlag versehrt, und einzelne Tropfen geronnenen Blutes zeigten die Stelle an, wo sie zu Tode getroffen worden war. Der Richter, der zu den Geschworenen trat, hielt ein Paket Papiere in der Hand, das man nebst einigen Schlüsseln und einem Geldtäschchen bei ihr gefunden und ihm überliefert hatte.

Der Konstabler gab jetzt Bericht, wie man heute morgen dem Mord auf die Spur gekommen sei. Die Wachen wollten, ihrer Aussage nach, in der Nacht einen Schrei gehört haben, waren jedoch später durch den Anblick der jetzt Ermordeten selbst beruhigt worden und hatten nicht weiter darauf geachtet, bis sie, und zwar erst mit grauendem Morgen, zwei Männer aus eben dieser Straße kommen und die Uferbank am Flusse hinaufgehen sahen. Wohl fiel ihnen jetzt der Schrei wieder ein, und sie schritten rasch hinter den beiden her, verloren sie aber in Dunkelheit und Nebel bald wieder aus den Augen. Indessen war, aber doch erst mit Sonnenaufgang, das Mädchen zurückgekehrt, das Mrs. Breidelford vorigen Abend zu ihren vor der Stadt wohnenden Eltern geschickt hatte. Das junge Ding fand zu ihrem Erstaunen die Haustür nicht allein nur angelehnt, sondern auch noch im Hause manches in höchst auffallender Unordnung: Rasch lief sie die Treppe hinauf, und ihr Hilfeschrei, als sie zurückschreckend die Leiche erkannte, rief bald nachher Nachbarn zusammen. Dort konnte natürlich über den gewaltsam verübten Mord – den noch überdies die wild in den Zimmern umhergestreuten Sachen als Raubmord bestätigten – kein weiterer Zweifel bleiben. Der Ausspruch der Geschworenen lautete: »Durch heftigen Schlag auf den Kopf gewaltsam getötet!« Die Aufmerksamkeit der Männer richtete sich jetzt auf das Zimmer selbst, um hier vielleicht etwas zu entdecken, was auf die Spur der Mörder führen konnte. Besonders wichtig schienen hierbei einige Gegenstände, die man neben einer geleerten Stew-Bowle und der niedergebrannten Lampe auf dem Tisch fand. Es waren eine kleine, lederne Brieftasche, ein gewöhnliches, aber noch neues und erst wenig gebrauchtes Jagdmesser mir ordinärem Holzgriff und zwei halbgerauchte und verlöschte Zigarren. Mrs. Breidelford hatte, obgleich das sonst im Westen von Amerika nichts Ungewöhnliches gewesen wäre, selber nie geraucht. Männer mußten sich also auf jeden Fall, und zwar eine ziemlich geraume Zeit, im Innern des Hauses, ja, wenn man das Zeugnis der Wache annahm, auch mit Einwilligung der Frau aufgehalten haben. – Wer aber konnten sie gewesen sein? Cook, dem es grauste, in all dem wilden, lauten Treiben der Gerichtsbeamten die Leiche der Frau mit dem blutigen Angesicht so kalt und starr daneben ausgestreckt zu sehen, war mit dem Virginier wieder unten vor die Tür getreten, während unterdessen oben die gefundenen Sachen von Hand Hand gingen und genau besehen und geprüft wurden.

Unter den Leuten, die sich jetzt herzudrängten, befand sich auch ein deutscher Krämer, der in Helena mit allerhand Sachen handelte, sie mochten Namen und Wert haben, wie sie wollten. Dieser aber hatte kaum das Messer gesehen, als er rasch danach griff, es von allen Seiten aufmerksam betrachtete und schnell hin- und herwandte. Die Augen der Umstehenden hafteten schon auf ihm, als wenn sie eine Erklärung erwarteten. Da sagte der kleine Mann, während er das Messer in die Höhe hob und die rechte Hand dabei aufs Herz legte: »Soll mer Gott helfe, ich waiß, wem das Messerche ischt.«

»Und wenm gehört es, Bamberger?« rief der Konstabler und faßte den kleinen Burschen an der Schulter. – »Heraus mit der Sprache, Mann! Die Frau ist allerdings mit keinem Messer getötet worden, aber der Mörder kann es hier vergessen haben.«

»En elender Mensch will ich sain«, beteuerte Bamberger, indem er sich gegen den ihn scharf beobachtenden Richter wandte, »en erbärmlicher, elender Mensch, wenn's Messerche nicht ä jungem Borschen vom Lande isch – Schämes Lively haißt er met Nomen. – Hot er mer doch erscht am vergangena Donnerschtog ä blanken, baren Silberdollar defir gegebe.«

»James Lively«, brummte der Konstabler, »nun, der hat die Frau nicht ermordet; – weiß aber der Henker, wie sein Messer hier hereinkommt!«

»James Lively?« wiederholte der Richter schnell. »Das wäre wunderbar. – Wo ist Mr. Cook? Nach jenes Mannes Geständnis soll er selbst gerade mit diesem James Lively heute morgen schon vor Tagesanbruch in Helena gewesen sein. Watchman, – Ihr saht heute morgen zwei Männer rasch am Flußufer hinaufgehen?«

»Ja, allerdings«, entgegnete der Angeredete; – »aber ich kann natürlich nicht gewiß behaupten, daß es die Mörder waren.«

»Gentlemen«, sagte der Richter ernst, »die Sache verdient mehr Erwägung, als Sie vielleicht jetzt glauben. Dieser Cook ist ganz plötzlich, und zwar gleich nach jenem am Fourche la Fave gehaltenen Regulatorengericht von dorther hier eingetroffen «

»Das spricht in der Tat nicht besonders für Cook«, erwiderte der Konstabler; »James Lively aber ist ein ehrlicher, braver Mann und als solcher auch hinlänglich bekannt.«

»Sein Messer ist hier gefunden worden«, sagte ruhig der Richter.

»Ja, und zum Henker auch! – Wir wollen den Burschen doch erst einmal sprechen«, fiel hier einer der Beistehenden ein. »Auf jeden Fall sind die Beweise stark genug, einen Verdacht zu wecken. Überdies möchte ich hier noch bemerken, daß vorgestern erst – kaum eine Meile von eben dieses Livelys Haus entfernt – ein Mann erschlagen und beraubt gefunden worden ist. – Und wenn er auch des Konstablers Freund wäre –«

»Halt da, Sir«, fiel ihm der Konstabler ins Wort, »es soll niemand sagen, daß ich meine Freunde begünstige. Ich bin augenblicklich bereit, James Lively zu verhaften; desto schneller wird er seine Unschuld beweisen können.«

»Heda, wer sagt hier was gegen James Lively oder Bill Cook?« rief dieser in demselben Augenblicke, indem er rasch in die Tür sprang. Ein Freund von ihm hatte ihn schnell gerufen, damit er sich gegen die auftauchende Anklage verteidigen könne. »Hier kommt Cook, und Lively ist auch nicht weit. – Wer hat Mut oder Unverschämtheit genug, meiner Mutter Sohn einen Mord ins Gesicht zu werfen?«

»Halt, Sir«, mahnte ihn ernst der Squire, – »nicht mit Prahlen kann solche Sache beseitigt werden. Hier – dieses Messer hat man auf dem Tisch neben der Ermordeten gefunden.«

Cook drängte sich durch die bereitwillig Raum gebenden Männer zum Richter hin, erblickte aber kaum das Messer, als er auch die geballte Faust auf den Tisch schlug und ausrief: »Heilige Dreifaltigkeit! – Hat dieser neunhäutige Schurke auch hier wieder die Hand mit im Spiele? – Steckt denn die blutige Bestie überall? Aber warte, du sollst uns nicht lange mehr äffen; einmal kommst du uns doch in die Hände und dann –«

»Sir?« sagte der Richter ungeduldig.

»Dieses Messer«, entgegnete jetzt Cook rasch, »kann kein anderer als der berüchtigte Cotton hierhergebracht haben. Der hat es vorgestern abend mit noch zwei Kugeltaschen aus unserem Hause gestohlen. Jetzt dürfen wir aber auch keinen Augenblick mehr verlieren, wenn wir diesen niederträchtigen Schurken noch erreichen wollen. Kommt, Leute, hier gilt es, den Staat von einer wahren Geißel zu befreien!«

Der Konstabler vertrat ihm auf einen Wink des Richters den Weg, und dieser fragte jetzt, ohne des jungen Mannes Entrüstung darüber weiter zu beachten:

»Wann sind Sie heute nach Helena gekommen, Sir?«

»Ich? Weshalb?« rief Cook ärgerlich.

»Ich verlange eine Antwort auf meine Frage«, lautete die ernste Entgegnung.

»Nun gut denn, heute morgen.«

»Und zu welcher Zeit?«

»Ei, zum Donnerwetter, – ich führe keine Taschenuhr bei mir«, sagte Cook unwillig – »'s war noch dunkel; – das mag Euch genügen!«

»Und wo hält sich der junge Mann jetzt auf, der, wie Ihr sagt, mit Euch gekommen ist und dem dieses Messer hier gehört?«

»Squire Dayton – ich habe darüber schon heute morgen –«

»Ich muß Sie bitten, Sir, meine jetzigen Fragen einfach zu beantworten. Wo ist James Lively in diesem Augenblick?«

»Squire«, sagte Cook und richtete seinen Blick fest und ernst auf den Richter, – »es will mir fast so vorkommen, als ob hier eine Art Spiel mit mir getrieben werden sollte. – Wetter noch einmal, ich bin kein Kind mehr! Was bedeuten diese Fragen?«

»Einer Frage gebührt auch eine Antwort«, sagte in diesem Augenblick eine scharfe schneidende Stimme, und ein langer, hagerer Mann, dem vier oder fünf andere, ebenfalls Fremde, folgten, wandte sich freundlich gegen den jungen Farmer. Fast aller Blicke hefteten sich verwundert auf die so plötzlich Eintretenden; der Richter aber fuhr mit einem freudig überraschten »Ah!« empor, streckte dem ersten die Hand entgegen und rief in frohem Erstaunen:

»Mr. Porrel aus Sinkville. Sie kommen wie gerufen, um an unseren Verhandlungen und Geschäften teilzunehmen, die, wie ich fast zu fürchten anfange, gar ernster Art werden könnten.«

»Guten Morgen, Squire«, sagte der Neuankömmling; – »es ist, wie ich höre, ein Mord geschehen –«

»Lassen Sie sich die Geschichte ein anderes Mal mitteilen«, rief Cook unwillig dazwischen und wandte sich der Tür zu; »wir haben jetzt keine Zeit, weder für Erzählungen noch für leere Gerichtsformen, wenn wir nicht die Schuldigen inzwischen wollen entfliehen lassen. Hallo, meine Burschen, wer geht mit mir?«

»Ei, eine ganze Menge, denke ich«, sagte der Virginier und sah sich dabei im Kreise um. – »Vor allen Dingen müssen wir die Kneipe da oben ausheben.«

»Halt, Sir, – Ihr seid mein Gefangener!« rief in diesem Augenblicke der Konstabler und legte seine Hand auf die Schulter des Farmers. – »Im Namen des Gesetzes!«

»Das Gesetz soll zum Teufel gehen!« schrie der Backwoodsman, der keineswegs gesonnen schien, sich solcher Willkür geduldig zu fügen. – »Zurück da, Mann! – Hierher, Virginny! – Hierher, meine Helena-Burschen! Das ist Gewalt!«

»Schützt das Gesetz!« rief es aber von allen Seiten, und wenn der junge, riesige Hinterwäldler auch den Konstabler wie einen Federball zurückschleuderte und sich, von dem Virginier und zwei oder drei anderen unterstützt, der Tür zukämpfte, so sahen sich diese doch bald von der Übermacht bewältigt. Cook wurde umschlungen und trotz seines wütenden Sträubens mit schnell herbeigebrachten Stricken gebunden.

»Die Pest über euch!« schrie der Farmer und suchte, freilich vergebens, seine Arme, freizubekommen. »Nennt ihr das Gesetz, ehrliche Männer festzuhalten, damit eure Schurken frei ausgehen? Und Ihr da, vermaledeiter Tintenkleckser, Dayton oder Wharton, wie Ihr nun heißen mögt, Ihr sollt mir Rede stehen für dies! Hallo, Virginny, – sind denn keine Männer mehr da?«

»Raum da!« schrie in diesem Augenblicke der baumlange Virginier und stürzte sich mit einigen rasch geworbenen Freunden aufs neue zwischen die hinein, die Cook gefangen hielten.

»Schützt das Gesetz!« tönte es ihm aber überall entgegen, und wo er Hilfe erwartet hatte, fand er nur Widerstand. Es schien auch für kurze Zeit wirklich zu einem ernsten Kampfe zu kommen; die Mehrzahl befand sich jedoch zu stark auf seiten der gesetzlichen Partei; – die übrigen waren nicht imstande, den Gefangenen zu befreien, und Dayton, der mit kaltem Lächeln der tollen Wirrnis zugeschaut hatte, gab jetzt ruhig den Befehl, Cook in das Gefängnis hinüberzuschaffen.

»Virginny!« rief Cook, als er unten in der Tür stand und den Virginier sah, der sich noch immer vergebens bemühte, bis zu ihm hinzudringen »Wollt Ihr mir einen Gefallen tun?«

»Ruhe da, Sir!« rief der Konstabler. – »Kein Wort weiter, oder –«

»Ay ay!« rief der Lange hinüber.

»Keine Verabredungen, Sir! – Duldet keine Verabredungen, Konstabler!« schrie jener Mr. Porrel und eilte rasch herbei. »Leute, – bringt die beiden auseinander.«

»Warnt James Lively!« schrie da der Farmer, so laut er schreien konnte, und sah sich im nächsten Augenblick von den Wächtern erfaßt und fortgerissen.

»Ja, aber – wo finde ich ihn?« rief der Virginier zurück.

»Fort da! – Weg mit dem Burschen! – Habt acht auf Euch! – Damn you! – Schlagt ihn zu Boden!« tobte es indessen von allen Seiten, und während die einen den Farmer mit sich auf die Straße zogen, hinderten die anderen den Virginier, ihm zu folgen, so daß, ehe er sich Bahn brechen konnte, die Tür des County-Gefängnisses hinter dem jungen Mann ins Schloß fiel.

Der Virginier schritt, da er sah, daß jeder weitere Versuch vergebens sein würde, die Straße hinunter, während sich die übrigen teils um das Haus der Witwe scharten, das der Konstabler eben verschloß, teils auf dem Platze selber zusammentraten und das Geschehene miteinander besprachen. Mit seinem Auftrag war er aber gar nicht zufrieden. »Hm«, brummte er vor sich hin und schob die Hände in die Taschen, »jetzt soll ich Jimmy Lively warnen; – da werde ich zu Livelys hinauslaufen können. Zum Henker auch! Ob man denn hier nicht irgendwo ein Pferd kriegen könnte? He, Bob!« rief er dann einen Bekannten an, der dem Schauplatz gerade zueilte – »Wer borgt einem wohl in der Stadt ein Pferd, wenn man keins hat?«

»Smart«, lautete die lakonische Antwort, und der Angeredete, der sich nicht nach dem Frager umschaute, eilte rasch vorwärts. »Smart? – So?« murmelte der Virginier und sah dem Laufenden nach. »Verdammte Eile! – Kommt auch noch zur rechten Zeit. Smart, muß einmal zu Smart gehen und hören, was er sagt. Daß der Henker übrigens das Reiten hole! – Habe noch in meinem Leben auf keinem so vierbeinigen Dinge gesessen, außer einmal, wo's mich aber schon abwarf, ehe ich nur recht aufgestiegen war.«

Und mit leise in den Bart gebrummten Flüchen schritt der Lange dem Union-Hotel zu, um dort sein Glück zu versuchen.


 << zurück weiter >>