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Die beiden Ladies hatten sich jetzt zum Aufbruch gerüstet, ihre Pferde waren vorgeführt, und nur Sander fehlte noch, um sie zur Stadt zurückzugeleiten. Obgleich er aber recht gut fühlte, wie man auf ihn allein warte, ja, es sogar für ganz in der Ordnung fand, daß er die Damen, die er herausgeführt hatte, auch wieder zurückgeleite, so konnte und wollte er doch aus den schon früher angegebenen Gründen den Platz jetzt unter keiner Bedingung verlassen. Eine Ausrede mußte aber gefunden werden, und da ihn die in den Dornen zerrissenen Kleider nicht länger entschuldigen konnten, indem ihn Cook sehr bereitwillig mit einem von seinen eigenen Anzügen versah, so bat er Mrs. Dayton um wenige Worte unter vier Augen. Hier erklärte er ihr, der Doktor Monrove sei ein unmöglicher Mensch, dem nur daran zu liegen scheine, die Leiche unter sein Skalpell zu bekommen. Er selbst aber habe Medizin studiert und fühle sich überzeugt, daß der unglückliche Verwundete durch sorgsame Behandlung noch gerettet werden könne; verließe er ihn aber in diesem Augenblick, so sei er rettungslos verloren.
Natürlich beschwor ihn Mrs. Dayton, wie er das auch vorausgesehen hatte, nicht von des Armen Seite zu weichen, und dankte ihm zugleich für die Teilnahme, die er für einen wenn auch verbrecherischen, aber dennoch unglücklichen Menschen zeige. Sie selbst hätten den Weg schon mehrere Male allein zurückgelegt und hofften nur, ihn bald, und zwar mit recht guten Nachrichten, wieder bei sich zu sehen. Sander versprach das auch und bat nun Miß Adele, der Mrs. Dayton mit wenigen Worten den Stand der Dinge erklärte, ihm nicht wegen seines jetzigen Mangels an Aufmerksamkeit zu zürnen. Er hoffe aber, vielleicht schon heute abend den Verwundeten so weit versorgt zu sehen, daß dieser wenigstens seiner Hilfe entbehren könne, und er würde dann augenblicklich nach Helena zurückkommen, um die junge Dame der Freundin zuzuführen.
Adele konnte natürlich hiergegen nichts einwenden. Alle kannten ja auch den Doktor Monrove und fürchteten den entsetzlichen Menschen, von dem das Gerücht vielleicht noch schrecklichere Sachen erzählte als verbürgt waren. Mißmutig aber bestieg sie ihr kleines Pony und sprengte nach allerdings herzlichem Abschied von den beiden gutmütigen Frauen und mit dem Versprechen recht baldiger Rückkehr schweigend voran in den heimlichen Schatten des Waldes.
Sie war verdrießlich, ärgerlich über sich selbst und über – sie wußte oder wollte nicht wissen, über wen noch sonst, und das kleine Tier, das sie trug, fühlte plötzlich so scharfen und ungewohnten Peitschenschlag, daß es erschreckt scheute und dann in raschem Galopp den schmalen Pfad entlangflog. Mrs. Dayton konnte kaum Schritt mit dem Wildfang halten.
Indessen saß Doktor Monrove neben dem Mulatten und beobachtete aufmerksam und, wie es schien, mit wohlwollender Zufriedenheit die schmerzdurchzuckten Züge des Unglücklichen, während Sander am Kamin lehnte und ungeduldig seine Nägel kaute. Endlich schien der Mann des Messers einen Entschluß gefaßt zu haben. Er stand auf, ging an den Tisch und fing an, die kleinste der Sägen hier und da nachzufeilen. Cook, der eben in der Tür erschien, wandte sich schaudernd wieder ab und ging in den Wald, nur um das Geräusch nicht zu hören, das ihm durch Mark und Nieren drang.
Sander vernahm kaum, was um ihn her vorging, so sehr war er mit seinen eigenen Plänen beschäftigt. Desto entsetzlicheren Eindruck machte es aber auf den armen Teufel von Mulatten, der in diesem Augenblick zum ersten Male sein volles Bewußtsein wiedererlangt zu haben schien. Wenige Sekunden starrte er, von keinem der Männer beachtet, nach dem Doktor hinüber, dann aber, als ob ihm eine Ahnung dessen, was ihn erwarte, dämmere, sank er stöhnend auf sein Lager zurück. Sander schaute sich rasch nach ihm um; der Unglückliche hatte aber die Augen schon wieder geschlossen und lag starr und regungslos da.
»Hört einmal, Mr. Hawes«, brach der Doktor endlich das Schweigen, indem er sich plötzlich mit schmunzelnder Miene an Sander wandte, als ob ihm da eben bei seiner Beschäftigung etwas ungemein Komisches eingefallen sei, – »es ist doch eigentümlich, wie man manchmal in der Praxis – so alt und erfahren man auch sein mag – irgendeinen lächerlichen Schnitzer macht. – Bei dem Sägeschärfen muß ich gerade wieder daran denken. Oben in – aber Ihr hört mir doch zu?«
»Ja, sicher«, sagte Sander flüchtig und wandte sich verzweifelnd gegen das Kaminfeuer, während sein Blick über die dort aufgestellten Fläschchen mit ihren darangeklebten Etiketten schweifte. – Die Überschriften waren jedoch lateinisch oder wenigstens in ihm unbekannten Zeichen geschrieben; denn er log, als er sagte, er habe Medizin studiert.
»Nun seht«, fuhr der Leichendoktor, noch immer vor sich hinschmunzelnd, fort, »oben in Little Rock haben die Ärzte – es war im Jahre 39 – ein Plakat erlassen, worin sie eine bestimmte Summe für jede Kur ansetzten und dadurch gewissermaßen eine Gilde mit ›festen Preisen‹ bildeten. Das wäre nun ganz gut gewesen; denn die Leute taten damals gar nichts für die Wissenschaft, es gab keine Aufopferung, keinen wirklichen Eifer unter ihnen, und sie wollten nur Geld, immer nur Geld verdienen. Die schönsten Leichen ließen sie sich auch, ohne ein Messer daran zu legen, vor der Nase begraben, ja vernachlässigten sogar auf wirklich unverantwortliche Weise die Gehängten. Die Preise aber, die sie auf die Heilung setzten, waren so enorm, daß sie von armen Leuten gar nicht bestritten werden konnten. Heilung eines einfachen Beinbruchs steigerte sich z.B. bis zu hundertfünfundzwanzig Dollar. Damals kam ich nach Little Rock, fing um einen billigen Preis an zu kurieren und behauptete mich trotz zwanzigmal gedrohten Meuchelmordes ein volles Vierteljahr mit unglaublicher Praxis, bis die verwünschten Ärzte eines einfachen Irrtums wegen das gedankenlose Volk gegen mich aufhetzten und ich rasch die Stadt verlassen mußte. Ich hatte noch einige hundert Dollar dort gutstehen, aber so weit ging sogar die Bosheit jener Quacksalber, daß sie, nur aus Niederträchtigkeit gegen mich, damit ich nie mehr einen Cent davon zu sehen bekäme, nach und nach alle meine Patienten unter die Erde brachten und auch dann noch obendrein frech behaupteten, sie wären an den Folgen meiner Kuren gestorben.«
»Doktor, was ist denn hier in dem Fläschchen?« unterbrach ihn da Sander, der augenscheinlich kein Wort von der ganzen Erzählung gehört hatte.
Der Doktor blickte zu ihm auf, sah einige Sekunden scharf mit der Brille dorthin und rief dann: »Nehmen Sie sich in acht, ziehen Sie den Pfropfen ja nicht heraus; – das ist Arsenik, und das gelbe Gläschen enthält Scheidewasser, das andere Weiße, in der großen Flasche, ist Kalomel.«
»Und das hier mit dem blauen Papier und der daruntergebundenen Blase?«
»Ist acidum zooticum oder Blausäure, das gefährlichste von allen. Lassen Sie's lieber stehen; ich habe nur das eine Fläschchen mit, und es könnte Ihnen aus der Hand fallen und entzweigehen. Aber wo war ich doch gleich stehengeblieben? – Ja, bei dem Irrtum« – und er tat immer zwischen den einzelnen Sätzen einige Striche mit der Feile, gleichsam als Begleitung seiner Geschichte. – »Der Fall betraf nämlich einen jungen Kaufmann aus Little Rock, der in einem Wortwechsel von seinem Gegner angeschossen, und zwar so sonderbar getroffen war, daß ihm die Kugel durch das dicke Fleisch des rechten Oberschenkels in das linke Bein, eine Spanne etwa über dem Knie, hineinfuhr und dort zwischen Muskeln und Schenkelknochen so fest sitzen blieb, daß sie meine hartnäckigsten Bemühungen, sie wieder herauszubekommen, trotzte, während der junge Mann wirklich musterhaft stillhielt und, solange meine versuchte Operation dauerte, ein ganzes Stück Gummi elasticum kurz und klein biß. Die Wunde in dem einen Oberschenkel war nur durch Blutverlust bedeutend geworden, und ich verband sie deshalb sorgfaltig, tat dann ein gleiches mit der anderen, in der die Kugel stak, und gelangte bald zu der Überzeugung, daß hier nichts anderes geschehen könne als eine Amputation des die Kugel enthaltenden Beines, um innerliche Schwärung und Knochenfraß zu vermeiden. Der junge Mann zeigte sich auch zu allem bereit, wenn er nur am Leben erhalten würde; denn er war Bräutigam und hoffte, auch mit einem Beine glücklich werden zu können. Ich ging also frisch an die Arbeit, während er – denn festbinden wollte er sich nicht lassen – ruhig auf dem Bette lag und an die Decke hinaufsah. Da« – und der Doktor nahm in der Erinnerung an das Geschehene die Brille ab und legte die Feile vor sich auf den Tisch –, »als ich schon im besten Schneiden war, schrie der junge Kaufmann plötzlich – ich sehe ihn noch vor mir, wie er mir rasch nach dem Arm griff, ›Doktor – Heiland der Welt, – Sie nehmen mir das falsche Bein ab!‹
Ich erschrak natürlich; denn ich hatte schon den Fleischschnitt gemacht und die Säge eben angesetzt. Übrigens können Sie sich in meine Lage denken, als ich fand, daß er wirklich recht habe. Hier galt es Geistesgegenwart und rasche Enschlossenheit. – Gestand ich den Irrtum ein, ich wäre verloren gewesen; sie hätten mich gesteinigt. – Ich durfte mich also nur nicht irremachen lassen, lahm wäre er jetzt doch jedenfalls auf dem Beine geworden. – Ich lachte ihm also gerade ins Gesicht, bewies ihm, daß er von der und nicht von der Seite gestanden hätte, als der Schuß fiel, und sägte ihm, da er überdies ohnmächtig wurde, den Knochen vollends durch.«
»Wirklich das falsche Bein?« fragte Sander erstaunt.
»Die Sache wäre übrigens ganz gut abgelaufen«, fuhr der Doktor fort, ohne die Frage geradehin zu bejahen; – »denn glücklicherweise fiel die Kugel jetzt aus dem andern Bein, vielleicht durch das krampfhafte Zucken der Muskeln getrieben, von selber heraus, und ich behandelte nun den andern Schenkel ganz so wie früher das nur leicht verwundete und jetzt abgesägte Bein; der Kranke selber hätte es nie merken sollen. Die verwünschten anderen Ärzte aber mengten sich unberufenerweise in die Sache, und da ich nicht zu ihrer Clique gehörte – denn sonst hätte keiner von ihnen einen Mucks getan – und sie mich überdies gern von Little Rock forthaben wollten, so fielen alle über mich her, bewiesen auf einmal, daß ich das Bein wirklich abgenommen hätte, durch welches die Kugel glatt durchgegangen war – die vermaledeiten Kugellöcher von beiden Seiten ließen sich auch nicht wegdisputieren, und ich mußte bei Nacht und Nebel die Stadt und eine ausgebreitete Praxis sowie viele Kranke hinter mir lassen, die über meine Flucht trostlos waren.«
»Die Blausäure wirkt wohl als Gift am stärksten?« sagte Sander, dessen Gedanken immer wieder zu dem einen Ziele zurückkehrten, während er das Fläschchen sinnend in der Hand wog.
»Allerdings, – ist ein fürchterliches Mittel, animalisches Leben zu zerstören«, erwiderte der Doktor und begann sein im Feuer der vorigen Erzählung fast ganz vergessenes Feilen wieder von neuem, »eine Verbindung von Cyane und Wasserstoff, zieht den Tod durch plötzliche allgemeine Lähmung des ganzen Nervensystems nach sich, aber sehr gefahrliche Medizin zugleich. – Nur ein Tröpfchen zuviel angewandt und – ab«, und der kleine Mann sah dabei wieder über seine Brille hinüber und drehte die gegen Sander ausgestreckte flache Hand schnell um. – Es sollte den plötzlichen Tod eines Menschen bildlich darstellen.
»Könnte Ihnen darüber auch zwei wunderbare Geschichten mitteilen; – ich habe nämlich schon zweimal Unglück, wirkliches Unglück mit Blausäure gehabt. Einmal betraf es noch dazu einen ganz guten Freund von mir, tat mir wirklich leid, das andere war nur ein Deutscher; doch man schweigt lieber über solche Sachen. Es kommt nichts dabei heraus, und wenn es nachher weitererzählt wird, machen es die Leute gewöhnlich viel schlimmer, als es eigentlich ist.«
»Und dieses Gift tötet unfehlbar und schnell?« fragte Sander noch einmal.
»Stellen Sie mir um Gottes willen das Glas hin!« rief der Doktor ängstlich und sprang von seinem Sitze auf. »Sie richten wahrhaftig noch etwas an; – das ist fürchterliches Gift und kann in den Händen des Laien zu entsetzlichen Folgen führen.«
Sander sah sich gezwungen, das Fläschchen wieder auf den Kaminsims zu stellen.
»So«, sagte jetzt Monrove, – als er die Säge durch eines seiner Brillengläser genau betrachtete, – »ein Mulattenbein habe ich mir lange gewünscht. – Ich wollte schon einmal Daytons Burschen amputieren; der Squire gab's aber nicht zu, und es war auch vielleicht gut – für den Jungen heißt das; denn die Natur half sich wieder.«
Er trat jetzt zu dem Bewußtlosen hin, legte die Instrumente neben diesen auf einen Stuhl und betrachtete ihn aufmerksam. »Ja, ja«, sagte er endlich, nachdem er den Puls des Verwundeten gefühlt und die Hand auf dessen Stirn gelegt hatte, »er bessert sich, wie ich sehe, da werden wir also doch ans Amputieren gehen müssen.«
»Glauben Sie wirklich, daß er sich wieder erholt?«
»Ja – wahrscheinlich; – er atmet ganz regelmäßig, und der Puls geht auch, allerdings noch fieberhaft, aber doch ruhiger als vorher. – Wäre er mir gestorben, so hätte ich ihn lieber ganz mitgenommen, so aber werde ich ihn nur um ein Bein bitten. Dafür will ich ihm aber den Arm wiederholt ordentlich einrichten, und er wird deshalb seinem künftigen Herrn gewiß nicht weniger, vielleicht noch mehr wert sein. Es ist manchmal recht gut, wenn Neger zwei Arme zum Arbeiten und nur ein Bein zum Weglaufen haben. Alle Wetter, jetzt habe ich aber meine Schienen zu Hause gelassen; ei nun, im Walde kann man sich da schon helfen; – der Hickory wird sich wohl noch schälen, und da hole ich mir ein paar Rindenstreifen. Bitte, Sir, bleiben Sie einen Augenblick bei dem Kranken hier! – Ich gehe nur dort zu den nächsten Bäumen, um mir die passenden Stücke zu holen, – bin gleich wieder da. Aber – habe ich denn gar nichts, womit ich die Streifen abschälen könnte?« Er wandte sich von dem Bette ab, um irgendein Instrument zu suchen, und Sander griff fast konvulsivisch wieder nach dem Giftfläschchen, das er rasch in seiner Hand verbarg.
»Ach – dieser Tomahawk wird gut sein«, rief der kleine Mann, als er die in der Ecke liegende Waffe aufhob und damit zur Tür schritt. »Da drüben steht auch Mr. Cook, den werde ich Ihnen indessen herüberschicken.«
Sander löste rasch das Papier von der Viole ab und zog sein Messer, um die Blase zu durchschneiden; er durfte keinen Augenblick mehr verlieren, der nächste konnte schon entscheidend sein.
»Wasser!« stöhnte da der Mulatte. Es war das erste Wort, das er seit seiner Verwundung sprach. Sander aber zuckte mit wild gemurmeltem Fluch zusammen, denn in dem Moment fast, wo er Verrat für immer unmöglich gemacht hätte, drehte sich der Doktor, der jenen Ausruf vernommen hatte, rasch wieder herum und kam eilenden Schrittes zurück. Auch Cook näherte sich dem Hause.
»Alle Wetter«, rief da Monrove, nachdem er einen flüchtigen Blick auf den Kranken geworfen hatte, – »völlig bewußter Zustand, klare Augen, freies Atmen – und unbezweifelt rückkehrende Lebenskräfte; ich bekomme wahrhaftig nur das Bein. – Mr. Hawes, wir werden augenblicklich zur Operation schreiten müssen.«
»Wasser!« stöhnte der Unglückliche. »Ich verbrenne; ich will ja alles – alles bekennen, – nur – nur Wasser, – Wasser!«
Der Doktor, so eifrig er auch seine eigenen Zwecke im Auge haben mochte, begriff doch, daß es sich hier um etwas handle, was für die Farmer von besonderer Wichtigkeit sein mußte. Er unterstützte also den Kopf des Verwundeten, was diesem jedoch einen lauten Schmerzensschrei auspreßte, und hielt ihm dann einen neben dem Bett stehenden Blechbecher an die lechzenden Lippen.
Sander schlug, die Zähne vor machtlosem Ingrimm zusammenknirschend, das kleine Fläschchen rasch wieder in seine Papierhülle ein, die Blase war aber schon durch den darangesetzten Stahl verletzt worden, und ein Bittermandelgeruch erfüllte das Haus.
»Blausäure!« rief der Doktor und wandte sich, während er jedoch den Kranken noch nicht aus dem Arm lassen konnte, halb gegen Sander um. »Blausäure, so wahr ich gesund bin! – Alle Wetter, Sir, Sie werden mir mit dem Glase so lange gespielt haben, bis es zerbrochen ist; es riecht hier ganz danach. Mr. Cook, es ist gut, daß Sie kommen; hier – der Bursche da scheint noch etwas auf dem Herzen zu haben; lassen Sie ihn erst einmal beichten, und dann wollen wir sehen, was die Wissenschaft für ihn tun kann.«
»Lebt er? Hat er gesprochen?« rief Cook und trat schnell zum Bett. »Wie geht es ihm?«
»Schlecht, Sir!« flüsterte der arme Teufel. »Schlecht, – sehr schlecht; – mein Kopf, – o mein Kopf!«
»Ja, die Wunde ist böse«, bestätigte der Doktor; – »Hirnschale hier oben auf jeden Fall sehr bedeutend verletzt, – Knochenhaut getrennt und Gehirn bloßgelegt. Mulatten haben zwar höchst anerkennenswert harte Schädel; – das Instrument aber, mit dem der Schlag geführt wurde, muß tödlich gewesen sein. – Bitte, beeilen Sie sich nur mit den Fragen; ich möchte gern noch imstande sein, den Mann zu trepanieren. Man hat überhaupt viel zu wenig Erfahrung, wielange ein Mensch bei bewußtem Zustande den Gebrauch der Säge an der Hirnschale aushalten kann.«
»Massa Cook«, sagte der Mulatte und streckte langsam die Hand nach dem jungen Farmer aus, »ich kenne Sie noch von früher her. – Sie sind gut; – wollen Sie mir, – wenn ich alles bekenne, eine Liebe antun?«
»Sprich, Dan«, sagte Cook mitleidig und reichte ihm noch einmal den Becher hinüber, da er merkte, daß seine Augen schon wieder matt und glanzlos wurden; – »wenn du aufrichtig alles bekennst, so soll dir weiter nichts geschehen, darauf gebe ich dir mein Ehrenwort; du hast Strafe genug durch diese Wunden gelitten.«
»Und jener Mann«, stöhnte der Mulatte, denn der Doktor war in ganz Arkansas berüchtigt, und er kannte und fürchtete ihn noch von früher her, – »der Leichendoktor soll mich – soll mich nicht haben und – zerschneiden?«
»Unsinn – Leichendoktor – zerschneiden«, rief der Doktor und richtete sich unwillig auf; »zwischen Löschpapier kann ich ihn natürlich nicht trocknen.«
»Er soll dir nichts tun, Dan; – ich habe dir mein Wort gegeben; – weder Messer noch Säge darf er an dich legen; aber du mußt auch aufrichtig bekennen, was du weißt.«
»Mr. Cook«, sagte Monrove, indem er sich schnell an den jungen Farmer wandte, »Sie geben da ein höchst unüberlegtes Versprechen, ein Versprechen, das Sie unmöglich werden halten können, wenn Sie nicht die Wissenschaft mit ihren segensreichen Folgen gänzlich hintansetzen wollen. Ich glaube überdies gar nicht, daß dieses Niggers Leben wird erhalten werden können, wenn es ihm nicht gerade meine Säge erhält.«
»Dann will ich sterben«, stöhnte der Mulatte und sank für den Augenblick wieder bewußtlos zurück.
»Doktor!« sagte Cook, als er ihn eine Weile beobachtet und gesehen hatte, daß er wahrscheinlich kurze Zeit der Ruhe bedürfe, ehe er wieder imstande sein würde, irgendeine an ihn gerichtete Frage zu beantworten. – »Ich will einmal hinübergehen und die Frauen fragen, was wir mit dem armen Teufel am besten anfangen; denn Pflege muß er doch haben. Ich bin gleich wieder hier; aber tut mir den Gefallen und redet, wenn er früher zu sich kommen sollte, als ich zurück bin, nicht mit ihm von all den gräßlichen Dingen, wie Ihr das gewöhnlich tut, nicht wahr, Ihr vergeßt das nicht? Einem Gesunden gerinnt ja schon das Blut in den Adern, wenn er solche Sachen nur erwähnen hört, wieviel mehr also einem unglücklichen Christenmenschen, dem das alles versprochen wird.«
Damit verließ er rasch das Haus, während ihm der Doktor, dabei sehr eifrig und ungeduldig mit seinem langen goldnen Petschaft spielend, ärgerlich nachsah. »Hm – ja hm!« sagte er und nahm aus seiner kleinen silbernen Dose eine entsetzliche Prise. – »Hm – das ist nicht recht, – das fehlte auch noch, daß sich solche Holzköpfe um die Wissenschaft kümmerten. Soll nicht einmal davon reden, soll weder ›Messer‹ noch ›Säge‹ wie sich dieser Barbar ausdrückt, an den schwarzen Kadaver legen dürfen; ich möchte nur um Gottes willen wissen, wozu er sonst noch gut wäre?«
Sander hatte die ganze Verhandlung in wirklich peinlicher Ungeduld mit angehört. – Was aber konnte er machen? Einen Schritt tun, der auf ihn selbst den Verdacht lenkte, und dann fliehen? Er hatte erst an diesem Morgen gesehen, wie die Hinterwäldler einer Spur folgten. Überdies war es ja noch nicht einmal gewiß, ob der Mulatte um die Existenz der Insel wirklich wußte, und unnütz eine solche Gefahr zu laufen wäre mehr als töricht gewesen. Da brachten ihn des Farmers letzte Worte und des Doktors Unwillen darüber auf einen neuen Gedanken. – Vielleicht konnte der Arzt gewonnen werden, ihm beizustehen, wenn er seine Liebhaberei mit zu Hilfe rief, und nach kurzem Überlegen sagte er, indem er sich an den grimmig auf und ab laufenden kleinen Mann wandte: »Doktor Monrove, Sie sollten sich nicht über einen Menschen wundern, der weder von Arznei noch Wissenschaft einen weiteren Begriff hat, als daß ›Indianphysik‹ auf die eine und Rizinusöl auf die andere Art wirkt. Was hält uns denn ab, doch zu tun, was wir wollen?«
»Was uns abhält?« rief der Doktor unwillig, indem er stehenblieb und dem Ratgeber ins Antlitz sah. – »Was uns abhält? – Haben Sie gesehen, was der Mensch für Fäuste hat? Ließe sich mit Gewalt dagegen etwas ausrichten?«
»Nein«, sagte Sander lächelnd, – »aber mit List, – wenn man da überhaupt wirkliche List anzuwenden hat, wo es nur gilt, einem solchen mit der Axt zugehauenen Verstande zu begegnen.«
»Aber wie?« fragte der Doktor und warf einen scheuen Seitenblick auf den Verwundeten.
»Er verbietet Ihnen, Hand oder vielmehr Instrument an den Lebenden zu legen«, sagte Sander.
»Ja –«
»Und wenn der Mann nun stürbe?«
»Aber er stirbt ja nicht«, lamentierte der Doktor. – »Solche Mulatten haben Katzenleben, und an einer Hirnwunde ist, glaube ich, noch nicht ein einziger draufgegangen. – Zähe Naturen sind's, denen das Leben nur im Magen sitzt.«
»Gut, was hindert Sie dann, es auch dort anzugreifen?« fragte ihn Sander lauernd.
»Was mich hindert? Wie verstehen Sie das?«
»Ei nun, die Sache ist einfach genug; wozu führen Sie diese Gifte bei sich?«
»Doch nicht, um Menschen zu vergiften, Sir!« rief der kleine Doktor erschreckt aus.
Allerdings war es bei ihm zur Leidenschaft geworden, menschliche Glieder zu sezieren und sich in eine ›Wissenschaft hineinzuarbeiten‹, wie er es selber nannte, von der er kaum imstande gewesen war, oberfächliche Kenntnis zu erwerben. In der Ausübung derselben hielt er denn auch alles für vollkommen gerechtfertigt, was einem ihm einmal unter die Hände gefallenen Opfer zustieß. Nie aber hätte er es so weit getrieben, wirklichen Mord zu begehen, um eben dieser Leidenschaft zu frönen, ja der Gedanke war vielleicht noch nicht einmal in ihm aufgestiegen; denn er starrte den jungen Verbrecher mehrere Sekunden lang ganz erstaunt und bestürzt an. Als Sander einsah, daß er vielleicht gleich beim ersten Anlauf ein wenig zu weit gegangen sei, lenkte er rasch wieder ein und sagte: »Verstehen Sie mich nicht falsch, Sir nicht tödliches Gift würde ich dem Burschen geben, nur irgendeinen unschädlichen, aber doch dahin wirkenden Trank, daß er in einer Art Starrkrampf liegenbliebe, wo Sie dann nicht allein imstande sein würden, ihn mit fortzunehmen, da die unwissenden Farmer das sicherlich für den Tod selbst hielten, sondern ihn auch – ein Sieg der wirklichen Kunst – wiederherzustellen.«
»Hm, so, ja so, auf die Art meinten Sie das? Hm ja, das wäre vielleicht eher möglich. Da könnte man zum Beispiel –«
Seine Rede wurde hier durch Cook kurz abgeschnitten, der in diesem Augenblick mit einem großen Blechbecher irgendeines kühlenden,von Mrs. Lively selbst bereiteten Getränks in der Tür erschien und ohne weitere Umstände zum Lager des Kranken schritt. »Dan«, sagte er hier, »Dan, – wie geht dir's?«
»Besser!« flüsterte der arme Teufel nach kleiner Pause, während er die Augen aufschlug und einen leisen Dank murmelte, als ihm Cook den Becher an die Lippen hielt. »Massa Cook, – Ihr seid gut«, sagte er dann, während er mit einem tiefen Seufzer wieder zurücksank, – »recht gut; – aber – laßt die beiden Männer einmal hinausgehen, – will Euch – will Euch wichtige Nachricht mitteilen.«
»Die beiden Herren da, Dan? – Ei, die mögen dableiben«, meinte Cook; »es ist doch kein Geheimnis, was mich allein betrifft?«
»Nein«, stöhnte Dan, und man sah ihm an, wie schwer ihm das Reden wurde, – »nein, – nicht allein, – geht alle an in Arkansas, – viel böse Buckras, – will's Euch aber allein sagen.« Cook bat nun die beiden Männer, das Zimmer einen Augenblick zu verlassen. Sander natürlich suchte alle möglichen Entschuldigungen vor, um nur wenigstens in der Nähe zu bleiben; da der Mulatte aber unter keinen anderen Bedingungen reden wollte, bestand Cook fest darauf, und er mußte sich zuletzt fügen. Cook und Dan hatten nun eine gar lange und heimliche Konferenz miteinander, bei der selbst der Pflock innen vor die Tür geschoben war, um dadurch auch die geringste Störung zu vermeiden.
Erst als Dan, vom vielen Reden erschöpft, wieder ohnmächtig wurde oder doch in eine Art bewußtlosen Zustand verfiel, rief der junge Farmer die beiden Frauen herüber, die sich erboten hatten, die Wunden zu besorgen, und besprach sich nun, während es sich der Doktor nicht nehmen ließ, wenigstens gleichfalls hilfreiche Hand anzulegen, mit dem vermeintlichen Mr. Hawes über das, was er eben von des Mulatten Lippen gehört.
Obgleich Dan recht gut das Bestehen der Insel kannte, da Atkins schon sehr viele Pferde dorthin besorgt und ihn selbst einmal bis zum Stromufer mitgeschickt hatte, war er doch nicht imstande, die Lage derselben genau anzugeben, ja er wußte nicht einmal bestimmt, ob sie dicht über Helena oder weiter abwärts liege, – wenn er sie auch in der Nähe dieser Stadt vermutete. So viel aber sagte er als gewiß aus, daß sich die Bewohner derselben fürchterlicher Verbrechen schuldig gemacht hätten, und Cook wollte jetzt nur noch die Rückkunft der Freunde abwarten, um augenblicklich die entscheidenden Schritte zu tun. Diese nämlich sollten nicht nur dahin gehen, jenes Raubnest aufzuheben, sondern auch die Verbrecher selbst zu überraschen und sie den Arm strafender Gerechtigkeit fühlen zu lassen. Früher hatte er schon gehört, daß Sander mit dem Mississippi ziemlich vertraut sei, und er verlangte nun von ihm zu höhren, wie man der gesetzlosen Bande am besten und zwar so beikommen könne, daß ihre Flucht verhindert werde.
Sander schaute lange und sinnend vor sich nieder; – seine schlimmsten Befürchtungen waren eingetroffen; ihrer aller Leben war bedroht, ihr Schlupfwinkel verraten, und er selbst stand machtlos da, konnte den Verräter nicht züchtigen, ja wußte im ersten wirren Augenblick selbst weder Rat noch Tat, diesem fürchterlichen Schlage zu begegnen.
In seinem ersten Schreck suchte er denn auch, ehe er irgendeinen andern Plan fassen konnte, die Sache geradehin als unglaublich und unwahrscheinlich darzustellen und meinte, der Mulatte habe allem Anschein nach solch tolle, wahnsinnige Schreckbilder nur erfunden, um sein eigenes Leben zu retten, seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Davon wollte Cook aber nichts wissen, und erst als Sander merkte, daß er ihn auf keinen Fall dazu bringen würde, des Mulatten Aussage zu mißachten, beschloß er, nach einem anderen, nach dem letzten Plane vorzugehen. Cook war allerdings jetzt noch der einzige Mensch, der um das Geheimnis wußte, und wäre er mit ihm allein im Walde gewesen, wer weiß, ob er da nicht versucht hätte, sein Leben zu nehmen. Hier aber wäre das für ihn mit zu großer persönlicher Gefahr verknüpft gewesen, und überdies genügte es ihm ja, die Entdeckung der Insel nur noch zwei Tage hinauszuschieben. Bis dahin behielt er vollkommen Zeit, seine Freunde zu warnen; die Beute konnte dann rasch verteilt, und alle konnten in Sicherheit sein, ehe die schwerfälligen Waldleute in der Lage waren, einen Schlag gegen sie zu führen.
»Gut, Sir«, sagte er nach langem, ernstem Nachdenken zu dem Farmer, »wenn Sie denn wirklich glauben, daß jener Bursche die Wahrheit gesagt hat, und gesonnen sind, eine Bande, wie er sie beschreibt, auszuheben, so dürfen Sie das nicht als ein Kinderspiel betrachten; denn solche Burschen, wenn sie wirklich existieren, würden, da für sie alles auf dem Spiele steht, auch wie Verzweifelte kämpfen. Fallen Sie also nicht mit der gehörigen Macht über sie her, so geben Sie ihnen nur eine Warnung und finden später das Nest leer. Und ich kenne den Mississippi und seine Ufer zu genau – und Sie vielleicht auch –, um Ihnen nicht die feste Versicherung geben zu können, daß an eine Verfolgung dann nicht mehr zu denken ist. Wollen Sie also das, was Sie vorhaben, auch mit Erfolg tun, so bereden Sie die Sache heute abend mit Ihren Freunden, benachrichtigen Sie dann morgen Ihre Nachbarn und kommen Sie morgen abend oder Sonntag früh nach Helena. Ich selbst will augenblicklich nach Helena reiten, dort den Richter davon in Kenntnis setzen und dann nach Sinkville hinüberfahren, um dort ebenfalls alles an waffenfähigen Leuten aufzubieten. Sonntag nachmittag spätestens bin ich wieder in Helena, und dann müssen wir noch an demselben Abend den Schlag ausführen, da wir keine lange Zeit darüber versäumen dürfen.«
Dies alles leuchtete dem jungen Farmer, der Sander natürlich nicht selbst in Verdacht haben konnte, vollkommen ein. Früher, das wußte er selber, war es auch kaum möglich, die nötigen Kräfte zusammenzubringen. Er versprach also, bis spätestens Sonntag morgen wohlbewaffnet mit allen Nachbarn in Helena einzutreffen, und Sander, dem jetzt natürlich nur daran liegen mußte, die Freunde so schnell wie möglich von der ihnen drohenden Gefahr in Kenntnis zu setzen, erklärte, keinen Augenblick länger verlieren zu wollen, um die nötigen Schritte noch vor der zum Aufbruch bestimmten Zeit in Sinkville zu tun. Rasch holte er sein Pferd, das er selbst aufzäumte und sattelte, und sprengte bald darauf, dem Tier vollkommen die Zügel lassend, in wildem Galopp die Straße nach Helena entlang.