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17. Die Gold-Eskorte

Es mochte ein Uhr mittags sein, als die Goldeskorte den Turon verließ. Die Männer auf dem Wagen waren abgestiegen, um es den Pferden etwas leichter zu machen. Der Weg zog sich hier ziemlich steil den ersten Hügel hinauf, und man hatte bislang sehr wenig unternommen, um ihn für leichtere Fuhrwerke passierbar zu machen. Was kümmerte man sich zu dieser Zeit auch um Straßenbau in Australien, wo selbst die Royal Mail Hals und Glieder ihrer leichtsinnigen Passagiere unzähligemal in Gefahr bracht. Bei der Fahrt über Wurzeln, Steine und durch ausgetrocknete »Billybongs« wurden sie ständig auseinandergeschüttelt. Wenn die Wagen nur eben darüber hin- oder durchkamen, ohne umgeworfen zu werden oder zu zerbrechen – das andere kümmerte niemand mehr.

Auch diesen Hang zog sich eine Straße hinauf, wie sie von den ersten, schwerbeladenen Wagen ausgesucht und benutzt war. An einigen Stellen mußte zwar die Spitzhacke etwas nachhelfen, weil der Hang zu steil hinabging. Ein Überschlag hätte die schlimmsten Folgen auch für die Pferde haben können. Wenn diese Stellen beseitigt waren, ging es wenigstens, und das war alles, was man verlangte.

Das Fuhrwerk war ein offener, achtsitziger Wagen mit Bänken an beiden Seiten. Darauf lagen dünne, lange und schon durchgeriebene Lederpolster. Die Sitze waren so nahe gegenüber gerückt, daß die Reisenden, wenn der Wagen als Post benutzt wurde, ihre Knie aneinander durchstrecken mußten, um richtig zu sitzen. Endlich erreichte der Wagen glücklich die Höhe und rasselte den hier verhältnismäßig ebenen Weg entlang.

Oben hielt die berittene Eskorte, die sich ihm anschloß. Nicht weit davon entfernt wartete auch der Schwarze, und Beatty rief die Leute an seine Seite. Er informierte sie mit kurzen Worten über die Einzelheiten und gab ihnen die nötigen Befehle, wie sie sich zu verhalten hätten. Der Kutscher war schon vorher genau informiert, und er glaubte, damit jeder Gefahr vorgebeugt zu haben. Jedenfalls hatte er alles getan, was in seinen Kräften lag, um den Transport sicher nach Golbourne zu bringen, wo er dann von der dortigen Polizei abgelöst wurde.

Es war gegen fünf Uhr nachmittags, als sie die Gegend erreichten, die von dem Eingeborenen bezeichnet worden war. Beatty hatte ganz richtig vermutet, als er annahm, daß die Bushranger an der Stelle einen Angriff versuchen würden. Der Weg war dort am schmalsten und rechts noch dazu von einem ziemlich steilen Abgrund, links von einer Wand begrenzt. Zu der Zeit, als man die Konvikts noch nach Neusüdwales brachte, hatte man hier die Straße ausgehauen.

Wenn man einen Baum hier über den Weg stürzte, wäre ein Fuhrwerk einige Zeit aufgehalten. Es gab nur ein Hindernis dabei: Die Wegelagerer durften den Baum auf keinen Fall zu früh fallen lassen. Denn die Straße war zu dieser Zeit belebt. Geschah es zu früh, war zehn zu eins zu wetten, daß ein Zug Goldsucher ebenfalls aufgehalten wurde, und bei dieser Verstärkung wäre ein Angriff der Räuber Wahnsinn gewesen. Sie konnten zumindest nicht hoffen, ihren Raub in Sicherheit zu bringen.

Jack hatte allerdings vorgesorgt. Er hielt weiter unten einen zweiten, jungen Baum bereit, der im entscheidenden Augenblick fiel, um zufällig vorbeikommenden Reitern und Wagen für einige Zeit den Paß zu sperren. Aber der Stamm, der den Goldwagen aufhalten sollte, durfte erst fallen, wenn die voranreitenden Soldaten die Stelle passiert hatten, also unmittelbar vor den Gespannpferden. Daß ihr Kutscher dann an der richtigen Stelle hielt, das wußte Jack.

Auf einem Felsvorsprung war eine Wache postiert worden, die das Zeichen gab, sobald die Eskorte in Sicht kam. Der Mann, der von der Straße aus nicht zu sehen war, hielt schon seit drei Uhr morgens Wache.

Einzelne Wanderer waren inzwischen vorbeigekommen, ohne sich aufzuhalten. Sie konnten auch nicht ahnen, daß dicht über ihnen ein kräftiger Baum nur noch durch ein Seil gehalten wurde. Er hätte jederzeit herabstürzen und Menschen und Vieh erschlagen können.

So geht es oft im Leben: Wir wandern unter so manchem dieser Bäume unbekümmert und ahnungslos vorüber, gehen oft am unmittelbaren Rande unseres eigenen Grabes entlang, ohne zu fühlen und zu begreifen, wie nahe wir der letzten Stunde unseres Daseins waren. Und gut für uns, daß es so ist, denn wer sollte sich sonst noch seines Lebens freuen, wenn solche Mahner auch nur dann und wann an die Lebenspforten klopfen!

Jetzt wurde das Zeichen gegeben. Es war das »Ku-ih!« der Eingeborenen, das weit durch den Wald schallt und oft auch von den Weißen angewandt wird. Der Schrei pflanzte sich am Hang fort, bis zu der Stelle, wo der andere Baum zum Fall bereitstand. Er sollte aber nicht fallen, wenn nicht gerade Reisende die Straße heraufkamen.

Der Wagen rasselte heran, und die beiden Polizisten sprengten voraus. Die beiden anderen folgten dem Wagen. Nur vier Mann bildeten also die Eskorte, wie der Trompeter richtig am Turon gehört und seinen Verbündeten mitgeteilt hatte. Jetzt waren auch keine anderen Reisenden auf der Straße zu sehen. Sie lag wie ausgestorben da. So kurz vor Sonnenuntergang machen die Karawanen auch meistens Halt, um ihr Nachtquartier vor Dunkelwerden einzurichten. Besonders diese Strecke wurde dann nicht mehr passiert, wo sie für mehrere Stunden kein Wasser fanden.

»Alles wie gewünscht!« jubelte Jack, der neben Holleck am Seil stand. Scharf gespannt hielt es noch den Baum. »Paß genau auf und hau den Strick durch, wenn die Reiter dicht davor sind. Bis der Baum stürzt, sind sie vorbei. Sowie sie nur das Prasseln hören, werden sie ihre Pferde von allein antreiben.«

»Ku-ih!« schallte da plötzlich ein Ruf dicht hinter ihnen von dem Berghang her, der zum nächsten Hügelrücken führte.

»Was ist das?« rief Holleck, der eine kleine, scharfe Axt in der Hand hielt und sich rasch nach dem Laut umsah.

»Was kümmert's uns?« rief Jack. »Ein einzelner Schwarzer vielleicht oder ein verirrter Goldwäscher. Da kommen die Reiter!«

»Ku-ih!« tönte es wieder von einer anderen Seite, und oben in den Büschen brach und prasselte es.

»Verrat!« rief Holleck entsetzt aus, ließ die Axt fallen und griff nach dem neben ihm lehnenden Gewehr. Die Axt glitt durch ihr Gewicht in den Busch, rutschte auf dem steilen Abhang hinunter und fiel polternd auf den Weg hinunter.

»Teufel!« schrie Jack und riß sein schweres Messer heraus und sprang auf das Seil zu. Er warf einen scheuen, unschlüssigen Blick nach oben und sah jetzt vier Männer von oben mit Gewehren in den Händen auf sie zuspringen.

Noch wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte. Seine Leute waren unten an der Schlucht und am Abhang verteilt, der ganze Angriff auf die Straße vorbereitet gewesen, und jetzt...

Holleck machte seinem Zweifel ein Ende. Er hatte die Polizeiuniform bei einem der Angreifer gesehen und Leutnant Beatty erkannt. Angst und Schrecken raubten ihm die Besinnung. Er feuerte sein Gewehr auf den Feind ab und warf es weg. Dann sprang er den Abhang hinunter auf die Straße und lief auf den steilen Hang zu. Nur in der wilden Flucht sah er seine Rettung.

In dem Augenblick rasselte in rasender Fahrt der Wagen vorüber, die Reiter sahen die Gestalt über die Straße springen und im Felsgeröll verschwinden, aber oben knatterten jetzt die Gewehre, und unten am Weg sprangen ein paar wilde Gestalten vor und hoben ihre Waffen. Aber die Verbrecher waren selbst die Überraschten. Der Baum sollte stürzen, der Wagen anhalten. Jetzt flog er im Sturm dahin, und von oben herunter fielen Schüsse, während sich die Reiter umdrehten und mit blankgezogenen Säbeln auf die Bande zusprengten.

Flucht! Das war der einzige Gedanke der Getäuschten, die nur vorbereitet waren, ihre Beute aus dem Hinterhalt anzugreifen. Flucht und rette sich wer kann, war das Losungswort. Über Steine und in Büsche sprangen sie, wohin die Berittenen nicht folgen konnten. Aber sie kamen nicht schnell genug aus dem Bereich der Karabiner. Vier Schüsse fielen rasch hintereinander. Der eine Bushranger taumelte, hielt sich noch an einem Felsen und warf sich dann im nächsten Augenblick in den Abgrund. Dem anderen war der linke Oberarm zerschmettert, aber er behielt genug Besinnung, um Hollecks Fährte zu folgen.

Nicht so rasch waren die oben am Hang verstreuten Verbrecher aus dem Weg gekommen, denn der Überfall hatte sie völlig überrascht. Sie wußten im ersten Augenblick noch nicht einmal, ob sie es mit Freund oder Feind zu tun hatten. Darüber sollten sie aber nicht lange im Zweifel bleiben, denn auf Hollecks Schuß gaben auch die jungen Australier Feuer und warfen sich dann wütend auf die Räuber. Die wußten nicht, wohin sie sich wenden sollten, da auch auf der Straße geschossen wurde. Mit dem Wald waren sie aber vertraut, und deshalb fuhren sie nach verschiedenen Richtungen auseinander. Nur einer von ihnen, Jim, hatte heute seinen schlechten Tag. Er blieb in einer Wurzel hängen, stolperte und stürzte. Im nächsten Augenblick war er in der Gewalt seiner Feinde.

Jack hatte standgehalten, als er seinen Plan scheitern sah. Er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Den Hang herunter, gerade auf ihn zu, sprang Beatty. Aber neben ihm – waren denn heute alle Teufel los? Neben ihm erkannte er die abenteuerliche Gestalt des Schwarzen in seinem Frack und Seidenhut, der mit dem Arm auf ihn deutete. Eine fast abergläubische Angst erfaßte Jack in dem Augenblick. Er hatte den Burschen für tot gehalten, und jetzt war er es, der die Feinde herführte und Rache haben wollte!

Er schoß beide Läufe in die Richtung ab, aber es war wie ein Reflex gewesen und ohne zu zielen. Im nächsten Moment floh er wie die anderen in wilder Hast den Berg hinab, um dort im Steingeröll und Dickicht seinen Verfolgern zu entgehen. Weshalb auch jetzt noch einen verzweifelten Kampf versuchen, da ihnen die Beute doch entgangen war? Es wäre Wahnsinn gewesen.

Aber auch die Verfolger dachten nicht an ein ernsthaftes Nachsetzen. Sie wußten ganz gut, daß die Bushranger dabei im Vorteil waren. Beatty sandte die vier Berittenen sofort dem Wagen nach, der den Befehl hatte, am »Roten Haus« auf sie zu warten. Dann sammelte er seine Begleiter, um mit ihnen den Gefangenen und vielleicht Verwundete zu sichern, die sie eventuell noch im Gebüsch fanden.

Jim wollte sich zuerst heftig wehren, denn er wußte genau, was ihm drohte. Aber ein Schlag mit einem Pistolenkolben auf den Kopf warf ihn nieder. Als er wieder zu sich kam, war er mit Handschellen gefesselt und jeder Widerstand nutzlos.

Auf der Straße hörten sie von unten aus dem Geröll ein Stöhnen. Einer der Freiwilligen stieg den steilen Hang ein Stück hinab, um zu sehen, von wem es kam. Es war der Verwundete, der nicht mehr konnte, weil er sich mit seinem zerschossenen Arm nicht festhalten konnte. Aber ein einzelner Verfolger konnte ihn auch nicht zurückbringen. So mußte man warten, bis ein Fuhrwerk die Straße heraufkam. Mit Hilfe eines Seiles und der Fuhrleute konnte man ihn dann heraufziehen.

Die Leute aus dem Wagen erzählten auch, daß weiter unterhalb an der Straße ein junger Baum über den Weg geworfen sei, der an einem Seil gehangen habe. Die Eskorte hatte da halten müssen. Da aber die Goldsucher mit anfaßten, war das Hindernis bald weggeräumt.

Es war klar, daß die Eskorte jetzt nichts mehr zu befürchten hatte. Der ursprüngliche Plan war gescheitert, die Leute im Busch zerstreut. Sie konnten sich nicht so schnell wieder sammeln, um einen neuen Anschlag auszuführen. Außerdem waren die flinken Pferde bald aus dem Bereich der Bande. Es war eher möglich, daß sie versuchten, ihre Kameraden zu befreien. Da die Freiwilligen vom Turon ihren Transport zur nächsten Polizeistation übernommen hatten, beschlossen sie, sich der gerade getroffenen Gesellschaft von Goldsuchern anzuschließen. Der Zug bestand aus acht Männern, von denen sechs bewaffnet waren. Damit waren sie stark genug, etwaige Angriffe energisch abzuweisen.

Beatty hatte sich vergeblich nach seinem eingeborenen Führer umgesehen. Einer der Freiwilligen meinte, er habe die dunkle Gestalt hinter einem der Flüchtlinge gesehen. Aber in der Aufregung des Angriffs hatte er nicht weiter darauf geachtet. Der Eingeborene blieb verschwunden. Man brauchte ihn ja auch nicht mehr. Beatty schärfte den Leuten noch einmal ein, die Gefangenen aufmerksam zu bewachen, und folgte dann in gestrecktem Galopp der Eskorte, die ihn am »Roten Haus« erwartete. Dort setzte sich der Zug wieder sofort in Bewegung.

Vor dem Haus hielt ein Gespann, und der Treiber stand vor der Tür und betrachtete aufmerksam die Polizei. Beatty war überzeugt, daß das der Bursche war, den der Schwarze erwähnt hatte. Er wartete hier mit seinem Fuhrwerk, um den Raub in Empfang zu nehmen. Da er aber keine Beweise gegen ihn hatte und der Mann sicher jede Mitwisserschaft hartnäckig geleugnet hätte, wäre es töricht gewesen, auch nur mit einem Versuch Zeit zu versäumen. Aber der junge Offizier konnte es sich auch nicht ganz versagen, den Mann wenigstens wissen zu lassen, unter welchem Verdacht er stand. Ehe er vor der Tür abritt, zügelte er sein Pferd dicht neben ihm wieder und sagte:

»Sie können weiterfahren, Mate, heute Nacht kommt keine Ladung.«

»So?« sagte der Mann ruhig und sah ihn mit einem halb verschmitzten, halb höhnischen Blick von oben bis unten an. »Woher weiß denn die hochwohlweise Polizei, daß ich auf Ladung warte?«

»Auch noch unverschämt, ja?« rief der Leutnant, den der Ärger über die Frechheit des Burschen übermannte.

»Unverschämt, Mister? Wohl, weil Sie einen Goldstreifen an der Mütze haben, he?« versetzte der Mann gelassen. »Ich trage das Gold in der Tasche, wer ist besser dran?«

Der Offizier biß die Zähne zusammen, aber er konnte sich mit dem Burschen nicht in einen Streit einlassen. Ärgerlich über sich selbst, daß er ihn überhaupt angesprochen hatte, gab Beatty seinem Rappen die Sporen und sprengte dem Wagen nach.

Der Fuhrmann sah ihm grinsend nach. Als er aber um die nächste Straßenbiegung verschwunden war, zogen sich seine Brauen zusammen, und er brummte finster vor sich hin:

»Wo der Kerl nur was von mir erfahren hat? Sollte der Trompeter gequatscht haben? Lumpengesindel, alle miteinander. Wenn aber die Geschichte faul ist, wie es scheint, und geknallt hat's genug, dann, denke ich, hab ich hier nichts mehr zu suchen.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um, schirrte seine Pferde wieder ein und setzte, sehr zum Erstaunen des Wirts, noch an diesem Abend seine Reise fort.

Etwa zwei Meilen weiter begegnete Beatty einer kleinen Patrouille berittener Polizei, die von Goldbourne zur Verstärkung an den Turon geschickt wurde. Er dirigierte sie gleich auf den Schauplatz des heutigen Gefechts. Sie sollten unterhalb der Straße nachsuchen, ob sie nicht verstreute Bushranger trafen. Jedenfalls sollten sie alles aufgreifen, was sich dort einzeln und verdächtig, das heißt ohne Werkzeug, herumtrieb.

Es war einer von diesen Leuten, der den verirrten Kapitän Becker im Walde schlafend fand und natürlich für einen der Banditen hielt.

Jetzt war es Nacht, und Kapitän Becker, von seinen Handschellen befreit, lag in tiefem Schlaf. Der arme Teufel brauchte auch dringend die Ruhe, denn auch bei kräftigster Verfassung hätte jeder diese körperliche Anstrengung nicht besser meistern können.

Becker schlief wie ein Bär im Winter, aber Jack wachte. Holleck, der am längsten draußen Wache gehalten hatte, brachte ihm die Nachricht, daß er den Schwarzen in der Nachbarschaft umherschleichen gesehen hätte. Er fürchtete den Rächer auf seinen Fersen.

Schon vor Tagesanbruch weckte er die Schläfer. Das Feuer hatte er schon zu voller Flamme angeblasen. Nach dem rasch eingenommenen Frühstück wollten sie sich im Wald zerstreuen. Jeder sollte getrennt zum gemeinsamen Ziel, einer der zahllosen Gaunerkneipen in Sydney, kommen. Im Augenblick ließ sich hier nichts mehr unternehmen, denn die alarmierte Polizei spürte ihnen zu sehr nach. Sie mußten auch damit rechnen, daß der mißglückte Überfall eine Verstärkung der Mannschaft hervorrufen würde. Natürlich lag ihnen nichts daran, das abzuwarten.

Auch ihr Gast war geweckt worden. Wie sie ihn gefunden hatten, konnten sie nichts anderes annehmen, als daß er ebenfalls ein Verbrechen begangen und die Polizei genauso fürchten müsse wie sie. Sie wußten aber auch, daß er seit zwei Tagen nichts gegessen hatte. In der rauhen Gastlichkeit dieser Buschleute brachten sie ihm gleich ein großes Stück Brot und Fleisch an sein Lager, über das er mit wahrem Heißhunger herfiel.

Während die anderen das Frühstück zubereiteten, war Holleck hinausgegangen und die Felskante hinaufgestiegen. Er wollte sehen, ob es etwas Verdächtiges gab. Aber der Wald lag totenstill, kein Laut störte die tiefe Ruhe. Kein rauschendes Laub, nicht einmal eine zirpende Grille, die sonst im wilden Wald selten fehlt. Auch im Osten lag noch tiefe Dunkelheit auf den Bergen, und nur der kalte, fröstelnde Hauch, der von dort herüberstrich, kündete den nahen Morgen.

Er stieg wieder zurück zum Lager und trat ans Feuer, an das sich auch eben der Kapitän gesetzt hatte, um einen Becher heißen Tee zu bekommen.

Als er den Schein der Flamme erreichte, sah Becker zu ihm auf. Er hielt mitten im Kauen inne und starrte den Mann mit unverkennbarer Überraschung an.

»Mr. Holleck, das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen.«

»Kapitän Becker«, sagte Holleck nicht weniger erstaunt. »Darf man fragen, was Sie getan haben, um die Aufmerksamkeit unserer Polizei zu wecken?«

»Ihr beiden kennt euch?« fragte Jack.

»Von Sydney her. Aber was brachte Sie in Eisen?«

»Ein Mißverständnis«, erwiderte der Kapitän, der gar keine Zeit zum Überlegen behielt, ob es in dieser Gesellschaft wohl ratsam sei, mit seiner Ehrlichkeit zu prahlen. »Ein Mißverständnis. Ich hatte mich im Wald verirrt. Abgehetzt und mit zerrissenen Kleidern hielt mich der Polizist wohl für ein gefährliches Subjekt.«

Holleck durchschaute im Nu den Zusammenhang. Aber andere Gedanken zuckten ihm durchs Gehirn. Er griff Jacks Arm und führte ihn mit hinaus vor die Höhle.

Becker gefiel diese rasche Entfernung der beiden nicht. Ob Holleck wohl ahnte, daß er von den Vorfällen in Sydney wußte? Aber was half's? Der Kapitän saß nun einmal in der Falle und konnte nur stillhalten. Jedenfalls war er durch die Ruhe und das Essen gestärkt. Seine alte Gleichgültigkeit gegen jede gewöhnliche Lebensgefahr ließ ihn über das andere hinwegsehen.

Er sollte auch nicht lange im Ungewissen bleiben. Nach kaum zehn Minuten kehrten die beiden zurück. Während Holleck mit untergeschlagenen Armen finster und schweigend neben dem Feuer stehenblieb, sagte Jack:

»Kapitän Becker, es tut mir leid, daß Sie ein böses Geschick in unsere Hände geführt hat. Aber gerade im Begriff, zu fliehen, können wir Sie ebensowenig mitnehmen wie hier zurücklassen, um unsere Verfolger auf die richtige Spur zu bringen. Sie müssen sterben.«

»Verdammt kurzer Prozeß!« sagte der Kapitän, dem ein eisiges Gefühl durchs Herz schoß. »Ich sehe die Notwendigkeit nicht ein. Sie haben mich hier gastlich aufgenommen, und schon aus normaler Dankbarkeit würde ich Ihre Spuren nicht verraten. Wenn Sie es verlangen, binde ich mich mit einem Eid.«

Jack schüttelte den Kopf.

»Die Gefahr für uns stände mit der einfachen Verpflichtung, zu schweigen, in keinem Verhältnis. Nur eins kann Ihr Leben retten.«

»Und das wäre?« sagte Kapitän Becker ruhig. »Sie können überzeugt sein, daß ein Mann in meiner Lage keine Schwierigkeiten machen wird.«

»Ihr Schiff liegt segelfertig im Hafen.«

»Das heißt, sobald ich die Ladung an Bord und Mannschaft genug habe, um auszulaufen.«

»Wieviel Tage brauchen Sie, um die Ladung einzunehmen?«

»Ich glaube, das schaffen wir an drei Tagen.«

»Und wieviel Mann brauchen Sie, um in See zu stechen?«

»Hm«, meinte der Kapitän. »Ein paar haben sie doch neulich hoffentlich von meiner Mannschaft erwischt. Wenn ich außerdem noch fünf oder sechs halbwegs brauchbare Leute hätte, dann wäre es kein Kunststück, nach Neuseeland zu segeln.«

»Gut, ich stelle Ihnen die Leute«, sagte Jack. »Sie können von hier frei weggehen, müssen aber einen Eid schwören, uns nicht der Polizei zu verraten. Ich halte Sie für einen ehrlichen Mann, Kapitän. Sie wissen, daß Ihr Leben jetzt in unserer Hand ist, daß es eigentlich unsere Selbstverteidigung verlangt, Sie unschädlich zu machen. Wenn wir das nicht tun, weil wir Ihnen vertrauen, wollen Sie dann auch uns gegenüber ehrlich handeln?«

»Ja, bei Gott, das will ich«, rief der Kapitän, dessen gutes Herz über seine Klugheit siegte. »Auch ohne weiteren Schwur, ich wäre ein Schuft, wenn ich einen von euch verrate. Ich würde mir eher die Zunge abbeißen.«

»Aber schwören müssen Sie«, sagte Jack.

»Das ist nicht nötig«, wehrte Holleck ab, der die Natur dieser Leute besser kannte als sein Gefährte. »Jetzt nicht mehr. Kapitän Becker hat uns freiwillig sein Wort gegeben. Ich glaube, das bindet ihn fester als der größte Schwur, den wir ihm gezwungen abnehmen.«

»Aber das dumme ist nur, daß ich nicht irgendwelche Leute gebrauchen kann«, sagte Becker, der etwas zu spät einsah, daß er wahrscheinlich zu schnell gehandelt hatte. »Ich brauche wenigstens noch drei oder vier Leute, die etwas von der Seemannskunst verstehen. Mit lauter Landlubbern...«

»Holleck war früher Steuermann«, unterbrach ihn Jack. »Ich selbst habe schon eine Seereise vor dem Mast gemacht, und zwei von unseren Kameraden sind alte Teerjacken. Reicht das?«

»Wenn's so steht, gibt es keine weiteren Schwierigkeiten«, meinte Becker.

»Und wann können wir fort?«

»Heute ist... Donnerwetter, was haben wir eigentlich für einen Tag? Ich habe zwischen den Bäumen meine ganze Rechnung verloren.«

»Heute ist Sonnabend.«

»Schon! Sonnabend – Schwerebrett! Schon wieder eine Woche herum. Ja, wenn ich morgen zurück nach Sydney könnte und die Mannschaft vorhanden ist, will ich mich verpflichten, bis Donnerstag in See zu gehen.«

»Aber, bei Ihrem Leben, erwähnen Sie keine Silbe von mir gegen Mr. Pitt oder sonst jemand!« sagte Holleck. Seine Augenbrauen waren finster und drohend zusammengezogen.

»Ich habe mein Wort gegeben, Mr. Holleck«, sagte der Kapitän ruhig. »Was Sie mit Herrn Pitt gehabt haben, geht mich nichts an, auch wenn ich es nicht recht begreife. Mir liegt daran, mit meinem Schiff von dieser verbrannten Goldküste wegzukommen. Wer mir da hilft, ist ziemlich egal. Wenn ich jetzt nicht dazu gezwungen wäre, hätte ich vielleicht genau den gleichen Vertrag mit euch in Sydney gemacht, nur um wegzukommen. Ich frage niemand, der zu mir an Bord kommt, ob er früher etwas ausgefressen hat oder ob er noch jemand etwas schuldet. Es ist mir auch sehr angenehm, wenn es mir keiner freiwillig sagt, denn das bringt mich nur zwischen Tür und Angel mit meinem Gewissen und – der Polizei. Ich hoffe, wir verstehen uns jetzt.«

»Ich hoffe es auch«, sagte Jack, der den Kapitän schweigend betrachtet hatte. »Nur noch eins, Sir. Es besteht doch die Möglichkeit, daß Sie das heute gegebene Versprechen einmal... vergessen könnten.«

»Wenn Sie das glauben, würden Sie mich wohl nicht freilassen«, sagte Becker ruhig.

»Sie haben recht, aber um alle Seiten beleuchtet zu haben, ist es vielleicht gut, Ihnen zu sagen, daß ich in dem Fall keinen Penny für Ihr Leben geben möchte. Von tausend Dienstleuten, die Sie hier mieten können, gehören uns noch neunhundert an, wenn auch nicht mehr mit der Tat, aber doch mit ihrem guten Willen. Sie würden uns nie verraten und geben uns schnell Nachricht über alles, was geschieht.«

»Haben Sie keine Angst. Nur das eine möchte ich auch im voraus abgemacht haben. Wenn mein Schiff in Auckland ankert, gehen Sie mit Ihren Gefährten an Land, und wir kennen uns nicht mehr. Wir sind damit quitt, nicht wahr?«

»Vollkommen. Nur daß Sie auch dort Ihr Schweigen nicht brechen dürfen, schon Ihretwegen nicht.«

»Versteht sich. Aber wo finde ich Sie in Sydney, wenn ich segelfertig bin?«

»Geben Sie den Abend vorher einen Zettel in das Shakespearehaus in der Pitt Street, auf dem nichts weiter als Ihr Name und die Stunde der Abfahrt stehen. Das genügt. Dem Wirt sagen Sie nur, daß Sie Schiffskapitän sind. Wir kommen dann gut verkleidet an Bord.«

»Aber Sie wissen, daß bis zur Abfahrt ein oder zwei Mann von der Wasserpolizei bei mir an Bord sind?«

»Ich weiß es«, sagte Jack ruhig. »Wir bringen unsere richtigen Papiere mit. Aber Sie dürfen dann auch keinen Augenblick mehr mit der Abfahrt zögern.«

»Das ist sicher. Ich will meinem Gott danken, wenn ich erst wieder blaues Wasser um mich her habe. Und noch eins, wenn ich zur Abfahrt fix und fertig bin, hiß ich am Vormast ein kleines rotes Signal. Sie müssen aber auch bereit sein. Wenn Sie das sehen, dürfen Sie nicht länger warten.«

»Keine Angst, wir halten unsere Zeit ein«, sagte Jack.

»Der Tag bricht an, Jack«, sagte da Smith, der inzwischen draußen Wache gehalten hatte. »Macht, daß ihr fortkommt!«

»Gehst du nicht mit?« sagte Jack verwundert.

»Denke gar nicht dran«, brummte der alte Schäfer. »Die müssen schlau sein, die mir hier oben was anhaben wollen. Und ohne Gold geh ich nicht von Australien weg.«

Es wurde kein Wort mehr gesprochen. Die Bushranger kannten die Gefahr, die ihnen der anbrechende Tag an dieser Stelle bringen konnte. Sie hatten ihr Bündel geschnürt. Leise und geräuschlos glitten sie jetzt in das enge Tal hinab, ohne sich um die anderen zu kümmern. Smith verabschiedete sich von keinem, sondern stieg schräg den Hang hinauf und war bald in der Dunkelheit des nebligen Morgens verschwunden. Nur Jack war noch zurückgeblieben. Er hatte nach seinen Waffen gesehen und frische Zündhütchen auf die Pistolen gesetzt. Jetzt stand er auf und reichte Becker die Hand.

»Good bye, Kapitän – auf Wiedersehen!«

»Ja, auf Wiedersehen«, sagte Kapitän Becker, dem jetzt erst einfiel, daß er noch einmal in der furchtbaren Wildnis allein bleiben sollte. »Alles schön und gut, aber wie finde ich jetzt wieder weiter? In der Nachbarschaft ist ja weder Weg noch Steg. Wenn ich mich jetzt wieder verlaufe, weiß der Böse, ob ich je nach Sydney finde.«

»Nach der Richtung liegt die Straße«, sagte Jack und streckte den Arm aus. Er horchte gleichzeitig aufmerksam hinaus. »Sie werden aber gleich Besuch bekommen. Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht und leben Sie wohl.« Wie eine Schlange glitt er aus der Schlucht, über die Steine in das dichteste wilde Geröll und Dickicht hinein. Er ließ den Kapitän in keiner behaglichen Stimmung zurück.

Dort drüben lag die Straße, ja, das war sehr schön und gut. Aber wenn der Nebel dichter wurde, dann sollte der Henker den Kurs in den Bäumen halten können. Je eher er übrigens dorthin aufbrach, desto besser. Er fühlte ein dringendes Bedürfnis, zwischen den Bushrangern und der Polizei herauszukommen und sich wieder zwischen Menschen zu bewegen, die er als seinesgleichen betrachten konnte. Aber die Richtung merkte er sich nochmals genau, die ihm der Mann mit dem schwarzen Bart gezeigt hatte. Vor dem Eingang der Höhle legte er eine Reihe von Steinen so, daß sie eine dahin zeigende Linie bildeten. Sowie es dann völlig Tag war, wollte er aufbrechen. Jetzt in den ungewissen Halbdunkel mochte er sich nicht der Gefahr aussetzen, die Schrecken der letzten Tage noch einmal zu erleben. Das zweitemal fand ihn vielleicht kein Polizist wieder.

Er ging wieder zum Feuer, wo noch zurückgelassenes Brot und Fleisch lagen. Die Quarttöpfe für den Tee hatten die Flüchtlinge mitgenommen. Er aß in aller Ruhe und wollte gerade aufstehen, um seine Wanderung zu beginnen, als ihn eine rauhe Stimme drohend anrief:

»Halt! Bei der geringsten Bewegung, die du machst, schieß ich dich über den Haufen!«

»Na, da haben wir's«, lachte der Kapitän still in sich hinein und sank auf seinen Sitz zurück. »Schon wieder einmal als gefährliches Individuum verhaftet. Es war aber wirklich Zeit, daß sich die anderen auf die Beine machten. Die Kerle müssen sich wie die Indianer angeschlichen haben.«

Es blieb ihm keine Zeit für weitere Betrachtungen. Im nächsten Augenblick hatten drei Polizisten die Höhle besetzt und kamen mit erhobenen Karabinern auf ihn zu. Becker wußte aus Erfahrung, daß die Beteuerung seiner Unschuld zu nichts führen würde. Er machte deshalb auch keinen Versuch. Auf die Frage nach seinen Gefährten sagte er nur: »Gentlemen, ich habe keine. Ich bin ein Schiffskapitän aus Sydney, der sich im Busch verlaufen hat. Da Sie mir das aber nicht glauben werden, so tun Sie mir den Gefallen und bringen Sie mich, so rasch Sie können, zum Turon oder nach Sydney, alles weitere findet sich dort.«

»Keine Gefährten? So!« sagte einer der Leute und zeigte auf den Boden, wo die Schlafstellen mehrerer Menschen deutlich zu sehen waren. »Wer hat denn da heute nacht gelegen und da und da? Aber komm nur und mach keine Umstände, wir sind der Gesellschaft schon auf der Fährte und wollen dir nur vorläufig die Manschetten anlegen.«

Damit streifte ihm ein Polizist die schon bekannten Handschellen über, gegen die sich Becker auch nicht sträubte. Er hielt im Gegenteil seine Hände ruhig hin. Er wußte ja, daß er sich nicht widersetzen konnte.

»Alle Teufel!« lachte da einer der Polizisten. »Ich glaube, das ist ein alter Bekannter von gestern. Dich hatte ich schon einmal in Eisen, mein Herz, und wenn mein Rappe nicht durch das Schrot wild geworden wäre...«

»Sie haben ihn allerdings laufen lassen, was er laufen konnte«, lachte der Kapitän. »Aber macht's kurz. Bringt mich zu Leutnant Beatty, der wird euch sagen, was ihr für Schlauköpfe seid.«

Auf weitere Erklärungen ließ er sich nicht ein. Als er hinausgeführt wurde, sah er, wie eine Abteilung Polizisten das Tal hinunterzog, um die Flüchtenden zu verfolgen, deren Spuren man vielleicht gefunden hatte.

Ihm selbst stand ein schwerer Marsch bevor, denn in Handschellen an eine Leine gebunden geht es sich nicht besonders gut. Unangenehm war dem Kapitän auch das Gaffen der Goldwäscher, als sie die Straße erreicht hatten. Sie hatten von dem versuchten Überfall schon gehört und hielten den Gefangenen für einen der Hauptverbrecher. Aber es half nichts. Widerstand konnte er nicht leisten, und eine Erklärung hätte bei den Leuten nichts gefruchtet. So beschloß er denn, ruhig und geduldig auszuharren. Am Turon mußte sich ja alles aufklären, und er brauchte jetzt wenigstens nicht mehr zu befürchten, sich in der Wildnis zu verlaufen. Nur ein Polizist war bei ihm geblieben, und der sorgte schon dafür, daß er vom Hauptweg nicht abkam.

Am Turon sollte aber nicht alles so leicht aufgeklärt werden, wie er am Anfang gehofft hatte. Als sie die kleine Zeltstadt etwa gegen zwei Uhr am Nachmittag erreichten, hörte Becker zu seinem Schreck, daß Leutnant Beatty mit der Goldeskorte nach Golbourne gegangen sei und nicht vor morgen zurückerwartet werde. Sein Steuermann, nach dem er jemand schickte, war mit den eingefangenen Matrosen nach Sydney gegangen. Hafften, der letzte Mensch, auf den er sich in den Minen noch besann, war ebenfalls verschwunden. Es hieß sogar, daß er den Steuermann begleitet hätte.

Allerdings kannte er vom Sehen noch eine Anzahl Miner, aber er wußte weder, wie sie hießen, noch, wo sie zu finden waren. Dazu kam auch, daß sich die Leute in den Minen fast alle untereinander mit »Jack« ansprachen. Die Polizisten hatten auch keine Lust, wegen einem Bushranger noch nach dessen Freunden zu suchen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu finden und bis morgen noch Gefangener zu bleiben.

Am nächsten Nachmittag kehrte Leutnant Beatty tatsächlich zurück. Aber er hatte so viel zu tun, daß er sich nicht gleich mit dem »deutschen Herumtreiber« beschäftigen konnte. Erst kurz vor Sonnenuntergang fiel ihm ein, daß ihn ein Gefangener sprechen wollte, und er gab Befehl, ihn vorzubringen.

Leutnant Beatty saß in seinem Zimmer und sah eben einige neue Depeschen und Briefe durch, als Kapitän Becker gebracht wurde und mit seinem Begleiter an der Tür stehenblieb.

»Herr Leutnant, hier hab ich den Mann.«

Beatty nickte nur, ohne aufzusehen, und las weiter. Becker stand daneben und lächelte still vor sich hin. Er malte sich schon das Erstaunen des Offiziers aus, wenn er ihn erkannte und sich dann sagen mußte, daß ihm, dem Unschuldigen, so schmächliches Unrecht geschehen sei. Beatty warf inzwischen den Brief, den er überflogen hatte, auf den Tisch und öffnete einen anderen.

»Herr Leutnant, hier hab ich den Mann«, wiederholte der Polizist.

»Schon gut«, sagte der Leutnant, ohne von seinem Brief aufzusehen. »Wie heißt du, mein Bursche?«

»Kapitän Bernhard Becker«, sagte der Seemann ruhig.

»Alle Teufel!« rief der Leutnant, sprang von seinem Stuhl auf und starrte den Gefangenen wie einen Geist an.

»Guten Abend, Mr. Beatty«, sagte der Kapitän. Aber Beatty erwiderte den Gruß nicht. Einen Moment noch betrachtete er den Deutschen mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen, dann aber brach er in so schallendes Gelächter aus, daß die Ordonnanz vor der Tür erschrocken eintrat, weil sie glaubte, daß etwas Entsetzliches geschehen sei.

»Take it cooly«, sagte Kapitän Becker. »Es freut mich, Leutnant Beatty, daß ich Sie in so guter Laune treffe.«

»Aber, lieber Kapitän«, lachte der Leutnant, der gar nicht mehr zu sich kommen schien, »Das... das ist... das ist ein... nehmen Sie mir das Gelächter nicht übel, das ist ein so komischer Fall, daß es mich aus der Fassung bringt. Hahahaha!«

»Bitte, lachen Sie nur«, sagte der Kapitän geduldig. Er kämpfte seinen Ärger über diese für ihn zu lebhafte Fröhlichkeit gewaltsam herunter.

»Aber ich gebe Ihnen mein Wort...«

»Es muß wohl sehr komisch aussehen, einen ehrlichen Mann in Eisen vor sich zu haben.«

»Sie haben recht«, rief der Leutnant, durch diese Mahnung rasch ernst geworden. »Aber, Ihr Tölpel, seht ihr denn nicht, daß ihr Unsinn gemacht habt? Das ist ein Freund von mir, aber kein Bushranger!«

»Zu Befehl, Herr Leutnant«, sagte der Polizist verdutzt. »Aber... in Australien kommt manchmal beides vor!«

»Runter mit den Eisen, rasch!«

Der Polizist schüttelte den Kopf. Der Mann hatte die Nacht in höchst verdächtiger Gesellschaft zugebracht, wollte nicht gestehen, wohin die Flüchtigen gegangen waren, und sah außerdem verkommen genug aus. Aber der Befehl war zu bestimmt gegeben, als daß er zögern durfte. Er schloß die Handschellen auf, die ihm Kapitän Becker entgegenhielt. Dann steckte er sie mit einer Miene in die Tasche, als wollte er sagen: »Na, wen soll ich jetzt noch einschließen, wenn der frei herumlaufen darf?«

Beatty hatte endlich das Komische des ersten Eindruckes überwunden, ging auf Becker zu, griff seine Hand und sagte herzlich:

»Lieber Kapitän, Sie werden mir bestimmt glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich wirklich freue, Sie gesund und wohlbehalten wieder hier zu haben. Sie haben mir große Sorgen gemacht!«

»Na, die Freude schien danach um so größer«, meinte Becker, der das Lachen noch nicht überwunden hatte.

»Aber wo, um Gottes willen, haben Sie die ganze Zeit gesteckt?«

»Die Geschichte erzähle ich Ihnen nachher. Tun Sie mir nur den Gefallen, und sagen Sie dem jungen Mann hier, daß er mich nicht weiter zu begleiten braucht. Er scheint immer noch zu denken, daß ich unter seine Obhut gehöre.«

Der Polizist war allerdings noch abwartend in der Tür stehengeblieben. Er hatte die verzweifelte Hoffnung, daß der Fremde ihm wieder übergeben werde. Ein deutlicher Wink Beattys wies ihn aber jetzt hinaus, und Becker mußte seine Abenteuer erzählen. Er tat das auch mit aller Genauigkeit, aber – er hielt sein den Bushrangern gegebenes Wort. Allerdings konnte er nicht verschweigen, daß sie ihn von der Polizei befreit hatten und er die Nacht bei ihnen zugebracht hatte. Aber er verweigerte jede Auskunft, behauptete, niemand gekannt und in der Nacht so fest geschlafen zu haben, daß er nichts weiter gehört hatte. Als er dann am nächsten Morgen aufwachte, waren die Burschen verschwunden. Von Holleck erwähnte er nichts.

»Und was wollen Sie jetzt tun?«

»Sofort zu meinem Schiff zurückkehren. Können Sie mir sagen, wieviel Mann mein Steuermann mitgenommen hat?«

»Drei, den Koch, den Segelmacher und einen Matrosen.«

»Um so besser. Also, Leutnant Beatty, ich empfehle mich Ihnen.«

»Nein, auf keinen Fall. Glauben Sie, daß ich Sie jetzt allein und zu Fuß nach Sydney zurücklasse?« versetzte der junge Mann.

»Ich danke für jede polizeiliche Begleitung«, sagte Becker trocken. »Ich habe gerade genug davon gehabt.«

»Auch für meine?«

»Sie wollen selbst zurück?«

»Ich fahre und biete Ihnen einen bequemen Platz bei mir an, aber erst morgen. Sie kommen dadurch aber noch früher hinunter, als wenn Sie zu Fuß laufen.«

»Da kann ich nicht widerstehen«, sagte der Kapitän. »Das Zufußlaufen soll der Henker holen, aber ich versäume doch einen Tag.«

»Sie versäumen gar nichts«, lachte der Leutnant. »Und wenn Sie noch zwei Tage hierbleiben. Ihr Steuermann betreibt inzwischen mit aller Kraft die Vorbereitungen für die Abfahrt.«

»Ohne mich?«

»Er hält Sie für verschmachtet oder totgeschlagen und bedauert sehr, das Schiff jetzt selbst nach Neuseeland führen zu müssen.«

Der Kapitän pfiff leise und vergnügt vor sich hin.

»Wenn es nun mich nicht gerade selbst treffen würde, könnte es mir leid tun, daß der Steuermann sich geirrt hat. Aber ich nehme Ihr Angebot an, Mr. Beatty, und bis dahin...«

»Amüsieren Sie sich vielleicht noch mit einem neuen Loch, denn Gold muß es...«

»Verdammt, wenn ich das tue!« fiel der Kapitän ein. »Ich will Gott danken, wenn ich den Goldschwindel erst hinter mir habe.«

»Aber gestern ist am Summerhill ein ›Nugget‹ mit siebzehn Unzen Gewicht gefunden worden!«

»Und wenn es siebzig wären!« rief der Kapitän entschieden. »Einmal die Finger verbrannt und nie wieder. Also, morgen fahren wir.«

»Bis dahin betrachte ich Sie als meinen Gast. Sie sollen sich etwas von den Strapazen erholen.«


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