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13. Kapitän Becker in den Minen

Am gleichen Morgen, als Hafften mit seiner gefährlichen Begleitung aufbrach, wurde eine andere Gesellschaft in den Minen ebenfalls sehr unangenehm überrascht.

Zachäus, der kleine Mechaniker, hatte nach vielen vergeblichen Versuchen seine etwas komplizierte Maschine zum Arbeiten gebracht. Er erklärte, am nächsten Tag wäre er bereit, mit der Ernte zu beginnen.

Smith, der alte Schäfer, war inzwischen in der Nachbarschaft herumgestreift. Angeblich wollte er das Terrain nach den alten Goldstellen absuchen. Erst spät am Abend kehrte er zurück und erklärte, er hätte gefunden, wonach er gesucht habe. Er versprach den entzückten Kaufleuten für den nächsten Morgen einen brillanten Erfolg.

Zur Belohnung erhielt er sofort eine volle Flasche Brandy, mit der er sich an diesem Abend vergnügen sollte. Einzige Bedingung war, daß er früh am nächsten Tag munter war. Die Bedingung hielt er gewissenhaft ein, denn zwei Stunden vor Tagesanbruch kroch er vorsichtig aus seinem Zelt, rollte draußen seine neuen Decken zusammen, in die er die noch halbvolle Flasche steckte, warf sich das Bündel über die Schulter und ging in die Berge, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. An eine Verfolgung war hier nicht zu denken.

Vor Tagesanbruch stand Zachäus auf, um sich wie auch sonst seinen Kaffee selbst zu kochen. Aber er brauchte den Schäfer, um Feuer zu machen – und der Schäfer war fort. Zachäus suchte ihn inner- und außerhalb des Zeltes, vergeblich. Nicht einmal seine Decken waren da. Als die beiden Kompagnons geweckt wurden und mit Fluchen und Schimpfen eine Zeitlang um das Zelt gestampft waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Flüchtling zu verfluchen und die Arbeit allein zu beginnen.

Ihre Hoffnung war jetzt ganz auf Zachäus und seine kunstvolle Maschine gerichtet. Da sie aber nur dafür konstruiert war, hineingeworfenes Gold auszuwaschen, und keiner der drei daran dachte, zehn oder zwölf Fuß tief Höhlen in den Boden zu graben, so gaben sie auch das auf. Sie überließen den kleinen deutschen Mechaniker seinem Schicksal. Ihre Erfahrung hatte sie etwa 120 Pfund Sterling gekostet, aber sie kehrten mit einer Wut im Wert von mindestens dem Doppelten nach Sydney zurück.

Selbst jetzt schon fanden sie auf ihrem Rückweg manchen Begleiter. Damals hatten eine Menge Leute in den Minen festgestellt, daß sie zu Hause mit ihrer gewöhnlichen Arbeit viel mehr verdienen konnten, ohne auf ihre Bequemlichkeiten verzichten zu müssen und ohne sich in den Bergen Blutblasen an die Hände zu arbeiten.

Sehr viele hatten festgestellt, daß Goldgraben unter allen Umständen eine sehr harte, aber keineswegs immer mit Erfolg gekrönte Arbeit ist.

Einige mußten diese Erfahrung noch machen.

Etwa fünfhundert Schritt von den Zelten der Händler entfernt hackten und schaufelten zwei Männer in einer neuen Grube am Ufer des Turon. Offensichtlich hatten sie noch nie ein Werkzeug wie eine Spitzhacke in der Hand gehabt. Ihre Kleidung wies sie auch eher als Seeleute denn als Goldgräber aus.

»Verfluchte Arbeit das, Steuermann«, sagte der eine von ihnen und richtete sich auf. Er streckte sich und betrachtete seine Hände. »Daß mich auch der Teufel plagt diesen Unsinn mitzumachen... wenn's nicht wegen des Spaßes wäre...«

»Verdammt wenig Spaß, Kapitän«, brummte der andere und folgte seinem Beispiel. »Wenn das ein Vergnügen sein soll, möchte ich wissen, was Tanzen ist.«

»Aber man muß doch wenigstens nachher einmal sagen können, daß man's mitgemacht hat«, entschuldigte sich sein Vorgesetzter eigentlich vor sich selbst genauso wie vor dem Steuermann. »Schwerebrett! Jetzt in Australien gewesen zu sein und nicht einmal ein paar Unzen Gold selbst herausgebuddelt zu haben – die lachen uns ja aus, wenn wir wieder nach Hause kommen!«

»Dann sollen sie selbst hergehen und es versuchen, weiter wünsche ich ihnen nichts«, brummte der Steuermann, der kein solches Ehrgefühl kannte. »Eigentlich liegt uns ja diese Arbeit gar nicht, und mir kommt es schon immer unnatürlich vor, wenn ich kein frisches Wasser um mich sehe.«

»Aber wenn wir nun was Ordentliches finden?«

»Ja, wenn! Wo ich grabe, liegt bestimmt nichts«, meinte der Steuermann. »Wenn meiner Mutter Sohn Glück hätte, stände er nicht hier und würde Löcher in Australien hineinhacken.«

»Na, wer weiß, Steuermann«, lachte der Kapitän, »vielleicht glückt's doch mal, denn einmal muß das erstemal sein. Da wir nun mal hier sind, können wir auch die Zeit nutzen.«

»Nun mal hier sind?« wiederholte der Steuermann und schüttelte erstaunt den Kopf. »Als ob wir aus Versehen hierher gekommen sind. Ich dachte, es hat Mühe genug gekostet, diesen verdammten Platz zu erreichen! Und wie geht es inzwischen auf dem Schiff zu? Dieser Landlubber von Steward ist den Zwieback nicht wert, den er kaut, vom Speck ganz abgesehen. Ich setze meinen Hals als Pfand, daß er den alten Kasten nicht einmal ausgepumpt hat, bevor ihm das Wasser nicht in die Schuhe läuft. Ja, wenn es Grog wäre!«

»Na, deshalb brauchen wir uns keine Sorgen zu machen«, sagte der Kapitän. »Dafür sorgt schon Mr. Pitt. Er hat mir versprochen, ab und zu einmal nachzusehen. Sowie die Aussicht besteht, daß wir Leute bekommen, schickt er uns einen Boten herauf.«

»Weiß denn Mr. Pitt, daß wir hier buddeln?«

»Er weiß, daß ich in den Minen bin«, lachte der Kapitän, »um mich hier oben einmal umzusehen und vielleicht ein paar von den Ausreißern zu begegnen.«

»Na, da unten steckt jedenfalls keiner«, sagte der Steuermann und zeigte auf das halb gegrabene Loch.

»Wenn wir etwas Ordentliches finden, erzähle ich ihm selbst, daß wir gegraben haben.«

»Dann wird's wohl ein Geheimnis bleiben«, meinte der Steuermann trocken und griff sein schweres Werkzeug mit einem Fluch wieder auf.

Den Bergbach herauf kam ein einzelner Reite in Uniform. Er ritt Schritt und hielt hier und da bei den verschiedenen Gruppen, die entweder am Fluß direkt gruben oder an einem Hang arbeiteten. Jetzt erreichte er den Platz, wo die beiden Seeleute arbeiteten. Sie hatten sich aber schon so tief in ihre Grube hineingeschaufelt, daß sie in ihrer gebückten Haltung nicht über die aufgeworfene Erde sehen konnten. Aber hier kümmerte sich auch keiner um den anderen.

Der Kapitän hatte aus Leibeskräften in dem Loch gearbeitet. Was der Steuermann an harter Erde mit der Hacke losschlug, warf er hinaus, um freie Bahn zu schaffen. Jetzt richtete er sich mit feuerrotem Kopf auf, lehnte den Spaten an die abgestochene Wand und nahm sein Taschentuch heraus, um sich den Schweiß abzutrocknen. Gerade als er sich aufrichtete und über den Erdwall sah, traf sein Blick den des Reiters und haftete auf ihm in nicht gerade freudiger Überraschung.

Desto vergnügter schien der Reiter über die Begegnung zu sein. Zuerst blickte er mit unverkennbarem Erstaunen in das ihm zugedrehte rote Gesicht. Es war offensichtlich, daß er ihn nicht gleich erkannte, dann drehte er aber plötzlich sein Pferd herum und kam bis an den Rand des Erdaufwurfs heran. Laut und lustig rief er aus: »Kapitän Becker! Bei allem, was da lebt und hackt! Auf frischer Tag ertappt mit der Goldschaufel in der Hand und einer beneidenswerten Transpiration! Mann Gottes, habe ich Sie erwischt? Und wer hat denn in Sydney geprahlt, daß er gar nicht daran dächte, ein Werkzeug in die Hand zu nehmen?«

Kapitän Becker hatte im ersten Augenblick allerlei tolle Pläne gehabt um den Blick des Polizisten von sich abzuwenden. Erst wollte er rasch den Kopf abwenden und tun, als ob er ihn gar nicht kenne und er ein ganz anderer sei. Das alles zuckte ihm blitzschnell durch den Sinn – aber es ging nicht. Leutnant Beatty hatte ein zu scharfes Auge, um sich durch eine solche List auch nur einen Moment täuschen zu lassen. Er hätte mit einem solchen Versuch die Sache auch nur verschlimmert. Deshalb tat er jetzt das einzige, was derartige Leute unter derartigen Umständen gewöhnlich tun – er wurde, wenn das noch möglich war, noch etwas roter, machte ein sehr verlegenes Gesicht und sagte, mit einem mißglückten Versuch, zu lächeln:

»Ah, guten Morgen, Leutnant, sehr erfreut, Sie zu sehen!«

»Wirklich?«

»Unmenschlich...«

»Und Sie sind unter die Goldgräber gegangen? Der Letzte, auf den ich meine Hoffnungen gesetzt hatte, daß er der Versuchung widerstehen würde.«

»Na, die Versuchung ist nicht gerade groß«, meinte der Steuermann.

»Versuchung? Nee, wirklich nicht«, sagte auch lachend der Kapitän und griff ganz in Gedanken wieder nach dem Spaten, zog aber die Hand schnell wieder zurück, als ob er glühendheiß wäre. »Aber was soll man denn hier in den Bergen sonst vor Langeweile machen?«

»Haben Sie etwas gefunden?«

»Ja, ein Haar drin«, sagte der Steuermann, »und je eher wir wieder an Bord gehen, desto besser.«

Der Polizeileutnant hatte den Steuermann angesehen, aber offenbar die Worte nicht verstanden. Andere Gedanken waren ihm im Kopf herumgegangen, und nur durch das plötzliche Auftauchen des Kapitäns verscheucht worden.

»Kapitän«, sagte er plötzlich, »könnte ich ein paar Worte allein mit Ihnen sprechen?«

»Mit mir? Mit Vergnügen!« rief der Seemann, der froh war, dem Gespräch eine andere Richtung geben zu können. Er kletterte mit einem halben Sprung aus der Grube und trat zu dem Pferd des Offiziers.

»Sie kennen doch Mr. Holleck, den wir in Mr. Pitts Haus getroffen haben?«

»Den netten jungen Mann, der so charmant erzählt? Jawohl.«

»Sind Sie ihm hier nirgends in den Minen begegnet?«

»Ist er wieder in den Bergen? Ich dachte, er wollte jetzt unten ein Geschäft anfangen.«

»Sein Geschäft ist ihm etwas gestört worden. Sollten Sie ihm hier begegnen, so möchte ich Sie bitten, mir oder irgendeinem anderen der Polizeimannschaft sofort Mitteilung zu machen.«

»Alle Teufel, was ist vorgefallen?«

»Dieser Holleck ist ein Halunke, weiter nichts, aber – je weniger vorher darüber gesprochen wird, desto besser. Sie verstehen mich doch?«

»War deutlich genug. Auf mich können Sie sich verlassen. Darf ich aber wissen, ob Mr. Pitt dabei beteiligt ist?«

»Das Schlimmste konnte von ihm abgewendet werden. Aber ich habe jetzt keine Zeit, Ihnen das alles zu erzählen.«

»Also, dieser Holleck...«

»Pst, nicht so laut! Also, benutzen Sie Ihre Augen etwas, und jetzt guten Morgen, Kapitän. Hacken Sie nicht zu fleißig. Sie scheinen mit richtigem Feuereifer an die Arbeit gegangen zu sein, und Ihr Kamerad wird schon ungeduldig.«

»Der? Bestimmt nicht!« lachte der Kapitän. »Aber eins noch – gehen Sie wieder nach Sydney zurück?«

»Wahrscheinlich, aber noch nicht gleich. Mein Dienst wird mich noch wenigstens eine Woche in den Minen festhalten.«

»Wenn Sie etwas früher zurückkommen sollten als ich«, sagte der Kapitän und zögerte verlegen, »so...«

»Erwähne ich nichts von unserem heutigen Zusammentreffen?« lächelte der Polizeileutnant.

»Sie haben's auf den Punkt getroffen«, lachte der Kapitän gutmütig. »Lassen Sie's, bis ich selber hinunterkomme. Ich erzähl's ihnen dann selber, wie?«

»Das soll ein Wort sein«, rief der junge Mann und hielt ihm die Hand zum Einschlagen hin. »Nun good bye. Ich muß zum Camp hinauf, um da noch einige Anordnungen zu treffen.«

Er nickte dem Seemann freundlich zu, drehte sein Pferd wieder auf den Pfad und setzte seinen Weg langsam fort. Er nahm nicht an, Holleck hier bei der Arbeit zu treffen, wollte sich aber doch die verschiedenen Miner ansehen. Den einen oder anderen Bekannten traf er da immer, im guten wie im schlechten Sinn.

Kapitän Becker arbeitete inzwischen mit seinem Steuermann unverdrossen weiter. Tiefer und tiefer wurde die Grube, Wasser trat hinein, und als sie ihren Platz am nächsten Morgen wieder aufsuchten, hatte er sich beinahe bis zu sechs Fuß hoch mit Wasser gefüllt. Der Steuermann fluchte, daß das Loch ein Leck bekommen habe und die Mannschaft jetzt an die Pumpen müsse. Aber es half nichts. Mit Schöpfen und Schaufeln kamen sie endlich auf den Grund, und der Kapitän hatte doch wenigsten die Genugtuung, etwas Gold auswaschen zu können. Es war selbstgefundenes Gold, wenn auch der Steuermann meinte, es wäre höchstens ein Trinkgeld und noch lange kein Lohn für diese »Hundearbeit«.

Es war etwa vier Uhr nachmittags, als sie den Platz ausgearbeitet hatten. Da beide kein großes Verlangen hatten, noch an einer anderen Stelle anzufangen, beschlossen sie, für heute Schluß zu machen. Der Steuermann nahm das Handwerkszeug auf die Schultern, denn die Maschine ließen sie an Ort und Stelle stehen. Der Kapitän warf immer wieder einen Blick in seine etwas mitgenommenen Hände und schlenderte langsam voraus den Zelten zu. Da sah er eine Gestalt am nächsten Hang auf den Fluß zukommen, die ihm bekannt schien. Sein erster Gedanke galt Holleck, aber bald sah er, daß er sich geirrt hatte. Diese Gestalt war schmächtiger. Holleck hatte auch ein volles, rotes Gesicht, und dieser Wanderer sah blaß aus und seine Augen lagen tief in den Höhlen.

Er wartete trotzdem, bis er näher kam. Der Fremde schien aber keine Notiz von ihm zu nehmen. Als er den breiten, ausgetretenen Weg erreichte, war es, als ob er vor Ermattung zusammenbräche. Er warf sich mitten auf die Straße nieder und atmete tief und schwer.

»Hallo, das Gesicht sollte ich doch kennen!« sagte der Seemann. Er war neben ihm stehengeblieben und betrachtete ihn erstaunt. »Wo in aller Welt habe ich nur...«

Der Fremde drehte erschöpft den Kopf zu ihm um und betrachtete ihn einen Moment. Dann sagte er leise in deutscher Sprache:

»Kapitän Becker! Haben Sie vielleicht einen Tropfen Cognac bei sich?«

»Immer!« versetzte der Kapitän und griff nach der Flasche, die er in seiner Brusttasche trug. »Aber wer zum Henker sind Sie eigentlich? Sie kennen meinen Namen, wir haben uns auch schon gesehen, aber ich kann mich nicht besinnen, wo das gewesen ist.«

Der Wanderer nahm die Flasche und tat einen langen Zug. Dann gab er die Flasche zurück und stützte sich auf seinen Ellbogen ab.

»Das tat gut. Tausend Dank, Kapitän, Sie wissen gar nicht, welche Wohltat Sie mir erwiesen haben, ich bin todmüde. Aber kennen Sie mich wirklich nicht mehr?«

»Keine Ahnung«, versicherte der Kapitän. »Wäre aber auch kein Wunder, und wenn wir jahrelang Schiffskameraden gewesen wären. Sie sind ja von Schlamm und Erde richtig überzuckert. Mensch, wie sehen Sie aus! Hatten Sie sich verlaufen?«

»Ja, und einen furchtbaren Marsch gemacht. Aber erinnern Sie sich nicht mehr an den Abend bei Pitts in Sydney, wo wir musizierten? Sie auf der Harmonika, ich auf dem Klavier?«

»Herr von Hafften, bei allen Seehunden der Welt! Na, Ihnen haben die Minen auch hübsch mitgespielt! Allen Respekt! Sie könnten jetzt gut als ›abschreckendes Beispiel‹ nach Sydney gehen und hätten damit guten Erfolg. Mann, in welchem Schlammloch haben Sie eigentlich übernachtet?«

»Ich sehe gut aus, nicht wahr?«

»Ausgezeichnet, die Jacke scheint nur aus Gefälligkeit noch zusammenzuhalten. Sie sind wohl völlig kaputt?«

»Vollkommen. Ich mußte hier einen Augenblick ausruhen, um nur noch die Zelte zu erreichen. Aber, Kapitän, was machen Sie in den Minen?« setzte er lächelnd hinzu. »Haben Sie nach Gold gegraben?«

»Ich?« erwiderte der Kapitän halb lachend, halb verlegen, denn die Sache ließ sich nicht mehr gut verleugnen. »Nur zum Spaß einmal ein paar Tage. Eigentlich bin ich ja nur hierhergekommen, wie Sie ja wissen, um zu sehen, ob ich jemand von meiner weggelaufenen Mannschaft finde. Gott weiß, wo die Kerle stecken. Es ist, als ob sie ein Sturm vom Horizont geweht hätte, denn von der ganzen Bande ist mir noch kein einziger zu Gesicht gekommen.«

»Hm«, sagte Hafften, der sich vom Cognac erfrischt fühlte, um jetzt wenigstens den Weg ins Lager zu schaffen. »Gleich über den nächsten Hügelrücken von hier, ein klein wenig nach rechts, wo ein sehr dünn laufender Bach herunterkommt, bin ich vor etwa zwei Stunden einigen Arbeitern begegnet, die mir genau wie deutsche Matrosen aussahen.«

»Welche Richtung?« rief der Kapitän rasch und eifrig.

»Gerade da hinüber, von wo ich eben herkam.«

»Und wohin gingen sie?«

»Nirgendwohin. Sie fingen dort an zu arbeiten. Wenn Sie morgen früh einen Spaziergang in die Richtung machen, bezweifle ich nicht, daß Sie auf sie treffen.«

»Da muß Beatty mit«, rief der Kapitän. »Hol mich dieser und jener, wenn das nicht ein prächtiger Spaß wäre, die Schufte in einem Goldloch auszuheben. Ich hab's doch satt hier oben.«

»Ist der Polizeileutnant Beatty hier?« erkundigte sich Hafften rasch. »Haben Sie ihn gesehen?«

»Gestern ritt er hier vorbei und versicherte mir, daß er noch wenigstens eine Woche hier oben bleiben würde.«

»Wo kann ich ihn wohl finden?«

»Bestimmt an der Polizeistation. Sie wissen doch, wo das Postoffice ist. Wollen Sie fort?«

»Meinen Sie nicht, ich sollte meine Wäsche wechseln?«

»Doch, wirklich«, lachte der Kapitän. »Am besten alles. Es wäre auch nicht schlecht, wenn Sie sich eine frische Haut anziehen könnten, denn Sie sehen im ganzen Gesicht so zerschunden aus, als ob Sie sich mit einem Bären gekratzt hätten.«

Hafften sah wirklich entsetzlich aus. Er hatte ja auch eine furchtbare Nacht verbracht und danach einen weiten Weg zurückgelegt. Er hatte tatsächlich versucht, den Abgrund zu umgehen, um weiter nach unten vorzudringen, wo sein unglücklicher Begleiter abgestürzt war. Aber er mußte es aufgeben, denn der Gebirgshang bestand hier nur aus schroffen Wänden, an denen er sich die Hände und seine Kleidung zerriß. Mehrmals geriet er selbst in Gefahr, hinabzustürzen. Einmal fiel er sogar einen kleinen Absatz hinunter und kam noch glücklich mit ein paar Ritzern und vielen blauen Flecken davon. Von da an mußte er sich selbst einen Weg suchen. Auch wenn er die ungefähre Richtung wußte, in der der Turon lag, behinderte ihn dabei das unebene Gelände doch ständig. Kreuz und quer stieg er an dem Berg herum, ohne einen Tropfen Wasser zu finden. Die wunderbare Zisterne lag jetzt weit über ihm, irgendwo in der furchtbaren Steinwildnis. Endlich erreichte er den Talboden, mußte dann aber noch über eine Stunde lang über größere Steinbrocken klettern, ehe er endlich wieder den Wald betreten konnte.

Von da an war sein Weg leichter, wenigstens nicht mehr von Gefahren bedroht, auch wenn er durch Hunger, Durst und Müdigkeit zu Tode erschöpft war. Endlich erreichte er wieder den Turon, an dem sein eigenes Zelt stand.

Aber selbst hier ließ es ihm keine Ruhe, bis er den Tod des unglücklichen Mannes zur Anzeige gebracht hatte. Als gewissenhafter Mensch hielt er es für seine Pflicht, die Polizei sofort über den Unfall zu informieren. Kaum hatte er sich deshalb mit etwas Essen gestärkt und sich umgezogen, als er auch seinen alten Bekannten Beatty aufsuchte und ihm ausführlich sein erlebtes Abenteuer schilderte. Der Polizeileutnant nahm aber die Sache kaltblütiger auf, als er erwartet hatte. Er hörte ihm allerdings aufmerksam zu, besonders am Anfang, als die Rede auf den Goldsee kam. Im Verlauf der Erzählung zeigte er aber nicht mehr das erwartete Interesse. Als Hafften endete, sagte er:

»Der Mensch war einfach verrückt – und glauben Sie, daß er in dem Abgrund seinen Tod gefunden hat?«

»Es ist nicht anders möglich«, erwiderte der junge Mann, der noch in der Erinnerung daran zusammenschauerte. »Die Höhe war fürchterlich, und ich hörte das Aufschlagen des Körpers auf die Steine.«

»Na ja, dann hat er es überstanden«, sagte der Offizier gleichgültig. »Und Sie können froh sein, daß Sie so davongekommen sind.«

»Wollen Sie nach dem Körper suchen lassen?«

»Suchen lassen? Ich denke gar nicht daran. Wir haben hier mit den lebenden Minern genug zu tun und können nicht noch nach einem Toten tagelang in den Bergen herumklettern, noch dazu auf einem Weg, wie Sie ihn beschrieben haben.«

»Aber es könnte doch der Verdacht auf mich fallen, daß ich den Mann selbst da hinabgestürzt habe«, sagte Hafften, dem der Gedanke keine Ruhe ließ.

»So ist es allerdings besser«, sagte der Leutnant und zündete sich eine frische Zigarre an. »Aber, unter uns – Sie waren ein großer Narr, daß Sie es nicht getan haben. Was hätten Sie gemacht, wenn er Sie mitgerissen hätte? Sie lägen jetzt neben ihm!«

»Aber Mord...«

»Pah! Der Mensch hat von der Natur das Recht bekommen, vor allem sein eigenes Leben zu verteidigen. Aber wie gesagt, es ist so besser. Und Sie haben keine Ahnung, wie der Unglückliche hieß?«

»Ich habe ihn nie nach seinem Namen gefragt!«

»Er hatte hier sein Zelt?«

»Eine Reisighütte.«

»Gut, dann wollen wir da nachsehen, ob wir Papiere von ihm finden. Weiter läßt sich in der Sache nichts tun.«

Sie gingen zusammen hinüber zum Lagerplatz des Verunglückten. Aber zu finden war nichts. Eisernes Kochgeschirr, offensichtlich erst hier in den Bergen angeschafft, lag in der Ecke. Zwei Blechbüchsen, eine mit Tee, eine mit Zucker, standen daneben. Eine Matratze lag in der Ecke und neben ihr ein kleines, angegriffenes Buch, eine englische Ausgabe »Lallah Rookh«. Unter dem aufgespannten Regenschirm lag auf einem Stück Rinde etwas saubere Wäsche – das war alles. Alles übrige hatte der Unglückliche bei sich gehabt. Er war hinübergegangen und verschollen, wie Tausende in fremde Erdteile gehen und draußen in der Wildnis ihre Knochen bleichen lassen.

Die Lieben in der Heimat sorgten sich noch jahrelang um sie, hofften von Woche zu Woche auf Briefe oder Nachrichten, und wenn endlich nichts mehr von ihnen kam, lautete die Grabinschrift: »Er ist zur See gegangen, und wir haben nie wieder von ihm gehört.«


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