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In Persien wurde in alter Zeit das Frühlingsfest gefeiert; das war der herrlichste Tag im Jahre. Da gab es keine Stadt, keinen Flecken, kein Dorf, wo es nicht mit großen Lustbarkeiten begangen wurde.
Bei einem solchen Feste war es, daß der Sultan alle, die ihn mit ergötzlichen Schauspielen unterhalten hatten, reichlich belohnte. Während er schon im Begriffe war, sich zu entfernen, erschien ein Inder und führte ein reichgeschirrtes Pferd vor; das war mit so vieler Kunst verfertigt, daß man es für ein wirkliches halten konnte.
»Dies Pferd ist das größte Wunder der Welt!« rühmte der Inder. »Wenn ich mich nämlich in seinen Sattel setze, so kann ich mich in sehr kurzer Zeit durch die Luft an jeden beliebigen Ort der Erde tragen lassen.«
Der Sultan von Persien wunderte sich über diese Rede und sagte zu dem Inder: »Du siehst jenen Berg dort. So reite hin und bringe mir augenblicklich einen Zweig der Palme, die auf seinem Gipfel wächst.«
Kaum hatte der Herrscher dies Wort gesprochen, da schwang sich der Inder in den Bügel, drehte einen hölzernen Wirbel am Halse des Pferdes, und augenblicklich erhob es sich und entführte den Reiter in die Lüfte. Und es war noch keine Viertelstunde verflossen, als man ihn auf dem gleichen Wege mit dem Palmzweige in der Hand zurückkehren sah.
Der Sultan, der ein großer Freund von Seltenheiten war, wurde sofort von heftiger Begierde ergriffen, das wunderbare Pferd zu besitzen, und fragte nach dem Preise.
»Hm,« sagte der Inder, »es ist mir weder um Geld noch um die Hälfte des Königreichs feil. Wenn Ihr mir aber Eure Tochter zum Weibe geben wollt, so gehört es Euch.«
Alle Hofbeamten und der Prinz Firus entrüsteten sich sehr über dies' dreiste Verlangen, aber der Sultan sagte: »Meine Herren, ich würde in Verzweiflung geraten, wenn ein anderer Fürst dies köstliche Wunder für einen solchen Preis eintauschte. Und dir, mein Sohn Firus, sage ich: vielleicht besinnt sich der Gaukler noch und läßt meine Tochter bei dem Handel aus dem Spiele. Vorher könntest du aber selbst einen Versuch mit dem Pferde machen, damit wir sicher sind, nicht betrogen zu werden.«
Ohne viel zu fragen, schwang der Prinz sich auf den Sattel, drehte den Wirbel, und wie ein Pfeil schoß das Pferd mit ihm von dannen und entschwand in der Frist eines Augenblicks den Augen aller, die ihm nachschauten.
Der Inder aber trat vor den Fürsten und sagte: »Herr, der Prinz hat mir ja nicht einmal Zeit gelassen, ihn in der Behandlung des Pferdes zu unterrichten. Ehe wir es uns versahen, war er verschwunden, und er weiß den geheimnisvollen Griff nicht, mit dem er das Tier wieder zur Erde zurücklenken kann.«
Der Sultan geriet darüber in Zorn und große Sorge und rief: »Ich sehe wohl, du bist ein ruchloser Bösewicht und Gaukler, der die Dinge nur aus Rache so geleitet hat, weil ich dir meine Tochter nicht zum Weibe versprach. Aber du sollst mir nicht entkommen! Auf,« wandte er sich an seine bewaffneten Sklaven, »bindet ihn und legt ihn ins Gefängnis! Und wenn der Prinz Firus in drei Monaten nicht wohlbehalten in meinem Palaste ist, soll man diesem Taschenspieler den Kopf abschlagen.«
Prinz Firus war unterdes mit Blitzesschnelle durch die Lüfte gefahren. Und auch er erkannte den großen Fehler, den er begangen und der darin bestand, daß er von dem Inder die Anweisungen zur Lenkung sich nicht hatte geben lassen. Zugleich übersah er die Größe der Gefahr, in der er schwebte; aber diese Einsicht raubte ihm nicht die Besinnung. Er untersuchte, während er so dahinflog, den Kopf und den Hals des Tieres, und entdeckte neben dem rechten Ohre einen kleinen Wirbel. Den drehte er vorsichtig um, und augenblicklich senkte sich das fliegende Pferd zur Erde.
Ringsum lag tiefe Nacht, und Prinz Firus merkte, daß er auf dem stufenförmigen Dach eines Palastes gelandet war. Er suchte lange nach einer Gelegenheit, hinabzusteigen, und fand endlich eine kleine Tür, die zu einer Treppe führte.
Er schritt über die Stufen und gelangte in einen Saal, in dem sehr viele schwarze Sklaven in Waffen auf ihren Betten lagen und schliefen. Er schloß daraus, daß es die Wache in dem Vorzimmer einer Prinzessin sein müsse. Und diese Vermutung war richtig. Das Zimmer, in dem die Prinzessin schlief, lag dicht neben dem Saale, wie man aus einem Lichtschein ersehen konnte, der durch einen Türvorhang von leichtem Seidenstoff fiel.
Prinz Firus schob den Türvorhang leise zurück, ohne die Sklaven aufzuwecken, und erschrak bis ins Herz hinein; denn auf einem Lager aus köstlichen Stoffen schlummerte die schönste Prinzessin, die je ein Menschenauge sah.
Er ließ sich auf die Knie nieder, weckte sie sanft und sagte: »Schönste aller Erdenfrauen, ich bin ein armer Verirrter, der durch ein wundersames Schicksal um diese Mitternacht in Euer Gemach verschlagen ward – ich flehe Euch um Euren Schutz an.«
Die Prinzessin erstaunte natürlich nicht wenig über diesen Besuch; weil sie aber einen wohlgebildeten, reichgekleideten und anstandsvollen Mann vor ihrem Bett erblickte, der sich ihr als der Prinz von Persien zu erkennen gab, sagte sie: »Prinz, beruhigt Euch; denn Ihr seid nicht bei Barbaren. Dies ist das Schloß des Königs von Bengalen, und ich bin dieses Königs einzige Tochter. Gastfreundschaft, Menschenfreundlichkeit und gute Gesittung sind in unserem Lande geradeso daheim wie in Persien.«
Die Prinzessin rief sofort ihre Kammerfrauen, damit sie ihr beim Ankleiden behilflich wären, und in dieser Zeit wurde der Prinz von den Wachen in den reichen Speisesaal geleitet. Nicht lange, und die Prinzessin folgte ihm dahin an der Hand ihres Vaters.
Der Rest der Nacht verging rasch bei der Erzählung des seltsamsten aller Abenteuer, das der Prinz erlebt hatte, und weil man zu seinen Ehren während der folgenden Tage große Jagden und Festlichkeiten veranstaltete, blieb Firus länger an dem fremden Königshofe, als es in seiner Absicht lag. Zuletzt fühlte er, er könne nicht ohne das Versprechen der Prinzessin nach Persien ziehen, daß sie sein Weib werden wollte.
Die Königstochter sagte mit Freuden ja; denn der junge ritterliche Prinz gefiel ihr sehr wohl.
Als es aber ans Abschiednehmen ging, befiel sie die heimliche Sorge, der Prinz möchte sie in seinem fernen Vaterlande vergessen und würde am Ende niemals zurückkehren. Und weil sie auch die Reise auf dem Rücken des Pferdes durch die blühende Sommerluft sehr gern mitgemacht hätte und ebenso neugierig war, den reichen Hof des persischen Sultans kennen zu lernen, so offenbarte sie ihre Wünsche dem Bräutigam.
Der war von Herzen froh; denn auch er hatte schon heimlich daran gedacht, die Prinzessin dem Sultan bald nach seiner Heimkehr vorstellen zu können. Sie erbaten sich also Urlaub vom Könige, setzten sich auf das Zauberpferd und flogen mit der Schnelligkeit eines Gedankens in die Hauptstadt Persiens. Aber sie stiegen in einem Lustschlosse am Ende dieser Stadt ab, da Prinz Firus zuerst allein vor seinen Vater treten und ihm von seinem Plane erzählen wollte. Inzwischen sollte der Verwalter des Lustschlosses aufs beste für das Wohl der Prinzessin sorgen; denn schon am nächsten Tage wollte der Prinz zurückkehren und sie holen. Er ließ sich also ein Pferd satteln und ritt vor den Palast seines Vaters.
Nachdem er alles getreulich berichtet hatte, schloß ihn der Sultan gerührt in seine Arme und rief: »Mein Sohn, ich genehmige nicht nur deine Vermählung mit der Prinzessin von Bengalen, sondern ich will sie morgen selbst in mein Schloß geleiten, und die Hochzeit soll unverzüglich gefeiert werden.«
In seiner Freude vergaß er auch nicht des Inders; er ließ ihn in Freiheit und sagte zu ihm: »Danke Gott dafür, daß ich meinen Sohn wiedergefunden habe; geh, nimm dein Pferd wieder und laß dich nie mehr vor mir sehen!«
Als der Inder sich entfernt hatte und erfuhr, wo er sein Pferd zu holen habe, und daß der Prinz sich mit der schönen Prinzessin vermählen wollte, reifte in ihm ein tückischer Plan.
Er begab sich eilig nach dem Lustschlosse, wendete sich an den Verwalter und log: »Ich komme im Auftrage des Sultans und des Prinzen von Persien; ich soll die Prinzessin zu mir auf das Zauberpferd nehmen und durch die Luft zu dem Sultan führen, damit dem Hofe und der Stadt Schiras dies seltsame Schauspiel geboten werde.«
Der Inder war dem Kastellan nicht unbekannt, und dieser zweifelte keinen Augenblick an der Wahrheit seiner Worte. Und kaum hatte die Prinzessin vernommen, daß er im Namen des Prinzen komme, so willigte sie freudig ein.
Der Inder jubelte innerlich über die Leichtigkeit, mit der ihm die Ausführung seines boshaften Planes gelang. Er hob die Prinzessin in den Sattel, schwang sich selbst nach, und hoch in die Lüfte stieg das Zauberroß und entschwand.
Die Bestürzung am Hofe und im ganzen Lande wollte kein Ende nehmen, als man von dem Streiche des rachsüchtigen Gauklers erfuhr, und Prinz Firus vor allem wußte nicht, was er beginnen sollte, denn er glaubte seine schöne Braut für immer verloren. Dann aber tat er einen Schwur, er wolle nicht rasten und nicht ruhen und wolle nicht heimkehren in das väterliche Schloß, bis er die Prinzessin gefunden habe.
Er kleidete sich in das Gewand eines wallfahrenden Derwischs und zog aus, die verschwundene Verlobte zu suchen.
Der Inder war inzwischen mit seiner Beute in einem Walde nahe bei der Hauptstadt des Königreichs Kaschmir gelandet. Die Prinzessin aber stellte ihn heftig zur Rede und schrie laut um Hilfe, da sie in der Nähe Hufschläge hörte. Es war der König von Kaschmir, der in seinem Gehölz gejagt hatte und mit seinem Gefolge heimkehrte. Er wandte sich erstaunt an den Inder; denn die vornehme Erscheinung der Prinzessin ließ ihn Verdacht schöpfen, daß sie geraubt sei.
Aber der Inder legte sich auch diesmal aufs Lügen und sagte: »Diese ist meine Frau, die mir den Gehorsam verweigert; und wenn ich mit meinem Weibe einen Streit habe, so hat sich niemand hineinzumischen, und wenn er der König von Kaschmir wäre.«
Die Prinzessin aber schrie: »Gnädiger Herr, wer Ihr auch sein mögt – glaubt diesem Betrüger nicht. Er ist ein abscheulicher Gaukler, der mich heute meinem Bräutigam, dem Prinzen von Persien, geraubt hat. Auf seinem Zauberpferde hat er mich hierhergeschleppt.«
Der Inder ward alsbald in ein Gefängnis geschleppt; der König von Kaschmir aber nahm die schöne Prinzessin zu sich aufs Pferd, räumte ihr in seinem Schlosse die vornehmsten Zimmer ein und gab ihr hundert Sklaven zu ihrer Bewachung. Als sie ihn aber nach einigen Tagen bat, er solle sie nun zurücksenden an den Hof des Sultans von Persien, da weigerte sich der König; denn er hatte den Entschluß gefaßt, das schöne Mädchen zu seinem Weibe zu machen.
Diese Nachricht schmetterte die Prinzessin zu Boden; sie dachte an eine Flucht – aber wie sollte sie dem Heere dieser Sklaven entrinnen?
Und weil sie keinen andern Ausweg sah, sagte sie, sie fühle sich durch die erschütternden Erlebnisse der letzten Zeit so krank, daß sie binnen einem Jahre nicht daran denken könne, Hochzeit zu halten. Die Not ihres Herzens und die Sehnsucht nach dem Prinzen Firus machten sie in der Tat so elend, daß sie oft tagelang ihr Lager nicht verlassen konnte. Und immer hoffte sie auf Errettung.
Auf seinen Kreuz- und Querfahrten vernahm auch Prinz Firus von der Krankheit, an der die Prinzessin von Bengalen am Hofe des Königs von Kaschmir litt. Als er ihren Namen hörte, machte er sich voller Freude auf, kam zu dem König und stellte sich ihm als der berühmteste Arzt Persiens vor.
Der König hatte schon alle Hoffnung verloren, die Prinzessin wieder gesund werden zu sehen, um so größer war seine Genugtuung, daß ein so berühmter Mann seine Kunst an ihr versuchen wolle.
Prinz Firus bat sich aus, zuerst ganz allein zu der Kranken gehen zu dürfen. Beim Tone seiner Stimme richtete sie sich auf ihrem Lager auf; beim Blicke in seine Augen strahlte ihr Antlitz voll Freude; denn sie erkannte ihn trotz des langen Bartes, den er sich hatte auf der Reise wachsen lassen; bei seinem Gruße sank sie ihm in die Arme, und kein Wiedersehen war froher als dieses.
Als der Arzt nach einer Stunde wieder vor dem König erschien, zog er die Achseln: »Der Zustand ist ernst,« sagte er, »und die Prinzessin kann ihrem Leiden erliegen; es scheint, sie hat etwas von dem Zauber jenes Pferdes angenommen, auf dem sie in Euer Land geritten ist – ein Übelstand, der wahrscheinlich nur durch gewisse Räucherungen zu bannen ist, die mir sehr wohl vertraut sind. Wenn Ihr, Herr König, Euch das Vergnügen machen und zugleich mit Eurem Hofstaat ein seltenes Schauspiel haben wollt, so laßt morgen das Zauberpferd auf dem Platze vor Eurem Palast aufstellen. Ich verspreche Euch, die Prinzessin dann vor den Augen aller frisch und gesund zu machen, und damit die Sache auf glänzende Weise vor sich gehe, kleidet sie mit königlicher Pracht und schmückt sie mit kostbaren Juwelen.«
Der König würde gern noch größere Opfer gebracht haben; denn was es mit dem Zauberpferde für eine Bewandtnis hatte, ahnte er nicht, da er den Entführer der Prinzessin alsbald nach den Gesetzen des Landes hatte töten lassen.
Am folgenden Tage ward das Roß aus der Schatzkammer hervorgeholt und vor dem Palaste aufgestellt. Und weil sich auch gleich die Hochzeitsfeierlichkeiten anschließen sollten, hatte sich der ganze Hofstaat versammelt, und die Stadt stand im Zeichen großer Freude. Die Leibwachen des Königs waren rings um das Pferd aufgestellt, um Unordnungen zu verhüten.
Der König erschien und nahm auf einem erhöhten Thronsessel Platz, um das Schauspiel genau beobachten zu können. Und endlich kam die Prinzessin von Bengalen in Begleitung aller ihrer Frauen und stieg mit Hilfe der Dienerinnen in den Sattel.
Der angebliche Arzt aber ließ Räucherpfannen bringen, zündete das Rauchwerk an und umschritt das Roß damit so oft, daß es wie in eine Wolke gehüllt dastand. Dann schwang er sich hinter die Prinzessin auf des Pferdes Rücken, faßte den Wirbel an und drehte ihn; und während das Pferd sich vor der verblüfften Menge in die Lüfte erhob, rief Prinz Firus mit lauter Stimme:
»König von Kaschmir, wenn du künftig wieder einmal eine Prinzessin heiraten willst, die dich um deinen Schutz anfleht, so vergiß nicht, dir vorher ihr Jawort geben zu lassen!«
Und kaum war der Ruf verklungen, so war das Zauberpferd den Augen der Leute von Kaschmir entschwunden.
Der Prinz von Persien aber hatte seine junge, schöne Braut sich zum andern Male gewonnen, und die Hochzeit wurde nun mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert.