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Der Weg der Nimmerwiederkehr

. Ein Prinz zog eines Tages zur Jagd und sah plötzlich hoch in der Luft einen Vogel mit so glänzendem Gefieder, daß es war, als schösse ein Stern über dem Rande der Wüste dahin.

Augenblicklich zog der Prinz seinen besten Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf den Bogen und – wie ein Sonnenstrahl stieg der Pfeil in die Lüfte.

Aber er fehlte den Vogel.

Und so viele Geschosse er nach ihm sandte, keins erreichte die seltene Beute.

Darüber waren Roß und Reiter sehr müde geworden und zogen nach Hause.

Am anderen Tage ging es wie an diesem ersten, und so noch eine Zeitlang – immer wieder erschien der Vogel, und immer müder kehrten Roß und Reiter erfolglos von der Jagd zurück.

Da saß eines Abends ein greiser Bettler am Wege und sagte zu dem Prinzen: »O mein Sohn, wenn du tausend Meilen weit zögest, ja, wenn du jenem Vogel ein ganzes Jahr lang nachsetzen wolltest, du würdest ihn doch nicht fangen können! Aber bei der Stadt der Kampferinseln ist ein weiter, herrlicher Garten; darin befinden sich viele solcher Vögel, und noch schönere als dieser; etliche von ihnen vermögen sogar mit menschlicher Stimme zu sprechen. Freilich, du bist nicht imstande, jene Stadt zu erreichen! Wenn du indessen diesen einen Vogel aufgibst, um dafür einen anderen der gleichen Art zu suchen, so kann ich dir vielleicht einen zeigen, und du brauchst dich nicht mehr an jedem Jagdtage bis zur Erschöpfung zu ermatten.«

Der Prinz hörte diese Rede mit wachsendem Erstaunen, verabschiedete sich von dem Bettler und beschloß, die Stadt der Kampferinseln zu finden – mochte es kosten, was es wollte.

Endlich erhielt er von seinem Vater die Erlaubnis; er rüstete ein großes Gefolge und zog aus.

Als er einen vollen Monat unterwegs war, gelangte er an eine Stelle, von der drei Straßen ausgingen. Und am Knotenpunkte dieser Straßen erhob sich ein Felsblock, der hatte drei Inschriften. Die erste lautete: »Dies ist der Weg der Sicherheit;« die andere: »Dies ist der Weg der Reue;« und die dritte: »Dies ist der Weg der Nimmerwiederkehr.«

»Auf dem Wege der Sicherheit werde ich nicht viel erreichen,« sagte der Prinz zu sich. »Es ist zwar eine schöne Sache um die Sicherheit, aber wer Heldentaten verrichten will, darf sich nicht an sie halten, sonst kann er niemals Ruhm erwerben. Reue aber ist ein übel Ding – so bleibt mir nur der Weg der Nimmerwiederkehr ... Ich bin doch neugierig, wie die Reise auf diesem vonstatten gehen wird.«

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Zwanzig Tage zog er nun auf diesem Wege vorwärts, da gelangte er zu einer verlassenen und ganz verödeten Stadt. Kein lebendes Geschöpf befand sich zwischen den Trümmerhaufen.

An dieser Stelle lagerte er sich mit seinem Gefolge und befahl, aus der Herde, die sie mit sich führten, fünf Lämmer zu schlachten.

Während sie sich zum Mahle setzten, trottete plötzlich ein wild aussehender Mann durch die Ruinen; dem hingen die Haare in die Augen, dem fielen die Haare rückwärts über die Schultern, der hatte an den Händen Krallen statt der Nägel, und in der Hand trug er eine mächtige Keule.

Der Prinz legte zwar die Hand ans Schwert, aber er ging dem Aun doch einige Schritte entgegen und begrüßte ihn mit freundlichen Worten.

Dazu machte auch der Aun eine freundliche Miene, so freundlich das bei seinem wüsten Aussehen eben gehen mochte, und der Prinz sprach: »Mein lieber Freund, du könntest ein bildhübscher Kerl sein, wenn du dich mal ordentlich baden und dir die Haare säuberlich schneiden lassen wolltest!«

»Ich habe nichts dagegen!« knurrte der Aun.

Da holte der Prinz auch schon seine Schere hervor, stutzte ihm die Haare, daß sein Gesicht frei ward, und beschnitt ihm Bart und Krallen. Darauf hieß er ihn in ein Bad mit warmem Wasser steigen. Und als auch dies beendet war, wurde ihm auf die Strapazen hin ein ganzes gebratenes Lamm vorgesetzt.

Das stimmte sein Herz vollends versöhnlich. Er verschlang den Braten und sprach zu dem Prinzen: »Gutes für Gutes, und Böses für Böses! Du hast mir einen sehr großen Dienst geleistet – also sage mir, was dich in dies unwirtliche Land lockte.«

Da erzählte ihm der Prinz seine Geschichte.

»Hm,« machte der Aun. »Einfach ist die Sache nicht, aber wir wollen sehen, was sich tun läßt! Laß alles, was du an Gefährten, Sklaven, Tieren und Proviant bei dir hast, an dieser Stätte zurückbleiben ... wir beide aber wollen ausziehen – steig also auf meine Schultern!«

Der Jüngling verstopfte seine Ohren rasch noch mit Baumwolle, die ihm der andere reichte, kletterte auf die Schultern, die ihm so willig geboten wurden ... und der Aun stieg mit ihm kerzengerade in die Luft empor.

Nach einer Stunde schwebte er langsam wieder zur Erde herab – da befanden sie sich in der Nähe der Stadt auf den Kampferinseln.

Es lag ein sehr schöner Garten vor ihnen, in dessen Bäumen sangen allerlei Vögel. Der Aun aber sprach:

»Nun geh in den Garten und hole dir den Vogel, den dein Herz begehrt!«

Der Prinz schritt also durch das offene Tor in der Hecke, und nicht lange, so gewahrte er eine Menge Käfige, in denen sich Vögel jeglicher Art, immer zu zweien, befanden.

Er trat heran, und sobald er einen Vogel sah, der ihm gefiel, nahm er zweie der gleichen Art und sperrte sie in einen Käfig – und dies dreimal.

Als er den Garten nun aber verlassen wollte, trat ihm am Ausgange plötzlich der Wächter entgegen und schrie: »Ein Dieb! Ein Dieb!«

Darauf stürzten noch sehr viele Wächter aus den Gebüschen, packten ihn und führten ihn samt dem Käfige zum König der Kampferinseln.

Der hörte die Klage, die man gegen den Prinzen vorbrachte, und sprach: »Wer verführte dich, o Jüngling, den Boden meines Reichs zu betreten und in meinen Garten einzudringen? Du hast dein Leben mit Vorbedacht verscherzt – jedoch: eine Möglichkeit besteht, dich zu retten ...«

»Und die wäre?« fragte der Prinz mutig.

»Geh und hole mir aus der Hauptstadt der Inseln des Sudans Weintrauben aus Diamanten und Smaragden! Dann will ich dir zu deinen Vögeln noch obendrein sechs andere geben!«

Der Prinz sagte, er wolle sich die Sache einmal überlegen, ging zum Aun und erzählte ihm sein Erlebnis.

»Ach,« sagt« dieser, »nichts leichter als das!«

Er nahm ihn alsbald auf seine Schultern, flog mit ihm zwei Stunden durch die Luft und ging auf dem Gelände bei der Hauptstadt der Inseln des Sudans nieder.

Der Prinz war froh, daß er da war, und machte sich augenblicklich auf nach den Gärten, in denen die Diamanten- und Smaragdtrauben wuchsen.

Da vertrat ihm aber ein Löwe den Weg.

Dieser Löwe hatte nämlich die merkwürdige Gewohnheit, alljährlich die Stadt zu besuchen und über alle, die ihm in den Weg kamen, herzufallen.

Als er den Prinzen gewahrte, machte er sich sofort daran, ihn zu zerreißen.

Der aber zückte sein Schwert, daß es in der Sonne glitzerte und schlug ihm den Stahl zwischen die Augen. Sa klaffte das Haupt des Löwen auseinander.

Zu dieser Stunde saß die Tochter des Königs gerade am Fenster in ihrem Gartenhause, und als sie den tapferen Streich des Fremdlings gewahrte, sprach sie zu sich: »Möge deine Hand nie gelähmt werden – und kein Feind wird je über dich frohlocken.«

Danach schritt der Prinz in den Garten und sah, daß alle Bäume aus kostbarem Metall bestanden, und daß sie Trauben aus Diamanten und Smaragden trugen.

Er trat hinzu, schnitt sechs Trauben und barg sie in der Tasche, die er an der Seite trug.

Mit einem Male trat ein Wächter aus dem Gesträuch und schrie: »Ein Dieb! Ein Dieb!«

Darauf eilten noch andere herbei und schleppten den Prinzen vor, den König. Dieser ward so zornig, daß er den Fremdling augenblicklich töten lassen wollte. Aber unter den Fenstern des Schlosses entstand zur selbigen Stunde ein Volksauflauf, und aus tausend Kehlen klang der Ruf: »O König, der Löwe ist erschlagen, der alljährlich in deine Hauptstadt einbrach!«

Darüber ward der König so fröhlich, daß er sprach: »Wer war es, der jener Bestie den Schädel spaltete? Ich schwöre bei dem, der mich als Herrscher über dies Königreich setzte: wer das Ungeheuer fällte, der trete vor mich und verlange eine Gnade von mir! Und wenn er die Hälfte meines Reichtums fordert: ich will's ihm gewähren!«

Darauf zog das Volk in langen Reihen am König vorüber, und einer aus der Menge trat vor und sprach: »Herr König, mit Verlaub ich war es, der den Löwen erschlug!«

Die Tochter des Königs aber schritt in den Saal und rief: »O mein Vater, glaub' ihm nicht! Er lügt! Denn kein anderer befreite das Land von dem Ungeheuer, als jener junge Mann, der in deine Gärten trat und die Edelsteintrauben brach.«

Da ließ der König den Lügner ins Gefängnis werfen, aber dem Prinzen schenkte er das Leben. Dann reichte er ihm die Hand und führte ihn seiner Tochter entgegen, damit er sie zu seiner Gemahlin nähme.

»Hm,« sagte der Prinz, »diese Absicht ist gut; aber ich habe draußen einen Freund, den ich zuvor um Rat fragen will.«

Der König, der ein bedächtiger Mann war, hatte dagegen nichts einzuwenden, und der Aun vor dem Garten hörte sich die Geschichte an und sagte: »In der Tat – nicht schlecht! Aber stell' ihm die Bedingung, daß du deine Gattin nach der Hochzeit mit in deine Heimat nehmen darfst.«

Damit waren der König und die Prinzessin einverstanden, und die Hochzeit wurde mit großer Pracht gefeiert.

Nach dreißig Tagen sollte die Heimfahrt stattfinden, und der König schenkte seinem Schwiegersöhne zum Abschiede hundert Demanttrauben, dann begab sich der Prinz mit seiner jungen Gattin in den Garten, und der Aun lud sich beide auf die Schultern und trug sie vor die Hauptstadt der Kampferinseln.

Als der Prinz die Trauben vor dem Inselkönige niederlegte, wunderte sich dieser nicht schlecht und sagte: »Sicherlich ist dieser junge Mann ein Zauberer; denn wie könnte er sonst einen Raum von dreihundert Jahren in dreißig Tagen durchmessen?«

Er fragte ihn über die Stadt der Inseln des Sudans aus, und als er auf alle Fragen richtige Antworten bekam, wuchs sein Staunen noch mehr, und er sprach: »0 Jüngling, du verdienst alles, was du von mir begehrst!«

Aber der Prinz erwiderte: »Ich begehre nichts als die Vögel, die du mir versprachst!«

Darauf versetzte der König: »Mein Freund, in unsere Stadt kehrt alljährlich ein Geier ein, der kommt aus dem Lande hinter dem Berge Kaf, stürzt sich auf die Bewohner der Stadt herab und schleppt ihrer zehn hinweg, um sie aus dem Berge Kaf zu zerreißen. Wenn du diesen Riesenvogel bezwingst, so will ich dich mit meiner Tochter vermählen!«

Der Prinz entgegnete: »Ich will zuvor meinen Freund um Rat fragen, der vor den Toren der Stadt auf mich wartet.«

Und als er die Geschichte dem Aun erzählte, ward auch schon der Geier sichtbar.

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Kaum aber erblickte ihn der Aun, so stieg er in die Luft und spaltete ihn mit einem Streiche seiner Hand in zwei Teile. Dann kehrte er wieder um, ließ sich auf den Boden nieder und sprach zu dem Prinzen:

»Begib dich nun zum Könige und sag ihm: der Geier ist getötet!«

Der König und die ganze Stadt gerieten darüber in helle Freude. Und weil der Prinz aus jenem Lande stammte, in dem sich ein Mann so viele Frauen nehmen darf, als er erhalten kann, ließ er sich mit der Tochter des Königs trauen. Danach setzten sich alle drei auf den Rücken des Aun; der flog mit ihnen davon und ließ sich sanft bei der Stadt der Ruinen nieder, wo das Gefolge des Prinzen wartete.

Da führte der Aun seinen jungen Freund ein wenig zur Seite und sprach: »O Jüngling, es war mir vom Schicksal bestimmt, dich hier anzutreffen, jedoch habe ich dir noch einen Auftrag zu erteilen.«

»Und der wäre?« fragte der Prinz.

»Fürwahr, du sollst nicht früher von dieser Stätte ziehen, bis du mich gewaschen, eingehüllt und in die Erde bestattet hast.«

Nach diesen Worten stieß der Aun einen lauten Schrei aus, und die Seele entwich aus seinem Leibe.

Darüber wurde der Prinz sehr traurig; aber er und seine Leute verfuhren nach dem letzten Willen des Braven. Dann rüsteten sie sich zur Fahrt und kamen nach zwanzig Tagen wieder zu jenem Felsen mit den drei Inschriften, an dem sich der Weg gabelte.

Dort fanden sie Zelte aufgeschlagen und ein großes Heerlager. Mitten im Lager sah der Prinz seinen Vater; der war mit seinen Soldaten ausgezogen, den Sohn zu suchen.

Als er aber an die Wegscheide gekommen war und die rätselhaften Inschriften las, wußte er nicht, welche Straße er wählen sollte. Darum verblieb er am selbigen Platze und beriet sich an jedem Tage mit seinen Wesiren.

Im Lager aber entstand ein großer Jubel und man feierte Freudenfeste sieben Tage lang.

Danach traten sie den Heimweg an; und weil der König vom vielen Regieren müde geworden war, nahm er die Krone ab und setzte sie seinem glücklichen Sohne aufs Haupt.

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