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Dschanscha

Ein junger reicher Kaufmann zog einst mit seinem Diener auf die Jagd in die Wüste. Nicht lange, so sahen sie eine weiße Gazelle zwischen den Palmen einer Oase schreiten, und diese Gazelle hatte goldene Hufe.

»Auf!« sagte der junge Kaufmann Dschanscha, »auf! dies seltene Wild müssen wir erbeuten!«

Aber als sie dem Tiere nahten, floh es, floh bis zum Strande des Meeres und stürzte sich in die Wogen.

Dschanscha und sein Diener sprangen in ein Fischerboot und verfolgten die Gazelle, aber sie entschwand vor ihren Augen; und als sie um sich schauten, gewahrten sie ganz in der Nähe den Strand einer wirtlichen Insel.

»Komm,« sagte Dschanscha, »an dieser Insel wollen wir landen und uns von der beschwerlichen Jagd ausruhen!«

Sie legten also ihr Boot in eine Bucht und schritten über freundliche Wiesen.

Da kamen sie zu einem Quell und fanden dort einen Mann, der redete zu ihnen in einer Sprache, die klang wie das Pfeifen der Vögel. Deshalb verstanden sie ihn nicht.

Während sie sich noch über seine seltene Sprache wunderten, wendete er sich nach rechts und links, und auf einmal teilte er sich der Länge nach mitten auseinander, woraus seine Hälften nach rechts und links fortgingen.

»Das ist eine sehr merkwürdige Geschichte,« sagte Dschanscha, »hat einer schon so etwas gesehen?«

Gleich darauf kamen von den Hügeln noch viele solcher Leute, sangen wie eine Schar Vögel, und als sie den Quell erreicht hatten, teilte sich jeder von ihnen in zwei Hälften, und diese Hälften stürzten sich auf Dschanscha und seinen Diener, um beide aufzufressen.

Mit knapper Not entkamen sie auf ihr Schiff; das wurde sofort von einem wilden Sturm erfaßt und weit hinaus aufs Meer geworfen.

Am andern Tage gelangten sie zu einer sehr schönen Insel, die glich mit ihren blühenden Gärten dem Paradiese. Die Bäume hingen voller Früchte, und die Bäche hatten helles Wasser, und es lebten viele Fische darin. In der Mitte der Insel lag eine Burg aus weißem Marmor und daneben ein Teich, an dessen Ufern ragte eine prächtige Halle, die wurde von Säulen aus rotem Edelstein getragen. In der Halle aber stand ein Thron aus lauterem Golde.

Dschanscha setzte sich darauf, und obwohl er sich in diesem Augenblick wie ein König vorkam, dachte er mit trauerndem Herzen an seine schöne Heimat.

Mit einem Male erhob sich vom Meere her ein häßliches Geschrei; und als sich Dschanscha umwandte, siehe, da sprang ein Heer von Affen des Weges, und die Affen waren so zahlreich wie die Heuschrecken in einem Schwarme.

Nicht lange, so versammelten sie sich vor der Halle; ein Trupp von ihnen aber trat vor den Thron Dschanschas, und einer der Affen sagte: »Wisse, o Dschanscha, du bist jetzt unser König, und wir sind deine Diener! Iß und trink und befiehl uns – wir gehorchen.«

Und schon trugen andere Affen gute Speisen auf silbernen Tellern herbei und stellten sie auf die goldenen Tische, die in der Halle waren.

Dschanscha ließ es sich schmecken, und als das Mahl beendet war, trat ein Affe herein und sagte: »Herr König, die Pferde sind gesattelt; denn du wirst dir dein Reich besehen wollen!«

Da trat Dschanscha hinaus und sah eine Anzahl riesiger Hunde, die waren so groß wie Pferde und waren gesattelt.

Dschanscha stieg also auf den schönsten der Hunde, etliche der Affen setzten sich auf die anderen, und in rasendem Galopp ging's nun hinab zum Meeresufer.

Da bemerkte Dschanscha zu seinem Schrecken, daß sein Schiff nicht mehr da war.

»Was ist denn mit dem Boote geschehen?« fragte er.

Und einer seiner Begleiter antwortete: »Wisse, o König, als du zu unserer Insel kamst, war es uns klar, daß du unser Herrscher sein würdest; und wir versenkten dein Schiff; denn wir dachten, du würdest damit entfliehen, wenn du uns sähest.«

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»Das ist nicht eben freundlich von euch,« sagte Dschanscha, »in eurem Lande scheinen merkwürdige Gebräuche zu herrschen!«

Und er erkannte, daß es nun kein Mittel gäbe, diesen Affen zu entkommen.

Danach ritten sie weiter und gelangten zum Ufer eines Flusses. Auf der anderen Seite sah Dschanscha ein Heer sehr wunderlicher Gesellen. Die waren nicht größer als die Affen, hatten aber Stier- und Kamelsköpfe und schleuderten von den Hügeln herab Steine, so groß wie die Keulen.

»Was ist das wieder für eine tolle Heerschar?« fragte Dschanscha.

»Wisse, o König, diese Leute sind unsere Feinde, und wir sind zum Kampfe wider sie ausgezogen.«

»Hm,« machte Dschanscha und sann ein wenig darüber nach, was zu tun wäre.

Weil er erkannte, daß er als König keine Furcht haben dürfe, setzte er sich an die Spitze des Affenheeres, sprengte über den Strom und schlug die Feinde in die Flucht.

Darüber erscholl ein großes Siegesgeschrei der Affen, und sie riefen in einem fort: »Hurra, König Dschanscha der Erste! Hurra, König Dschanscha der Große und Siegreiche!«

»Das kann gut werden!« dachte Dschanscha, ritt vor dem Heere den Berg hinauf und kam plötzlich an einen Paß. Davor war eine Marmortafel aufgestellt, und auf der Tafel war mit goldenen Buchstaben geschrieben: »O du, der du in dieses Land kommst, du wirst der König der Affen sein und wirst ihnen niemals entrinnen können – es sei denn auf den Pässen, die im Osten und Westen über dies Gebirge führen! Der Paß im Osten ist drei Monatsreisen lang und leitet dich durch wilde Tiere, böse Geister und allerlei Abenteuer zum Strande des Meeres, das die Welt umgürtet. Der westliche Paß dagegen ist vier Monatsreisen lang und führt dich ins Ameisental; bist du in dieses Tal gelangt, so hüte dich vor den Ameisen; nach zehn Tagen kommst du zu einem hohen Berge, der wie Feuer brennt ...«

»Das ist beides nicht sehr einladend,« dachte Dschanscha, aber er las weiter:

»Von dort wirst du zu einem großen Strome gelangen, der so schnell und blank dahinschießt, daß er die Augen blendet. Jeden Sabbat aber trocknet der große Strom aus, und auf seinem anderen Ufer liegt eine Stadt ...«

An dieser Stelle war die Tafel zerbrochen, und Dschanscha konnte nichts weiter über den Weg und seine Gefahren erkunden.

Lange Wochen sann er nun nach, welchen Paß er wählen sollte, um dem Lande der Affen zu entrinnen; denn es war ihn eine große Sehnsucht nach dem Reiche der Menschen angekommen.

Endlich fand er eine Gelegenheit, zu entwischen.

Er ging also mit seinem Diener bei der Nacht fort, wählte den westlichen Paß und war gerade zum Tore des Tales der Ameisen gelangt, als er das Affenheer hinter sich heulen hörte.

Mit einem Male aber brachen die Ameisen aus den Schluchten hervor und schlugen die wütenden Affen in die Flucht; denn es waren keine gewöhnlichen Ameisen, sondern sie waren so groß wie die Hunde.

Dschanscha und sein Diener eilten vorwärts, während die Tiere noch miteinander kämpften; und sie waren eben an den Strom gekommen, da merkten sie, daß die Schlacht für die Ameisen eine üble Wendung genommen hatte: die Affen waren Sieger geblieben und drangen nun vor, ihren entflohenen König zu töten.

Ein ganz alter Affe, der so große Stoßzähne hatte wie ein Elefant, stieß den Diener damit zu Tode, Dschanscha aber sprang in den Strom und erreichte schwimmend eine kleine Insel.

Dort blieb er und verbarg sich; denn die reißenden Schnellen des Flusses hätten ihn verschlungen. Als aber der Sabbat gekommen war, trocknete der Strom aus, und Dschanscha konnte ans andere Ufer wandern.

Dort lag die Stadt, von der die Tafel auf dem Gebirge erzählt hatte, und der bedauernswerte König der Affen erfuhr zu seinem großen Schmerze, daß seine Heimatstadt nicht weniger als zwei Jahresreisen von diesem Orte entfernt lag.

Weil er nicht wußte, wie er ohne Geld, ohne Reittier und ohne Schiff eine so lange Reise unternehmen sollte, irrte er durch die Gassen und hörte mit einem Male einen Ausrufer, der schrie:

»Wer will sich tausend Goldstücke und ein Segelschiff verdienen? Er soll zu meinem Herrn eilen und eine Arbeit verrichten, die morgens beginnt und zur Mittagstunde bereits getan ist.«

»Ei,« dachte Dschanscha, »das trifft sich gut! Tausend Goldstücke und ein Segelschiff könnte ich gerade brauchen. Höre, Ausrufer, ich will diesen Dienst deinem Herrn verrichten.«

Der reiche Kaufmann hieß Dschanscha willkommen und führte ihn in ein prachtvolles Zimmer. Dann bekleidete er ihn mit einem kostbaren seidenen Anzug und sagte: »Ich wünsche, daß du nun an deine Arbeit gehst.«

Es wurden zwei Maultiere vorgeführt, und der Kaufmann ritt mit Dschanscha vom Morgen bis zur Mittagszeit; da gelangten sie zu einem unendlich hohen Berge. Dort mußte Dschanscha sein Tier schlachten und in den Bauch des getöteten Tieres kriechen, und der Kaufmann nähte die Öffnung wieder zu.

»Nun warte eine Weile,« rief der Kaufmann draußen, »sieh dich gut um, und erzähle mir dann, was du in deiner dunklen Kammer wahrgenommen hast!«

»Das ist eine sehr schwierige Sache,« antwortete Dschanscha, »denn es ist hier so finster, daß ich ja nicht einmal die Hand vor den Augen sehe!«

»Ach, du gewöhnst dich an die Finsternis, gib nur schön acht, damit dir nichts entgeht!« rief der listige Kaufmann zurück.

Da kam auch schon ein mächtig großer Vogel geflogen, schlug seine Fänge in das verendete Tier und trug es samt dem unglücklichen Dschanscha auf den sehr hohen Berg.

Dort machte sich der Vogel daran, das Fleisch des Maultieres zu verzehren, als Dschanscha auf einmal herauskroch. Der Vogel aber erschrak darüber und rauschte davon.

Nun sah sich Dschanscha auf dem Gipfel des Berges um und bemerkte zu seinem Entsetzen viele gebleichte Knochen von Menschen. Unten am Fuße des Berges aber stand der Kaufmann und rief: »Mein Freund, wirf mir etliche von den Steinen herab, die rings um dich her liegen! Dann will ich dir den Weg zeigen, auf dem du wieder herabkommen kannst!«

Da warf ihm Dschanscha zweihundert Steine hinunter, große blitzende Edelsteine, die leuchteten wie gefallene Sterne.

Der Kaufmann sammelte sie, danach setzte er sich aus sein Tier und ritt schleunigst von dannen.

»O du Betrüger, o du Spitzbube!« schrie der arme Dschanscha hinter ihm drein. Aber es nützte ihm nichts: der andere schaute sich nicht einmal nach ihm um.

Drei Tage lang verweilte Dschanscha nun auf dem Gipfel des Berges, aß von dem rohen Fleische des Maultieres, das in der Sonne dörrte, und machte sich endlich auf zur Wanderung durch das Berggelände.

Zwei Monate irrte er umher und nährte sich von Gräsern, Wurzeln und Beeren. Endlich kam er in eine Landschaft, die war mit Fruchtbäumen bestanden, und allerlei schöne Vögel sangen im Laubwerk.

Nicht lange, so fand er eine Hütte; davor saß ein Einsiedler in der Sonne. Der ließ sich die wunderbare Geschichte erzählen, die Dschanscha erlebt hatte, gab ihm zu essen und sagte: »Ich bin der Scheich Nasr, der König der Vögel.«

»Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen!« erwiderte Dschanscha.

Und der Scheich sprach: »Alljährlich kommen alle Vögel der Erde an diesen Platz und werden von mir gemustert; du kannst nicht früher von hinnen, als bis die Vögel da sind. Dann will ich einem befehlen, daß er dich in dein Land trage. Bis dahin bleibe bei mir in meinem Schloß, iß und trink und besieh dir die Zimmer meines Palastes!«

Dschanscha hörte diese Rede und dachte: »Der Alte ist irr; denn wie könnte er sonst seine armselige Hütte einen Palast nennen?«

Als er sich aber umwandte, siehe, da war die Hütte nicht mehr da, sondern ein Schloß erhob sich an ihrer Stelle, das war so kostbar und leuchtend von Gold und Edelsteinen, als wäre es aus Morgenröte und Sternen gebaut.

»Ah!« sagte Dschanscha in höchstem Staunen.

»Du brauchst dich darüber nicht zu wundern,« entgegnete der Scheich Nasr, solche Kleinigkeiten schaffe ich nach meinem Belieben, und ein Gedanke würde genügen, die alte, verfallene Hütte wieder an die Stelle jenes kostbaren Schlosses zu setzen. Nun aber nimm diese Schlüssel, öffne damit die Zimmer meines Palastes und schaue dich in allen um. Doch hüte dich, die Tür zu dem Gemach im rechten Eckturm aufzuschließen; denn es würde dir sehr schlecht ergehen, wenn du ungehorsam wärest und in jenes Zimmer eindrängest.«

Danach erhob sich der Greis und ging den Vögeln entgegen.

Dschanscha aber wanderte nach rechts und nach links durch das Schloß, bis er schließlich zu der Tür gelangte, die ihm Nasr zu öffnen verboten hatte.

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»Dieses Zimmer ist sicherlich noch schöner als alle anderen,« sagte er zu sich. »Was mag wohl darinnen verborgen sein? Ich muß unbedingt hineingehen – es wird mir weiter nichts schaden.«

Und schon hatte er den Schlüssel in das Schloß gesteckt, drehte ihn um und die Tür sprang auf.

Da sah er einen Teich, der hatte helles, glänzendes Wasser. Und daneben stand eine wunderschöne Halle, die war aus Gold, Silber und Kristall erbaut. Der Boden war mit Platten aus Rubinen und Smaragden belegt. Inmitten ragte ein goldener Springbrunnen, der war von silbernen Vögeln und wasserspeienden Tieren umgeben. Und wenn ein Wind säuselte, flöteten alle die Vögel in ihren Melodien. Neben dem Springbrunnen stand an erhöhter Stelle ein Thron, über den war ein Himmel aus blauer Seide gespannt, und die Seide war mit Perlen und Edelsteinen gestickt.

Dschanscha, der vom vielen Schauen müde geworden war, setzte sich auf den Thronsessel und schlief beim sachten Rauschen des Wassers ein. Als er erwachte, schossen mit einem Male drei weiße Tauben durch die Luft, setzten sich auf den Rand des Brunnens und ließen sich das Gefieder besprengen. Dann schüttelten sie sich die Tropfen ab, aber – o Wunder, die Federhüllen fielen zugleich mit hernieder, und drei junge schöne Mädchen sprangen in fröhlichem Spiel um den Brunnen.

Die eine der Jungfrauen hatte Haare wie Mondschein, die andere wie das Licht der Sonne, und der dritten rann es vom Scheitel, hell wie der Strahl des Gewässers aus der goldenen Schale.

Jede war mit einem leichten Schleiergewande gekleidet: die eine seegrün, die andere pfirsichrosa, die dritte himmelblau. Und sie waren von einer Schönheit, daß Dschanschas Augen in Verwunderung sprachen: »Keine dieser Jungfrauen heißt die Erde ihre Heimat! Wahrscheinlich sind sie von einem jener goldenen Sterne des Himmels gekommen, auf denen das ewige Glück wohnt.«

Weil er sich dessen vergewissern wollte, rief er: »Wer seid ihr, holdselige Mädchen? Und woher kommt ihr?«

»Nicht die Erde ist unser Reich!« sprach die eine.

»So habt Mitleid mit mir! Errettet mich aus dieser Fremde und führt mich zurück in meine Heimat! Du aber, du schönste mit den silbernen Haaren, sei mein Weib, wenn wir uns in das Haus meiner Väter gefunden haben!«

Die Jungfrau lachte und sagte darauf ernst: »Wie redest du so vermessen, o Jüngling! Schließe deinen Mund und deine Augen und vergiß uns – wie könnte eine von uns ihr Glück bei dir finden, da du nicht einmal gehorchen gelernt hast?«

Dann schlüpften sie wieder in ihre Federkleider und flogen als weiße Tauben davon.

Der Scheich Nasr hatte inzwischen an seinen Gast gedacht und ging durch das Schloß, ihn zu suchen.

Da fand er die verbotene Türe offen und sah Dschanscha mit traurigem Antlitz auf dem goldenen Stuhle sitzen.

»Mein Sohn,« sagte er vorwurfsvoll, »habe ich dich nicht gewarnt, diesen Raum zu betreten? Wahrscheinlich wird es für dich nun keine Rettung geben; aber erzähle mir, was dir inzwischen begegnet ist.«

Als der Alte die Geschichte vernommen hatte, zog er die Achseln und fuhr fort: »Diese Mädchen sind Töchter der Geister; sie sind wieder in ihre Heimat entflogen, aber ich weiß nicht, wo ihr Land liegt. Erst in einem Jahre kehren sie zurück – und dieses lange Jahr mußt du nun hier in meiner Einsamkeit verbringen, wenn du sie Wiedersehen willst.«

»O,« erwiderte Dschanscha und dachte mit Freuden an die Schönheit der Jungfrauen, »ich will mich ein Jahr lang gern gedulden! Sag mir nur, ob es möglich ist, daß ich eines der Mädchen zum Weibe nehmen kann.«

»Hm,« sagte der Greis, »wenn die Tage ihrer Wiederkehr nahen, so verstecke dich in dem Garten unter einem Strauch. Sobald sie ihre Federkleider abgeworfen haben und den Brunnen im Spiel umtanzen, springe hervor und raube das Gefieder jener, die du am liebsten hast; das verbirg unter deiner Achsel und dann rufe mich. Ich werde in jenem Augenblick erfahren können, ob es möglich ist, dich und sie in deine Heimat zu schicken.«

Damit gab sich Dschanscha zufrieden, wartete ein Jahr auf der Höhe des Berges, auf dem nun wieder die arme Hütte stand, und zählte in Trübsal die Tage, die noch bis zur Wiederkehr der Vögel vergehen mußten.

Als der Zeitpunkt endlich genaht war, erhob sich wieder das schöne Schloß an Stelle der Hütte, und Nasr gebot dem Jüngling: »Tue nun, was ich dir geheißen habe; ich aber gehe jetzt den Vögeln entgegen.«

Da gehorchte Dschanscha.

Und als er einen Tag lang in seinem Verstecke verborgen gewesen war, siehe, da flogen die weißen Tauben heran; die waren diesmal groß wie die Adler.

Es geschah nun alles wie im Jahre vorher; während die Schwestern aber um den Brunnen tanzten, sprach die eine: »Mir ist so bange. Ich glaube, es hat sich jemand im Garten versteckt.«

Da sprang Dschanscha auch schon aus dem Strauche hervor, raubte das Federkleid der Jungfrau im seegrünen Schleier, die die Haare aus Mondschein hatte, und verbarg es unter seiner Achsel.

Ein Schrei des Entsetzens erklang, und die Jungfrau, der das Federgewand gestohlen war, fing an zu bitten und sagte: »Lieber Jüngling, übe Barmherzigkeit und gib mir mein Eigentum zurück!«

Aber wie sie schmeichelte und was immer sie zu ihm sprach, Dschanscha dachte des Befehls, den ihm Nasr gegeben hatte, und blieb fest.

Dann rief er den Scheich, der trat ein und sprach:

»Jungfrau, wende dich nicht von diesem Jüngling; er wird ein König auf Erden sein und ein großes Land beherrschen, wenn du als seine Gemahlin ihm folgst!«

Dschanscha hörte diese Worte mit großem Erstaunen; denn er konnte sich nicht denken, daß sie Wahrheit werden sollten.

Der Alte aber ließ sich von der Jungfrau das Versprechen geben, Dschanscha zu folgen und niemals Verrat an ihm zu üben.

Und so sprach Valada, denn das war der Name der Jungfrau: »Bei meiner himmlischen Herkunft, ich will dieses Mannes Gattin werden und ihm zu den Menschen folgen, und ich will bei ihm wohnen – bis an die Tore des Todes.«

Scheich Nasr glaubte diesem Gelöbnis und sprach: »So ist eure Sache ins reine gebracht, und wenn ihr Lust habt, dürft ihr mein Reich verlassen. Du aber, Dschanscha, gib Valada ihr Federkleid.«

Da zog sie dies Kleid an und sprach zu Dschanscha: »Nun setze dich auf meinen Rücken und schließe deine Augen und verstopfe deine Ohren, damit du das Singen der kreisenden Sterne nicht hörst; halte dich an meinen Federn fest und gib wohl acht, daß du nicht herunterfällst!«

Scheich Nasr aber sprach zu Dschanscha: »Ich habe dir gesagt, du würdest ein König sein, der über ein großes Reich herrscht. So flieget in das Land Kabul und nehmt dahin den Weg über die sieben weißen Berge und die neun grünen Ströme. Und flieget drei Tage, ohne euch umzuschauen, sonst würdet ihr den Weg nach Kabul verfehlen.«

Dann entschwebte Valada mit ihrer Bürde, und nach drei Tagen sahen sie die Wegzeichen, die ihnen Nasr beschrieben hatte.

Dann ließ sich Valada auf ein sehr schönes Land nieder, schlüpfte aus ihrem Federkleide und erging sich neben ihrem Verlobten in blühenden Gärten.

Nicht lange, so kam ein prächtiger Reiterzug des Weges; goldene Trompeten schmetterten ihm vorauf, und als diese schwiegen, riefen die Reiter: »Heil unserem König Dschanscha! Heil dem neuen König von Kabul!«

Dann bestiegen Dschanscha und Valada zwei schneeweiße Rosse und sprengten vor dem Reiterzuge in die Stadt mit den goldenen Toren, die hinter den Gärten lag.

Fahnen wehten von den Dächern; Kränze hingen an den Häusern; die Straßen waren mit Himmeln aus Seide überspannt – es war eine Herrlichkeit ohnegleichen.

Die Großen des Reiches brachten dem neuen König und seiner Gattin ihre Huldigungen und Geschenke. Die Armen wurden gespeist. Die Freudenfeste dauerten zehn Tage, aber der schönste von allen war der Hochzeitstag des Königspaares.

Nachdem der Jubel verrauscht war, schickte König Dschanscha zu den Bauleuten und befahl ihnen, in den schönen Gärten einen Palast zu errichten.

Zehntausend Hände begannen sich alsbald zu regen.

Als Grundstein des Baues wurde ein mächtiger Marmorblock gewählt; der wurde ausgehöhlt wie eine Kiste, und hineingelegt wurde das Federkleid der jungen Königin.

Dann wurden Säulen daraufgestellt, Bogen wurden über die Säulen gewölbt, und als das Schloß fertig dastand, da war es ein prächtiger, von Bächen und Brunnen umspülter Palast. Der war schöner als alle Schlösser der Erde.

Nicht lange wohnte Valada darin, als sie den Duft ihres Federkleides verspürte. Und eine heftige Sehnsucht nach ihrer Sternenheimat mit den goldenen Wäldern ergriff ihr Herz.

Da ward ihr, als sähe sie von ferne die Tore des Todes. ...

Immer, wenn die Nacht über der Welt lag, wachte Valada und grub heimlich nach ihrem Zaubergewande, bis sie auf den Schrein aus Marmor stieß. Und eines Tages nahm sie das Kleid heraus, schlüpfte hinein und entschwebte in seligem Glücke nach ihrer himmlischen Heimat.

Einmal noch kehrte sie zurück, als Dschanscha voll Trauer in seinen Gärten wandelte, und sie rief: »O Dschanscha, es ist nicht gut für einen Erdenmann, ein Weib zu besitzen, das aus der Sternenheimat stammt! Du wärst nicht fröhlich geworden an meiner Seite, und ich hätte nicht leben können auf deiner Erde, und wenn du mir gleich alle Schätze der Welt geboten hättest. Du mußt mich vergessen, wenn du glücklich sein willst – vergessen – vergessen!«

»Wie sollt' ich dich vergessen können, mein Weib, du meine schöne Königin?« sagte Dschanscha in tiefem Schmerze.

»Warte sieben Jahre, dann wird es dir gelingen! Diese sieben Jahre werden voll Trauer sein – und diese Trauer ist die Strafe dafür, daß du ungehorsam einkehrtest in jenem Gemach auf dem Berge, das dir zu öffnen verboten war. Sei froh, daß Scheich Nasr einen solchen Weg für dich gefunden hat! Wärest du ihm noch einmal ungehorsam gewesen, dann hättest du in der Einöde der Gipfel jämmerlich verschmachten müssen.«

Damit entflog Valada; und Dschanscha ward ein stiller, weiser König, der seinem Schmerze und seinem Volke lebte viele Jahre.

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