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Asem und die Königin der fliegenden Inseln

. Im Morgenlande lebte ein junger Mann, der hieß Asem, und er war von Beruf ein Färber. Trotz seiner Jugend hatte er doch schon den Ruf großer Klugheit errungen.

Eines schönen Tages trat ein sehr reich gekleideter Herr in Asems Laden und sagte: »Ihr seid zu weise für ein solches Gewerbe! Wenn sich Euch ein Mittel darböte, schnell Euer Glück zu machen, würdet Ihr es wohl annehmen?«

»Aber warum sollte ich mich denn weigern?«

»So seid morgen früh bei guter Zeit wieder in Eurem Laden; ich werde auch herkommen.«

Mit diesen Worten nahm der Fremde Abschied von Asem; aber als dieser seiner Mutter erzählte, was ihm begegnet war, warnte sie ihn sehr eindringlich und sagte: »Bist du nicht reich genug, da du unsere Bedürfnisse bestreiten kannst? Die Gier nach Gold hat schon viele ins Verderben gestürzt.«

Asem versprach der alten Frau, auf der Hut zu sein, und am Morgen traf er mit dem Fremden zusammen. Der erbat sich ein Stück schlechtes Metall, bestreute es mit einem gelben Pulver, sprach dazu ein paar geheimnisvolle Worte und warf es in einen Tiegel über dem Feuer.

Nach kurzer Zeit nahm er das Gefäß von der Flamme und ließ den erstaunten Asem einen Barren reinen Goldes sehen.

»Ich hoffe, Ihr seid nun überzeugt von meiner Kunst,« sagte er, »heute abend will ich mit Euch essen und will Euch mein Geheimnis verraten.«

Der Alchimist sorgte für den Wein, und als sie sich bei Einbruch der Nacht zu Tische gesetzt hatten, hieß er den armen Asem so viel trinken, daß der bald auf dem Wege zu einem guten Rausche war.

Wie ihm so die Sinne allgemach schwanden, warf ihm der Gast ein Pulver in den Wein. Davon fiel Asem in einen tiefen Schlaf; und kaum war er auf das Lager gesunken, da erschienen vier Diener des Fremden und steckten den Schläfer in eine sargähnliche Kiste.

Diese Kiste wurde noch in der Nacht an Bord eines Schiffes gebracht, welches im Grauen des Tages die Anker lichtete und in die hohe See stach.

Als keine Gefahr mehr war, daß Asem entkommen konnte, träufelte ihm der Alchimist einige Tropfen einer Flüssigkeit in die Nase. Davon mußte der Schläfer niesen und erwachte.

Aber wie bereute er, daß er dem klugen Rate seiner Mutter nicht gefolgt hatte!

Nach etlichen Wochen erreichten sie ein einsames Land; der Magier und Asem verließen das Schiff, und als sie sich ein Stück vom Strand entfernt hatten, zog der Alte eine kleine Trommel mit zwei Stöcken unter seinem Kleide hervor, wirbelte einen Marsch, und alsbald erhob sich ein wütender Sturm in der Wüste. Eine Staubsäule wirbelte daher, aber die Säule zerteilte sich, und drei Kamele schritten daraus hervor, die waren mit allen Vorräten zu einer langen Reise beladen.

Der Magier sagte, Asem solle ihn von nun an mit dem Namen Baram rufen; dann bestieg jeder ein Kamel, das dritte trabte nebenher, und so durchquerten sie die Wüste.

Am neunten Tage erblickten sie in der Ferne ein sehr schönes Schloß. Sobald der alte Magier die Türme erkannte, lenkte er vom Wege ab und trieb die Kamele zu schleuniger Flucht vorwärts.

Nach einigen Tagen kamen sie in ein sehr hohes, sehr starkes und sehr finsteres Gebirge. Eine tiefe Kluft trennte sie davon, und Asem erkannte, daß keine Möglichkeit sei, die schwarzen Berge zu besteigen.

Baram schlachtete das Lastkamel, weidete es aus und befahl Asem, in die Höhle des Bauches zu kriechen.

»Ich werde die Haut wieder zunähen,« sagte er, »aber ich will ein Loch lassen, damit du nicht erstickst. Nicht lange, und ein ungeheuer großer Vogel, der Roch, wird herbeikommen, das Tier mit seinen Klauen packen und dich auf den Gipfel des Berges tragen. Sobald du spürst, daß er dich niedergelegt hat, schlitze die Haut des Kamels auf und springe hervor. Dein plötzliches Erscheinen wird den Vogel so erschrecken, daß er davonfliegt. Alsdann fülle den Sack, welchen ich dir mitgebe, schnell mit dem schwarzen Staube, den du auf dem Berge finden wirst, knüpfe ihn an das Ende des Seiles, das ich in der Haut des Kamels verberge, und laß ihn herunter. Hierauf kannst du dich selbst anschleifen und auf dem gleichen Wege herabgleiten. Dann wollen wir uns wieder auf die Heimreise begeben.«

Asem ließ sich also in die Kamelhaut einnähen, der Vogel Roch kam und trug ihn auf den schwarzen Berg, der Befreite verscheuchte den Roch, sammelte den Staub in den Sack und ließ diesen am Stricke herab.

Aber kaum hatte Baram das Seil ergriffen, als er mit all seiner Kraft daran zog, um Asem herabzureißen und zu zerschmettern. Da mußte Asem das Seil fahren lassen, um wenigstens für den Augenblick sein Leben zu retten.

Als er ihn um Mitleid anflehte, denn er sah seinen Tod vor Augen, höhnte ihn Baram und rief: »Gott verhüte, daß ich ein solcher Narr sei, einen Menschen mit mir zu nehmen, der mein Geheimnis verraten könnte! So wie dir ist es schon vierzig anderen ergangen, und nun bereite dich zu einem vergnügten Sterben.«

Dann schwang er sich auf sein Kamel und verschwand in der Wüste.

Asem sah die Nacht hereinbrechen und suchte sich zwischen den Felsblöcken ein Lager.

Als der Tag graute, ringelte sich eine riesige Schlange zwischen den Steinen daher, die den Verlassenen verschlingen wollte.

Asem, dessen Entsetzen aufs höchste gestiegen war, erfaßte seinen Dolch und stieß ihn dem Ungeheuer in den Nacken, und die Schlange war auf der Stelle getötet.

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Die ihm den Untergang gedroht hatte, ward seine Rettung; denn die Größe des gefräßigen Tieres brachte ihn auf den Gedanken, ihm den Balg abzuziehen und daraus lange Riemen zu schneiden; damit wollte er sich vom Felsen herablassen.

Er machte sich auch sogleich ans Werk und kam damit zustande.

Nach einigen Versuchen glitt er an dieser Leine aus Schlangenleder hinab und wanderte fort bis zum Abend.

Neun Tage lang nährte er sich von den Früchten, die ihm die Stauden am Wege boten; da erblickte er wieder das schöne Schloß, vor dem der Magier geflohen war. Goldene Säulen trugen glänzende Dächer, und zahllose Vögel füllten die Gärten ringsumher mit ihrem Gesange.

Asem schritt durch einen herrlichen Vorhof, trat in einen Saal und fand zwei junge schöne Mädchen beim Schachspiel.

Und als er sie fragte, ob er hier bleiben könne, sagten sie mit Freuden ›ja‹ – doch müsse er ihnen helfen, die Arbeiten im Palaste zu verrichten.

Dazu war Asem gern bereit.

Eines Tages sah er in den Gärten einige Gespielinnen jener Mädchen, die von weither gekommen waren. Sie trieben goldene Bälle und silberne Reifen über das kurze Gras, und eins dieser fremden Mädchen gefiel Asem so gut, daß er sagte: ohne die schöne Jungfrau wolle er hinfort nicht leben.

Da sprach die eine seiner Freundinnen: »Diese Schöne ist die Königin der fliegenden Inseln. Auch sie wird gern dein Weib werden, wenn es dir gelingt, ihren Schleier zu rauben, den sie ins Gras gelegt hat; denn dann muß sie hier im Schlosse bleiben.«

Das ließ sich Asem nicht zweimal sagen; er brachte den Schleier an sich, und weil die junge Königin der fliegenden Inseln gar nicht betrübt über den Raub schien, so wurde die Hochzeit noch am selbigen Tage gefeiert.

Als sie in seligem Glücke einige Jahre im Schlosse gelebt hatten, wurde Asem von einer großen Sehnsucht nach seiner Mutter und seiner Heimat befallen. Er wußte seine Gattin zu überreden, ihm zu folgen, und so beschlossen sie die Reise. Zwar waren die schönen Mädchen des Schlosses sehr betrübt, weil die beiden sie verlassen wollten, aber die kindliche Liebe Asems zu seiner Mutter rührte sie.

Am Morgen des Reisetages schlugen sie auf eine kleine Trommel, und in dem gleichen Augenblicke standen mehrere Kamele vor dem Palast; die waren entweder schön aufgezäumt, oder sie trugen Geschenke aller Art. Auch war ein starkes Gefolge von Sklaven bei den Tieren, und wie die Karawane eines reichen Kaufherrn zogen Asem, seine Gemahlin und die Sklaven auf den Kamelen von dannen. An der Küste trafen sie ein Schiff, und ein günstiger Wind führte sie in kurzer Zeit in die Vaterstadt Asems. Wer vermöchte die Freude zu schildern, die die greise Mutter empfand, als sie ihren verloren geglaubten Sohn in die Arme schloß!

Überschüttet von Liebe und Glück, war Asem damals einer der reichsten Einwohner seiner Stadt; aber als drei Jahre verflossen waren, erinnerte er sich des Schlosses an der Wüste, und er nahm sich vor, ihm einen Besuch abzustatten. Ehe er jedoch reiste, gab er den Schleier seiner Gemahlin in die Hände seiner Mutter und sagte: »Wenn du ihr diesen Schleier ließest, würde sie von einer unwiderstehlichen Sehnsucht nach der fliegenden Insel getrieben werden. Hüte darum den Schleier wohl; wenn ich glücklich heimgekehrt bin, will ich selbst mit meiner Gattin in ihre Heimat reisen. Dürfte sie aber allein gehen, so würde ich sie auf ewig verlieren und ihre beiden Kinder würden verwaist um sie trauern.«

Die Mutter versprach, den Schleier sorgsam zu hüten. Dann reiste Asem zum Schloß in der Wüste.

Nach einigen Tagen nahm seine Gattin ein Bad an jener Stelle, an der auch die Frauen vom Hofe des Sultans zu baden pflegten. Und als sie die schönste aller Frauen sahen, konnten sie ihre Augen an der Blüte ihrer Jugend nicht sättigen und geleiteten sie nach Hause.

Sobeide, die Gemahlin des Sultans, war über diese Nachricht sehr erstaunt und hatte Lust, Asems Gattin zu sehen. Sie ließ sie holen.

Als sie bei ihr eintrat, richtete die Sultanin ihre erstaunten Augen auf sie und sprach: »In welchem Lande ist eine so himmlische Schönheit geschaffen worden?«

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»Fürstin,« erwiderte sie, »wenn Ihr mich schon in diesen einfachen Kleidern schön findet, was würdet Ihr sagen, wenn Ihr mich in meinem Schleiergewande sähet!«

Sobeide befahl der Mutter Asems, auf der Stelle hinzugehen und den Schleier zu bringen. Bei diesen Worten zitterte die Alte; denn sie dachte an ihr Versprechen; aber sie wagte nicht, Einwendungen dagegen zu machen, ging traurig nach Hause und brachte das verhängnisvolle Gewand.

Sobeide betrachtete das feinste aller Gewebe lange und bewunderte es; denn es war von ungeahnter Herrlichkeit.

Die Gattin Asems aber, als sie den Schleier in ihren Händen fühlte, konnte ihre Heimatsehnsucht nicht mehr zügeln, nahm ihre Kinder in ihre Arme, warf sich das Gewand über und entschwand vor den erstaunten Augen der Sultanin und ihres Hofstaates in den Lüften. Von weither rief sie zurück: »Lebt wohl, liebe Mutter! Tröstet meinen Gemahl! Ich werde nie aufhören, ihn zu lieben, aber die Sehnsucht nach meiner Heimat zwingt mich, ihn zu verlassen. Wenn er nicht ohne mich leben kann, so soll er mich auf den fliegenden Inseln suchen! Ade! Ade!« –

Während diese Dinge sich zutrugen, gedachte Asem seiner Gemahlin, schied aus dem Schloß an der Wüste und kehrte in seine Vaterstadt zurück. Er fand seine Mutter in bitteren Tränen.

»Was ist geschehen?« rief er in banger Ahnung. »Wo ist meine Frau? Wo sind meine Kinder?«

In tiefer Reue erzählte die Mutter alles, und Asem ergab sich seinem fassungslosen Schmerze.

Dann faßte er den Entschluß, sein Weib und seine Kinder aufzusuchen, aber man stellte ihm vor, daß er die fliegenden Inseln erst in sieben Jahren erreichen würde. Doch nichts konnte ihn von seinem Vorsatz abbringen. Er reiste zunächst zum Palast an der Wüste und fragte dort um Rat. Auch jene beiden Schwestern, die er zuerst gesehen hatte, suchten ihn zurückzuhalten. Umsonst. Sie wiesen ihm also den Weg, und am zehnten Tage seiner Wanderung kam er an eine Straßenkreuzung. Dort erblickte er drei Männer, die in heftigem Streit miteinander lagen und ihn anriefen: »Heda, junger Mann, kommt näher; Ihr sollt der Schiedsrichter in unserem Streite sein.«

Dann zeigten sie ihm eine Kappe, eine Trommel und einen Ball, und einer sprach zu ihm:

»Wir sind drei Brüder, die von ihren Eltern diese drei Dinge als Erbteil erhalten haben; nun wissen wir nicht, welches Stück dem einen, welches dem andern gehören soll. Darum: teilt jedem sein Los zu, und bei Eurer Entscheidung wollen wir uns beruhigen.«

»So sagt mir zuvor, welchen Wert die Stücke haben!« sprach Asem.

»Diese Kappe hat die Kraft, unsichtbar zu machen. Wer sie aufsetzt, kann überall eintreten, er kann die Schändlichkeiten der Bösewichter entschleiern – kurz, er erfährt alle Geheimnisse, die er zu wissen wünscht. – Die Trommel aber befreit den, der sie besitzt, aus jeder Gefahr; alle Geister stehen ihm zu Dienst, wenn er auf die Schriftzeichen schlägt, die darin eingegraben sind. – Wer aber den Ball hat, kann sich in jedem Augenblicke von einem Ende der Erde zum anderen versetzen; er vollendet in zwei Tagen einen Weg von sieben Jahren.«

»Hm,« sagte Asem, »erzählen könnt Ihr mir das wohl, aber könnt ihr die Wahrheit Eurer Reden auch beweisen?«

»So versucht die Kräfte dieser Wunderdinge,« sprachen die Brüder, »und wenn wir ehrlich geredet haben, so kehrt zu uns zurück und fällt Eure Entscheidung.«

Asem setzte also die Kappe auf den Kopf, knüpfte die Trommel an seinen Gürtel, warf den Ball, der an einem Faden hing, auf den Boden, sprach den Ort aus, zu dem er wollte, und der gehorsame Ball rollte sogleich vorwärts und durchflog mit ihm den Raum in Windesschnelle.

Endlich hielt er vor dem Tore eines großen Hauses. Asem ergriff seine Trommel, schlug die Zauberzeichen, und eine Stimme ließ sich aus dem Hause hören, die sprach: »Du hast gesiegt, Asem, und du hast einen Teil der Schwierigkeiten überwunden. Aber es warten deiner noch mancherlei Gefahren und Prüfungen. Verbirg deinen Ball!«

»Wer bist du, der also zu mir spricht?«

»Ich bin einer der Geister, die der Trommel dienen. Setze deine Fahrt fort; denn du bist noch drei Jahresreisen von den fliegenden Inseln entfernt.«

Asem verlor den Mut nicht und gelangte nun in eine Wüste, die wimmelte von Schlangen, Drachen und andern wilden Tieren.

Da besann er sich auf seine Kappe und durchschritt so die grauenvolle Gegend ohne Gefahr.

Dann kam er zum Strande eines Meeres und sah in der Ferne die Berge der fliegenden Inseln; die standen im Lichte der untergehenden Sonne, als wären sie von Gold.

Asem, der nicht wußte, wie er über dies weite Meer kommen sollte, rief mit Hilfe der Trommel den Geist.

»Was willst du?«

»Sage mir, wie ich die See überschreite!«

»Das kannst du nicht ohne die Hilfe jenes Einsiedlers, der am Rande der Wüste wohnt. Nimm deinen Ball und fahre zu ihm!«

Asem setzte seinen Ball in Bewegung und wurde alsbald zur Wohnung des Eremiten geführt. Der empfing ihn sehr freundlich und sagte: »Was bewegt dich, mein Sohn, eine so schwierige Reise zu unternehmen?«

Asem erzählte alles und fragte nach dem Mittel, über das Meer zu gelangen.

»Da wirst du noch viel Mühsale zu bestehen haben,« antwortete der Greis; »morgen wollen wir auf einen hohen Berg steigen, und dann sollst du das Meer übersehen.«

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Am andern Tage reisten sie zu dem Berge und kamen in einen Hof, darin stand ein riesengroßes Bild aus Erz. Mehrere Röhren gingen davon aus und gossen Wasser in ein weites Marmorbecken.

Der Einsiedler zündete ein Feuer an und warf einiges Räucherwerk hinein. Dazu murmelte er unverständliche Worte. Dann entstand ein Unwetter, Blitze zerrissen die Wolken, und die Donnerschläge hallten durch die Gebirge.

Das Wetter legte sich endlich, und das Getöse schwieg. Der Greis aber sprach: »Gehe hinaus und betrachte das Meer, welches dir undurchschreitbar erschien!«

Da war das Meer verschwunden, und kein Tropfen Wasser rann, wo vorher die Wogen in Unermeßlichkeit gebraust hatten. Der Einsiedler aber war nicht mehr zu sehen.

Asem setzte seinen Weg fort und erreichte endlich die fliegenden Inseln.

Dies Land war ein Wunder an Herrlichkeit. Alle Büsche und Bäume standen in Blüten, und diese Blüten welkten nicht; denn die fliegenden Inseln tragen den ewigen Frühling.

Er traf eine alte Frau, die fragte er nach dem Palaste der Königin, und sie versprach, ihn dahin zu führen.

»Mein Sohn,« sagte sie, »deine Gattin hat seit ihrer Trennung von dir viel Leid erduldet. Ich bin oft Zeugin ihrer schmerzvollen Reue geworden, und ich habe mich vergeblich bemüht, ihren Kummer zu lindern; denn das Volk dieser Inseln hat beschlossen, sie zu töten, weil sie ihre Hand einem Manne gereicht hat, der nicht aus dem Geschlechte der Bewohner dieses Landes ist. Schon morgen soll sie ihr Leben lassen, ihr Aufenthalt aber ist ein vergitterter Kerker.«

Die Alte verschaffte sich mit vieler List Eingang zu der schönen Königin, denn sie war die Wärterin ihrer Kindheit gewesen.

»Tröste dich,« sprach sie zu ihr, »o unglückliche Königin! Dein Gatte ist nach großen Gefahren in dies Land gelangt, er ist jetzt noch in meinem Hause, und ich will ihm raten, dich so schnell als möglich zu entführen.«

Die Freude der Königin war unaussprechlich; sie schlang die Arme um den Hals ihrer greisen Wärterin und entließ sie mit der Aussicht auf eine köstliche Belohnung.

Eine neue Königin war auf den Thron gesetzt worden, und diese trat am anderen Morgen in den Turm, darin Asems Gattin lag, und verkündete ihr, daß sie sterben müsse.

Asem aber hatte seine Kappe aufgestülpt und war unsichtbar mit in das Gefängnis geschritten. Dann gab die Königin den Befehl, die Gefangene mit ihren goldenen Haaren an einen Pfeiler zu binden.

»Haltet ein, Erbarmungslose!« schrie Asem, als er dies vernahm; denn er konnte seinen glühenden Zorn nicht länger zurückhalten.

Die Königin, entsetzt über die Donnerstimme des Unsichtbaren, blickte furchtsam um sich und entfloh samt ihren Sklavinnen und den Henkersknechten von hinnen. Die Tür rasselte und fiel ins Schloß.

Aber gegen Abend trat die Schließerin in den Turm und trug der Gefangenen ihr Nachtmahl herein. Rasch trat nun Asem, der Unsichtbare, herzu, raubte der Schließerin das Schlüsselbund, nahm seine Gattin und die Kinder in die Arme und floh mit ihnen in die einbrechende Nacht.

Der Ball versagte auch diesmal seinen Dienst nicht. Er führte die Flüchtigen in den Palast an der Wüste, und die Freude des Wiedersehens mit den schönen Bewohnerinnen war groß.

Aber Asem vergaß in seinem Glücke derer nicht, die ihm zu seinem schwierigen Werke verholfen hatten. Er sandte den Geist zur Wärterin auf den fliegenden Inseln und ließ ihr eine reiche Belohnung bringen, die sie bis an ihr Ende versorgte.

Dann ließ er die drei Brüder holen, die hoffnungslos in ihren armen Hütten saßen, und sprach: »Die Dinge, die ihr euer nennt, sind von großem Werte. Aber sie werden euch erst nützen können, wenn ihr gelobt, fortan einmütig miteinander zu leben.«

Das gelobten die drei und zogen versöhnt von dannen.

Asems Mutter war inzwischen von ihrem unaufhörlichen Weinen erblindet. Wie aber die Kunde in ihr Haus kam: »Dein Sohn Asem ist zurückgekehrt, und er bringt seine Gemahlin und seine Enkel mit!« da ward ihre Freude so groß, daß sie von Stund' an wieder sehen konnte.

Der Sultan, der von all diesen Vorgängen erfuhr, forderte Asem und sein schönes Weib zu sich; er ließ seinen Schreiber kommen und alles genau so aufschreiben, wie es sich zugetragen hatte. Und aus dem Buche des Sultans habe ich diese merkwürdige Geschichte abgeschrieben. ...

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