Ludwig Ganghofer
Schloß Hubertus
Ludwig Ganghofer

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12

Am folgenden Morgen mußte Tassilo, um Forbecks Geräte nach Schloß Hubertus bringen zu lassen, seinen Diener schicken, weil der alte Moser Hals über Kopf zu schaffen hatte. Es war eine neue Wildsendung von der Jagdhütte eingetroffen – vier Gemsböcke und drei Kapitalhirsche – und da mußte Moser die Geweihe von den Schädeln sägen und die Verfrachtung des Wildbrets überwachen. Das war eine Arbeit, die den Alten noch heiterer stimmte als eine Begegnung mit dem »feinen Lieserl«. Laut rumorte er im Zwirchgewölbe umher, sang ein Schnaderhüpfl um das andere und hielt lachende Ansprachen an das tote Wild. Seine Stimme klang bis zu dem von Licht und Schatten überzitterten Rasen, auf welchem Kitty ihr Plätzchen wieder eingenommen hatte und Forbeck vor der Leinwand stand, während Tante Gundi mit dem Buch auf der Bank saß. Schon ein paarmal hatte Fräulein von Kleesberg unwillig nach der Richtung geblickt, in der das Wirtschaftsgebäude lag – sie fürchtete, daß die konfuse Dudelei des Alten den Künstler stören könnte. Doch Forbeck schien kein Ohr zu haben und war nur Auge für Kitty und sein Bild; es hatte sogar den Anschein, als käme das letztere bei dieser Teilung zu kurz, denn je häufiger er die Blicke von der Leinwand hob, desto länger hafteten sie an dem holden Bild des Lebens; manchmal, tief atmend, schüttelte er den Kopf, als vertrüge vor seinem eigenen Urteil das künstlerische Abbild, an dem er schaffte, nicht den Vergleich mit der schönen Wirklichkeit. Kitty, die still und geduldig wie ein Mäuschen saß, gewahrte die Unruhe, die ihn befiel, und als er wieder einmal den Rücken der Hand an die glühende Stirn preßte, fragte sie leise: »Herr Forbeck –«

Tante Gundi ließ das Buch sinken.

Da knirschten Schritte auf dem Kiesweg. Der alte Moser erschien: hemdärmelig, die nackten Arme bis über die Ellbogen mit Blut besudelt, ein paar rote Fingerstriche im lachenden Gesicht und in den Händen das frisch abgesägte Geweih eines Zwölfenders.

»Ich bitt, meine lieben Herrschaften, so was muß man anschauen!« rief er und hob das Geweih. »So an Hirsch hat der Herr Graf schon lang nimmer gschossen. Dös is einer, der noch aus meiner Zeit übrigblieben is!«

Tante Gundi schalt: »Aber Moser! Sind Sie verrückt? Wie können Sie sich einfallen lassen, in solchem Aufzug vor Damen zu erscheinen! Wie ein Mörder! Gehen Sie mir aus den Augen! Flink!«

»Jesus Maria!« brummte der Alte erschrocken und wandte sich zur Flucht. Hinter den Büschen blieb er kopfschüttelnd stehen. »Und da gibt's Menschen auf der Welt, die für so a Gweih kein Sinn haben! Man sollt's net glauben! Natürlich, Frauenzimmer! Da fehlt's weit!«

Gundi von Kleesberg vermochte sich lange nicht zu beruhigen. Der »gräßliche Anblick« war ihr auf die Nerven gegangen; und was aus ihrem Ärger herausredete, war nichts weniger als ein Lobgesang auf die Jagd. Graf Egge wäre dabei übel weggekommen, hätte nicht Kitty gemahnt: »Aber! Tante Gundi!«

Von den dreien schien Forbeck der einzige, dem die Störung willkommen und von Nutzen gewesen. Er war ruhiger geworden und arbeitete mit gleichmäßigem Eifer. Dann plötzlich kam es wie stürmische Ungeduld in seine Hand, alles an seinem Wesen war freudige Hast.

Tante Gundi machte große Augen. »Herr Forbeck? Was haben Sie denn?«

»Sehen Sie nur die Beleuchtung!« stammelte er, ohne die Arbeit zu unterbrechen. »Wie das Haar an der Schläfe schimmert! Und die Wange! Wie das im Schatten noch leuchtet! Das muß ich haschen!«

Stille Minuten vergingen. Dann trat er von der Leinwand zurück, mit einem stockenden Atemzug, wie nach gewaltsamer Anstrengung; die Freude verzerrte ihm fast das Gesicht. »Ich glaube, ich hab's!«

Gundi Kleesberg rauschte zur Staffelei. Auch Kitty machte eine Bewegung, als wollte sie aufspringen. Das gewahrte Forbeck, und mit glücklichem Lächeln sagte er: »Wollen Sie sehen?« Sie kam herbeigeflogen, während Tante Gundi dem jungen Künstler schon ein wortreiches Loblied sang. Schweigend, das Gesicht von glühender Röte übergossen, stand Kitty vor dem Bild; dann blickte sie zögernd zu Forbeck auf und sagte mit einer Stimme, in der ihre Freude sich verriet: »Sie haben aber sehr geschmeichelt!«

Er sah sie mit leuchtenden Augen an, und Gundi Kleesberg übernahm die Antwort: »Aber nein, Kind! Genau so war es! Unglaublich, wie Herr Forbeck das getroffen hat! Dieser Duft! Dieser Sonnenschimmer!« Das sprudelte so weiter.

Forbeck wurde verlegen, gab neue Farben auf die Palette und wandte sich an Kitty. »Darf ich bitten, nur noch ein Viertelstündchen für das Kleid, ehe das Licht sich ändert?«

Sie eilte zum Lehnstuhl, um ihre Stellung wieder einzunehmen.

Aus dem Viertelstündchen wurde eine lange Stunde rastloser Arbeit. Forbeck war so vertieft in Schauen und Schaffen, daß er die Schritte Tassilos überhörte, der gegen Mittag kam, ein offenes Blatt in der Hand; seine Augen blickten noch ernster als sonst; als er einen Blick auf die Leinwand geworfen hatte, legte er die Hand auf die Schulter des jungen Künstlers. »Ja, lieber Freund, Werner wird seine Freude haben an dieser Arbeit!« Ein Weile stand er in die Betrachtung des Bildes versunken, dann trat er auf die Kleesberg zu, und ohne die Verwirrung zu gewahren, die sein zu Forbeck gesprochenes Wort in ihr hervorgerufen hatte, reichte er ihr das offene Telegramm und sagte zu seiner Schwester: »Robert und Willy kommen heute nachmittag.«

Jubelnd sprang Kitty auf und wollte zu Gundi Kleesberg hinüber. Auf halbem Wege stand sie erschrocken still, sah Forbeck an, und ein Schatten glitt über ihr Gesichtchen. Auch Forbeck war erregt, schien die Sitzung für beendet zu halten und schloß den Farbenkasten.

Inzwischen besprach Gundi Kleesberg ein bißchen konfus mit Tassilo alle nötigen Vorbereitungen: man mußte einen Wagen zu der eine Stunde entfernten Bahnstation schicken und die Träger für den Aufstieg zur Jagdhütte bestellen, der nach Graf Egges Anordnung schon am kommenden Morgen erfolgen sollte. Seufzend griff sie an ihre Stirn und zappelte davon, ohne sich von Forbeck zu verabschieden.

Tassilo hatte eine tiefe Furche zwischen den Brauen. Und Kitty schien die Sprache verloren zu haben. Forbeck nahm die Leinwand von der Staffelei und verhüllte sie. Dann gingen sie langsam zum Schloß hinüber. Als sie den Teich erreichten fragte Tassilo: »Haben Sie jetzt, was Sie brauchen, oder ist noch eine Sitzung nötig?«

Scheu blickte Kitty zu Forbeck auf, der die Antwort schwer zu finden schien. »Ich glaube, daß ich mit dem, was ich habe, zurechtkommen werde. Auch darf ich nicht unbescheiden sein.«

»Unbescheiden? Ihr Bild soll nicht leiden. Morgen, bei dieser Unruhe im Haus – aber vielleicht übermorgen. Ich will mit der Kleesberg sprechen. Wenn Ihnen Fritz nach Tisch Ihre Sachen bringt, schick' ich Nachricht.«

Forbeck vermochte nur mit einem Blick zu danken, die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Ohne die Augen zu heben, verneigte er sich vor Kitty. Tassilo begleitete ihn zur Ulmenallee; als sie in den Schatten der Bäume traten, sagte er: »Sie haben es gut, Sie können vor Ihrem wachsenden Werke stehen, und kein Gedanke stört Ihnen das Glück Ihres Schaffens.«

Forbeck nickte, als wäre an dieser Tatsache nicht zu zweifeln.

»Aber ich!« Tassilo blickte gegen die Berge. »Ich werde um mein Glück ein böses Jagen haben. Da droben!«

Kitty war beim Teiche stehengeblieben, und während sie den beiden mit den Augen folgte, streckte sie die Hand in den kühlen Regen der Fontäne. Sie sah, wie Tassilo und Forbeck voneinander Abschied nahmen, als gält' es eine Trennung für lange. Ein leiser Schauer rieselte ihr über die Schultern; sie zog die Hand zurück und trocknete sie mit dem Tuch.

Als sie bei Tisch erschien, fragte Gundi Kleesberg befremdet: »Kind, was ist dir?«

»Mir? Nicht das geringste! Vielleicht die Ungeduld. Ich kann es kaum erwarten, bis Robert und Willy kommen.«

»Willst du mit zur Bahn fahren?«

Tassilo fiel hastig ein: »Da muß ich abraten.« Er sprach von der staubigen Straße, von der drückenden Hitze. Kitty merkte gleich, daß es eine Ausflucht war, und grübelte: »Warum will er mich daheim behalten?«

Die Kleesberg hatte ein weniger feines Ohr. »Vielleicht bist du auch etwas ermüdet?« sagte sie. »Die Sitzung hat heute lange gedauert, wir haben keine Pause gemacht. Ich weiß nicht, wie ich das übersehen konnte. Freilich, Herr Forbeck war in so prächtiger Arbeitsstimmung. Aber wenn er übermorgen wiederkommt –«

»Übermorgen?« Nach diesem flinken Wort kam der zögernde Zusatz: »Noch eine Sitzung?«

»Ja, Kind, das kleine Opfer mußt du bringen!« mahnte Gundi Kleesberg mütterlich. »Tassilo sagte, das wäre im Interesse des Bildes notwendig. Wir dürfen dem Gedeihen eines so schönen Werkes kein Hindernis in den Weg legen.«

Tassilo sah die Kleesberg an und lächelte. Kitty zuckte nur die Schultern. Ihre Laune besserte sich überraschend.

Nach dem Diner, als man zur Veranda ging, hängte sich Kitty an den Arm des Bruders. »Tas? Ehrlich! Warum willst du mich daheim haben?«

»Komm zu mir hinauf, wenn Gundi ihr Schläfchen macht, und du wirst es erfahren.«

Auf der Veranda nahm Tassilo den gewohnten Platz nicht ein. Stehend leerte er die Kaffeetasse, raffte die Zeitungen zusammen, nickte einen Gruß und verschwand.

»Was hat er denn?« fragte die Kleesberg verwundert.

Kitty antwortete sehr ernst: »Er hat bis spät in die Nacht gearbeitet, heute wieder den ganzen Vormittag, und wird ruhen wollen. Es ist schwül heute! Eine drückende Luft. Nimm auch du keine Rücksicht auf mich. Wenn du müde bist –«

»Ja, gutes Herz, ich danke dir!«

Kaum die Kleesberg verschwunden war, huschte Kitty lautlos über die Treppe hinauf und trat mit erregter Spannung in das Zimmer ihres Bruders.

»Da bin ich, Tas!«

»Komm!« Er zog sie an seine Brust. »Ich habe mit dir zu reden.«

»Von mir?«

»Nein! Von deinem Bruder Tas.«

Nun atmete sie auf und lachte. »Du bist ja ganz feierlich!«

Er streichelte ihr Haar. »Ich habe dich lieb. Und ich weiß, du hängst auch an mir. Drum möchte ich dir eine unbehagliche Überraschung ersparen. Komm! Ich will dir etwas zeigen!« Er führte sie zum Schreibtisch, zog sie auf seinen Schoß und öffnete eine Lade. »Sieh dir einmal dieses Bild an!« Dabei reichte er ihr ein kunstvoll ausgeführtes Porträt in braunem Plüschrahmen.

Das Porträt einer jungen Dame! Noch ehe Kitty das Bild genauer betrachtet hatte, dämmerte ihr eine Ahnung. Sie jubelte: »Tas? Du wirst doch nicht –«

Er lächelte. »So schau dir das Bild doch an!«

Der Reiz des Geheimnisses erfaßte sie. Schauernd bewegte sie in seligem Vergnügen die Schultern. »Wie entzückend, wie schön! Der sanfte Mund und die wundervollen Augen –« Da stutzte sie. »Aber Tas? Du? Das ist doch Fräulein Herwegh vom Hoftheater? Natürlich! Das ist sie! Ich hab' sie schon dreimal gehört. Zuletzt als Fides im ›Propheten‹! Ich war außer mir vor Wonne. Und geheult hab' ich, daß Tante Gundi wütend zu puffen anfing.« Kitty lachte. Mitten im Lachen brach sie ab und wurde ernst. »Fräulein Herwegh ist eine große Künstlerin. Aber was mich damals so tief ergriff, daß ich meinte, es zerdrückt mir das Herz – denke, Tas, in der großen Szene zwischen Fides und ihrem Sohn, da ging es mir plötzlich durch den Kopf: ob nicht Mama so ausgesehen haben könnte wie Fräulein Herwegh als Fides?«

In Freude hatte Tassilo den sprudelnden Worten der Schwester gelauscht; nun furchte sich seine Stirn; schwer atmend schüttelte er den Kopf.

Kitty hielt das Bild im Schoß, lehnte die Wange an die Schulter des Bruders und sah ins Leere. »Es war ein Unglück für mich, daß ich Mama so früh verlieren mußte. Je älter ich werde, desto schmerzlicher fühl' ich das. Und wenn ich an Mama denke, ist alles leer vor mir. Ich sehe nichts!« Sie hob das Köpfchen und sah dem Bruder in die Augen. »Tas? Es ist doch eigentlich ganz unverständlich, daß wir von Mama kein Bild haben, weder hier in Hubertus noch in München?«

Tassilos Stimme schwankte. »Mama wollte sich niemals malen lassen.« Fester schlang er den Arm um Kitty. »Aber ich habe dir doch die Mutter schon sooft geschildert.«

»Wie schön sie war, und wie gut, ja, Tas! Aber ich sehe sie nicht. Wenn ich mir eine Vorstellung von ihr zu machen suche, schwimmt mir alles. Ich sehe das Haar, die Augen, aber kein Bild, das ich mit dem Herzen festhalten könnte. Das ist mir eine unstillbare Sehnsucht. Sooft ich eine Dame sehe, deren Erscheinung mich anzieht, geht es mir heiß durch das Herz: vielleicht hat Mama so ausgesehen? Das war auch damals so, als ich Fräulein Herwegh in der Rolle der Fides sah. Diese schöne, stille Größe –« Verstummend betrachtete Kitty das Bild. Plötzlich glitt es wie Schreck über ihre Züge, und sie stammelte: »Aber Tas! Wie kommt denn dieses Bild zu dir?«

»Fräulein Herwegh hat es mir geschenkt.«

»Sie? Dir? Kennst du sie denn?«

»Seit drei Jahren.«

»Und davon hast du nie gesprochen?« Dem Lächeln des Bruders gegenüber steigerte sich ihre Verwirrung. »Und das Bild? Daß sie dir das Bild gab? Das muß doch einen Sinn haben?«

»Den errätst du nicht«

»Tas!« Ohne das Bild aus der Hand zu lassen, schlang Kitty den Arm um den Hals des Bruders.

»Ich liebe sie. Und Anna liebt mich wieder. Wie es kam? Das ist eine stille Geschichte. Weißt du, das rechte Glück ist nie eine komplizierte Sache. Da fällt ein Same in ein Menschenherz. Niemand weiß, wer ihn streute. Er wächst, und du fühlst es nicht. In guter Stunde kommt der helfende Sonnenstrahl dazu, und der Keim ist eine Blume geworden, mit Duft und Farben. Das ist mein ganzer Roman. Ich verehrte Anna schon als Künstlerin, bevor ich sie persönlich kennenlernte. Die erste Begegnung hatte ich mit ihr an jenem Tag, an dem ich als Konzipient bei Doktor Neuroth eintrat. Er war ihr Anwalt. Als er mir seine Kanzlei übergab, wurde Anna meine Klientin. Da hatte ich Gelegenheit, ihren lauteren Charakter kennenzulernen, ihr tiefes Gemüt, auch die schöne Häuslichkeit, in der sie mit Mutter und Schwester lebt. Wir glaubten Freunde zu sein und wußten nicht, daß wir uns liebten.«

Regungslos hatte Kitty gelauscht. Nun fragte sie flüsternd: »Wie kam es, daß ihr euch gefunden habt?«

Tassilo lächelte. »Du wirst enttäuscht sein, wenn ich es dir erzähle. Es war im Frühjahr. Da bat sie mich eines Tages um meinen Besuch. Ich sah, daß die Zeilen in erregter Hast geschrieben waren, und ließ alle Arbeit liegen. So kam ich zu ihr und erfuhr, sie hätte einen glänzenden Antrag der Wiener Oper erhalten, müsse sich innerhalb eines Tages entscheiden und bäte mich um meinen Rat. Mir fuhr es an die Kehle, daß ich keine Silbe herausbrachte. Sie sah mich betroffen an, und so standen wir eine Weile wortlos voreinander. Dann las ich den Vertrag, wir besprachen alle Verhältnisse der neuen Stellung, und aus ehrlichem Gewissen mußte ich ihr raten, den Kontrakt zu unterzeichnen. Lange saß sie schweigend, dann faltete sie den Vertrag zusammen und verschloß ihn. Wir plauderten noch über alle möglichen Dinge; dabei saß sie auf dem Stuhl vor dem offenen Flügel und griff zuweilen mit einer Hand ein paar Akkorde. Plötzlich brach sie mitten im Worte ab und begann zu spielen –«

»Und sang?«

Er nickte. »Ein kleines Liedchen von Schumann, ›Jasminenstrauch‹.«

»Ich kenne das Lied!« Zwei Tränen schimmerten an Kittys Wimpern, während sie leis die Verse flüsterte:

»Grün ist der Jasminstrauch
Abends eingeschlafen.
Als ihn mit des Morgens Hauch
Sonnenlichter trafen,
Ist er schneeweiß aufgewacht:
›Wie geschah mit in der Nacht?‹
Seht, so geht es Bäumen,
Die im Frühling träumen.«

Ein tiefer Atemzug schwellte ihre junge Brust, und die Tränen rollten von ihren Lidern.

»Dieses Liedchen sang sie. Dann ließ sie die Hände in den Schoß fallen. Und ohne das Gesicht nach mir zu wenden, sagte sie: ›Ich habe mich besonnen, ich gehe nicht nach Wien.‹ Eine Antwort fand ich nicht. Aber ich umschlang sie und küßte ihren Mund.«

»Ach, du Glücklicher! Du Glücklicher!«

»Ja! Ich habe das Glück gefunden und will es halten. Anna wird meine Frau. Willst du ihr gut sein?«

»Gut sein? Nur gut sein? Tas! Ich werde ja närrisch vor Freude!« Sie erstickte den Bruder fast mit Küssen. Plötzlich richtete sie sich auf und glitt von seinem Schoß. Ihr Gesichtchen hatte alle Farbe verloren. »Tas – um Himmels willen – Papa? Hast du denn schon mit ihm gesprochen?«

Tassilo erhob sich. »Noch nicht. Das soll dieser Tage geschehen, droben in der Jagdhütte.«

Verstört blickte sie zu ihm auf. »Her, du mein Gott! Lieber, lieber Tas! Das wird böse Geschichten absetzen!«

»Das fürchte ich!« sagte er ruhig.

Leidenschaftlich, als hätte sie um das eigene Glück zu kämpfen, faßte sie die Hand des Bruders. »Sei mutig, Tas! Dann wirst du es durchsetzen. Das bist du deiner Liebe schuldig. Und wie es auch kommen mag, ich halte zu dir! Fest!« Mit beiden Armen umklammerte sie seinen Hals. »Ach, Tas, ich habe dich so furchtbar lieb!«

Er nahm ihr zuckendes Gesichtchen zwischen die Hände. »Ich danke dir! Ja, kleiner Spatz, du hast mich lieb! Ich wußte, daß du dich für mich entscheiden würdest. Ebenso, wie ich weiß, daß die anderen gegen mich sein werden.«

»Nein, Tas! Denke nicht gleich das Allerschlimmste! Ich sage dir was. Nimm das Bild mit hinauf in die Hütte! Wenn Papa das Bild sieht – oder noch besser, Tas: Grüble dir einen Vorwand aus, suche Papa zu einer Fahrt nach München zu bewegen, mach' ihn mit Anna bekannt –«

Tassilo schüttelte den Kopf. »Ich kenne Vater besser. Mit einem solchen Versuch würde ich Anna nur einer Demütigung aussetzen. Könnt' ich mir von einer Bewegung Gutes versprechen, so wäre die Fahrt nach München nicht notwendig. Anna ist mit ihrer Mutter und Schwester hier im Dorfe.«

»Tas! Und das sagst du mir erst jetzt!« stammelte Kitty in Freude. »Führe mich zu ihr! Ich bitte, bitte! Ich muß sie kennenlernen. Ich muß! Nicht wahr, du erfüllst meine Bitte? Heute noch! Jetzt! Sieh nur, Tas, wir können keine bessere Stunde finden! Die Gundi schnarcht, und Papa ist in der Hütte droben – es ist also absolut unmöglich, daß ich irgend jemand um Erlaubnis frage! Komm, Tas, komm! Was später sein wird, wissen wir alle beide nicht, aber heute können wir noch tun, was wir wollen! Ich bitte dich, Tas!«

»Ja, Schatz, wir wollen gehen! Und ich will ehrlich sein: Ich hoffte, daß du diese Bitte stellen würdest. Für Anna wird es eine Freude sein, wenn ich dich bringe und ihr sagen kann, daß es dein freier Wunsch war.«

»Tas!« jubelte Kitty. »In fünf Minuten bin ich fertig.« Selig auflachend huschte sie davon.

Nach wenigen Minuten erschien sie wieder, mit heißen Wangen und strahlenden Augen. Sie hatte sich »schön« gemacht – genau so schön wie für jenes Diner, zu welchem Forbeck geladen war.

Arm in Arm wanderten die Geschwister durch die Ulmenallee, an dem Käfig vorbei, in dem die Adler auf den Stangen saßen; die Raubvögel bewegten die Köpfe, als das Paar vorüberschritt, und dir durch keine Gefangenschaft zu zähmende Wildheit ihrer Rasse funkelte in den scharfen Augen; einer von ihnen knappte mit dem Schnabel und zog die Fänge an, daß die Stange knirschte.


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