Emile Gaboriau
Der Strick um den Hals
Emile Gaboriau

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29

Als die Marquise am Tage ihrer Abreise von Sauveterre ihren Sohn im Kerker besuchte, hatte Fräulein von Chandoré sie zu begleiten gewünscht.

Zurückgewiesen, hatte das junge Mädchen nicht auf seinem Entschlusse beharrt.

»Ich weiß wohl«, hatte sie gesagt, »daß man etwas vor mir verbirgt; aber es tut nichts.«

Sie war im Salon geblieben, und hier, auf demselben Platze, wo sie sonst in glücklichen Tagen, wenn Jacques seine Abende bei ihr zubrachte, zu sitzen pflegte, saß sie lange Stunden unbeweglich, mit finstern Brauen, und schien sonderbare Bilder, die andern unsichtbar waren, an ihrem Blicke vorüberziehen zu lassen. Darüber war die Unruhe des Großvaters Chandoré und der Tanten Lavarande grenzenlos. Sie kannten Denise, ihr vergöttertes Kind, ihre teuerste und vielleicht einzige Sorge seit fast zwanzig Jahren, besser vielleicht, als diese sich selbst kannte. Sie verstanden jeden Ausdruck in ihrem Gesicht, diesem treuen Spiegel der reinsten Seele. In jedem leisen Zucken dieses Antlitzes, in jeder Geste, in jeder besonderen Betonung der Stimme waren sie längst gewohnt, die Gedanken des jungen Mädchens zu lesen.

»Denise brütet ganz entschieden über irgendeiner ernsten Sache«, sagten die Tanten zu Herrn von Chandoré. »Sie erwägt, sie berechnet, sie steht im Begriff, einen Entschluß zu fassen.«

Dies war eine Warnung für den alten Edelmann, und wiederholt fragte er Denise:

»Worüber denkst du nach, liebe Tochter?«

»Über nichts, mein guter Papa«, antwortete sie.

»Aber du bist noch betrübter als sonst! Warum?«

»Leider weiß ich es selbst nicht. Weiß man denn immer, warum man das Herz voll Sonnenschein oder voll Wolken hat?«

Am folgenden Morgen wollte sie aber durchaus zu ihren Schneiderinnen begleitet sein, und als sie da den Gerichtsschreiber Méchinet fand, hatte sie mit diesem eine geheime Unterredung über eine halbe Stunde lang. Dann am Abend, als Doktor Seignebos von einem ihrem Hause gemachten Besuche wieder aufbrach, ging sie in den Vorsaal und sprach lange mit ihm ganz leise. Als der nächste Morgen kam, wünschte sie die Erlaubnis, Jacques zu besuchen.

Man konnte ihr diese traurige Bitte nicht abschlagen, und es ward ausgemacht, daß die ältere der Tanten Lavarande sie ins Gefängnis begleiten sollte.

Zwei Stunden später klopften beide an die Pforte des Gefängnisses und verlangten von dem ihnen öffnenden Wärter, daß er Jacques rufen möge.

»Ich werde ihn sogleich in Kenntnis setzen, mein Fräulein«, sagte der Wärter; »aber treten Sie doch einstweilen bei mir ein, denn das Sprechzimmer ist so feucht, daß ich Ihnen nicht raten möchte, allzulange darin zu bleiben.«

Dies tat denn auch Denise, doch nein, sie tat mehr: Sie ließ Tante Lavarande allein im unteren Zimmer und führte Frau Blangin in deren oberes unter dem Vorgeben, sie habe ihr etwas zu sagen.

Als beide dann wieder herabkamen, war Blangin wieder anwesend und meldete, daß Herr von Boiscoran warte.

»Gehen wir!« sagte das junge Mädchen und nahm die Tante beim Arm.

Kaum aber hatten sie einige Schritte in dem langen schmalen Gange zurückgelegt, der zu dem Sprechzimmer führte, so blieb Denise stehen. Ergriffen von der Feuchtigkeit, welche die Wölbung wie ein glitzerndes Leichentuch bedeckte, erschüttert vom Übermaß der schrecklichsten inneren Bewegungen, wankte sie und mußte an der ganz mit Salpeter überzogenen Mauer eine Stütze suchen.

»Mein Gott!« rief Fräulein Adélaïde; »dir ist übel!«

Denise legte ihr durch eine Handbewegung Schweigen auf.

»Es ist nichts, flüsterte sie. »Sei still!«

Und alle ihre Kräfte zusammenraffend, legte sie ihre kleine Hand zutraulich auf die Schulter ihrer Begleiterin.

»Meine gute Tante«, fuhr sie fort, »du mußt uns einen großen Dienst leisten . . . Es ist von großer Wichtigkeit, daß niemand meine Unterredung mit Jacques belauscht, denn was ich ihm zu sagen habe, ist sehr gefährlich, sobald es Zeugen findet. Ich weiß, daß man die Gespräche der Gefangenen auszuspionieren sucht. Darum bitte ich dich, im Gange vor dem Sprechzimmer zu bleiben und uns zu unterrichten, sobald jemand kommt.«

»Was denkst du, gutes Kind! Würde sich das schicken?«

»Als ich hier eine ganze Nacht zubrachte, war das etwa schicklich? Leider muß in unserer Lage jeder Schritt schicklich sein, wenn er uns nützt.«

Denise erkannte am Schweigen der Tante deren vollkommene Fügsamkeit und ging auf das Sprechzimmer zu.

»Denise!« rief Jacques, sobald sie auf der Schwelle erschien . . . »Denise!«

Er stand mitten in diesem weiten düstern Saal, der Unglückliche, und sah bleicher aus als der Kalk an der Wand, aber er war anscheinend ruhig und fast lächelnd. Die Gewalt, welche er sich antat, war entsetzlich. Durfte er aber seiner Braut den Schrecken seiner Verzweiflung sichtbar werden lassen? Mußte er nicht vielmehr alles aufbieten, um sie sicher zu machen?

Er ging auf sie zu und ergriff ihre Hände.

»Ach«, rief er, »du bist so gut, daß du kommst; zu gut! Und doch – wie habe ich dich erwartet! Seit dem Morgen habe ich gehorcht und gezittert, sobald die Riegel meiner Zellentür rasselten. Wirst du mir aber jemals verzeihen können, daß du, um mich sehen zu können, gezwungen bist, einen so abscheulichen Ort zu besuchen, der nicht einmal die finstere Poesie des Schreckens für sich hat?«

Sie betrachtete ihn mit so hartnäckiger Festigkeit, daß ihm die Worte auf den Lippen erstarben.

»Warum mich belügen, Jacques?« sagte sie traurig.

»Ich belüge dich, ich?«

»Ja. Warum diese verstellte Ruhe, die deiner Seele doch fremd ist, und diese Heiterkeit, welche dir schlecht steht? Hast du kein Vertrauen zu mir? Hältst du mich für so kindisch, daß es erforderlich scheint, mir die Wahrheit zu verbergen, oder für so schwach und matt, daß ich nicht mein Teil von unserem gemeinschaftlichen Kummer tragen könnte? Gib das Lachen auf, Jacques, denn du hast keine Hoffnung mehr.«

»Du täuscht dich, Denise, ich schwöre es dir . . .«

»Nein, Jacques. Ich habe wohl bemerkt, daß man mir etwas verhehlt, und ich frage dich nicht, was es ist. Was ich aber weiß, ist genug. Du wirst vor das Geschworenengericht gestellt.«

»Das ist noch nicht ausgemacht! Die Anklagekammer hat ihren Spruch noch nicht gefällt.«

»Sie wird ihn aber fällen, und er wird verhängnisvoll sein.«

Dies war allerdings auch die Meinung und Befürchtung Jacques'. Es graute ihm, und doch beharrte er noch bei der Rolle, die er sich auferlegt hatte.

»Ach, was!« rief er leichthin; »wenn ich auch vor die Geschworenen kommen sollte, so werde ich doch sicher freigesprochen.«

»Bist du dessen so sicher?«

»Ich habe neunundneunzig Chancen von hundert für mich.«

»Also doch eine gegen dich!« rief das junge Mädchen, und indem es seine Hand dabei mit einer Kraft drückte, deren er sie nie fähig gehalten hätte, fügte sie hinzu:

»Dieser einzigen Chance kannst du nicht entgehen.«

Jacques erzitterte am ganzen Körper. War's möglich? Verstand er sie richtig? Kam sie, um ihm jene äußerste Verzweiflungstat anzuraten, auf die zu verzichten er seinen Verteidigern gelobt hatte?

»Was willst du damit sagen?« fragte er mit stockender Stimme.

»Ich sage, daß es nötig ist, zu fliehen.«

»Fliehen!«

»Nichts ist leichter. Ich habe alles überlegt, alles vorbereitet. Der Wärter ist gewonnen. Ich habe mich soeben mit seiner Frau verständigt. In einer dunklen Nacht öffnet man uns die Türen, außerhalb der Stadt wartet ein gesatteltes Pferd, es sind auch Ersatzpferde besorgt, binnen vier Stunden bist du in La Rochelle – dort findest du eins jener Schiffe, die dem stürmischsten Wetter Trotz bieten können, es nimmt dich an Bord und bringt dich wohlbehalten nach England.«

Jacques schüttelte den Kopf.

»Das ist unmöglich«, murmelte er. »Ich bin unschuldig und kann hier nicht alles im Stich lassen, was mir wert und teuer ist, dich, Denise, dich!«

Ein flüchtiges Rot schoß in des jungen Mädchens Gesicht.

»Ich habe mich wohl schlecht ausgedrückt, Jacques«, stammelte sie. »Du brauchst hier nichts im Stich zu lassen, denn du solltest nicht allein reisen.«

Jacques erhob mit einer heftigen Gebärde seine Hände zum Himmel.

»Gerechter Gott!« rief er erschüttert; »diese Genugtuung warst du mir schuldig.«

Mit fester Stimme fuhr Denise fort:

»Du hieltest mich wohl für so feig, den Freund zu verlassen, den alles verrät! . . . Nein! Nein! . . . Großpapa und die Tanten Lavarande begleiten mich, und wir treffen mit dir in England zusammen – du nimmst einen andern Namen an, wir reisen nach Amerika und suchen uns im tiefsten Innern, fern von Städten und Menschen, eine neue Heimat, wo wir uns ansiedeln . . . Es ist freilich nicht Frankreich, das ist wahr . . . aber das Vaterland, Jacques, ist überall da, wo man frei ist, wo man geliebt wird und glücklich leben kann!«

Jacques, der durch diesen Vorschlag bis in die innersten, feinsten Nervenfasern bewegt war, ließ jetzt seine Maske kalter Sorglosigkeit fallen. Konnte es wohl irgendwo in der Welt einen Menschen geben, der einen stärkeren Beweis liebevoller Hingebung erhielt? Und von wem empfing er ihn! Von einem jungen Mädchen, welches alle jene Eigenschaften in sich vereinigte, von denen eine einzige schon andere junge Mädchen stolz gemacht hätte: Seele, Grazie, Edelmut, Glück des Reichtums, Schönheit; genug, welches die höchste Verwirklichung dessen war, was man von Engelhaftigkeit und Reinheit sich vorzustellen vermag.

Diese berechnete nicht wie die andere, welcher er sein Unglück verdankte! Diese dachte nicht daran, sich abzusichern, bevor sie ihre Lippe zum ersten Kusse darreichte. Ganz und voll, ohne Hintergedanken, war sie bereit, sich zu ergeben oder zu opfern.

Und dies geschah in einem Augenblicke, da Jacques alles um sich her stürzen sah, da er am dunkelsten Abgrunde der Verzweiflung schwankte; in einem solchen Augenblick erschien ihm das Glück so groß, so unverhofft, daß seine Seele unter dessen Schwere sich beugte.

Eine kurze Weile war er unbeweglich, wie betäubt, wie erstarrt. Plötzlich aber zog er mit krampfhafter Gewalt seine Braut an die Brust und bedeckte ihr halbgelöstes Haar mit Küssen.

»Sei gesegnet, du Vielgeliebte!« rief er, entzückt und schmerzvoll zugleich; »sei gesegnet für deine Treue im Unglück! Ich habe kein Recht mehr, zu klagen, nun da mir inmitten des tiefsten Leids Glückseligkeit beschert wird.«

Denise glaubte, Jacques gehe auf ihren Vorschlag ein. Bebend wie ein kleiner Vogel in der Hand eines Kindes, machte sie sich los und senkte den Blick ihrer schönen Augen in die Augen ihres Geliebten.

»Laß uns den Tag bestimmen«, flüsterte sie.

»Welchen Tag?«

»Nun, den unserer Flucht.«

Dieses einzige Wort rief dem jungen Manne mit einem Schlage das Schreckliche seiner Lage zurück. Er schwebte in des Himmels Höhe und wurde jäh in die Wirklichkeit zurückgerissen. Sein Gesicht verfinsterte sich wieder.

»Der Traum war zu schön«, sagte er mit heiserer Stimme. »Was du mir vorschlägst, ist nicht ausführbar.«

Das junge Mädchen war nicht imstande, den Gedanken, in welchen es sich so fest hineingelebt und der es mit so unsäglichem Glück erfüllte, so leicht wieder aus seiner Seele zu reißen.

»Was sagst du?« stammelte sie.

»Ich kann, ich darf und will nicht fliehen!«

»So schlägst du mir's ab, Jacques?«

Er blieb stumm.

»Du weisest mich ab«, fuhr sie fort, »obschon ich dir schwöre, daß ich in der Fremde mit dir zusammentreffen und deine Verbannung mit dir teilen will? Zweifelst du noch an meiner Versicherung? Fürchtest du, daß mein Großvater und meine Tanten Lavarande mich hier trotz meines Willens zurückhalten könnten?«

Beim Ausdrucke dieser flehenden Stimme war Jacques nahe daran, seine Kraft und die Festigkeit seines Willens zu verlieren.

»Ich beschwöre dich, Denise«, erwiderte er ihr, »beharre nicht auf deinem Plane, nimm mir nicht all meinen Mut!« – Sie litt furchtbar. Ihre Augen leuchteten in fiebrigem Glanz, ihre trockenen Lippen bebten.

»Und du bist bereit«, fragte sie, »das Geschworenengericht über dich ergehen zu lassen?«

»Ja.«

»Wenn du aber verurteilt wirst?«

»Dies kann geschehen, ich weiß es.«

»Das ist Wahnsinn!« rief Denise.

Sie rang verzweifelt die Hände, und die Worte flossen zusammenhanglos von ihren Lippen.

»Mein Gott!« rief sie, »stärke du mich! Wo find' ich Worte, ihn zu bewegen? . . . Liebst du mich nicht mehr, Jacques? Willst du nicht um deinetwillen, so flehe ich dich an um meinetwillen . . . fliehe! Laß uns fliehen! Es ist, um der Schande zu entgehen, es ist die Freiheit, es ist das Glück! Kann nichts dich rühren? Was verlangst du? Soll ich mich dir zu Füßen werfen?«

Sie sank vor Jacques zu Boden.

»Fliehen!« wiederholte sie. »Fliehen!«

Gleich allen wirklich energischen Menschen erlangte Jacques durch das Übermaß der inneren Bewegung all seine Kaltblütigkeit wieder. Er hob Denise auf und trug die völlig Kraftlose bis zu der hölzernen Bank. Hier kniete er selbst vor ihr nieder und nahm ihre Hände in die seinen.

»Denise», bat er, »um der Barmherzigkeit willen, komm zu dir und höre mich! Ich bin unschuldig, aber wenn ich flüchtete, würde das einem Schuldbekenntnis gleich geachtet werden . . .«

»Was macht das aus?«

»Glaubst du denn, daß meine Flucht den Prozeß aufhalten würde? Nein. Ich würde abwesend nicht weniger gerichtet werden, und ohne Verteidigung schuldig befunden, würde ich verurteilt, entehrt, unwiederbringlich vernichtet.«

»Was täte das?«

Jacques sah nun ein, daß dergleichen Einwände nicht hinreichend waren, sie wieder zur Vernunft zu bringen. Er erhob sich und fuhr mit fester Stimme fort:

»Laß dir doch begreiflich machen, was du nicht verstehst. Ich gebe zu, daß es leicht ist, mich zu entfernen. Ich glaube mit dir, daß wir sicher England erreichen, ja, daß wir uns sogar ohne Störung einschiffen könnten. Aber nachher? Der Telegraph ist schneller als das schnellste Schiff; sobald ich den Fuß auf amerikanischen Boden setzte, träfe ich ohne allen Zweifel Polizeibeamte an, die den Auftrag hätten, mich zu verhaften . . . Glaubst du denn, daß es in der Welt irgendeinen sichern Ort für Mordbrenner gibt? . . . Nein, es gibt keinen. An den äußersten Grenzen der Zivilisation träfe ich noch immer auf Polizeibeamte und Soldaten, die mich den Gerichten meines Vaterlands ausliefern würden. Wäre ich allein, so vermöchte ich vielleicht allen Verfolgungen zu entschlüpfen, aber niemals im Verein mit dir, deinem Großvater und den Tanten Lavarande.«

Denise schwieg betroffen.

»Ich will indessen annehmen«, fuhr Jacques fort, »daß wir allen Gefahren entgehen . . . Welches wäre unser Leben? Du kannst dir vorstellen, was es heißt, immer auf der Flucht, immer genötigt, sich zu verstecken, immer auf der Lauer, immer in Furcht, den Blicken eines Fremden zu begegnen, immer vor der Entdeckung zitternd . . . Dieses Dasein ist so entsetzlich, Denise, daß sich, um ihm zu entgehen, um eine Nacht ruhig schlafen zu können, die größten Schurken freiwillig den Behörden gestellt und ihren Kopf dem Henker dargeboten haben.«

Wie Perlen einer aufgelösten Schnur rollten große Tränen unaufhaltsam über die Wangen des schweigenden Mädchens.

»Vielleicht hast du recht, Jacques«, sagte sie nach einer Weile, »aber wenn du das Unglück haben solltest, verurteilt zu werden?«

»Gut, dann habe ich wenigstens meine Schuldigkeit getan. Ich habe meinen Kopf auf der rechten Stelle behalten und meine Ehre verteidigt. Und wie auch mein Urteil lauten möge, es wird mich nicht niederschmettern; solange mein Herz schlägt, werde ich kämpfen. Sollte ich aber sterben, bevor meine Unschuld erwiesen ist, so sind es meine Freunde, meine Eltern, so bist du es. Denise, denen ich das Vermächtnis hinterlasse, meine Ehre wiederherzustellen.«

Das junge Mädchen war würdig, solche Empfindungen zu erfassen und zu teilen.

»Ich habe geirrt, Jacques«, sagte sie, ihm die Hand reichend. »Du wirst mir verzeihen.«

Sie hatte sich aufgerichtet und war im Begriff, sich zurückzuziehen, als Jacques sie aufhielt.

»Ich mag nicht fliehen«, sagte er; »aber sollten die Leute, welche bereit sind, mich fliehen zu lassen, nicht zu bestimmen sein, mir die Mittel an die Hand zu geben, eines Abends einige Stunden außerhalb des Gefängnisses zuzubringen?«

»Ich glaube es«, erwiderte Denise, »und wenn du willst, so erkundige ich mich genau.«

»Ja, tue es. Vielleicht wäre das ein außerordentliches Hilfsmittel.«

Hierauf trennten sich beide, indem sie einander Mut zusprachen und sich verabredeten, die nächsten Tage wieder zusammenzutreffen.

Denise fand die arme Tante Lavarande noch auf ihrem Beobachtungsposten, obwohl sehr ermüdet, und sie beeilte sich, mit ihr wieder die Rue de la Montagne zu erreichen.

»Wie du blaß aussiehst, mein Gott!« rief Herr von Chandoré beim Anblick seiner Enkelin. »Und du hast gerötete Augen! Was ist geschehen?«

Denise erzählte alles, und der alte Edelmann fühlte sich bis ins innerste Mark durchschauert, als er erfuhr, wie nahe es gelegen hatte, daß Jacques ihm sein geliebtes Kind entziehe. Er hatte es aber nicht getan.

»Ah, er ist ein Ehrenmann!« rief er.

Und indem er mit seinen Lippen des Mädchens Stirn berührte, murmelte er:

»Du liebst ihn wohl mehr als je?«

»So ist es!« flüsterte sie. »Ist er denn nicht namenlos unglücklich?«


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