Emile Gaboriau
Der Strick um den Hals
Emile Gaboriau

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11

Die Eisenbahn, welche Sauveterre mit der Linie nach Orleans verbindet, hat den unbestrittenen Ruhm, eine Reihe vollständig überflüssiger Biegungen zu machen, die eine verkörperte Herausforderung der gesunden Vernunft sind und der Schauplatz täglicher Unfälle werden würden, wenn man es wagte, über acht bis zehn Kilometer in der Stunde zurückzulegen.

Der Bahnhof liegt wie immer zur größten Bequemlichkeit der Reisenden eine halbe Meile von der Stadt entfernt, neben den Gartenanlagen des Herrn Thibault, des ersten Bankiers des Bezirks.

Es ist ein hübscher Weg, der zu diesem Orte führt, besetzt mit Gasthäusern und Schenken, die sich an den Markttagen mit Bauern füllen, welche, das Glas in der Hand und den Mund voller Freundschaftsversicherungen, einander so gut wie möglich zu übervorteilen trachten.

Selbst an den übrigen Werktagen ist dieser Weg ziemlich besucht; die Eisenbahn ist ein Zielpunkt für Spaziergänge geworden. Man geht dorthin, um die Züge ankommen und abfahren zu sehen, die Fremden zu mustern oder zu erwägen, aus welchen geheimen Gründen sich Herr Soundso oder Madame Soundso auf Reisen begeben.

Es war neun Uhr morgens, als der Zug sich näherte, in welchem sich Herr Folgat und die Marquise von Boiscoran befanden.

Erschöpft durch die Anstrengungen und die Angst der verflossenen Nacht, die sie nur damit verbracht, die Rettungsaussichten ihres Sohnes zu besprechen, fühlte die Marquise sich um so bedrückter, als Herr Folgat klugerweise sie in ihren Hoffnungen durchaus nicht zu bestärken suchte.

Er teilte, ohne es merken zu lassen, die Zweifel des Herrn Chapelain. Ebenso wie der alte Rechtsberater hatte sich der junge Anwalt gesagt, daß man einen Mann wie Jacques von Boiscoran nicht verhaftet, wenn man nicht die stärksten Gründe, ja Beweise von fast unbedingter Gewißheit in Händen hat.

Der Zug fuhr bereits langsamer.

»Wenn nur Denise daran gedacht hat, uns einen Wagen entgegenzuschicken!« sagte die Marquise.

»Warum dies, gnädige Frau?« fragte Herr Folgat.

»Um sofort einzusteigen und den Blicken der Menge meinen Schmerz und meine Tränen verbergen zu können.«

Der junge Anwalt schüttelte den Kopf.

»Das werden Sie wohl unterlassen, gnädige Frau«, sagte er, »wenn Sie mir einigen Einfluß auf Ihre Handlungen gestatten.« Sie blickte erstaunt zu ihm auf.

»Ich meine«, beharrte er, »daß es nicht scheinen darf, als vermieden Sie die Blicke anderer. Das wäre ein ungeheurer, vielleicht nicht wiedergutzumachender Fehlgriff. Was würde man davon denken, wenn man Sie verzweifelt und in Tränen sähe? Man würde denken, daß Sie von der Strafbarkeit Ihres Sohnes überzeugt sind; und die jetzt noch zweifeln, würden aufhören, es zu tun. Sie müssen mit einem Schlage die öffentliche Meinung für sich gewinnen, denn die öffentliche Meinung ist souverän, gnädige Frau, besonders in diesen kleinen Orten, wo jeder unter der unmittelbaren Beobachtung seines Nachbarn steht. Die öffentliche Meinung drängt sich da jedem auf, und was man auch sagen, was man auch tun mag, sie verfolgt selbst die Geschworenen bis in ihren Beratungssaal.«

»Es ist wahr«, murmelte die Marquise, »nur zu wahr.«

»Also, gnädige Frau, im Namen Ihrer heiligsten Interessen nehmen Sie Ihre ganze Energie zusammen, verbergen Sie Ihre mütterlichen Sorgen im tiefsten Grunde Ihrer Seele, trocknen Sie Ihre Tränen und zeigen Sie sich vor aller Welt mit der stolzesten Zuversicht, damit jeder, der Sie erblickt, sich sagen muß: ›Das ist nimmermehr die Mutter eines Schuldigen.‹«

»Sie haben recht, mein Herr«, erwiderte die Angeredete, »und ich danke Ihnen. Ja, es ist an mir, die allgemeine Meinung zu besiegen, und sosehr ich vorhin wünschte, den Bahnhof leer zu finden, sosehr wünsche ich ihn jetzt von der Menge gefüllt zu sehen. Ich werde Ihnen beweisen, was eine Mutter vermag, wenn der Gedanke an den Sohn sie aufrecht hält.«

Die Marquise von Boiscoran war kein schwächliches Weib. Sie zog einen Kamm aus ihrer Reisetasche, brachte ihren Kopfputz in Ordnung und stellte mit einigen raschen Bewegungen die Harmonie ihrer Toilette wieder her; ihre Züge gewannen, dank einem kräftigen Aufschwung der Willenskraft, ihre gewöhnliche Heiterkeit wieder; sie zwang ihre Lippen zum Lächeln, ohne daß man die Anstrengung gewahrte, die sie es kostete, und sagte mit wohlklingender, fester Stimme: »Sehen Sie mich an, mein Herr! Kann ich so erscheinen?«

Der Zug hielt soeben vor den Bahnhofsgebäuden.

Herr Folgat sprang leicht aus dem Wagen und sagte, indem er der Marquise den Arm reichte, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein: »Sie haben die Genugtuung, gnädige Frau, daß Ihr Mut wohl angewandt ist, denn ganz Sauveterre scheint hier versammelt zu sein.«

Das war mehr als zur Hälfte wahr. Schon seit dem vorhergehenden Abend hatte sich, man wußte nicht durch wen, das Gerücht verbreitet, daß »die Mutter des Mörders«, wie man schon »christlicherweise« sagte, mit dem Neun-Uhr-Zuge ankommen würde, und ein jeder hatte sich stillschweigend vorgenommen, zufällig bei ihrem Eintreffen am Bahnhof zu sein. Es war eine Bewegung, nur zu erklärlich an einem Orte, wo die allgemeine Unterhaltung sich drei Tage lang um das zuletzt von der Unterpräfektin zur Schau getragene Kleid drehen konnte. Welchen Eindruck die Frau von Boiscoran beim Anblick einer solchen Menge empfangen mußte, das beunruhigte, danach fragte niemand.

Die Neugier in Sauveterre aber hat wenigstens einen Vorzug; sie ist jeder Verstellung unfähig. Man ist naiv indiskret, ohne das geringste Zartgefühl. Man pflanzt sich direkt vor einen hin, glotzt ihn an und bemüht sich, das Geheimnis seiner Freude oder seines Schmerzes zu ergründen.

Es muß freilich hinzugefügt werden, daß die Gemüter im höchsten Grade gegen Jacques von Boiscoran aufgebracht waren.

Hätten die gegen ihn erhobenen Anklagen nur in der Zerstörung von Valpinson und in den beiden auf den Grafen von Claudieuse abgefeuerten Schüssen bestanden, es wäre nicht so schlimm gewesen.

Aber die Feuersbrunst hatte die entsetzlichsten Folgen gehabt.

Zwei Menschen waren darin umgekommen, zwei andere waren so gefährlich verletzt, daß man sie in Lebensgefahr glaubte.

Tags zuvor hatte man einen düsteren Zug die Rue nationale hinschreiten sehen.

In einem Karren, der mit einem Tuche bedeckt war und neben dem zwei Priester schritten, trug man die verkohlten Reste des Trommlers Bolton und des unglücklichen Guillebault, die kaum mehr menschliche Formen erkennen ließen. In einem nachfolgenden Wagen lagen die beiden Verletzten, wovon der eine, der Gendarm, bewußtlos war, während der andere, der Pächter, fortwährend ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß.

Die ganze Stadt hatte gesehen, wie die Witwe Guillebault sich zum Bürgermeister begab, ihr jüngstes Kind in den Armen, ihre vier anderen Kinder, die sich an ihre Röcke klammerten, mit sich schleppend, und die Leute, die all dieses Unglück Jacques zuschrieben, stießen Verwünschungen aus und wähnten vielleicht, daß ihr Wutgeschrei bis zur Mutter des Unseligen, bis zur Marquise von Boiscoran dringen müßte.

»Da ist sie! Da ist sie!« hörte man in der Menge murmeln, als sie am Arm des Herrn Folgat am Eingang des Bahnhofes erschien.

Aber man sagte kein Wort weiter, so war man überrascht von der Zuversichtlichkeit ihrer Haltung.

Die öffentliche Meinung teilte sich in zwei Strömungen: »Sie ist keck, diese Frau«, dachten die einen. »Sie ist von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt«, meinten die anderen. Die Marquise besaß jedenfalls Geistesgegenwart genug, um den Eindruck zu durchschauen, den sie hervorbrachte, und wie sehr sie recht daran getan, Herrn Folgats Rat zu folgen. Das verdoppelte ihre Kraft.

Und indem sie in der Menge einige Personen aus ihrer Bekanntschaft gewahrte, trat sie auf diese zu und sprach mit gezwungen heiterem Gesicht: »Vermutlich wissen Sie bereits, was uns begegnete. Ist es nicht unerhört, die Freiheit eines Mannes, wie mein Sohn, der Gnade des ersten abgeschmackten Verdachtes, der das Gehirn eines Richters durchkreuzt, anheimfallen zu sehen? Ich erfuhr das Ereignis gestern durch ein Telegramm und eilte in Begleitung dieses Herrn herbei, der unser Freund und einer der bedeutendsten Anwälte von Paris ist.«

Herr Folgat zog die Augenbrauen zusammen. Er hätte die Marquise lieber maßvoller gehört; indes hielt er es für gut, ihr zu Hilfe zu kommen.

»Diese Herren vom Gericht«, sprach er mit orakelhaftem Tone, »haben vielleicht sehr bald zu bedauern, daß sie allzu rasch gehandelt haben.«

Glücklicherweise näherte sich der Marquise ein junger Bedienter, der als Livrée nur eine Mütze mit goldener Tresse trug.

»Der Wagen des Herrn von Chandoré ist hier«, sagte er, »zur Verfügung der Frau Marquise.«

»Ich bin bereit, mein kleiner Freund«, antwortete die Marquise dem jungen Burschen.

Und die Philister von Sauveterre grüßend, die über ihre Fassung ganz verdutzt waren, fügte sie hinzu: »Entschuldigen Sie mich, daß ich Sie so rasch verlasse; aber Herr von Chandoré erwartet mich. Übrigens hoffe ich, Sie heute nachmittag am Arme meines Sohnes besuchen zu können.«

Das Haus Chandoré, wie die Leute von Sauveterre es bezeichnen, liegt an der heiteren Seite des Neumarkts, auf der höchsten Höhe der Rue de la Montagne, die nicht viel gangbarer ist als eine Hühnersteige und um deren Ausbesserung der Bürgermeister, Herr Sénéchal, unaufhörlich den Gemeinderat angeht, der seinerseits nicht müde wird, die Forderung abzulehnen.

Das Haus ist ganz modern gebaut, plump, massiv und mit einem anspruchsvollen, spitzdachigen Seitentürmchen versehen, welches der radikale Doktor Seignebos »eine beständige Drohung des Feudalismus« zu nennen pflegt.

Sicher ist, daß die Chandorés früher einen maßlosen Adelsstolz zur Schau trugen, die tiefste Verachtung gegen jeden hegten, dessen Vorfahren nicht mindestens bis auf die Kreuzzüge zurückreichten, und alle revolutionären Ideen haßten. Aber wenn ihre Stellung jemals von Bedeutung war, so war sie es doch längst nicht mehr.

Der einzige Rest dieser einst großen Familie, einer der zahlreichsten und mächtigsten des Saintonge, waren ein alter Mann, der Baron von Chandoré, und seine Enkelin – die Verlobte des Herrn von Boiscoran.

Denise war elternlos. Kaum drei Jahre alt, verlor sie in einem Zeitraum von weniger als fünf Monaten ihren Vater, der infolge eines nichtigen Streites im Duell fiel, und ihre Mutter, eine geborene von Lavarande, die nicht die Kraft besaß, ihren geliebten Gatten zu überleben.

Das war ohne Zweifel für das Kind ein großes Unglück. Aber es sollte ihr weder an Zärtlichkeit noch an Fürsorge mangeln. Denn auf sie übertrug der Großvater alle seine Liebe, all seine Hoffnungen, und die Schwestern ihrer Mutter, die beiden schon in einem gewissen Alter stehenden Fräulein von Lavarande, faßten den heroischen Entschluß, sich nie zu verheiraten, um so sich ganz ihrer Nichte widmen zu können.

Von jener Zeit an hatten beide Herrn von Chandoré gebeten, bei ihm leben zu dürfen. Er aber hatte diesen Vorschlag entschieden zurückgewiesen, er behauptete, seine Enkelin gehöre ihm allein, folglich wolle er sie auch für sich allein behalten. Es sei, fügte er hinzu, schon sehr viel, daß er den Fräulein von Lavarande gestattet, sich mit Denise zu beschäftigen und ihre Tage mit ihr zuzubringen.

Aus dieser Mißhelligkeit mußte notwendig zwischen dem Großvater und den Tanten ein Wettstreit erwachsen, bei welchem es zu den lächerlichsten Übertreibungen kam.

Diesem wie jenen galt es, die Neigung des kleinen Mädchens zu gewinnen. Über Nacht gleichsam sah man Herrn von Chandoré sich umwandeln, und von Natur ungestüm, streng und hart, wurde er urplötzlich zu einer Art »Kuchenpapa«. Er dämpfte den metallischen Glanz seiner Augen, zauberte auf seine Lippen ein ewiges Lächeln und gab seiner Stimme jene süßliche Weichheit, welche Kindermädchen anzunehmen pflegen.

Man begegnete ihm auf den Straßen, immer auf den Beinen für seine Enkelin, bald zum Konditor, bald zum Spielwarenhändler laufend. Er lud ihre kleinen Freundinnen ein, veranstaltete Kindergesellschaften, ließ den Reifen oder Federball fliegen und führte, wenn nötig, sogar die Rundtänze an.

Und doch fanden die Fräulein von Lavarande Mittel, den Herrn von Chandoré noch zu überbieten.

Wenn Denise etwas lernte, so geschah es ohne Zweifel, weil sie es durchaus wollte, denn bei dem geringsten Zeichen von Ungeduld ihrerseits wären die alten Damen bereit gewesen, den Schreiblehrer zu verabschieden oder die Musiklehrerin fortzuschicken.

Achselzuckend sah ganz Sauveterre diesem Schauspiel zu. Es ist gewiß, daß eine so blinde Nachgiebigkeit und beständige Vergötterung leicht aus Denise die unangenehmste kleine Person hätten machen können. Aber dies war durchaus nicht der Fall. Es gibt Naturen von so glücklicher Beschaffenheit, daß nichts sie verderben kann.

Als sie älter wurde, sagte sie lachend: »Großpapa Chandoré, die Tanten Lavarande und ich, wir machen alles, was ich will.«

Aber das war nur ein Scherz. Nie hatte ein junges Mädchen eine so reine und selbstlose Zuneigung durch seltenere und ausgezeichnetere Eigenschaften gelohnt.

So lebte sie glücklich und sorgenlos und zählte, als das große Ereignis ihres Lebens anbrach, eben siebzehn Jahre.

Herr von Chandoré traf eines Morgens Jacques von Boiscoran, dessen Onkel sein Freund war; er lud ihn zum Mittagessen, Jacques nahm die Einladung an, er kam, Denise sah – und liebte ihn.

Von diesem Augenblick an hatte sie zum erstenmal ein Geheimnis, das weder der Großvater Chandoré noch die Tanten Lavarande kannten, und zwei Jahre lang waren ihre Blumen und Vögel die einzigen Vertrauten der Liebe, die auf dem Grunde ihrer Seele groß wuchs; süß wie ein Traum, idealisiert durch die Abwesenheit des Geliebten, poetisch durch die Erinnerung.

Denn zwei Jahre vergingen, ehe Jacques diese Liebe gewahr wurde.

Aber es kam der Tag, da ihm die Augen aufgingen und er, verwirrt durch sein Glück, geblendet durch die Aussichten, die sich ihm darboten, fühlte, daß sein Schicksal sich entschied. Auch zögerte er nicht weiter, und kaum einen Monat später reiste sein Vater, der Marquis von Boiscoran, nach Sauveterre, um bei dem alten Herrn von Chandoré um die Hand des Fräuleins Denise zu werben.

Das war ein harter Schlag für den Großvater Chandoré.

Der Gedanke, Denise hinzugeben, sie einen andern Mann vorziehen zu sehen, von dem sie dann Kinder haben werde, war ihm schrecklich. Es fehlte nicht viel, und er hätte den Vermittler dieser unerwünschten Angelegenheit aus dem Hause werfen lassen.

Dennoch bezwang er sich und antwortete, daß er nichts auf sich nehmen könne, ohne mit seiner Enkelin gesprochen zu haben. Im geheimen hoffte er, daß sie den Antrag zurückweisen würde.

Armer Großvater! Bei den ersten Worten, die er vorbrachte, rief das junge Mädchen: »Welch ein Glück! Aber ich erwartete es!«

Ohne Zweifel, um die heiße Träne, die ihm aus den Augen rann, zu verbergen, beugte Herr von Chandoré das Haupt.

»Diese Heirat wird also stattfinden«, murmelte er.

Aber schon ein wenig getröstet durch die Freude, die er in den Augen seiner Enkelin leuchten sah, begann er sich seinen Egoismus vorzuwerfen und sich auszuschelten, daß er sich nicht glücklich schätzte, wenn er Denise so zufrieden sah. Es wurde demnach Jacques die offene Bewerbung gestattet. Am Vorabend der Feuersbrunst von Valpinson war nach einer langen Verhandlung, in welcher man den durchaus nötigen Zeitraum zu den Einkäufen und zur Herstellung der Aussteuer berechnet, der Vermählungstag unabänderlich festgesetzt.

So wurde Denise aus dem Vollgenuß ihres Glücks gerissen, als sie die Nachricht von Jacques von Boiscorans Verhaftung und von dem Verbrechen, dessen man ihn beschuldigte, erhielt.

Im ersten Augenblick wie vom Blitz getroffen, war sie fast zehn Minuten bewußtlos in den Armen ihres Großvaters und ihrer Tanten Lavarande geblieben. Aber kaum war sie zu sich gekommen, als sie, sich erhebend, ausrief: »Mein Gott, bin ich denn wahnsinnig, mich so aufzuregen! Ist es nicht sonnenklar, daß Jacques unschuldig ist?«

Alsdann hatte sie die Depesche an den Marquis von Boiscoran gesandt, wohl begreifend, daß es notwendig war, ehe man irgend etwas unternahm, sich mit Jacques' Familie zu verständigen.

Dann hatte sie verlangt, allein zu bleiben, und die Nacht damit zugebracht, die Minuten zu zählen, die sie von der Stunde trennten, in welcher der Zug aus Paris ankam. Um acht Uhr war sie selbst hinuntergegangen und hatte dem Diener befohlen, anspannen zu lassen und Frau von Boiscoran am Bahnhof zu empfangen, welchem Befehl sie ausdrücklich die Weisung hinzufügte, mit verhängten Zügeln zurückzufahren.

Dann ging sie in den Salon hinab, wo der Großvater und die Tanten schon versammelt waren. Sie versuchten mit ihr zu sprechen, aber ihre Gedanken waren abwesend . . . Nicht lange darauf hörte man einen Wagen im Galopp die Rue de la Montagne heraufkommen und vor dem Hause halten.

»Da ist Jacques' Mutter«, rief Denise und stürzte in das Vorzimmer.


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