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23.Kapitel

Die Begegnung vorm Skagerrak

Am andern Abend fuhren sie, als es dämmerte, wieder einmal aus dem Hafen.

Es ging hier und da so das Gerede, als wenn sich diesmal etwas Ernstes ereignen könnte. Aber die meisten glaubten es nicht; sie waren schon ungläubig geworden. Wenn hier und da in einer Gruppe irgendeine unruhige Behauptung und Erwartung ausgesprochen wurde, erweckte sie immer wieder Mißtrauen.

Nachdem sie eine Nacht auf der Reede gelegen hatten, fuhren sie weiter. Sie konnten nicht genau wissen, wohin die Fahrt ging; aber als Helgoland in Backbord in Sicht kam, wußten sie, daß es nicht gegen England ginge. Am selben Nachmittag warfen sie Anker und blieben bis in die Nacht hinein im Angesicht von Helgoland liegen. Da hatten diejenigen die Oberhand, die sagten, daß es wieder nichts wäre; und sie wurden mißmutig.

In der Nacht aber fuhren sie weiter und merkten am Wind, daß sie weiter Kurs nach Norden nahmen. Sie fuhren auch den Vormittag weiter, immer in mäßiger Fahrt und blieben nachmittags so bei, bis um vier Uhr herum. Vor ihnen fuhren, weit ausgebreitet, nur an Rauchwolken sichtbar, die Torpedoboote, näher heran die kleinen Kreuzer. Dann kamen sie, fünf Panzerkreuzer in Kiellinie. Vom Gros, nach dem sie hinter sich ausschauten, war nichts zu sehn.

Bald nach vier Uhr stand Harm Ott mit einigen Kameraden im Kantinendeck und sie sprachen wieder einmal über England: daß sie die englischen Matrosen immer sehr gern gehabt, wo sie sie getroffen hätten. Und einer, den sie wegen seines würdigen, großen Gesichts den Propsten nannten, ein ruhiger, verständiger Mann, erzählte gerade: »Ich war noch drei Tage vorm Krieg mit Engländern zusammen... in Bristol... sie lagen da mit ihrem kleinen Kreuzer ... Die sagten alle, daß das Gerede vom Kriege zwischen uns ein Unsinn wäre; sie hätten ja die beste Freundschaft mit uns!« Nein,« sagte er und schüttelte den Kopf, »die englischen Matrosen ... die haben diesen Krieg mit uns nicht gewollt und nicht gesucht! Das haben andere getan! Jetzt freilich .... nun der Krieg da ist ... tun sie natürlich ihre Pflicht, wie wir sie tun.«

Er redete noch, da kam einer in höchster Eile die Treppe hinuntergeglitten und sagte im Vorbeirennen: »Kinder ... dat geiht los ... hol' ehr de Düwel!« und sprang vorüber. Aber sie glaubten es nicht, und einige lachten über ihn.

Es war aber noch keine Minute vergangen, da hörten sie laufen und rufen, und gleich darauf schrillten die Bootmannspfeifen und die Rufe: »Klar Schiff zum Gefecht!« Da wußten sie, daß es ernst war. Das Geplauder war plötzlich verstummt; die Augen waren plötzlich ernst, und es war, als wenn sie tiefer in den Höhlen lägen. Nähere Bekannte gaben sich noch rasch die Hand: »Nun, mach's gut!« Dann stoben sie auseinander. Zehn Minuten später stand Harm Ott auf seinem Gefechtsposten, seitwärts vom Kommandoturm an der Reling.

Mit ihm standen da ein Leutnant und einige Signalmaate und ein Obermatrose. Vorne, vorm Turm, sah er im Haufen der Offiziere zuweilen das verwitterte, frische Gesicht des Admirals, wie er nach seiner raschen, lebhaften, liebenswürdigen Weise den Kopf zu denen wandte, mit denen er sprach. Sie waren im ganzen wohl zwanzig Mann auf der Brücke. Und alle sahen nach vorn, wo am Horizont, gleich kleinen, dunklen Rauchpunkten, fächerförmig ausgebreitet, die Torpedoboote fuhren. Von unten, aus dem Schiff, hörte man Trommel und Horn. Es dröhnte und schmetterte zu ihnen hinauf, kam näher, verschwand wieder, und versank in die Tiefe der Decke. An Backbord in Nordwesten lag eine kleine Zahl von Fischdampfern im hellgrünen Meer. Ein Torpedoboot fuhr an sie heran, blieb eine Weile bei ihnen und fuhr dann weiter.

Als er seine Augen abwandte, sah er, daß wieder Funkentelegramme von Hand zu Hand gingen. Dann sahen sie alle wieder mit großem Eifer, mit oder ohne Gläser, über das Meer nach Norden. Der Kapitän, bei etwa fünfzig Jahren ein rascher Mann, stand stramm gegen die Reling gelehnt, sein Glas vor ihm auf der Brüstung; der Admiral fragte den langen, blonden Artillerieoffizier irgend etwas; der deutete auf den Turm zu ihren Füßen, dessen Geschützrohr sich immer wieder hob und senkte, um zu prüfen, ob alles in Ordnung wäre. Alle Gestalten, die da standen, hatten sich gestrafft und starrten unbeweglich übers Meer nach Norden, Harm Ott beugte sich gerade vor, den Admiral und den Chef des Stabes, der neben ihm stand, zu sehn, und stand noch so, da rief der Adjutant dem Signalmaaten, der dicht neben ihm stand, mit jäher Bewegung zu: »Rauchwolken! ... Sehn Sie? ... der Feind!« und gleich darauf: »Hören Sie? ... Schüsse!«

Sie hielten alle den Atem an. Ja ... es war deutlich zu hören ... Nun wieder ... Ja ... Und da! ... Einer unserer kleinen Kreuzer schoß ... man sah deutlich den hellen Feuerrauch. Gleich darauf war der Funkspruch da und ging von Mund zu Mund: Kleiner Kreuzer Elbing im Gefecht mit leichten englischen Kreuzern.

Gleich darauf fühlte Harm Ott, wie die Erschütterung des Schiffes stärker wurde und der Luftzug hart gegen ihn anfuhr ... wie ein heftiger Wind, ja, fast wie ein Sturm. Der Bug hob sich; breiter, weißschäumender Gischt stieg über der Back auf, schwoll hoch und warf sich auf, und brauste über das ganze Vorschiff. Er sah noch einmal nach den Fischdampfern in dem Gedanken, der ihm wunderlich durch den Kopf schoß, ob es irgendwie ein verkappter Feind wäre, und sah, wie der Junge, der am Heck des letzten und nächsten Bootes stand, wie in Verwunderung beide Hände hob. Da wandte er sich um, und sah die ganze Reihe der mächtigen Schiffe, Schaum hoch vorm Bug, in rasender Fahrt dahinstürmen. Und es kam ein Gefühl des Stolzes und der Freude über ihn. In dem Augenblick trat der Signalmaat, ein einsilbiger Mensch, mit dem er kaum bekannt war, ein wenig zurück, so daß er neben ihm stand, und sagte leise, ruhig und deutlich: »Hören Sie, Ott ... es fällt mir so ein ... wenn mir etwas zustößt ... dann schreiben Sie einen netten, freundlichen Brief an meine Frau ... hören Sie ... ich will Ihnen dasselbe versprechen ... Es ist so angenehm für die Angehörigen, wenn sie etwas Persönliches erfahren.«

Harm Ott sah ihn rasch an und nickte. »Abgemacht so!«

Als er sich wieder umwandte, sah er, wie der Admiral mit einem gespannten und fragenden Ausdruck in seinen raschen, grauen Augen einen Funkspruch las und an seinen Stabschef weiter gab. Der Feuerrauch der kleinen Kreuzer war nun deutlich zu sehn und ihre Schüsse rollten schon hallend über das Meer. Ein Läufer kam aus dem Turm, wieder einen Funkspruch in der Hand. Gleich darauf sagte der Adjutant neben ihnen: »Sechs große englische Kreuzer, von Nordwesten kommend, gesichtet!«

Harm Ott starrte wieder über die See, mit gieriger Seele nach vorn strebend, nach dem Neuen, Gewaltigen, das die nächsten Stunden bringen würden ... Da schossen sie wieder! ... Und da waren zum erstenmal die Mündungsfeuer der feindlichen Kreuzer ... nur undeutlich ... ein leiser Blitz! ... ›Wären wir nur erst näher! ... daß wir mithelfen könnten! Mitten hinein! ... Daß etwas geschah ... etwas Großes! ... Zum Heil des Vaterlandes und seiner Not! Zum Ende des Kriegs!‹ Aber obgleich alle seine Sinne so nach vorn strebten und die Augen wie Falken starr gradeaus übers Meer flogen, sah er doch, wie der Admiral sich in seiner raschen Weise zu dem langen, blonden Artillerieoffizier wandte und dabei jene zierliche Bewegung machte, die ihm eigen war, und wie das Rohr des Turms Anna, schräg unter ihnen, den der Offizier noch einmal prüfte, gegen den fernen, noch unsichtbaren Feind sich langsam hob und senkte, wie wenn ein Stier vorm Angriff den Kopf hebt und senkt, die Kraft des Nackens zu prüfen ... zugleich aber, in demselben Augenblick ... flogen die Gedanken wie durch einen Spalt, der weithin durch die Luft sich auftat, auf Windesflügeln, stürmisch, jagend, der Küste zu. ›Wie hoch nach Norden mögen wir sein?! Sind wir weit über die Eidermündung hinaus?! Hören Vater und Mutter den schweren Donner, das furchtbare Stoßen, von der See her? Treten sie aus den Häusern und steigen auf die Deiche und starren über die Watten und über die blendende See und denken an ihre Kinder in der Not der Schlacht? Es wird eine große Schlacht! Ich erlebe das Gewaltigste, was es gibt ... Wie sagte der Offizier? ... Wenn England in einer Seeschlacht geschlagen wird, ändert sich die Welt ... Wie gern spräche ich noch mit Bruder Eggert! ... Wenn ich nicht wiederkomme, muß er nach Hause gehn und Frieden mit ihnen machen ... Frieden ... das ist die Hauptsache! Darauf kommt es an!‹ ... Wie Pfeile ... wie feurige Pfeile, gradeaus, so flogen jähe, heiße Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, flehentliche Bitten ... bald empor zu Gott, bald nach Osten, der Heimat zu, flogen, und kamen an.

Vorn im Nordwesten, nicht mehr fern, laufen zwei oder drei unserer kleinen Kreuzer ... der Rauch flog hinter ihnen her ... dazwischen der hellbraune Rauch ihrer feuernden Geschütze. Ganz fern am Horizont ... man sieht die Schiffe selbst nicht ... es steht da nur Rauch und es blitzt da ... das sind die Feinde! Wie langsam es geht, obgleich der Gischt weißschäumend über das ganze Vorschiff und bis an die Brücke fliegt. Zwanzig Menschen auf der Brücke, Hunderte durch Schlitze und Löcher, starren nach den fernen, fernen, kleinen Rauchwolken ... Nun wird das Mündungsfeuer deutlicher ... drei oder vier rote Blitze zucken auf und hellbrauner Rauch ... ein kurzer Augenblick ... nun steigt um die deutschen Schiffe Qualm und Wassergischt auf, wie heller Dampf anzusehn, wie Schleier, der sie verhüllen will. Aber nun ... da! ... hinter den kleinen, fingerlangen, feindlichen Schiffen, ganz fern am Horizont, erscheinen deutlich neue Rauchwolken ... höhere, breitere! Das sind die gemeldeten großen Schiffe des Feindes!

Harm Ott sah zur Seite nach den Offizieren und wunderte sich, wie ruhig sie dastanden, wie sie beobachteten und es in alter Weise miteinander besprachen. Der Chef des Stabes nahm mit ruhiger Bewegung ein Papier aus der Mappe, sah hinein, und gab dem Admiral eine Auskunft, die mit Kopfnicken quittiert wurde. Nur ein junger Leutnant, der an die Reling gepreßt stand, murmelte dann und wann ein Wort vor sich hin; und der Kapitän schüttelte einem jungen Fähnrich, der mit einem dienstlichen Auftrag an ihn herantrat, am Arm und sagte mit sprühenden Augen: »Nun ... freuen Sie sich, Fähnlein? Freuen Sie sich? In fünf Minuten sind wir im Kampf!«

Harm Ott hörte es. Das Herz klopfte ihm plötzlich schwer. Er hatte eine Neigung, die flache Hand dagegen zu pressen, so als wenn er fürchtete, daß man es durch die Jacke sehn könne, und es fuhr ihm durch den Kopf: ›Ein Held bin ich nicht. Ein Held ist nur Freude. Ich bin erregt und unruhig.‹ Und er richtete sich auf und riß sich zusammen und überwand es.

Sie jagten grade auf die englischen großen Schiff zu. Auch die kamen heran; sie wurden größer und größer. Aber nun drehen sie herum ... ja ... sie wollen im Bogen herumgehn und weglaufen. Fern, so groß wie Männersinger, stehen sie am Horizont, ganz deutlich und klar; am Rauch, der über ihnen hinjagt, sieht man, wie sie dahinrasen. Es sind sechs große Schiffe. Nach Südosten wollen sie umbiegen ... Was sehn sie plötzlich nach den Türmen zu ihren Füßen? Was fliegen und messen ihre Augen über die See zum Feind hinüber? ... Da! ... ein Beben durchs Schiff ... ein ungeheueres, knatterndes Krachen ... das Schiff schüttelt sich ... Turm Cäsar hat den ersten Schuß gelöst ... gewaltig, Meer und Himmel füllend, bricht er über die See. Gleich darauf folgt Turm Anna zu ihren Füßen. Nun, mit hellem Knattern, auch die Kasemattgeschütze ... Nun blitzt es auch drüben ... da in der Ferne, vom Feind her ... ja ... fünf glühende Punkte ... verschwunden ... Nun ... kommt es? ... kommt es? Da ... mit heulendem Sausen ... in rasender Fahrt ... juhend und sausend ... wie sie heranjagen! ... im selben Augenblick sind sie da ... Zweihundert Meter vorm Schiff schlagen sie ins Wasser ... ungeheure Gischtsäulen, einige dunkel, andere blendend weiß, stiegen auf. Ein ungeheures Getöse füllt die Luft, rollt, stößt neu an, brüllt und stößt gegen die Wände des Himmels. Wie zahllose rasende Gewitter, die mit schrecklichem knatternden Donner um sie stehn. Wenn es von den deutschen Schiffen einen kleinen Teil einer Sekunde einmal schweigt, hören sie den Donner vom Feind; aber gleich wieder füllt das ungeheure Getöse, wie von riesigen, jagenden Ungeheuern, Luft und Meer. Eben haben einige Türme wieder geschossen ... das Schiff bebt noch von den Schlägen. Da kommen wieder feindliche Granaten mit heulendem Sausen in rasender Fahrt daher. Sie schlagen vorn, dicht vor dem Bug und zur Seite ins Wasser; eine ungeheure Gischtsäule fliegt auf, steht einen Augenblick, achtzig Meter hoch, vor dem Schiff, und überwirft dann das Vorschiff und den Kommandoturm mit sprühenden Wassermassen. Der Feind hat sich eingeschossen. Der Stab geht in den Turm, von da aus die Schlacht zu leiten; der Adjutant, die Signalmaaten und Läufer gehen auf die Leeseite, um nicht völlig ungeschützt zu sein. Sie sehn sich an und nicken sich zu und rufen sich irgendein Wort zu, aber sie verstehn sich nicht. Aus dem eignen Schiff brechen in langen Blitzen mit ungeheurem Knattern die Schüsse; aus der ganzen deutschen Linie dröhnt es wie Salven ungeheurer Gewitter; in rotgelbem Schein leuchten die Blitze; in Schwefel und Rauch lösen sich Himmel und Erde; das Meer ist ins Beben gekommen; es ist mit großen, unruhigen Wellen bedeckt, die sich wie von Schmerzen gequält übereinander werfen. Und in der Ferne ... weit in der Ferne, doch deutlich zu sehn ... in der Reihe der fingerlangen Striche am Rand des Meeres ... wieder ... wieder... das jähe Aufblitzen ... ein hellbrauner Rauch ... so! ... nun hat er wieder geschossen! ... Nein ... das war der zweite ... der schießt nicht auf uns ... aber nun ... Da ... der erste in der Reihe! ... nun kommt es ... da ... wie sie heranheulen ... wie sie poltern ... wie sie sich polternd durch die gequälte Sturmluft drängen! ... Da ... in schrecklicher Fahrt, mit ungeheurer Kraft und Schwere, Ambosse ... glühende Eisenblöcke ... da ... schwer krachend schlägt es in die Backbordspill ... eine Wolke von schmutzigem, dunklem Rauch und Staub fliegt haushoch auf, ein Stück der Ankerkette, so groß wie ein Mensch, fliegt am Kommandoturm vorüber. Ein Mann, der am Geländer sich haltend um die Turmecke kommt, wird von einem Splitter getroffen und schlägt mit dem zerschmetterten Gestänge die sieben Meter tief aufs Deck. Da liegt er still; seine Mütze mit dem sauberweißen Namenszug liegt neben ihm. Einen Augenblick halten sie die Hand vorm Mund, stehen sie im Rauch, dann fliegt er im Sturm vorüber. Wieder bebt das gewaltige Schiff, blitzen seine Türme, rast sein Feuer aus den Kasematten; es hebt sich, schüttert zusammen und stürmt weiter; das Wasser vorm Bug sprüht hoch und wirft sich über die zertrümmerte Back. Sie stehen ruhig mit stillen Gesichtern, scharfen Augen, seltenen, abgerissenen Worten, die sie sich ins Ohr rufen oder sich deuten. Sie sehen immer wieder nach den Schlitzen im Turm, in denen die Gesichter derer sichtbar sind, welche die Schlacht und die Schiffe leiten. Die Feinde haben sich eingeschossen. Ein zweiter Treffer fällt in die Back und reißt sie weit auf; ein andrer schlägt in die zweite Kasematte. Das Schiff zuckt zusammen ... es schüttelt sich wie ein Pferd. Die eignen Salven krachen dazwischen. Mit schrecklichem Geheul und wildem Sausen, zuweilen mit lautem, stoßendem Poltern stürzen die Geschosse der Feinde heran. Von den andern Schiffen dröhnt und kracht es in gewaltigen, stoßenden Akkorden.

Da ist der Ruf: »Läufer!«

Er springt an den Schlitz: »Vom Turm Emil keine Parole! Feuert nicht. Fragen Sie, wann er wieder feuert, ob er Hilfe braucht.«

Harm Ott lief achternaus und kam bis achter den Turm; da kommt eine Salve ... einige ... zu kurz ... schlagen ins Wasser ... weiße Wassersäulen schießen auf... aber die andre schlägt vor ihm in die Tiefe des Mitteldecks ... er stolperte einige Schritte zurück, rannte wieder vor, kam zur großen Treppe, die sieben Meter tief aufs Mitteldeck hinabführt, und sah aus dem Turm Bertha Rauch kommen. Nun schießt eine rote Flamme heraus. Er glitt die Treppe hinunter. Ein Offizier, dunkelgelb im Gesicht, die Hand fest um den zerschossenen, blutigen Arm, stürzt nach Atem ringend heraus, einen stolpernden, rauchenden Körper nach sich ziehend. Sich aufrichtend, fragt er einen andern Offizier, der vom Turm Emil herüberkommt, mit verwunderter, verwirrter Stimme: »Auf wen schießen Sie denn?« Der versteht ihn wohl nicht richtig, reißt die Augen auf und sagt: »Nun, auf die Engländer!« Der Verwundete schüttelt den Kopf und deutet auf seinen Turm und geht fort. Der Offizier und Harm Ott hinter ihm ducken sich und sehn in den Turm; aber da ist nichts mehr zu helfen. Sie liegen zerrissen, verbrannt, im schwefelbraunen Dunst rund um ihr Geschütz. Der Offizier faßt Harm Ott am Arm und nimmt ihn mit nach seinem Turm und geht hinein. Harm Ott sieht hinein: ein kurzes Bild heißer Arbeit, zwischen blitzendem, klingendem Eisen ... ein abgerissener Ton wilder Ermunterung ... das Geschütz ist wieder in Ordnung, kann wieder feuern. Eine feindliche Salve heult heran und schlägt in Marshöhe übers Schiff hinein. Wassersäulen rauschen hoch auf. Von achtern her läuft ein Ruck durchs Schiff, es zuckt wie im Schmerz zusammen und faßt sich.

Er sprang die Treppe wieder hinauf und erstattete Meldung, und stand wieder an seiner Stelle. Das Schiff hatte von der zerschossenen Back her Wasser übergenommen, es hing schief nach vorn; der Gischt sprang höher übers Deck; aber die Fahrt war unvermindert. Die Geschütze feuerten mit Macht; das Schiff bebte unter ihren Abschüssen. Zuweilen kommen die Abschüsse der nächsten deutschen Schiffe zu gleicher Zeit, dann schwillt das ungeheuerliche Krachen an; es füllt mit seinem wilden Tosen den ganzen Himmel. Von drüben aber, in der Reihe der Engländer, die in wilder Fahrt dahinjagen ... Rauch fliegt hinter ihnen her ... blitzen die Mündungsfeuer, hallen die mächtigen Donner. Nun kommen sie an! ... Da ... noch ehe sie da sind, schießt die ›Below‹ ... drei ... vier Abschüsse ... das Schiff duckt sich von dem ungeheueren Druck, schüttelt sich und hebt sich wieder, nun kommen sie ... Wie sie heulen! ... wie sie sich jammernd, polternd durch die Luft quälen! Harm Ott steht still, die Zähne zusammengebissen ... die Hände am Gestänge ... und sieht ihnen entgegen: ›Wie merkwürdig ... wie wehrlos ich hier stehe! Sie kommen gerade auf mich zu! Auf Stirn und Kopf legt sich ein schwerer Druck ... Es ist aus mit mir! Sei meiner Seele gnädig!‹ Da! ... Zu weit nach vorn! ... Die eine schlägt wieder in die Back, die andern stürzen vorm Bug ins Meer ... drei Wassersäulen, ungeheuer breit, weiß und blank, schießen empor, kirchturmhoch, jagen über das ganze Schiff hin bis über den Mars, und zerschellen mit ungeheurem Gischt auf Decks und Türmen. Als sie eben weg sind und die Sicht wieder klar und die vielen Augen wieder nach dem Feinde sehn, nach den fünf fingerlangen blitzenden Strichen am Horizont, heben sie jäh die Hände ... und zeigen dahin ... sieh! ... sieh! Da ... da! Das sechste in der Reihe hat sich urplötzlich gewandelt ... Um ungeheure Massen und Stücke, die glühend aufspringen, flackert eine Wolke, wie ein Kleid von braunrotem gräßlichen Glanz ... nun steht sie da, grau ... schrecklich ... tot ... nun weht der Wind sie dahin! Die Männer auf der Brücke sehn sich an, die Lippen zusammengepreßt ... sie nicken sich zu ... sie sagen ein kurzes Wort, und starren wieder nach der Reihe, und nach der Lücke in ihr. Eine volle Breitseite jagt heran, heulend, wie wahnsinnige Teufel singend. Eine Erschütterung geht durch das Schiff.

Ein Wink aus dem Schlitz des Turmes. Er springt heran. Er soll in der Maschinenzentrale fragen, ob die Geschwindigkeit beibehalten werden kann.

Er springt die Treppe ins Signaldeck und die zweite Treppe unter die Back, und die dritte Treppe hinunter. Am Wassertank steht ein Sanitätsposten ... hält ihn am Arm und fragt ihn schreiend: »Wie steht es? gut?« Er nickte und wollte ihn fragen, ob sie viele Verwundete hätten; aber der Lärm der Maschinen und der Abschüsse, die eben donnernd hereindringen, verschlingt seine Stimme. Er rannte Steuerbordseite weiter durch die Kasematten ... dachte: ›Könnte ich meinen Bruder nur einmal sehn, ob er noch lebt‹ ... glitt die vierte Treppe hinab und wollte in die Maschinenzentrale springen ... in dem Augenblick schlägt es mit schrecklichem Krachen, mit ungeheurer Gewalt, seitwärts vor ihm hinter den Bunkerwänden ein ... Eisen birst und splittert ... das ganze Schiff macht einen kleinen Sprung ... ein Schreien ... ein Heizer, pechschwarz, den Mund mit den weißen Zähnen geöffnet, kommt aus der Bunkertür und schleppt einen Kameraden, dem das Blut von Mund und Schenkel rinnt, hinter sich her. Einige Heizer springen hinzu, einer dringt, die Gasmaske vor, in die Tür, in der die dicken Rauchschwaden stehn. Vorüber. Ein Sprung ... und er steht vor der Zentrale. An der Tür stehn Heizer in Troyer und Hosen, Schweißtücher um den Hals, alte Tücher um den Kopf, eilig, die Gesichter dunkel bestaubt, heiße Augen aus dunkeln Höhlen, und machen Meldung von ihren Kesseln ... ein Unteroffizier faßt einen Jüngeren am Arm und sagt: »Ruhig ... Ruhig! Der Stabsingenieur ist nicht da ... Im zweiten Maschinenraum!«

Er wandte sich um, rannte zwischen den rollenden Säcken und schwarzbestaubten, stöhnenden Heizern hindurch, sprang den Niedergang hinab und stand im Heizraum. Der Stabsingenieur stand neben dem Wachthabenden und sah nach oben, wo einige Leute auf der Leiter schweißtriefend, alle Muskeln gespannt, die Augen unruhig flackernd, mit schweren Eisenschlüsseln arbeiteten. Er sah Harm Ott stehn und winkte ihm, zu warten. Welch ein Lärm! Wie es gegen die Ohren andonnert und drängt! Wie die riesigen Feuer prasseln! Wie die Heizer arbeiten! Wie die Schaufeln stoßen, die Feuertüren hart aufschlagen, die Ventilatoren sausen und pfeifen, nun im höchsten Ton singen. Im Sprachrohr schreit es Befehle; in einem stillen Augenblick hört er durch die Leitung dicht neben sich den Feuerbefehl von der fernen Brücke herab: ›hundertzwanzig hundert ... Schieber ...‹ dazwischen fern und dumpf das Donnern der Geschütze und von oben her das Stoßen und Schlagen gegen die Eisenwände, das Arbeiten der Schraubenschlüssel, das Rufen der Menschen. Die Heizer hören und sehen nichts von allem, sie sehen nichts als die Feuer. Halbnackt, in Schweiß wie in Wasser, mit flimmernden Augen, die riesigen Schaufeln und Stangen in den Händen, stoßen und schüren sie in glühenden Massen. Ein Maat schreit irgendeinen Befehl oder sagt irgendein Wort der Erklärung; ein langer Heizer kann die ungeheure Stange, die auf einen harten Block Glut gestoßen ist, nicht allein hantieren; er stößt seinen Kameraden an, einen kurzen, breiten; der läßt die Schaufel fallen und faßt mit seinen mächtigen Fäusten zu; die Muskeln an seinem Arm springen hoch. In einer Bunkertür erscheint eine Gestalt, von oben bis unten schwarz, nur Augen und Zähne blitzen weiß ... er streckt die Hände aus ... ein Kamerad reicht ihm einen Trunk Wasser.

Die Arbeit auf der Leiter ist getan. Der Stabsingenieur nimmt den beiden Männern selbst die Eisenschlüssel ab. Er sieht auf Harm Ott, der springt hinzu und erhält Antwort.

Er springt die Treppe wieder hinauf und rennt nach vorn. Als er durch den Kasemattgang weiter vorläuft, sieht er vor sich Dunkel und es kommt ihm ein schwefeliger, süßlicher Geruch entgegen. Er will zurück, weil er meinte, er könne nicht hindurch, und wollte durch den andern Gang eilen, da sah er einen Verwundeten sich abmühen, den Gang entlang aus dem Dunst zu kommen; die Gasmaske war ihm abgerutscht; er machte mit dem verwundeten Arm eine matte, unbeholfene Bewegung, sie sich wieder vors Gesicht zu legen. Da sprang er vor und faßte ihn und riß ihn mit sich und sah dabei durch die Tür die zweite Kasematte voll Rauch und brandigem Dunst, stolperte über einen, der da zerrissen in seinem Blut lag, und kam mit dem Verwundeten glücklich bis an die Treppe ... da, durch einen Treffer, der schräg über ihm in Lee das Deck traf, verwirrt, ließ er ihn da liegen und sprang die hohe Treppe hinauf, um zum Admiral zu kommen, und kam um die Rückwand des Kommandoturms ... da sah er, im Umbiegen, das Häuflein der Kameraden, mit denen er da gestanden hatte, wie vom Sturm hingeweht, zwischen Turm und Reling dicht aneinandergeworfen, in ihrem Blute liegen. Der Leutnant, gegen die Turmwand geworfen, schwer blutend, versuchte sich zu erheben, fiel aber wieder um. Er meinte wohl, daß Harm Ott der Sanitätsgast wäre, und sagte: »Erst die andern ... erst die andern.« Harm Ott lief an ihnen vorüber und erstattete seine Meldung und stand wieder an seinem Platze, mit dem einen Arm den Leutnant stützend, der trotz seiner schweren Verwundung nicht von seinem Platze weichen wollte, die toten Kameraden zu seinen Füßen. Er dachte in abgerissenen Stößen, mitten in Not und Tod: »Wenn Mutter mich hier sähe ... so stehen!« Gleich darauf flog drüben beim Feind das dritte Schiff in der Reihe in die Luft. Eine rotlila Wolke stand bis an die Wolken; dann brach sie zusammen. Er starrte noch hin, da stieß ihn sein Nebenmann, der Signalmaat, an und wies zurück. Als er dem weisenden Arm folgte, sah er hinter ihnen im Süden ... nicht mehr fern ... große Rauchwolken ... eine ganze Reihe mächtiger Schiffe in Kiellinie in hoher Fahrt ... weißen Gischt hoch vorm Bug ... »Unsre Flotte!« rief der Maat ... Da freute er sich! Eine ungeheure Wut und Zorn überkam ihn. »Siegen! Siegen! Daß diese Qualen ... dieser Tag ... nicht vergebens waren!« Eine Salve kam angefahren, heulend; eins der Geschosse wälzte sich mit schwerem Stoßen und Poltern ... mit »wuh ... wuh,« wie wenn es über hohle Steinwege ginge, durch die Luft und schlug ins Vorschiff, dicht unterm Turm. Das Schiff duckte sich und zuckte auf; Rauch schoß auf ... er mußte die Hand vor den Mund halten ... der Rauch flog vorüber ... der Turm hielt.

Gleich darauf merkte er, daß das Schiff drehte und Kurs nach Norden nahm, und bald darauf, daß drüben die Striche sich genähert hatten. Und statt vier fuhren da nun acht oder neun und Blitz folgte auf Blitz. Und die Blitze heulten herüber und schlugen ein; das Schiff bebte, schütterte ... wieder ... wieder. Wie mit Riesenhämmern! Krach! Splitter, wie Menschenkörper groß, jagten übers Deck, fielen berstend gegen die Wände der Türme. Das Schiff lag unter dem Feuer schwerer Übermacht. Das dauerte eine Weile, vielleicht zehn Minuten; dann wurde die Luft diesig und unklar. Zu gleicher Zeit oder gleich nachher kam auch von der andern Seite Feuer. Hier und da, zur Linken und zur Rechten, war ein leichter Nebel mit Rauchwolken entstanden, und durch den Nebel blitzte es hier und da wie von fernen, trüben, feurigen Augen; dreißig oder fünfzig Wassersäulen standen rund um das jagende Schiff, wie hohe Riesenposten und stürzten mit tobendem Rauschen zusammen. Gleich darauf sah er ein Torpedoboot sich dem Schiff nähern und längsseit kommen. In dem Augenblick trat der Admiral aus dem Turm, sein Stab hinter ihm, und begann die Treppe hinabzugehn. Der Flaggleutnant winkte ihm zu. Er sah noch, wie der Kapitän dem Adjutanten, der noch immer aufrecht zwischen den Toten stand, irgendeine Erquickung zwischen die bleichen Lippen schob, dann fragte er im Vorwärtsgehn den Nächsten, was los wäre.

»Der Funkentelegraph ist beschädigt ... wir gehn auf ein anderes Schiff.«

Da stolperte er hinterher, die Augen hinter sich nach dem Leutnant, der im Arm des Kapitäns lehnte.


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