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Das neue Paradies

Als der finstere Schatten der Schuld des Paradieses heiteren Frieden verdrängt hatte und die Blütenzeit menschlichen Glückes allmählich zu welken begann, da trauerte der Himmel und verhüllte sein Antlitz in Wolkenschleier und vergoß bittre Tränen der Pein.

Lange währte die Trauer der Natur, und die gefallenen Menschen zagten und bebten und verbargen ihr schuldiges Haupt in der Tiefe der Felsen oder in den dichtesten Wäldern, denn sie meinten also dem Strafgericht des Mächtigen zu entgehen, der zum ersten Mal in der Stimme des Donners zu ihnen sprach.

Mit stiller Betrübnis sah Eloah, der Schutzengel der Geschaffenen, wie das Ebenbild Gottes immer mehr aus dem mutlosen Dasein der Menschen verschwand. Hoch und herrlich hatte Gott den Menschen erschaffen. In stolzem Bewußtsein flammte sein Auge, göttlichen Feuers voll, und seine Stimme war laut und klingend, weil durch sie der Hauch des Ewigen offenbart werden sollte, der in seinem Busen wohnte. Jetzt suchte das irre Auge den Boden, schüchtern abgewandt von dem Reiche des Lichtes; die Stimme seiner Brust war verhallt, wie der Tempel verstummt, aus dem die Götter entflohen sind, und die bebenden Lippen fanden nur noch Laute, ihre Schuld zu bereuen und um den Verlust des Paradieses zu klagen.

Dies alles sah Eloah, vertraut mit dem Grauen der Zukunft, und seine Seele war voll tiefer Trauer, und er trat mit heißen Tränen vor Jehova und sprach:

»Wecke, o Allgütiger, eine neue Kraft aus der Erde Schoß zum Segen deiner Erschaffenen. Siehe, ihr Geist ist gebeugt und zu Boden gedrückt von der Last ihrer Schuld. Belebe ihn aufs neue durch ein Wunder deiner Macht und reiße ihn aus der dumpfen Betäubung durch einen Beweis deiner Gnade!«

So sprach Eloah, und Gott erhörte sein Gebet und gebot dem Schoß der Erde, die edelsten Kräfte zu sammeln und einen neuen Segen hervorzubringen zur Freude der Menschheit. Da wuchs die Rebe empor und bot die üppigen Trauben dem schwachen Geschlecht zur Labung dar, und ihre Frucht war süß und belebenden Feuers voll.

Und die Menschen erkannten alsobald die herrliche Gabe und ihre Kraft, das Herz zu erfreuen und neuen Mut zu geben, und sie pflegten sie sorglich und pflanzten sie um ihre Hütten, und es erfreute sich daran jung und alt. Aber wie auch, von der Glut des Weines gestärkt, ihr Geist sich freier und mutiger bewegte, so wollte er dennoch nicht gänzlich genesen, und die Augenblicke der Freude waren vielmehr einem ausgelassenen Taumel gleich, der einen noch düsterern, unmutigeren Zustand zurückließ.

Mit kummervollen Blicken sah Eloah, von welcher kurzen Dauer das Glück war, welches die Erde gegeben hatte, um den Menschen mit seinem Unglück zu versöhnen. Und er erhob sein Antlitz wiederum zum Himmel und betete zu Jehova und sprach:

»Siehe, die Gabe deiner Erde ist süß und erlabend, und des Menschen Herz hat seine Freude daran, aber was von der Erde kommt, ist vergänglich wie sie, darum, o Ewiger, erbarme dich aufs neue des Menschen! Sende einen Strahl deines Himmels herab, unvergängliche Freuden bringend, damit das entartete Herz sich wieder frei und hoffend seinem himmlischen Vaterlande zuwende, dem allerfreuenden Licht!«

So betete Eloah voll Inbrunst gen Himmel, und die ewige Liebe erhörte das Flehen des Engels und sandte ihm den Trost der Gewährung.

Da entstieg dem Schoße des Lichts eine freundliche Huldgestalt mit hellglänzenden Schwingen, die schwebte in leichtem Fluge zur Erde hinab; bunte Blumen entkeimten ihren Schritten, und die Gefilde verklärten sich von dem Abglanz ihres himmlischen Gesichts. Und sie trat in den Kreis der Menschen und erzählte ihnen von den Freuden des Himmels und von den Geheimnissen der Natur und erfüllte ihre Brust mit seliger Ahnung und erweckte in ihnen ein neues seliges Leben. Und die Menschen lauschten erst mit schüchterner Freude den lieblichen Tönen ihres Mundes, bald aber entbrannten sie von heiliger Begier, all das Große, Herrliche nachzuahmen, wovon die freundliche Göttin erzählte. Still und sinnend wandten sie ihren Blick allmählich von den Erscheinungen der Erde ab und senkten ihn in die eigene Brust, als käme von dort aus das Glück, dessen Ahnung sie so beseligend erfüllte. Einsam wandelten die begeisterten Jünger der himmlischen Lehrerin durch die Natur. Schon entfaltete sich der Gedanke in der forschenden Seele, und die Pulse begannen sich in höherer Tätigkeit zu bewegen. Bald entkeimten die ersten Früchte des Segens aus der Saat der freundlichen Göttin. Nachahmend die Lauben des Hains, wölbte sich der Bau des ersten Tempels unter der schaffenden Hand der sinnreichen Lehrlinge. Bald tönte der Klang fröhlicher Instrumente darinnen, und die Hymne der Menschen übertraf das Lied der Sänger im Hain. Auch die vergänglichen Erscheinungen der Natur suchten die kühnen Bildner zu fesseln und wiederzugeben in Bild und Form. Ueberall wehte der Odem der Kunst und drängte die Geschaffenen, nachzustreben dem unsichtbaren Erschaffer, um zu ergänzen die Leere in ihrem Dasein und kund zu geben die göttliche Abkunft ihrer Seele.

Und die Klagen verstummten und die Gestalt des Menschen erhob sich wieder freier und stolzer, denn die Pforten eines neuen Paradieses hatten sich auf den Wink der himmlischen Kunst den Sterblichen zu ewig jungen Freuden erschlossen.


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