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Das Kleinod

Ein Knabe erblickte voll Erstaunen in einem Naturalien-Kabinett einen großen Kieselstein, dessen unansehnliche Hülle einen kostbaren Amethyst verbarg. Er hatte schon mehrere Steine von ähnlichem Aeußern gesehen und beschloß, fortan alle solche Kiesel zu sammeln, um sich eines ähnlichen Schatzes zu versichern. Die Liebe, die er zu seinen Eltern hegte, zeigte ihm in dem Kleinod, das er zu erringen hoffte, das willkommene Mittel, manche ihrer kleinen Sorgen zu erleichtern; so kam es, daß er sie oft mit der Hoffnung auf bessere Zeiten tröstete und das Glück der Kinder pries, denen es gelange, Freude über das Leben ihrer Eltern zu verbreiten. Er begann nun, so oft er vermochte, weite Wanderungen in das Gebirge zu machen; er hatte sich die Abzeichen jenes Steines wohl behalten und suchte nach ihnen mit prüfenden Blicken umher. Immer kam er beladen nach Haus und vermehrte den Vorrat, den er in seinem Kämmerlein aufschichtete, denn er gedachte sich einen großen Reichtum zu sammeln und trug sich mit den fröhlichsten Hoffnungen.

Der Vater, der das stille Treiben seines Lohnes beobachtete, bemerkte bald mit Unmut, daß er über dem Eifer, mit dem er den Mineralien nachging, die nötigsten Arbeiten zu vernachlässigen begann. Wirklich hatte auch der Knabe seit jenem Tage allen Trieb zu nützlichem Fleiße verloren, denn wie er auch bisweilen seine Bücher hervorsuchte, immer zog es ihn wieder zu den Steinen, und er hämmerte und zergliederte unaufhörlich, und auch in den Lehrstunden waren seine Gedanken bei den Kieseln, und er träumte sogar davon.

Da begab es sich einst, daß der Vater, von den Winken der Lehrer aufmerksam gemacht, in seines Sohnes Kämmerlein trat, um ihn mit Ernst zu ermahnen. Er fand ihn aber gar traurig am Boden sitzen, und sein Auge sah kummervoll, und viele der zerschlagenen Steine lagen um ihn her.

»Was weilst du so still und betrübt unter den Kieseln?« begann sein Vater.

»Ach,« seufzte der Knabe, »ich habe, seitdem ich den unvergleichlichen Amethyst gesehen, immer gehofft, einen ähnlichen Schatz zu entdecken, und dachte mir es so schön, euch alle damit zu erfreuen und allen zu helfen mit dem Ertrag meines Fundes, aber mein Suchen und Mühen ist vergebens, und ich gebe nun alle Hoffnung auf, ein solches Kleinod zu erringen.«

»Daran würdest du Unrecht tun!« entgegnete der Vater. »Gewiß hat die Natur jenes Bild nicht vergebens vor deine Augen gestellt! Bewahre es getreu, vielleicht gelingt es mir, dich auf sichererm Wege zu einem Schatz zu führen, der dir alle jene Vorteile gewährt.«

»Wie, du wüßtest?« unterbrach ihn der Knabe in froher Ueberraschung. »Wo ist der Schatz den du meinst, und wie soll ich ihn finden?«

»Das Kleinod, von dem ich sprach,« entgegnete der Vater, »liegt viel näher, als du meinst, und es bedarf nur eines frommen beharrlichen Sinnes, um sich desselben zu versichern. Wie töricht, daß du auf den Höhen des Gebirges umherirrtest, daß du beschwerliche Klippen erstiegest und dich müde trugst an den lastenden Kieseln! Nicht dort, in dir selbst liegt der Schatz, den du suchen solltest, und nicht umsonst standest du vor dem rohen Stein, dessen Tiefe dir seine inneren Schatze enthüllte und hinwies auf einen ähnlichen Gewinn. Die Hoffnung, die damals in dir erwachte und dir einen noch unbekannten Segen verhieß, hat dich nicht getäuscht, aber die Richtung war falsch, die dein Streben genommen. Weißt du nicht, mein Sohn, und hat es dir dein Herz nicht gesagt, wo du das, was ich meine, suchen und finden sollst? Hat nicht des Schöpfers Hand in unsre Brust schönere Reichtümer niedergelegt, als in den leblosen Kiesel? Und sind nicht die Vorteile unendlich größer, die du dir von ihrer Pflege versprechen darfst? Warum willst du einen Schatz übersehen, dessen Segen so wichtig ist, und deinen Blick nach außen kehren, wo alles des Gepräge der Vergänglichkeit trägt?«

Da verstand der Knabe des Vaters Rede, und er errötete, denn er gedachte der vielen Stunden, die er unnütz versäumt hatte, und die Ermahnungen der Lehrer fielen mit dem eigenen Vorwurf vereint auf sein Herz.

»Wie schade ist es um die verlorne Zeit,« seufzte er endlich, »und wie betrübt es mich, daß ich trotz aller meiner Mühe so gar nichts gewonnen habe!«

»Vergiß nicht, was diese Stunde dir gab,« ermahnte der Vater. »Du solltest vielleicht den geringeren Vorteil entbehren, damit dir ein größerer zu Teil würde. Gehe hin und suche die Schätze, die ich dich kennen gelehrt; in Fleiß und Geschicklichkeit wirst du sie finden!«

Da ermannte sich der Knabe und trug die unnützen Steine hinaus und schlug statt ihrer die Bücher auf und forschte nach andern Juwelen. Der innere Schatz aber nahm zu mit jeglichem Jahr, und zuletzt ward ihm gegeben, nach dem er verlangte, – er wurde die Freude, die Stütze seiner Eltern!


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