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8. Kapitel.

Der öffnende Diener teilte Frau von Marfen mit, daß der Herr Hauptmann sich in seinem Zimmer eingesperrt und gesagt habe, die Dienerschaft könne sich zur Ruhe begeben, er bedürfe nichts mehr, Nun aber werde man natürlich für die gnädige Frau einen Abendimbiß herrichten und den Herrn Hauptmann von der Ankunft der Frau Mutter in Kenntnis setzen.

»Lassen Sie das alles, Andreas, ich brauche nichts. Stellen Sie mir einen Syphon ins Speisezimmer und dann legen Sie sich zur Ruhe. Ich werde schon selbst bei meinem Sohn anpochen.« Langsam begab sich Frau von Marfen in ihr Zimmer, wusch sich den heißen Staub von Gesicht und Händen, und pochte dann an Roberts Tür. Zuerst erfolgte keine Antwort, als sie aber dann, zum zweitenmal anklopfend, leise rief: »Robert, mein Sohn, ich bin's, laß mich eintreten,« da hörte sie starke Schritte, wie etwa von einem Mann, der ungeduldig aufsprang, und gleich darauf flog die Tür auf und Robert von Marfen erschien auf der Schwelle. Fast wäre die Mutter mit einem erschreckten Aufschrei zurückgewichen, so verändert, so übel sah ihr Liebling aus. Ach, sie wußte ja nur zu gut, auch ohne daß ein Wort auf seine Lippen trat, welch vernichtender Schlag ihn getroffen, und sie rang nach Worten, um ihm zu sagen, wie sehr sie mit ihm fühle. Aber ach, sie fand nicht einmal mehr Zeit, diese Worte auszusprechen, denn mit einem schrillen, fast irren Lachen rief er ihr entgegen:

»Du bist wohl gekommen, um zu triumphieren, nicht wahr? Denn du hast ja Ola, mein Weib, das Glück und den Stern meines Lebens, nie geliebt! Glaubst du, ich weiß nicht, wie du gesucht, gewühlt, intrigiert hast, um gegen sie wirken zu können, um sie von meinem Herzen loszureißen? Und jetzt freust du dich wohl, weil du glaubst, daß es dir gelungen sei! Aber du täuschest dich, ich lasse nicht von ihr! Ich begreife ja, daß ihr ein Heim unerträglich geworden, in dem man ihr nachspürte, sie verdächtige, ihr keine wahre Liebe entgegenbrachte. Es mußte ihr ja die Existenz hier im Hause unleidlich werden, und da ist sie denn fortgegangen in die Fremde, weiß Gott wohin, und hat mich, mich verlassen, der den Boden angebetet, den sie betreten! Verleumdung, Unwahrheit ist es vermutlich, daß sie mit einem andern in die Fremde gezogen, und wenn, so geschah es nur, um einen Freund zu haben, der ihr die Wege ebnete, bis sie in der Fremde wieder festen Fuß gefaßt, und nicht, weil sie jenen liebte, wenn sie dies auch behauptet hat. Mein Gott, ich sehe ja jetzt erst ein, wie schwer ich mich gegen sie, die Hohe, die Herrliche, versündigte, indem ich ihr nie ein Heim geboten, wie es ihrer wert gewesen, indem ich sie in die kleinen, beschränkten Verhältnisse hineingezwängt habe, die für ihre große Seele nicht geschaffen waren. Mein Gott, du kannst ja nicht ahnen, nicht begreifen, wie namenlos unglücklich ich bin, wie nichts auf Erden Reiz und Glück für mich besitzt, wenn ich es nicht mit Ola teilen kann!« Stöhnend sank er auf einen Stuhl, und Frau von Marfen, die bisher noch nicht dazugekommen war, auch nur ein Wort zu sprechen, fragte sich bangen Herzens, ob das denn nicht der Wahnsinn sei, der aus den völlig verstörten Blicken ihres Sohnes ihr grinsend entgegenstarrte.

»Robby, mein geliebter Junge,« sprach sie, bestrebt, mit linder Hand die wirren Haare aus der Stirne des Sohnes zu streichen. »Fasse dich, trage dein Schicksal, das sich nun nicht ändern läßt, mit männlicher Würde, und sei überzeugt, daß niemand so treu, so innig mit dir fühlt, wie deine alte Mutter.«

»Laß mich, Mama, laß mich, du hast sie nie verstanden und bist mir dadurch fremd geworden! Dich trifft die Schuld an dem Unglück, das mich heimgesucht, das kann, das werde ich dir nie verzeihen!«

»Robby, so überlege doch, was du sprichst! Ist es denn denkbar, ist es möglich, daß du plötzlich in mir eine Feindin siehst? Sind alle Jahre der Liebe und Treue, die uns verbunden, verweht wie das Blatt im Winde? Kann und darf denn das sein? Denke zurück an die Tage der Kindheit und Jugend, wo es nie einen Mißklang zwischen uns gegeben, du mußt dir doch sagen, daß ich dir die gleiche geblieben, daß, wie ich damals kein Opfer scheute für dein Glück, ich es auch jetzt nicht scheuen würde!«

Mit finsterer Miene hatte er dagesessen, und sie konnte sich keine Rechenschaft darüber geben, ob er ihre Worte gehört oder nicht. Nach einer Weile erhob er sich, trat an seinen Schreibtisch, öffnete ein Schubfach desselben und reichte ihr einen Brief, an dem sie auf den ersten Blick Olas krause unregelmäßige Handschrift erkannte.

»Da lies,« sprach er mürrisch, »dann wirst du vielleicht einsehen und begreifen, daß du, wirklich du es gewesen bist, die mir mein Glück geraubt!«

Frau von Marfen war derart erschüttert, Robert so zu sehen und so harte, bittere Worte des Vorwurfes von seinen Lippen zu vernehmen, daß sie sich zu einer Entgegnung unfähig fühlte und nur mit angstvollen Augen auf den Sohn blickte, der ungeduldig fortfuhr: »Lies nur, vielleicht wirst du dann eher einsehen, wie verzweifelt ich bin!« Sie griff nach dem Schreiben und las:

 

»Lieber Robert! Wenn Du diese Zeilen erhältst, oder, richtiger gesagt, findest, habe ich für immer die Kette entzweigerissen, deren Klirren ich nicht mehr zu ertragen imstande bin. Daß ich mich an deiner Seite nie glücklich fühlte, hast Du wohl längst gewußt, aber Dich nie darum gekümmert, weil es in Deiner Natur liegt, allem Unangenehmen aus dem Weg zu gehen. Seit Du, auch aus Bequemlichkeit, um nur im Hause ja alles so zu haben, wie Du es immer gewohnt gewesen, Deine Mutter als ständige Hausgenossin mir ausgenötigt hast, ist die Existenz für mich immer unerträglicher geworden, und jetzt hat sich alles derart zugespitzt, daß ich das Gefühl habe, es absolut nicht mehr länger aushalten zu können. Laß mich einmal jetzt, da unsere Wege sich für immer scheiden, rückhaltslos aufrichtig sein. Du wirst das, was ich jetzt ausspreche, eine Roheit finden, aber weit davon entfernt, einer solchen fähig zu sein, glaube ich Dir durch eine unumwundene Darlegung der Wahrheit die Situation wesentlich zu erleichtern. Laß mich daher in dürren Worten aussprechen, was Du, wenn Du weniger eitel und selbstbewußt, weniger von Deiner Mutter verzärtelt gewesen wärst, längst hättest empfinden müssen, daß es nie Liebe gewesen, die mich veranlaßt hat, die Ehe mit Dir einzugehen, sondern daß ich mich nur aus unerträglichen Verhältnissen loslösen wollte, nicht ahnend, daß ich mich an eine Kette schmiede, an der ich schwerer tragen würde als an den Verhältnissen, in denen ich bis zu meiner Vermählung gelebt. Du warst zu kurzsichtig, zu kleinlich, um zu begreifen, daß meine Jugend und Schönheit berechtigt war, andere Ansprüche zu erheben, andere Verhältnisse zu fordern als jene, die Du mir zu bieten imstande warst. Nur Frau und Mutter zu sein, das mag einem Wesen genügen, welches einen so hausbackenen, nüchternen Horizont besitzt, wie die Frau, die Dir das Leben geschenkt. Ich bin an großzügiges Denken gewöhnt und habe mich niemals mit Anschauungen und Begriffen jener Leute abfinden können, in deren Kreisen zu leben ich durch die Ehe mit Dir gezwungen bin. Ich gebe Dir hiemit die feierliche Erklärung, daß ich mich an Deiner Seite nie glücklich gefühlt, daß ich vermutlich die Existenz, die Du mir zu bieten hattest, nicht so lange zu tragen imstande gewesen wäre, wenn ich an Ettore Baldoni nicht eine gleichgestimmte Seele, einen treuen Freund, gefunden hätte, der nur auch, edel und vornehm wie er ist, durch unzählige Male reichliche Mittel zur Verfügung gestellt hatte, die es mir ermöglichten, mir mancherlei zu gönnen und zu verschaffen, was deiner kleinlichen Seele gar nie eingefallen wäre, mir zu bieten. Nun haben sich die Verhältnisse geändert. Ettore Baldoni ist plötzlich und unversehens in den Besitz eines namhaften Vermögens gekommen und bat mich, die glänzende Zukunft, die vor ihm liegt, mit ihm zu teilen. Empfindungen, die mich daran hindern würden, dies zu tun, hege ich weder für Dich, noch für das Kind, dem ich zwar das Leben schenkte, das aber nur von der Großmutter betreut, verzärtelt und vergöttert wird. Da Gefühle doch immer auf Gegenseitigkeit beruhen, habe ich auch gar nicht die Empfindung, als ob ich eine Lücke zurücklassen würde, wenn ich aus dem Kreise scheide, dem ich bis nun angehörte, und ziehe reuelos und freudigen Herzens einer neuen, glänzenden Zukunft entgegen. Vielleicht wirst Du mir momentan zürnen, ich kann Dir aber nur raten, mache es wie ich, vergiß was gewesen und lebe einem neuen Glück, oder laß Dich von Deiner Mutter weiter anbeten, weiter auf das Piedestal stellen, wie es bisher geschehen ist. Ich für meine Person erhoffe mir in der Zukunft Entschädigung für alles, was ich bisher entbehren mußte. Denke meiner ohne Groll, wie ich auch bestrebt sein will, Dir zu verzeihen, daß Du mir Jahre der Jugend und des Glückes geraubt.

Ola.«

 

Mit steigender Entrüstung hatte Frau von Marfen, dieses herz- und gemütlose Schriftstück gelesen. So handelte, so schrieb eine Frau, die des Glückes teilhaftig geworden war, sich nicht nur von einem Manne angebetet und auf Händen getragen zu sehen, sondern die auch einem Kinde hatte das Leben schenken dürfen, eine Frau, der es vergönnt gewesen wäre, in Mann und Kind aufzugehen. Unfaßlich! Unverständlich!

Frau von Marfen wußte einfach nicht, was sie sagen sollte, nachdem sie das Schreiben gelesen, sie wußte es um so weniger, als sie zu ihrem namenlosen Schmerz die klare Erkenntnis hatte, daß trotz allem und allem Robert verblendet genug war, noch immer an der Frau zu hängen, die ihn so schnöde verlassen.

»Du siehst wohl ein, Mama,« sprach der Hauptmann in einem Ton, der nichts weniger als ehrerbietig, nichts weniger als kindlich war, »du siehst wohl ein, daß ich es einzig und allein dir zu danken habe, wenn mein Lebensglück in Brüche gegangen ist. Ich ahnte und fühlte es ja immer, daß du es nicht verstanden hast, mein geliebte Ola zu würdigen, aber ich war naiv genug, an die Mutterliebe zu glauben, von der du mir bis zum Überdruß vorgebetet und ich wähnte, daß diese Liebe zu mir mir groß genug sein werde, um dich zu veranlassen, die Frau, der mein Herz gehörte, mit der Liebe einer Mutter zu umfangen. Daß dies nicht der Fall gewesen, daß sie unter deiner Behandlung gelitten, geht klar und deutlich aus ihrem Briefe hervor, und das, Mama, das kann und werde ich dir nie verzeihen, nie, nie, nie!«

Er schlug die Hände vor das Gesicht, und ein konvulsivisches Schluchzen ließ seinen ganzen Körper erbeben.

»Armer Robert, mein teurer Sohn,« sprach sie beruhigend, die Hand auf seine Schulter legend, »fasse dich doch, sei ein Mann. Ich will mich ja in deiner jetzigen, erregten Stimmung gar nicht verteidigen, will gar nicht darauf hinweisen, daß deine Frau mit all ihren Anschuldigungen gegen mich vollkommen im Unrechte ist, aber überlege nur, denke nach, an alles was sie da sagt. Sie bekennt es ja unumwunden, daß sie dich nie geliebt, verlohnt es sich da der Mühe, ihr nachzutrauern? Ist das würdig, ist das männlich? Ist es korrekt? Du weißt, mein Kind, daß dein seliger Vater nur immer das leuchtende Vorbild alles dessen gewesen, was der Mann sein soll, und glaube mir, er, der mich geliebt hat, wie kaum ein zweitesmal im Leben eine Frau geliebt werden kann, er, würde mir, wenn ich eines Treubruches fähig gewesen wäre, wie Ola ihn begangen, nie verziehen haben. Es gibt Dinge, an denen unumstößlich festzuhalten man der eigenen Würde schuldig ist. Halte mich nicht für hart und schroff, gewiß nicht; ich gehe sogar so weit, zu sagen, du magst der Frau, die dir die Treu gebrochen, verzeihen, du magst ihr Gutes wünschen, aber du bist nicht berechtigt, ihr nachzujammern, dich nach ihr zurückzusehnen, oder etwa gar den Gedanken zu hegen, sie wieder an dein Herz zu nehmen.«

»Und ich tu es doch, ich kann und will und werde ihr nachreisen, ich werde sie finden, werde sie so lange anflehen, wieder zu mir zurückzukehren, bis sie diesen meinen Bitten nachgibt, weil sie einsehen wird, daß es für mich ein Ding der Unmöglichkeit ist, ohne sie zu leben. Und selbst, wenn sie mich in der Vergangenheit nicht geliebt haben sollte, so wird sie jetzt erkennen, was sie mir gilt, lernen, mich zu lieben, denn die Leidenschaft, die mich verzehrt, die der beste Teil meines Ichs ist, muß und wird auch in ihrer Seele ein wärmeres Gefühl anfachen. Was sie von Baldoni schreibt, das ist ja eben nur geschrieben. Die arme Seele wollte vielleicht eine scheinbar unüberwindliche Schranke zwischen uns aufrichten, damit ihr jeder Rückweg abgeschnitten sei, in Verhältnisse, die ihr unerträglich schienen. Sie dachte, wenn ich an ihre Untreue glaube, so könne ich nicht verzeihen, aber sie rechnete eben ohne die Größe meiner Liebe und diese muß sie rühren, muß sie besiegen!«

Frau von Marfen stand sprachlos da, angesichts der schrankenlosen Leidenschaft ihres Sohnes. Was sollte, was konnte sie sagen? Wie ihm begreiflich machen, daß er in sein Verderben renne, wenn er nicht die Charakterkraft besitze, sich loszusagen von dem Weib, das so deutlichen Beweis ihres Unwertes gegeben hatte. Sie begriff mit heißem Weh, daß, was immer sie auch sagen mochte, er sie nicht verstehen werde, weil er sie nicht verstehen wollte, weil seine Leidenschaft jede ruhige Überlegung, jede klare Einsicht zum Schweigen gebracht hatte, und in seinem Innern nichts mehr lebte, als der tolle Liebeskummer, der sich in jener Stunde seiner bemächtigt hatte, da er Ola zum ersten Male gesehen und von dem er sich seither nie wieder hatte freimachen können.

Sie fühlte nur zu deutlich, daß sie im Irrtum gewesen, wenn sie gemeint hatte, durch Olas Anwesenheit den Sohn verloren zu haben. Jetzt, da sie in der Ferne weilte, war ihr Einfluß ein weit größerer, jetzt hatte die Mutter ihn erst recht ganz und vollständig verloren, ja mehr als das, jetzt war er ihr geradezu feindlich gesinnt, weil er in ihr eine Veranlassung sah, weshalb sein Weib geflohen war.


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