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»Erziehe ihn zu einem tüchtigen, pflichtgetreuen, wackeren Mann. Er möge so werden, wie dein Vater gewesen, der mir stets als Vorbild alles dessen galt, was der Mann zu sein hat!«
Leise, matt, langsam hatte der Sterbende diese Worte gesprochen, und an seinem Lager kniend, hatte sie mit zuckenden Lippen jedem Worte gelauscht, das aus seinem Munde kam. Wie kurz war doch ihr Glück gewesen, und daß sie es trotz aller Liebe und allem Sehnen nicht mehr zu halten vermochte, das fühlte sie mit schmerzbebender Deutlichkeit nur zu klar. Jahrelang hatten sie gewartet, bis ihre Verehelichung möglich geworden, dann gab es einen, ach, so kurzen, schönen beseligenden Traum des reinsten Glückes. Sie war mit ihm, dem begabten, tüchtigen, schönen, jungen Kavallerieoffizier, in die kleine ungarische Garnison gezogen und war, ohne zu denken, zu klügeln, zu sorgen, glücklich gewesen, ach, so glücklich! Ihr Knabe, ihr Robert, erblickte das Licht der Welt, und die junge Frau sagte sich oftmals, daß ihr bange sei vor so viel Glück. Sie hatte die Empfindung, als könnte sie anderen, die der Hilfe und des Beistandes bedurften, gar nicht genug Gutes tun, um nur ja die Götter zu versöhnen.
Da, an einem sonnenhellen, schönen Frühlingsmorgen, brachten sie den Rittmeister Robert von Marfen auf einer Tragbahre ins Haus. Es war ihm auf dem Exerzierplatz beim Reiten ein Blutgefäß geborsten und der Arzt hatte der armen, jungen Frau schonungsvoll mitgeteilt, daß das Leben ihres Gatten nur mehr nach Stunden zähle. Wie Frau Irma imstande gewesen war, unter der Wucht dieser Mitteilung nicht zusammenzubrechen, später hatte sie das nie begriffen. Tatsache aber war, daß die Liebe zu ihrem Gatten, das Pflichtgefühl, der feste Wille, ihn über die Wahrheit hinwegzutäuschen, sie aufrecht gehalten hatten, daß sie an seinem Lager gekniet und anscheinend ruhig zu ihm gesprochen.
Wie gern, ach wie gern, würde sie sich neben ihn gelegt haben, um auch die Augen zu ewigem Schlaf zu schließen, fühlte sie doch im tiefinnersten Herzensgrunde, daß sie mit ihm alles verlor, was ihrem Leben Freude und Glück gewähren konnte! Aber da war die Pflicht, sein Kind bedurfte ihrer, um seines heiligen Vermächtnisses wegen mußte sie leben, mußte sie erfüllen, was sie dem Sterbenden gelobt, Klein-Robby so heranzubilden, wie er es gewollt, ihn in seinem Sinn zu erziehen, zu einem tüchtigen, charakterstarken, vornehm denkenden Mann.
»Ich fürchte mich zu leben und ich fürchte mich zu sterben, weiß ich denn, ob ich ihn wiederfinde? Ob ich ihn wiedersehen werde in jener Welt, aus der noch keiner zurückgekehrt!« Das waren die Gedanken, die sie oft und oft beherrschten. Wie oft in den Jahren, die für sie einförmig dahingerauscht, hatte sie der Stunde gedacht, in der sie zum letzten Male in seine sterbenden Augen geblickt, hatte sie sich bangenden Herzens gefragt, ob sie den Schwur, den sie dem geliebten Gatten geleistet, sein Kind zu einem tüchtigen, korrekten, charakterstarken Mann heranzubilden, auch getreulich erfüllt habe. Sie wußte ja und hatte es oft im Leben erfahren, daß es Menschen gibt, denen das Beste nicht genügt, die sich zum Höchsten geboren fühlen und meinen, alles, aber auch alles müsse ihnen in den Schoß fallen; Menschen, die den anderen alles neiden und für sich nie genug haben können. Mußte sie es erleben, daß ihr Robby, der Knabe, den nach bewährtem Muster zu erziehen, ihre heilige Pflicht war, ein solcher Ich-ling werde? Ihm einen Wunsch versagen? Die Strenge gegen ihn herauskehren? Vielleicht wäre es das Richtige, wäre es sein Heil gewesen! Aber wenn seine lachenden, dunklen, so rätselhaft schönen Augen in die ihren blickten, wenn seine weiche, melodische Stimme schmeichelnd bat: »Gut sein, Mammi!« Wo hätte sie da die Kraft hernehmen sollen, ihm zu wehren und nicht zu tun, was er begehrte?
Und je älter er wurde, desto mehr wünschte und begehrte Robby von der Mutter. Er war ein kluger, begabter Junge, der leicht und gut lernte, und so kam es wohl auch, daß sie nie einen Grund fand, weswegen sie ihm diesen oder jenen Wunsch nicht hätte befriedigen sollen. Er war ja ihr braves, fleißiges Kind, und sie tröstete sich bezüglich seiner oft unbescheidenen Wünsche damit, daß sie sich sagte, er werde ja immer reifer, immer älter und müsse es mit der Zeit wohl selbst erkennen lernen, daß man nicht alles erfassen könne, wonach man die Hände auszustrecken wünsche.
Die Jahre vergingen. Robby legte die Reifeprüfung mit Vorzug ab und trat dann, mehr der Tradition seiner Familie als einem inneren Drange folgend, in die Militärakademie zu Wiener Neustadt ein, jener Schule für junge Leute, die nach höherer militärischer Ausbildung streben. Nach Ablauf der obligaten drei Jahre in der Akademie, während welcher die Mutter ihn öfter besuchte und er auch zu den bestimmten Zeiten auf Urlaub zu ihr kam, wurde er in das Kavallerieregiment eingeteilt, in dem sein Vater gedient hatte. Schnell, aber auch langsam waren diese drei Jahre verflossen, schnell, weil im Fluge die Zeit zu vergehen schien, in der die Mutter ihr Kind hergeben mußte, die Zeit, in der Robby zum Manne heranzureifen hatte, selbständig zu werden und auf eigenen Füßen zu stehen lernen mußte; langsam, weil die Tage ihr endlos erschienen, nun, da sie dieselben nicht mehr nach seinem Stundenplan einzuteilen brauchte. Dann wurde er Leutnant und nach dem obligaten Urlaub, der die erste Erholung der schönen, wilden Leutnantszeit zu sein pflegt, mußte er in eine ferne Garnison abgehen, und zwar nach Siebenbürgen. Lange schwankte die Mutter, ungewiß, ob sie ihre Zelte abbrechen, mit dem Kinde in die Fremde ziehen solle, aber sie sagte sich, daß es vielleicht für ihn nicht gut sei, wenn sie ihn begleite, daß sie seine Stellung im Regiment untergrabe, wenn sie ihn in das Licht stelle, als sollte er nicht loskommen vom Gängelband der Mutter.
Und Robby zog in die Ferne. Anfangs ganz unmerklich, dann immer klarer und deutlicher trat eine Entfremdung zwischen Mutter und Sohn zutage, die sich selbst durch die spärlichen Urlaube, die Robby in das Elternhaus zurückführten, nicht mehr überbrücken ließ. Mit heißem Weh fühlte sie immer zweifelloser, daß er, für den sie ihr Herzblut tropfenweise hingegeben haben würde, für den ihr kein Opfer zu groß war, den sie liebte, wie eben nur eine Mutter zu lieben versteht, ihr fremd und immer fremder wurde. Wie ein Alp legte sich die Erkenntnis auf ihre Seele, daß, wenn sie nun zusammenkamen, sie nicht wußten, was sie miteinander zu reden hatten; sie fühlte, daß er gänzlich aufgehört habe, sie zu verstehen, und daß auch er eine Sprache redete, die sie nicht begriff. Die abgöttische Liebe, die sie vom Augenblick, da er das Licht der Welt erblickt, für ihn im Herzen getragen, war von Jahr zu Jahr durch die felsenfeste Überzeugung erhöht worden, daß ihr Empfinden in seiner Seele einen warmen Widerhall finde, und nun drängte sich ihr immer untrüglicher die Erkenntnis auf, daß dem nicht mehr so sei!
Oft, wenn der Sohn auf Urlaub bei ihr weilte, dachte sie daran, ihn zu zwingen, daß er ihr Rede und Antwort stehe, nahm sie sich auch wohl vor, ihn in seine ferne Garnison zu begleiten, einige Wochen bei ihm zu weilen, sich umzusehen in dem Kreise, in dem er sich bewegte, um auf diese Weise vielleicht zu ergründen, was trennend zwischen ihnen stehe. Robby aber legte, so oft sie auch von dem Plane sprach, ihn zu begleiten, gar keine Freude über dieses ihr Vorhaben an den Tag.
Was, ach, was mochte die Zukunft noch alles in ihrem Schoße bergen? Daß es nur Leid sein werde, glaubte sie instinktiv fühlen zu müssen, und ihr bangte davor.