Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Über die Berge, welche Italien und unser Deutschland trennen, waren derweile in frischem Sommerglanze Folko, Gabriele und Blancheflour, gleich heitern, mit der glücklichen Jahreszeit kehrenden Singvögeln, in die germanischen Gauen herabgezogen. Zu mancherlei Fahrten, talauf, talnieder, über Seen und Bäche fort, und wieder zurück, dem Laufe der Ströme bald folgend, bald entgegen, fanden sich die drei fröhlichen Reisenden in den anmutigen, reich angebauten Gefilden unsrer Heimat verlockt. Denn wo auch die Fremden immer herkommen mögen, so erscheint ihnen doch allzumal unser Land als ein Garten der Freude und der zuverlässigen Treuherzigkeit, und die mehrsten europäischen Wandrer haben es schon deshalben sehr lieb, weil es ihre gemeinschaftliche Mutter ist. Folko und Gabriele mochten überhaupt nur ungern an das Ende ihres Reisens denken, weil ihnen alsdann eine ernste Trennung bevorstand, welcher der edle fränkische Ritter, der Ansprüche seines Freundes auf Gabrielen kundig, nimmer durch einen unauflöslichen Bund vorzubeugen gewagt hätte. So aber führte das Reiseleben, sie wie durch Tanzeswindungen aneinander knüpfend, von einem Tage zum andern ihre Lebensbäche nebeneinander hin, und die milde, freundliche Blancheflour, seit lange her an sittiges Schweigen und Rücksichtslosigkeit auf ihre eignen Herzenswünsche gewöhnt, konnte sich kaum ein ergötzlicheres Spiel gedenken, als an des Bruders und der Freundin Seite durch Wald und Aue so leisen Ganges hinzuziehen.

Es begab sich eines Tages, daß sie zwischen Wiesen, Äckern und Gärten eines schön herauf funkelnden Stromes gewahr wurden, und auf Befragen erfuhren, sie seien an die Ufer der Donau gelangt. Froh des edlen weitgenannten Flusses, und des gesegneten Schwabenlandes, welches er durchfleußt, ließen sie sich gegen Mittag, unfern vom Ufer, im Schatten einiger hochlaubigen Ulmen nieder, und hielten von dem mitgeführten Vorrat ein freudiges Mahl.

Da stellte sich unversehens ein bräunlicher Mensch in Zigeunertracht vor sie hin. Folko warf ihm Geld zu, und hieß ihn, sich fortmachen, damit seine etwas wunderliche Erscheinung die Damen nicht störe. Der Zigeuner aber hatte während dessen schon einen Kasten vom Rücken gehoben, und ihn schnell geöffnet. Da strahlten so funkelnde, und zierlich gefaßte und geordnete Kleinodien hervor, daß die Frauen ihre schönen Augen gar nicht mehr davon wegwenden konnten.

Nun fing der Freiherr ganz anders mit dem Zigeuner zu sprechen an. Worüber nur irgend die Frauen ihr Wohlgefallen bezeugten, das hieß er ihn beiseite legen, fragte endlich um den Preis aller der zierlichen Dinge, welche ihnen vorzüglich lieb geworden waren, zugleich. Der Zigeuner sprach eine unmäßige Summe aus, aber der Freiherr, wenig gewohnt, zu handeln, und gegen jedermann ritterlicher Freigebigkeit voll, gebot alsbald einem Knappen, die verlangten Goldstücke herbeizubringen. Da lächelte der braungelbe Krämer auf eine höhnische Weise, gab vor, sich verrechnet zu haben, überschlug, wie tief nachsinnend, noch einmal das Ganze, und begehrte alsdann den doppelten Preis für seine Ware. Auch den hieß der Freiherr ihm reichen, aber der Zigeuner sagte plötzlich mit ruhiger Unverschämtheit:»Die Sachen sind mir überhaupt gar nicht feil, und ich will sie Euch auf keine Bedingung verkaufen.« – »Ich aber will sie auf jede Bedingung haben«, rief der zürnende Freiherr zurück. »Dir geschähe schon Recht, du frevler, edle Damen neckender Bursch, wenn ich dir dein ganzes Warenlager mit Gewalt zur billigen Buße abnähme, und dessen Preis, statt ihn dir zu geben, einem Kloster oder Hospitale zu eigen schenkte.« – »O ja«, lachte der Krämer mit einem seltsamen Grinsen, »es hat schon viele Raubritter gegeben, auch solche, die nachher das gestohlne Leder den Armen schenkten. Es kommt einzig und allein auf Euch an, ob Ihr deren Zahl vollmachen wollt, oder nicht.« – Errötend wandte der edle Montfaucon sich ab, und sprach: »Du sollst machen, Bursch, daß du von hinnen kommst, und, wenn du christlichen Glauben hast, Gott danken, daß du in milden und verzeihenden Rittersmannes Hände geraten bist mit deinen frechen Taten und Worten.« – Der Zigeuner ging fort, seinen Kasten auf den Rücken schwingend, nach einer Weile jedoch blieb er stehn, sahe sich um, und sagte, zu einer hochgelegnen Veste hinaufzeigend: »Findet Euch nach ein paar Stunden dort oben ein, Herr Ritter, und ich will an Euch verhandeln, was Ihr wollt, ja manch ein wunderliches und höchst unerhörtes Schauspiel mit in den Kauf. Sehr wohl getan wäre es, wenn die Damen mitkämen, denn meine Kunststücke gehn Euch zum Teil alle an, jeglichen auf seine Manier.« – Und damit war er unversehens in ein dichtes Gebüsch verschwunden.

Die drei Reisenden blickten schweigend nach der angewiesnen Höhe hinauf. Ernstfeierlich und sichern Frieden verheißend blickte das uralte Burggemäuer unter dem Schatten tausendjähriger Eichen hervor, die Warten streckten ihre moosigen Gipfel festiglich in das blaue Firmament, von dem Hauptturme des Schlosses leuchtete ein riesiges, vergoldetes Kreuz, sich in den Sonnenstrahlen verklärend.

»Wir müssen da hinauf«, sagte Gabriele, mit leiser, aber gesetzter Stimme. »Wie auch der Bote sein mag, der uns geladen hat, mir ahnet es, unser aller Schicksal muß sich dort entscheiden.« – Blancheflour neigte ernst bejahend das zarte Lockenhaupt, und Montfaucon, tiefsinnigen Erwartens voll, gebot den Knechten, sich zum Aufbruch zu rüsten.

Indem ging ein Bauer vorbei, und der Freiherr fragte ihn nach dem Namen der Veste.

»Es ist Burg Trautwangen«, sagte der.

Folko und Gabriele sahen einander erbebend an, aber wie mit einer Stimme wiederholten sie leise: »Wir müssen da hinauf, wir müssen da hinauf. Dort oben muß unser aller Schicksal entschieden werden.«


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