Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Eilftes Kapitel

Ein früher Schnee hatte sich über die Gebirge gelegt, und die Pfade darin unwegsam oder doch gefährlich gemacht; die Damen fanden sich genötigt, den Winter hindurch in Mailand zu verweilen, ein Zwang, welcher aufhörte, Zwang für sie zu sein, da die Natur noch immer in diesen glücklichen Gegenden ein freundliches Angesicht behielt, und es außerdem in der glänzenden Stadt nicht an Vergnügungen fehlte, würdig, daß zwei so edle Frauen ihre Blicke daran weideten.

Folko und Gabriele lebten dabei erquickliche, und dennoch wieder auch beängstigende Tage. Hatte Gabrielens Mund in jener Befreiungsnacht das Geständnis der Liebe in süßer und schauerlicher Überraschung verkündigt, so waren die holden Lippen auf der Seefahrt um so versiegelter geblieben, teils vor der Beschämung über den unwillkürlichen Verrat, teils vor der Besorgnis, fremde, spottende Hörer, vorzüglich Tebaldo und Vinciguerra, anzutreffen. Darüber waren sich Folko und Gabriele äußerlich fast wie fremd geworden, innerlich aber desto tiefer und unauflöslicher verbunden, so daß sich Montfaucon in seinem adlig zarten Sinne sehr beglückt gefühlt hätte, nur daß der entsetzliche Gedanke zermalmend auf seiner Seele lag, er verrate seinen Freund, den frommen Ritter Otto von Trautwangen. Davor konnte keine rechte Freude in des edlen Franken Gemüte zum Knospen, minder noch zum Aufblühen gelangen, und es begegnete ihm öfters, daß er von Gabrielens leuchtenden Augen weg seine Tritte zu den steinern strengen Augen wandte, die von des nahen Kirchhofs Grabessteinen gegen den irren Wandler hinaufblickten. Dort ward ihm wohl zumut, denn er fühlte, wie das Sterben bloß versöhne, und wie auch selbst der beleidigte Otto nicht mehr auf ihn werde zürnen können, wenn über dem eingesunknen Gerippe ein Marmelstein liege, mit der Inschrift: Cy git Messire le très haut et très puissant Chevalier de Montfaucon. –

Als er eines Tages auch so über die Hügel des Gottesackers hinging, fand er auf einem derselben, über welchen ein Geflecht von vielfachen Ranken hinwucherte, einen steinalten Mann sitzen, die Augenbraunen wie bereift, die Augen fast erloschen, den Bart lang und grau, und bis auf den Gürtel hinunterfallend. Im übrigen sah der Fremde sehr nachdenklich und mißmutig aus, und hatte dadurch etwas Furchtbares an sich genommen, nur daß ein milder Schatten von herzlicher Wehmut über all seinen Zügen lag.

Während ihm Folko achtsam und recht ehrerbietig gegenüber stand, faßte der Greis in seinen Busen, holte etwas Blitzendes heraus, das sich nicht genau erkennen ließ, und beschrieb damit einige wunderliche Bewegungen durch die schon trüber werdende Abendluft hin. Folko sann noch darüber nach, was wohl damit gemeint sein könne, und es wandelte ihn auch schaurig an, ob der Alte vielleicht in Wahnsinn verfalle, da schritt eine hohe Gestalt, in Ritterwaffen prächtig gekleidet, zur nördlichen Türe des Kirchhofes herein. Sie kam dem Freiherrn sehr bekannt vor, und er war im Begriff, sich dem Eintretenden zu nähern, aber dieser sahe ganz wunderlich streng und betrübt aus, dazu fast eben so alt, als der Greis auf dem Grabe, an welchem er einigemal hin und her vorüberschritt, und sich dann zwischen einigen nahe stehenden Denkmalen verlor. – »Schon recht«, sagte der Alte, »nun weiß ich doch, wie du aussiehst, und will dich nicht leichtlich verfehlen. Du aber«, fuhr er, gegen den Grabhügel gebeugt fort, »schlafe ruhig, dein Rachopfer soll dir nicht entgehen, und müßt' ich meine eigne Seligkeit zum Pfande setzen.« – Es war fast, als lasse sich ein leises Weinen aus dem Grabe herauf vernehmen, und der Greis sagte: »Ich weiß wohl, Mutter, was du willst. Du bist allzu weichmütig, und seine herannahende Strafe jammert dich, aber Rache muß sein. Und wozu hätt' ich sonst den Ring?« – Ein heftiges Entsetzen, welches den Freiherrn durchbebte, riß ihn, wie es wohl öfters ehrliebenden und mutigen Männern zu ergehen pflegt, ungestüm nach vorwärts. Er fuhr auf den Greis zu, und fragte ihn harten Tones: »Was tust du hier, zaubrischer Mensch? Was verstörst du die Ruhe der Grüfte?« – »Die hier schläft«, entgegnete der Alte, die Augen in tiefer Wehmut emporschlagend, »ist zu früh in das dunkle Bette gedrängt worden, und solche vor der Reife abgeschüttelte Menschenfrüchte haben selten Ruhe in der Gruft. Es ist da nicht viel zu verstören. Ihr aber, Herr, habt, bitt' ich Euch, die Güte, nicht mich zu verstören. Mit den Toten will ich schon zurechte kommen.« – Montfaucon blieb unschlüssig stehen. Er wußte nicht, sollte er der seltsamen Mahnung ehrerbietig gehorchen, oder war er vielleicht bestimmt, hier irgend ein zaubrisches Bubenstück zu vernichten. – »Kennt Ihr denn die so genau, welche hier schläft?« fragte er den Alten. – »Wie sollt' ich nicht?« entgegnete dieser. »Es war ja meine leibliche Mutter.« – »Und die wollt Ihr noch jetzo rächen, greiser Mann?« fragte der Ritter weiter. »Oder hätt' ich Euch vorhin unrecht verstanden? Denn wer an ihr gefrevelt hat, muß schon lange tot und begraben sein, und auf die Nachkommen Rache zu übertragen, das steht einzig und allein bei der höchsten Gerechtigkeit, deren Sternenaugen dort oben über uns hervorzuleuchten beginnen.« – »Es ist noch gar nicht so lange her mit jener Untat, als Ihr denkt«, entgegnete der Greis. – »Der Frevler lebt noch, und wird auch wohl leben, bis ich ihn erreiche. Mir kann es nicht minder schlecht bekommen, als ihm, aber war ja doch, wie man behauptet, Brutus des tyrannischen Cäsars einiger Sohn, ohne daß es seinen Dolch weiter irre gemacht hätte. Manch einer erzeugt sich seine Strafe selbst. Was Euch betrifft, so seid Ihr mir für heute sehr überlästig, und somit, da Ihr doch wohl nicht den Anfang machen werdet, fortzugehn, will ich es lieber tun.«

Darauf schritt er mit unerwarteter Lebhaftigkeit nach der Kirchhoftür, und es kam dem Ritter Folko plötzlich in den Sinn, das müsse Tebaldo in magischer Verhüllung sein; ja er glaubte an der Hand, mit welcher ihm dieser abschiednehmend etwas höhnisch zuwinkte, Gabrielens wunderlichen Ring deutlich zu erkennen.


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