Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Neunzehntes Kapitel

In Herrn Folkos Schloß, bei der lustigen Abendtafel, saßen viel edle Ritter von mancherlei Völkerschaften beieinander, und sonst auch andere Männer an Geist und Leben frisch, unter denen Tebaldo seine Stelle geziemend fand. Er sprühte bald in seiner italischen Lustigkeit zum Vergnügen der ganzen Gesellschaft auf, und ward vorzüglich durch einen seiner Landsleute, den man Graf Alessandro Vinciguerra nannte, wohlgefällig bemerkt, während Otto ganz still und schweigsam dasaß, nach dem ersten Erstaunen, welches seine hohe, schöne Gestalt und sein glänzend ritterlicher Aufzug geweckt hatte, von allen übersehn. Als die Becher schneller kreisten, und mit feurigem Weinen gefüllt, fiel man darauf, die gesellige Lust durch das Erzählen allerlei bedeutsamer Geschichten zu erhöhen. An Stoff konnte es unter so weit und rühmlich umhergefahrnen Rittern, unter so edlen Meistern in mancher Kunst, nicht fehlen, und alle baten gemeinsam den Hausherrn, daß er den Anfang machen sollte. – »Es dient dem Wirte nicht zur Entschuldigung«, sagte Folko, »daß er nur schlechte oder mittelmäßige Blumen in seinem Garten hegt; genug, wenn seine edlen Gäste ihrer begehren, und somit nehmt hin, was ich zu spenden vermag.«

»So wird mehrern unter euch nicht unbekannt sein, daß mein Haus in den Gebirgen von Norwegen seinen Ursprung hat, und wir dorten noch viel der edlen Verwandten zählen. Von da aus landeten meine Ahnen erobernd auf der fränkischen Küste, drangen erobernd ein in den Bezirk, welcher noch heutzutage Normandie geheißen ist, und brachten unter vielen wunderlichen Sagen auch folgende mit: Ein alter, weitberühmter Held hatte ein holdes Töchterlein, die war Schön-Sigrid geheißen, man sprach in allen nördlichen Landen von ihr, und sie hatte der Werber viel. Außer ihrer Schönheit war sie auch noch glänzend durch ihre seltne Kunde in allen anmutigen Weiberkünsten, und in allem Wissen, dem erfreulich heitern sowohl, als dem geheimen, zaubrischen, welchem sich die Frauen jener Gegenden gern ergeben. So wußte sie vor allem gut einen Trank zu bereiten, welcher, vorsichtig genossen, den Kämpfer mit unerhörter Kraft und Freudigkeit beseelt, ja ihn jeder andern als einer gefeieten Waffe unverletzbar macht. Es soll der Frauen, dieses seltsamen Trankes kundig, noch manche bis auf diese Stunde in den Nordlanden geben, ja, das Geheimnis desselben in einem Zweige unsers Stammes da oben erblich sein.

Nun sagte der alte Held einmal zu seiner Tochter: ›Schön-Sigrid mach dich auf, und geh in den Wald hinaus, und pflücke Beeren rot und Blätter grün. Ich brauche morgen deinen Trank, denn ich ziehe fort in eine heiße Schlacht.‹ – ›Mit wem, Vater, habt Ihr's denn?‹ fragte Schön-Sigrid; und der alte Held entgegnete: ›Mit Hakon Swendsohn, dem jungen Recken, der mich wohl einst in allen Nordlanden überfliegt, wenn ich den kühnen Aar nicht niederzwinge, bevor er noch all seine Kräfte hat. Zudem, weißt du wohl, ist er uns aus einem feindlichen Stamme.‹ – Und Schön-Sigrid zog hinaus in den abendlich dunkeln Wald, einsam, wie es die zaubrische Weise der Trankesbereitung gebot.

Felsen auf und Felsen ab, über die Ufer der Waldströme hin, die leichtgeworfne Fichtenstämme nur kaum verbanden, durch manches finstre Tal, und an manchem schaurigen Abgrund entlängst zog Schön-Sigrid fort, und hatte nun all ihre Kräuter zu dem seltsamen Tranke gefunden, da sah sie im schon hereingebrochenen Nachtdunkel umher, und stand an einer ganz unbekannten Waldesstelle einsam und verloren da. Sie hatte wohl nach den Blumen und Kräutern gesehn, aber nicht nach den Sternen, und so hell daher auch diese am Himmel funkelten, konnte sich dennoch Schön-Sigrid aus ihrem heimlich stummen Wegweisen nicht vernehmen. Wie sie nun noch so zögernd vor sich hinschaute, rasselte es, durch alle Zweige brechend, im nahen Forst, und kaum, daß sie aufschauend eines schwarzen Bären gewahrte, der aufgerichteten Leibes, in gräßlich menschlicher Nachäffung brüllend auf sie losgeschritten kam, so schwirrte auch schon ein Wurfspeer über sie hin, und gleich darauf wälzte sich der Bär in seinem Blute den nahen Felshang hinab. Anmutig lächelnd trat ein junger Kampfheld zwischen dem Gezweig hervor, und erbot sich, das holde Mägdelein, welches sein Lanzenwurf eben errettet, sicher nach Hause zu geleiten. Aber Schön-Sigrid weinte bitterlich, denn all ihre Zauberkräuter und Blumen waren im Schreck ihrem Schleier entfallen, das Pflücken von ähnlichen mußte, den Zaubergesetzen nach, von vorne wieder beginnen, und hoch schon stand der Mond, und fremd und unheimlich war der Jungfrau die Gegend. – ›Suche du und pflücke du nur immer fort‹, sagte der junge Kampfesheld. ›Auch weiß ich wohl, daß man dabei ganz einsam bleiben muß und ungestört. Da zieh ich denn weit um dich her, du schönes Lieb, die sichernde Runde, daß niemand dich hindern soll, und ehe es Morgen wird, geleit' ich dich heim in deines Vaters Felsenburg. Suche nur, schöne Maid, o suche recht emsig nach!‹ – Und zwischen dem Gesträuche verschwand der junge Recke, Schön-Sigrid aber suchte fürder mit großer Lust und Zuversicht, und wenn sie in dem fremden Forst ein ängstlicher Schrecken befallen wollte, fühlte sie sich alsbald wieder ermutigt und erquickt, wie das Klirren der Goldrüstung, welche der junge Ritter trug, fernher durch das Gesäusel der Blätter beschützend herüberklang.

Da war sie endlich fertig mit dem Sammeln der Kräuter, und gedachte nun, sie alsbald in einem goldnen Fläschlein zu kochen, das sie bei sich trug, und so den wunderbaren Trank leichter und sicherer nach Hause zu bringen. Ihr erster, leisester Wink rief ihren Beschützer herbei, und kaum, daß er ihr Begehr vernommen hatte, so trug er schon Reisig und Äste zusammen, und im Hui loderte, des Mägdleins Gebote zufolge, die Flamme lustig durch den gründunklen Forst gegen den einsamen Nachthimmel empor. Aber das Kochen des Zaubergebräues währte lang, und als es nun endlich zustande war, fing wieder Schön-Sigrid bitterlich zu weinen an, denn sie fühlte wohl, daß sie den langen Heimweg nicht mehr unverzüglich zu beginnen imstande sei.

›Schlaf sicher, holde Maid‹, sagte darauf der Kriegsheld, ›ich werde dich schon bewachen, und dich auch wecken zur rechten Zeit.‹ Und aus seinem Mantel und vielem zusammengetragenen Moos bereitete er ihr ein weiches, warmes Lager, und als sie mit scheuem Blicke davor stand, wich er alsbald in die finstersten Schatten des Haines hinein.

Sie erwachte soeben in den Lichtern des Morgenrots vor dem Geruf einiger Kriegshörner aus der Weite, da stand der junge Held wieder neben ihr, und sagte: ›Du mußt machen, daß du nach Hause kommst, denn was von dorten bläst, sind Hakon Swendsohns Hörner, die rufen deinen Vater zur Schlacht. Nimm deinen Trank schnell auf, und komm.‹

Und da führte er das Mädchen durch wunderliche Schleifwege des Forstes bis dicht vor ihres Vaters Burg. Als sie nun dorten von ihm Abschied nahm, wollte sie gern seinen Namen wissen. – ›Ich bin Hakon Swendsohn‹, sagte er, ›und weiß recht wohl, daß du Schön-Sigrid bist, des alten Helden Tochter, und daß du den Trank im Gebirge gesucht hast und gebraut zu meinem Verderben. Aber ich bin schon gar zu lange in dich entbrannt gewesen, Schön-Sigrid, und die Feindschaft unsrer Geschlechter schlägt mir jedwedes Hoffen zu Tod. Nun will ich recht gerne sterben vor deines Vaters rühmlicher Klinge, und wohl bekomm' ihm der Trank.‹

Obzwar nun Hakon sich mit diesen Worten in das Dickicht hinein machen wollte, zu seinen Scharen zurück, ließ dennoch Schön-Sigrid nicht eher ab, als bis er ihr auf die Burg ihres Vaters nachkam. Da erzählte sie, was ihr widerfahren war, die beiden Feinde nahmen einander ihre Waffen ab, und Hakon Swendsohn und Schön-Sigrid wurden ein glückliches Paar.«

Die Gesellschaft hatte ihre Freude an der Geschichte, und ein edler Meister der Malerei sagte: »Die Spiele des Lichtes sind immerdar und überall ein holder Gruß; wo sich aber ein Regenbogen zwischen dräuenden Gewitterwolken gestaltet, geht erst die allerbeste Freude auf. So auch vor tiefen Blicken der Liebe und Mildigkeit, aus den raschesten Gegenden des Nordens erschossen. Das frohe Erstaunen, die Süßigkeit der Überraschung traten mit der Lust an den heitern Gebilden in einen erquicklichen Bund.« – »Ihr habt recht, mein edler Meister«, sprach der Graf Alessandro Vinciguerra, »wenn Ihr den Anblick der Rose wunderbarer nennt in den Nordlanden, als zum Beispiel in unsern blütenüberfüllten italischen Gärten. Aber überraschen können uns die edlen Blumen der Ritterlichkeit und feinen Sitte bei jenen Normännern nicht, ich meine uns, die wir die Normandie gesehn haben, und deren hohe Söhne und holdselige Töchter kennen.«

Verschiedne aus der Gesellschaft hatten sich indes an einen Mann von schönem Wuchs und sonnegebräuntem Antlitz gewandt, der ein Spanier war, Don Hernandez geheißen, und ihn gebeten, eine Geschichte aus seinem Vaterlande zu erzählen. Viel Wunderbares müsse dorten geschehen, hieß es von allen Seiten, in einer so reich erblühenden Gegend an Schönheit und Rittermut, und wo die christlichen Schwerter beständig wehrhaft ständen gegen sarazenische Heeresmenge und Schlauigkeit und furchtbare Pracht. Hernandez bat um eine Laute. Er wollte seine Geschichte lieber singen, als erzählen, sagte er. Es geschah nach seinem Begehren, und die Saiten mit großer Lieblichkeit rührend, sang er folgende Worte.

    »Don Gayseros, Don Gayseros,
Wunderlicher, schöner Ritter,
Hast mich aus der Burg beschworen,
Lieblicher, mit deinen Bitten.

    Don Gayseros, dir im Bündnis,
Lockten Wald und Abendlichter.
Sieh mich hier nun, sag' nun weiter,
Wohin wandeln wir, du Lieber?«

    »Donna Clara, Donna Clara,
Du bist Herrin, ich der Diener,
Du bist Lenk'rin, ich Planet nur,
Süße Macht, o wollt gebieten!«

    »Gut, so wandeln wir den Berghang
Dort am Kruzifixe nieder;
Wenden drauf an der Kapelle
Heimwärts uns, entlängst die Wiesen.«

    »Ach, warum an der Kapelle?
Ach, warum beim Kruzifixe?« –
»Sprich, was hast du nun zu streiten?
Meint ich ja, du wärst mein Diener.«

    »Ja, ich schreite, ja ich wandle,
Herrin ganz nach deinem Willen.« –
Und sie wandelten zusammen,
Sprachen viel von süßer Minne.

    »Don Gayseros, Don Gayseros,
Sieh, wir sind am Kruzifixe,
Hast du nicht dein Haupt gebogen
Vor dem Herrn, wie andre Christen?"

    »Donna Clara, Donna Clara,
Konnt' ich auf was anders blicken,
Als auf deine zarten Hände,
Wie sie mit den Blumen spielten?«

    »Don Gayseros, Don Gayseros,
Konntest du denn nichts erwidern,
Als der fromme Mönch dich grüßte,
Sprechend: ›Christus geb' dir Frieden‹?«

    »Donna Clara, Donna Clara,
Durft' ins Ohr ein Laut mir dringen,
Irgend noch ein Laut auf Erden,
Da du flüsternd sprachst: ›Ich liebe‹?«

    »Don Gayseros, Don Gayseros
Sieh vor der Kapelle blinket
Des geweihten Wassers Schale!
Komm und tu' wie ich, Geliebter!«

    »Donna Clara, Donna Clara,
Gänzlich muß ich jetzt erblinden,
Denn ich schaut' in deine Augen,
Kann mich selbst nicht wiederfinden.«

    »Don Gayseros, Don Gayseros,
Tu mir's nach, bist du mein Diener,
Tauch ins Wasser deine Rechte,
Zeichn' ein Kreuz auf deine Stirne.«

    Don Gayseros schwieg erschrocken,
Don Gayseros floh von hinnen;
Donna Clara lenkte bebend
Zu der Burg die scheuen Tritte.

Hernandez ging mit einigen wehmutsvollen Griffen in einen anderen, dunkleren Ton über, und sang darauf folgendermaßen weiter:

    Nächtens klang die süße Laute,
Wo sie oft zu Nacht geklungen,
Nächtens sang der schöne Ritter,
Wo er oft zu Nacht gesungen.

    Und das Fenster klirrte wieder,
Donna Clara schaut' herunter,
Aber furchtsam ihre Blicke
Schweifend durch das tau'ge Dunkel.

    Und statt süßer Minnereden,
Statt der Schmeichelworte Kunde
Hub sie an ein streng Beschwören:
»Sag, wer bist du, finstrer Buhle?«

    »Sag, bei dein und meiner Liebe,
Sag, bei deiner Seelen Ruhe,
Bist ein Christ du? Bist ein Spanier?
Stehst du in der Kirche Bunde?«

    »Herrin, hoch hast du beschworen,
Herrin, ja, du sollst's erkunden.
Herrin, ach, ich bin kein Spanier,
Nicht in deiner Kirche Bunde.

    Herrin, bin ein Mohrenkönig,
Glüh'nd in deiner Liebe Gluten,
Groß an Macht und reich an Schätzen,
Sonder gleich an tapferm Mute.

    Rötlich blühn Granadas Gärten,
Golden stehn Alhambras Burgen,
Mohren harren ihrer Kön'gin,
Fleuch mit mir durchs tau'ge Dunkel.«

    »Fort, du falscher Seelenräuber,
Fort, du Feind!« –Sie wollt' es rufen,
Doch bevor sie Feind gesprochen,
Losch das Wort ihr aus im Munde.

    Ohnmacht hielt in dunklen Netzen,
Ihr den schönen Leib umschlungen.
Er alsbald trug sie zu Rosse,
Rasch dann fort im nächt'gen Fluge.

Abermals wechselte Hernandez den Ton, und begleitete mit feierlichen, kirchenmäßigen Gängen die nachfolgenden Worte:

    An dem jungen Morgenhimmel
Steht die reine Sonne klar,
Aber Blut quillt auf der Wiese,
Und ein Roß, des Reiters bar,
Trabt verschüchtert in der Runde,
Starr steht eine reis'ge Schar.
Mohrenkönig, bist erschlagen
Von dem tapfern Brüderpaar,
Das dein kühnes Räuberwagnis
Nahm im grünen Forste wahr!
Donna Clara kniet beim Leichnam
Aufgelöst ihr goldnes Haar,
Sonder Scheue nun bekennend,
Wie ihr lieb der Tote war.
Brüder bitten, Priester lehren,
Eins nur bleibt ihr offenbar.
Sonne geht, und Sterne kommen,
Auf und nieder schwebt der Aar,
Alles auf der Welt ist Wandel
Sie allein unwandelbar.
Endlich bau'n die treuen Brüder
Dort Kapell' ihr und Altar,
Betend nun verrinnt ihr Leben,
Tag für Tag und Jahr für Jahr,
Bringt verhauchend sich als Opfer
Für des Liebsten Seele dar.

Die Klänge der Zither verhallten in langsamen Schwingungen, voll ernster Wehmut starrten die Hörer vor sich hin.


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