Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Es trabte, als er schon auf der Höhe des buschigen Steinpfades klomm, etwas mit beerzten Hufen, wie ein Schlachtroß, neben ihm im Tal. Unwillkürlich hinunterblickend, gewahrte er eines grauen Pferdes, und eines Reiters darauf, der ihm zusamt dem Tiere bekannt vorkam. Indem er noch darüber sann, schaute der Reisende in die Höhe, und, Ottos Gesicht zwischen den laubigen Ranken hervor bemerkend, hielt er sein Roß plötzlich an, neigte sich sehr tief, und sagte: »Willkommen mein hochedler Sieger und Herr. Ich melde mich, daß ich von der mir gebotenen Fahrt zurück bin, und Euer erobertes Banner richtig auf die Veste Trautwangen am Donaustrande gebracht habe.« – Da erkannte Otto den wackern Schwedenjüngling Swerker, seinen Gefangenen und Boten, und voll Sehnsucht nach Vater und Vaterland, durch das Scheitern seines Liebesglückes noch erhöht, ließ er sich am Rande des Felsenpfades nieder, sprechend: »Erzähle mir nur gleich hier herauf, Swerker, und recht ausführlich, wie du es gefunden hast.«

Swerker schaute besorgten, etwas bleichen Angesichtes zu ihm empor, und sagte endlich: »Herr, weiß es Odin, Ihr habt Euch gegen mich betragen, wie der herrlichen Asgardsfürsten einer, und ich soll Euch nun zum Danke gar unwillkommene Botschaft zurücke bringen, weit anders wohl, als Ihr sie wünscht – aber Ihr habt zu gebieten, und ich gebe Euch, was ich in meiner Botentasche habe, Schlimmes und Gutes, frei und ehrlich heraus. –

Burg Trautwangen am Donaustrande steht noch stark und fest; ich sahe die prächtigen Giebel schon fern über die fruchtreiche Ebne hervor. Die Leute neigten sich ordentlich, wenn ich nach dem alten Herrn Hugh fragte, und bestätigten es mir, daß er da droben hause, einsam und feierlich. Der Mann, bei dem ich meinem Gaul, eine viertel Tagereise vor der Burg, das letzte Futter gab, hatte früher einmal auf der Veste gedient, und erzählte mir recht ausführlich von des greisen Helden ehrwürdigem Aussehen, und wie er immer so grade und ernst auf seinem hohen Sessel in der Waffenhalle sitze, das grün samtene Käpplein auf seinem Haupt, vor sich den runden Tisch, mit dem Silberbecher, aus Schaustücken zusammengefügt, und dem uralt edlen Weine darin.

Recht auch wie ein Schauer der Lieb' und Ehrfurcht wehte mir es entgegen, als ich in des Schlosses Umhegung trat. Im sichern Frieden durch ihres alten Burgherrn Ansehn und ernste Würde standen die Torflügel weit auf, lagen die Zugbrücken ruhig über die Gräben hingestreckt. Es kam mir nicht Diener, nicht Knappe entgegen; ich saß deshalben ohne weitres ab, knüpfte mein Roß an der Rügesäule inmitten des Hofraumes fest, und schritt die große Steige hinauf, von welcher ich vermeinte, daß sie mich nach der Waffenhalle führen müsse. Ich ging aber langsam, und klirrte geflissentlich mit Rüstung und Sporen, ob sich nicht etwa jemand finden wolle, mich zu begrüßen oder anzumelden. Kein Mensch erschien; nicht Wort, nicht Tritt bewegte sich in dem weitläuftigen Bau. Da stand ich endlich vor der großen, eichenen Flügeltüre, und ahnend, dies müsse der Eingang zur Waffenhalle sein, klopfte ich dreimal laut und langsam und abgemessen mit meiner geharnischten Rechten an. Kein Laut von innen! Ich klirrte und klinkte am Schloß. Drinnen alles still! – Da dachte ich endlich so: ›Ich habe nun genug getan, mich als Gast zu melden, und wer taub ist, oder so gar harte schläft, kann es mir nicht verdenken, wenn ich unangemeldet eintrete. Bin ich doch ein Bote, und habe Wichtiges drinnen abzuliefern!‹ – So machte ich denn die Türe bescheiden auf, und trat mit dem Banner hinein. Da war ich nun freilich in der Waffenhalle, aber sie sah mir mit all ihren Harnischen und Gewehren wie die leer gewordne Rüstung eines toten Helden aus. Denn obgleich im Hintergrunde lang und ernst und grade der alte Herr Hugh mit seinem grünen Käpplein auf dem Haupte hinter dem runden Tische saß, auch der Silberbecher mit dem Weine noch vor ihm stand, so waren des Rittergreisen Augen doch fest zugeschlossen, seine Farbe totenbleich, totkalt seine Stirne, krampfhaft seine starken Hände gefalten. Da merkte ich denn wohl, daß der Held eben jetzt gestorben sein müsse. Ich stellte Euer ersiegtes Banner neben ihn, und gedachte Wache bei der edlen Leiche zu halten, bis jemand käme. Aber weiß Odin, wie es zuging! Mich wandelte ein ungeheures Entsetzen in dem unbekannten, menschenleeren Raume an, mir ward, als müsse der Tote sich plötzlich regen, die Augen auftun, und sich eben so gräßlich vor mir entsetzen, als ich vor ihm; dann würde sein Schreckengeheul mir auf die Seele fallen, und ich im unheilbaren Wahnsinne hinausrennen in die weite Welt.

Herr, ich verhoffe, Ihr habt es erprobt, daß ich keine Memme bin, aber auf dieser Stelle ward es mir zu heiß. – Überdas, dachte ich bei mir, hast du ja deine Botschaft ausgerichtet. Du hast dem alten Helden das Banner gebracht, und sie können es ihm mit in seinen Hügel legen. Auch kannst du dem Sohne melden, daß sein Vater in Odins Kammern sitzt und zecht, oder wie das die Christenleute sonst nennen mögen. – Somit eilte ich die Stiegen hinunter, sprengte hinaus, und hörte noch unfern vom Tore der Knappen Geheul bei dem Leichnam ihres Herrn. Und hier nun halt' ich, und ich hab Euch die Kunde gebracht.«

»Hast sie gebracht!« seufzte Otto gebrochnem Herzens, während die nun völlig hereingedunkelte Nacht sein verstörtes Antlitz vor Swerkers Augen verbarg. Er gebot diesem mit kurzen, freundlichen Worten, nach dem Lager zu reiten, und ihn dort zu erwarten; dann wandte er sich selbst nach Frau Minnetrostens Warte hinauf, ohne es verhindern zu können, daß bisweilen unter den umhüllenden mächtigen Schatten schwere, glühheiße Tropfen aus seinen Augen herabrollten.

Oben in der heimlich hellen Stube, an dem runden Tisch, hätten sie alsbald des jungen Ritters schmerzenbleiches Gesicht, sein wildfliegendes Gelock, sein rollendes Auge, als eben so viele Zeichen des innersten Leidens erkannt; nur daß außer Frau Minnetrost selbst und dem Seekönig noch ein Dritter zur Stelle war, dem beide mit angestrengtester Aufmerksamkeit zuhörten, und der auch, sobald Otto ins Zimmer trat, freudig vom Sessel auffuhr, und ihm in die Arme flog.

»Ei Gott, Heerdegen, bist du es!« sagte Otto staunend und wie halb ungewiß, obgleich ihm die breite und tiefe Narbe, welche durch sein eignes Schwert über Ritter Lichtenrieds Antlitz gezeichnet war, jeden Zweifel hätte benehmen können. Die beiden, schon öfter entzweiten, aufs neue versöhnten Freunde, drückten einander mit großer, tiefglühender Innigkeit an das Herz. Es hatte jeder dem andern etwas zu vergeben, und vielleicht schließt kein Gefühl so lebendig, als dieses, die Gemüter zwei guter Menschen gegeneinander auf. Sich mit Worten zu erklären, wär' an und für sich selbst schon unnötig gewesen, vielleicht gar störend, und hier wurden sie jeder Versuchung dazu überhoben, weil Frau Minnetrostens und Arinbiörns Augen mit so begehrendem Sehnen an den Lippen Heerdegens hafteten, daß man wohl sah, welche wichtige Dinge diesen eben entquollen waren, und wohl noch zu entquillen im Begriff standen.

»Es ist eine wilde Zeit, in der wir leben«, sagte Ritter Lichtenried, als, einer solchen Stimmung zufolge, sich alle wieder, achtsam auf seine Worte, um den runden Tisch hergesetzt hatten. »Was ich euch beiden früher gesagt habe, und was nur Otto noch nicht weiß, wiederhole ich jetzt in der Kürze: daß König Richard Löwenherz bei der Belagerung von Ptolemais mit dem Herzoge von Österreich in Streit geriet, und daß der Herzog darüber ihm, der im kecken Rittermut auf der Heimfahrt als Pilger durch das österreichische Land zog, auflauern ließ, und ihn gefangennahm.«

»Herr Jesus!« schrie Otto auf, »da ist ja das Rittertum selbsten gefangen, wenn der König Richard Löwenherz gefangen ist.«

»Eben darum müssen auch alle Ritter dafür ins Zeug«, entgegnete Heerdegen. »Es kommt nur darauf an, auszuforschen, in welcher Berg- oder Wasser- oder Talveste der große König Richard verborgen ist. Der Herzog will leugnen, und erzählt heute, er habe den Löwenherz gar nicht eingefangen, morgen, er sei dem Kaiser überliefert, tags darauf, er sei entsprungen. Was soll denn nun ein ehrlicher Rittersmann in solchem Wirrwarr beginnen? Der Kopf schwindelt einem, das Herz tut einem weh, und mit der größten Kraftanstrengung von innen kommt keine einzige Tat zustande, die sich äußerlich auch nur halbwege könnte sehn lassen.«

»Es ist überhaupt kein sonderliches Leben auf der Welt«, sagte Otto. »Von ferne her, für Engel oder Teufel, mag sich's besser ausnehmen, oder doch spaßhafter, aber für den, der mitten drinne ist, ist die Freude dabei nur schlecht.«

Die feindselige Bitterkeit, mit welcher diese Worte aus einem Munde drangen, dem sonst nur Huld und Anmut entströmten, richtete aller Augen auf Ottos Gesicht. Und wie wenn man plötzlich eine freudig bewohnte Gegend als einen Trümmerhaufen erblickt hätte, ohne noch ahnen zu können, woher die grause Zerstörung entstehe, blieben alle starr und schweigend dahin gewandt, bis Frau Minnetrost mühesam die Worte hervorbrachte: »Um Gott, was ist dir widerfahren, junger Held?«

»Ach, es will eben nichts bedeuten«, antwortete Otto auf dieselbe furchtbare Weise. »Nur meine Braut ist mir untreu geworden, und mein Vater ist mir gestorben, so daß ich fortan allein stehe, ganz allein auf der Welt. Weiter ist es nichts.« –

Und weil Arinbiörn und Heerdegen sich zu ihm drängten, und ihn liebkosend in ihre Arme faßten, sagte er plötzlich mit unerwarteter Weichheit der Stimme und des Sinnes: »Grämt euch nicht darüber, Gesellen; es ist nun einmal nicht anders. Ihr habt recht treu und ehrlich bei mir ausgehalten, sofern es nur irgend menschliche Gebrechlichkeit vermag; weiß Gott! – Aber ich stehe dennoch ganz allein. Denn im innersten, heiligsten Funken des Daseins muß das Band angeknüpft werden, an Vater und Mutter und Geschwister, oder an ein liebendes Weib, oder an ein blühendes Kind; sonsten ist es mit all anderm Lieben und Leben nichts Rechts. Ein Schatten, der über die Wiesen fährt! Gut' Nacht.«

Und damit machte er sich voll sanfter, aber gewaltiger Kraft aus den Armen der Waffenfreunde los, nach der Türe schreitend, im tiefen, herznagenden Gram. Da trat Frau Minnetrost hinter dem runden Tische hervor. Rückwärts, wie von der Mondscheinglut ihrer Blicke getrieben, wallte der grüne Schleier von ihrem Gesichte fort, und ohne irgendeine heftige Bewegung stand sie doch unvermutet schnell an Ottos Seite, umschlang ihn unter heißen Tränen, und sagte: »Nein, du bist kein Schatten, der über die Wiese fährt! Nein, du stehst nicht allein! Denn ich bin Hilldiridur, deine Mutter, des starken Hugurs treues Weib!«


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