Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Hernandez unterbrach das Schweigen zuerst. Mit einer sehr anmutigen Höflichkeit sagte er: »Ich würde mich anklagen müssen und verdammen zugleich, ihr edlen Ritter und Meister allzumal, daß ich mit meinen ernsten Kunden euer fröhliches Fest so trübsinnig unterbrach, hättet ihr nicht selbsten eine Geschichte aus meinem Vaterlande begehrt. In meinem Vaterlande sieht es aber sehr ernsthaft aus zu dieser Zeit, denn wo Christen und Heiden mit einander aufs Leben kämpfen, sitzt oftmals die Wehmut am Ruder, und nicht minder oft auch der Tod.«

»Es bedarf der Entschuldigung nicht«, entgegnete der Freiherr von Montfaucon, »meint Ihr denn nicht, wir flöchten gern auch dunkle Blumen in unsern Kranz? Gottlob, wir Franken sind nicht zu solchen Possenreißern entartet, daß wir den edlen castilischen Ernst verkennen oder gar scheuen müßten, und überhaupt, wer unter den anwesenden Herrn aus manchen europäischen Landen schöpfte nicht gern vom tiefen Born des Dichtens und des Lebens, der in der glühenden Pyrenäenhalbinsel quillt?«

»Ihr sprecht gütig von uns«, sagte Hernandez, »und wir hoffen dessen nicht unwert zu sein. Aber dem sei wie ihm wolle, vor allzuvielen dunklen Blumen erbleicht des Kranzes Zier. Eine recht helle Feuerlilie dazwischen täte Not, und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht eine solche fröhliche Blüte auf den Lippen des edlen Grafen Vinciguerra im Aufsprossen wäre.«

»Hispanier und Italier bieten einander leicht die Hand«, sagte Graf Alessandro, »und wenn es euch so gefällt, will ich euch meine Geschichte gern erzählen.«

»In der prächtigen Stadt Napoli, welche man sowohl ihrer Lage als ihrer Herrlichkeit nach eine rechte Sonnenstadt heißen darf, lebte vor einiger Zeit ein tapfrer, weitberühmter, aber schon ziemlich bejahrter Kriegsmann von großem Stande und Vermögen, mit Namen Dimetri. Weil er sich nun auf sein höchst mühseliges Leben ein höchst erquickliches Alter zu verschaffen wünschte, sammelte er alle mögliche Herrlichkeiten jener reichen Lande um sich her, an Teppichen, Früchten, Weinen, Schildereien, Bildsäulen, und was es nur irgend Ergötzliches geben mochte, und das Schönste von dem allen war ein junges Weib, Madonna Porzia, welches er sich aus einem der edelsten Geschlechter heimgeführt hatte. Damit zog nun freilich zugleich eine große Unruhe in sein Haus, denn wie sittig, mild und gefügsam auch Madonna Porzia sich betrug, so ließ dennoch ein Bewußtsein des eignen greisen Haares und des nicht mehr lieblichen Wesens dem guten alten Mann mit eifersüchtigen Gedanken wenig Frieden.«

»Empfand aber der große Unruhe, so empfand sie Messer Donatello, ein junger Edelmann von allgemein beliebten Sitten, ritterlicher Schönheit und zierlichem Wesen, noch größer; denn seit er Madonna Porzia einstmalen in der Messe – anderwärts ließ sie der besorgliche Dimetri niemals ausgehen – erblickt hatte, konnte er an nichts andres mehr gedenken, als an ihre zaubrische Gestalt. Auch nahm er sich vor, auf alle Weise ihrer Minne teilhaftig zu werden, oder sein Leben darum zu lassen. Nicht aber fing er es an, wie manche törichte Jünglinge, welche durch Botschaften aus dem Munde schwatzhafter Gesandtinnen, oder durch ein tägliches Vorbeireiten und Vorbeirennen und Grüßen in vollem Schmuck und Glanz, oder durch aufgedrungne Geschenke und sonst dergleichen Unvorsichtigkeiten ihre Geliebten mit Todesschrecken vor den eifersüchtigen Männern erfüllen, und selbst daran Schuld sind, daß gar kein Raum in den zarten Herzen für die Liebe mehr übrig bleibt; vielmehr betrug er sich dermaßen klug und besonnen, daß die schöne Porzia seiner Liebe zwar ansichtig ward – wie denn ein Blick in einem andern hellen Blicke leichtlich Feuer schlägt – zugleich aber wohl wahrnehmen konnte, Donatello halte der Herrin Sicherheit und Glück unendlich höher, als seine Wünsche.

So geschah es denn, daß sie endlich selbst einen Weg ausmittelte, ihm auf sichre Weise für seine Bewerbungen und die Zartheit, mit welcher er sie unternehme, Dank sagen zu lassen, und nach mehrerm Hin- und Hersenden konnte sich endlich Donatello die Gewährung seiner glühendsten Sehnsucht versprechen, wenn es ihm nur gelinge, erst überhaupt Eintritt in das Haus der schönen Herrin zu gewinnen.

So viel Gefälligkeiten, als seit dieser Zeit dem alten Kriegsherren Dimetri durch Donatello widerfuhren, waren ihm wohl Zeit seines ganzen erfahrungsreichen Lebens noch im Pausch und Bogen nicht begegnet, und das auf eine so geschickte Weise, daß dennoch nie eine absichtliche Zudringlichkeit dabei sichtbar ward. Was aber dem Jünglinge bei der holden Porzia sehr behilflich gewesen sein mochte, war ihm bei dem alten Dimetri sehr hinderlich; die große Schönheit nämlich, in welcher er vor allen seines Alters hervorleuchtete. Ohne diese hätte wohl Dimetri schon längst einen so behaglichen und ergötzlichen Gesellen in seine Wohnung eingeladen, aber jetzt erschien ihm das Wagestück noch immer zu furchtbar, und so freundlich er auch beständig gegen Donatello blieb, so blieb Donatello doch auch seinerseits immer beständig vor der Tür. – Der junge Verliebte hatte schon einen bedeutenden Teil seines Vermögens in Gefälligkeiten für Dimetri aufgewandt, und war noch immer seinem Ziele um keinen Schritt näher gekommen. Da gedieh endlich bei ihm zum Plan ein Gedanke, welcher bisher nur Träumerei gewesen war, der Wunsch nämlich, Dimetri möge doch bald in eine große Lebensgefahr geraten, und er, ihn errettend, sich seines Zutrauens und seiner Freundschaft unwiderruflich bemächtigen. Er bestellte einige Meuchelmörder, welche den alten Kriegsherrn an einem entlegnen Orte unversehens überfallen mußten. Sobald aber in dessen scheinbar größter Gefahr Donatello herbeieilte, ließen sich die erkauften Bursche von dem Jünglinge nach verstelltem Widerstande in die Flucht jagen. Das Spiel ward täuschend gespielt, Dimetri glaubte sich durch Donatello gerettet, dankte ihm aufs ernstlichste, aber seine Schwelle blieb verschlossen nach wie vor; ja er zeigte sich seitdem mürrischer und unzufriedner, als jemals sonst.

Das hing aber also zusammen. Den Glauben, Madonna Porzia könne ihn, einen alten, in allen Künsten des Gefallens unbeholfnen Mann nicht eben lieben, suchte Dimetri vor sich selbsten niederzustreiten, indem er sich alle seine, in Wahrheit berühmten und sehr außerordentlichen Kriegstaten ins Gedächtnis rief, und zu gleicher Zeit auch dasjenige, was große Dichter über die Liebe der schönen Frauen zu Kriegshelden gesagt hatten. Dabei ermangelte er nicht, der jungen Dame alle seine Kämpfe und Begebenheiten recht lebhaft vorzuerzählen, auch ihr Bücher in die Hände zu spielen, worin mancherlei davon geschrieben stand. Aber es kam ihm doch immer vor, als höre und lese sie dergleichen mit keiner andern Bewegung, als sie die Historien vorlängst zu Staub gewordener Helden las, und er hätte schon längst die veralteten Ehren durch irgend einen neuen Kriegszug wieder aufgefrischt, seiner schwächlichen Gesundheit ungeachtet, nur daß ihm die Eifersucht nicht gestattete, sich so lange von Porzias Seite zu entfernen. Wenn er dann bisweilen im Hofe seines Palastes junge Rosse vorführen ließ, oder Armbrüste herbeibringen, um die Geschicklichkeiten seiner vielbewunderten Jugend vor der jungen Schönen zu üben, so fühlte er nur allzuwohl, wie wenig er jetzt in diesen Übungen glänze, und eine gewisse ängstliche Besorgnis dabei in Madonna Porzias Blicken sahe mehr nach der Angst einer Tochter aus für ihren gebrechlichen Vater, als nach der Besorgnis eines Weibes für ihren wagehalsigen Gatten. – Wie mußte nun erst das sieglose Kämpfen mit den Meuchelmördern, und die Rettung aus ihren Händen durch den Arm eines so zierlichen Jünglinges, das Herz des alten Kriegeshelden verwunden! Er machte sich mehr und mehr von Donatello los, und an dessen Einführung in sein Haus war auf keine Weise mehr zu denken.

Mit so vielfach verfehlten Hoffnungen konnte zuletzt bei dem Gemüte des jungen Verliebten die Geduld nicht mehr bestehen. Zwar hielt ihn ein Schimmerlicht dereinstigen Gewährens noch immer gegen Dimetri mild und freundlich, aber für alle andre Leute in der Stadt ward er ein wahrer Plageteufel, vermeinend, wenn ihm sein bestes Wünschen mißlinge, dürfe auch niemand sonst zu dem seinigen gelangen. So geschah es denn endlich, daß er, wie ehemals von ganz Napoli geliebt und gepriesen, jetzo von ganz Napoli gehaßt ward und verwünscht, und endlich einige junge Männer, die er allzuoft feindselig verhöhnend auf ihren Wegen gekreuzt hatte, sich kurz entschlossen, ihm aufzulauern, um ihn, wo nicht zu ermorden, doch wenigstens dermaßen zu verwunden, daß er auf immer eine Scheu vor seinen eignen Neckereien bekommen sollte. Er fiel eines Abends in die Schlinge, denn weil er nicht umhin konnte, wenigstens bei Nacht in der Nähe jener geliebten Wohnung umherzustreifen, war es leicht, ihn dorten zu fassen, und so tapfer er sich auch verteidigte, brachten ihm Überraschung und Mehrzahl des Feindes dennoch bald zwei bedeutende Wunden bei.

Da hörte der alte Haudegen aus seinem Palaste das Rufen und Waffenklirren der Kämpfer, und in der Begier, vor sich selbsten und seiner schönen Madonna Porzia den Orlando zu spielen, gürtet er sich, und läuft, sein großes Schlachtschwert in beiden Händen, hinaus. Mochte er nun, also zum Kampf vorbereitet, wirklich noch ein furchtbarer Fechter sein, oder tat der Schrecken bei Donatellos Gegnern das beste, – genug sie flohen vor dem alten Hünengebilde, und Donatello war errettet. Da schwand dem triumphierenden Sieger jede mögliche Bedenklichkeit aus den Augen. Als eine Trophäe brachte er den geretteten Freund zu Madonna Porzia herein; ließ nicht eher ab, bis sie die Pflege des Verwundeten selbst übernahm, und weil Donatello seinen Vorteil gut genug verstand, um in Dimetris Gegenwart von nichts anderem gegen Madonna Porzia zu sprechen, als von der Heldentat ihres Gemahls, und alle dessen Fechterkünste, und bedrohliche Stellungen, und unerhörte Wagstücke mit endloser Beredsamkeit auseinandersetzte, blieb er auch nach seiner Genesung der unwandelbare Hausfreund. Dimetri fand ihn oftmals allein mit seiner Frau, aber jeder aufsteigende Verdacht schwand zusammen, weil er immer dabei die Geschichte seiner Heldentat von Donatello erzählen, von Porzia bewundern hörte.

Man kann aus dieser Geschichte lernen, daß die Klugheit eines Menschen wenig über das Gemüt eines andern vermag, daß aber, wenn sich der Narr in unsers Gegners Brust einmal für uns erklärt, unser Spiel auch ganz von selber gewonnen ist.«


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