Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Sechstes Kapitel

Während der Dämm'rung des Frühroths hatte man so eben die holde Leiche in die Erde versenkt, und Rasen darüber gehäuft, Eugenius kniete neben dem Grabe, und richtete seine Blicke wie verzückt in das sich aufhellende Himmelblau, da kam Einer von Alethes Dienern herbei, und überreichte seinem Herrn ein versiegeltes Blatt. Von Gräfin Yolande, sagte er, als dieser ihn fragend ansah. Ist sie denn nicht in der Burg? fragte Alethes. Keinesweges, entgegnete der Diener. Die gnädige Gräfin ist in der Nacht weiter gefahren, und hat mich mit zwei Reitpferden für Euch zurückgelassen. Eben kam Wolf sehr eilfertig gesprengt, und brachte diesen Brief. Alethes las erblassend folgende Worte:

Du trauerst um eine fremde Todte; weißt Du denn, ob Du nicht bald eine Gattin zu begraben findest? Es mag wohl nur trübe Ahnung seyn, aber ich fühle mich sehr krank. Man mußte ein Gezelt aufschlagen, denn ich konnte nicht weiter. Eile zu mir, mein Freund. Wolf weiß den Weg.

Verstört sagte Alethes dem trauernden Eugenius Lebewohl, und eilte zu den Rossen. Im Fluge strich er über Thal und Hügel fort, von einem unbeschreiblich ängstigenden Gefühl getrieben, welches den Antheil an dem Schicksal der unglücklich vereinigten Liebenden fast gänzlich auslöschte. Nur Yolande, sein angebetetes Weib, sterbend und nach ihm verlangend, schwebte vor seiner Seele, und bohrte ihm die Pfeile des schmerzlichsten Verlangens in's Gemüth. Er wagte es nicht, den Diener um sie zu befragen, und entschuldigte sich vor sich selbst damit, daß die Eile seiner Fahrt nur dadurch gehemmt werden könne.

Seitab von der Straße bog Wolf in ein lustiges Erlengebüsch, durch dessen dunkelglänzende Blätter ein weißes Gezelt hervorleuchtete. Alethes Herz klopfte hörbar; ungeduldig über die Hindrungen, welche die verwachsnen Zweige ihm entgegenstellten, sprang er vom Pferde, und drängte sich in atemloser Eil durch das Gehölz.

Schön willkommen, Liebling, sagte Yolande, und trat ihm blühend und lächelnd, einen Becher Weins in der schönen Hand, entgegen.

Alethes umfaßte sie im freudigsten Taumel der Ueberraschung, und als könne ihm das verloren geglaubte Gut noch einmal entrinnen, drückte er sie, wie mit bewahrender Inbrunst, fest an sein Herz. Endlich ward er besonnen genug, zu fragen, welche Krankheit sie befallen, und wovor diese so schnell entwichen sey.

Ich war gar nicht krank, sagte Yolande ganz unbefangen, aber ich wollte Dich gern bei mir haben, mein holdes Leben. Sieh mich doch nicht so verwundert an. Ich war kaum ausgestiegen in der traurigen Burg, und sie hatten mir kaum mit ein Paar schlechtbrennenden Kerzen das finstre Gemach erhellt, da kam die Nachricht von Bertha's Tode, und das Lamento des Schloßgesindes hinterdrein. Schnell, wie die Schwalbe vor dem Winter, schwang ich mich vor solchem Jammer in das heitre Nachtblau hinaus, und ließ Dir Deine Pferde zurück, damit Du bald nachkommen möchtest. Aber Du kamst nicht, und nun mußte man es schon in Deiner Manier versuchen. Dich loszueisen aus dem langweiligen Todeseise: mit Grabgeläute nämlich, und was sonst dazu gehört. Hast Du Dich erschreckt, holder Freund? Sieh, so hast Du mich ja doch sehr innig lieb. Einen schönen, schönen Dank dafür.

Sie drückte die glühenden Lippen auf seinen Mund; indem er aber noch etwas verwirrt schwieg, sagte sie lachend: oder bist Du so ein Liebhaber des Todes, daß Du diese Züge lieber kalt und starr sähest, als lebend, und aller blühenden Freude voll?

Auf ähnliche Weise fuhr sie fort, mit ihm zu scherzen, bis sie alle Wolken aus seinem Gemüthe vertrieben hatte, und sich der Tag unter den berauschendsten Gestalten eines heitern Festes schloß.

Man reiste weiter, ohne daß die fast schwelgerische Fröhlichkeit, welche jener Tag angegeben hatte, vermindert worden wäre. Erwin nahm aller Warnungen ungeachtet, an jedem Genuß und Spiel der Gesellschaft Theil. Er fühlte sich aber dadurch gegen das Ende der Reise so ermattet, daß er in fieberhafter Ohnmnacht auf einem Wagen des Gefolges lag, ohne irgend eine Frage zu beantworten, nur bisweilen mit inn'rer Aufwallung vor sich hin redend oder lachend. Es entstand hieraus, daß man am Abende, wo man Yolandens Schloß zu erreichen gedachte, über den einzuschlagenden Weg in Verlegenheit gerieth. Die übrigen Diener waren sämtlich Neulinge in diesem Bezirk, Alethes selbst hatte ihn nie von dieser Seite her durchstrichen, und Yolandens wenige Zurechtweisungen darüber verstummten mit einbrechendem Nachtdunkel gänzlich. Doch scherzte sie auf's lustigste und sorgloseste über diese Verirrung, überzeugt, daß man hier nur auf die Burgen wohlwollender Freunde treffen könne, und daß überdem das zahlreiche, tapfre Gefolg unter Alethes Führung vor jeder Verdrießlichkeit sichre. Sie bat indeß den Grafen sich zu ihr in den Wagen zu setzen. Feinde mit Fleisch und Bein, sagte sie, giebt's hier nicht, und Nachtgrau'n, den einzigen zu fürchtenden Feind, hältst Du nur durch Deine liebe Nähe von mir ab.

Alethes erfüllte ihren Wunsch, der Himmel überzog sich draußen immer trüber und duftiger, wenige Sterne blinkten durch die Zweige des Gebirgwaldes, durch welchen man dahin fuhr, aber die breite und ebne Straße zwischen zwei hohen Bergen sicherte das Fortkommen des Fuhrwerks. Die Diener sprengten hin und her, Erkundigungen über den Weg einzuholen. Plötzlich kam Einer von ihnen freudig an den Wagen geritten. Wir sind dem Schlosse ganz nah, sagte er lachend. Dort auf der nächsten Höhe liegt es. Using muß ungeduldig geworden seyn, und hat uns einholen wollen. Wohl in der Meinung, wir müßten von der andern Seite kommen, sah ich ihn eben den Schloßberg dortaus hinabreiten. Eine trübe Fackel, die er in der Hand hielt, machte mir ihn kenntlich, wie er vor dem Thor aufsaß, und dann in so wilder Eile den Abhang hinunter rannte, daß er nichts von meinem Rufen hörte.

Alethes und Yolande, die jetzt beiderseits einen treuen und brauchbaren Diener in Using schätzten, sandten eiligst Jemanden nach, um ihn auf der angewiesenen Straße zurückzuholen, während sie unter der Leitung des Dieners, welcher die Burg entdeckt hatte, vollends hinauf fuhren.

Sie waren bereits über die Zugbrücke gerollt, und hielten nun vor einem festverschloßnen Thore, an welches die Diener vergeblich klopften. Nicht Licht, nicht Bewegung im Schlosse. Ein plötzlich erwachter Sturmwind schien die Ohren des Gesindes drinnen mit seinem wüsten Geräusch zu übertäuben, während er eben dadurch die Lage der Harrenden noch unfreundlicher machte. Die Fackeln, welche sie anzündeten, erloschen alsbald vor dem tollen Gesaus, und mit Mühe erhielt man eine kleine Laterne brennend, welche ihr Lichtlein nur auf wenige Schritte durch die tiefe Dunkelheit hinschimmern ließ.

Ungeduldig aus dem Wagen springend, sagte Yolande: komm, Alethes. Nicht weit von hier muß eine Pforte in's Gebäude führen, die selten verschlossen wird, oder an der doch wenigstens Jemand so nahe wohnt, daß man uns hören kann. – Sie ergriff die Laterne, und machte sich an der Mauer hin mit Alethes und einem Diener auf den Weg, indeß die Andern bei dem Wagen und übrigen Gepäcke zurückblieben.

Bald durch ein Gesträuch verhindert, daß sie nicht in ihrem Wege erwartet hatte, bald durch einen unvermutheten Vorsprung der Mauer zurückgedrängt, ward Yolande immer unsichrer, und sagte endlich: ich bin wie im Traum. Hier müßte nun durchaus die Pforte seyn, und vor mir steht das Gestein, alt und bemoost, wo ich nur mit der Laterne hinleuchte, als habe es hier nimmermehr eine Oeffnung gegeben.

Es muß doch hier herum ein Eingang seyn, sagte der Bediente. Nur kaum noch stolperte ich über einen Korb mit Eßwaaren, den gewiß nur eben Jemand aus der Hand gesetzt hat, der in's Schloß gegangen seyn wird, und ihn sich etwa nachholen will.

Da geht auch etwas auf der Mauer, sagte Alethes. – Wie denn? fragte Yolande. Auf der Mauer? Da führt ja sonst um meine Burg kein Weg mehr. – Wer weiß, wer es ist, meinte der Bediente, aber auf der Mauer geht was, ob Mensch, ob –

Er schwieg erzitternd, und auch Alethes und Yolande konnten sich des Grausens nicht erwehren, als sie leise, langsame Tritte durch das hochaufgeschoßne Gras auf den Burgzinnen immer näher heranrauschen hörten. Zugleich sang eine heisre Stimme folgende Worte:

Mehltau über'n Saaten,
Wurm in Pflaum' und Birne,
Heerden schlecht gerathen,
Wahnsinn im Gehirne.
Ho ha! Ha ho!
Die schönen Gaben kriegt Ihr so,
Macht Ihr mich nicht der Speise froh.
Essen will ich; Hu, essen!
Habt Heute mein vergessen?

Ein langer, rostiger Eisenhaken fuhr von der Mauer herunter, vergeblich, wie es schien, nach etwas angelnd. Yolande, vor Entsetzen weinend, barg sich in Alethes Mantel, und schluchzte: weh' mir, es ist die tolle Alte. An ihre Burg sind wir verschlagen.

Der Diener hatte indeß die Laterne aus Yolandens zitternder Hand genommen, und leuchtete in die Höh; da traf das Bild der gräßlichen Alten mit ihren langen weißen Haaren, wie sie sich über die Zinnen herausbeugte, und mit den häßlichsten Geberden den Haken hin und her schlenkern ließ, in Alethes Augen, und auch sie erkannte die Menschen unten.

Hu Räuber, Räuber, krächzte sie; hast mir meinen Fraß gestohlen. Häng' nun Dein blühend Weib an meinen Haken, die zieh' ich mir herauf, und halt 'ne gute Zehrung gleich von ihr. Und zögre nicht, sonst fluch' ich, und da wirst alsbald im Kopfe toll.

Alethes zeigte, unfähig zu sprechen, auf den umgestürzten Korb mit Speisen, welche der Diener alsbald wieder zitternd drinnen zurecht legte, und ihn an den Haken hing.

Hm hm, so so! murmelte die Alte, indem sie den Korb herauf zog. Ist nun für Heute Abend gut. Aber das Frauchen gehört dennoch mein, vorzüglich, wenn es Yolandchen ist.

Damit brach sie in das heisre Gelächter aus, welches Alethes von dem Abende her, wo man Bertha hier gesucht hatte, nur allzu wohl erkannte, und Yolande schrie laut um Erbarmen. Er trug die halb Ohnmächtige mit Hülfe des Dieners zurück, ohne doch die Alte los werden zu können, welche immer die Zinnen entlängst neben ihnen her wandelte, und gräßliche Lieder sang. Sich von der Mauer zu entfernen, verbot der nah und steil drohende Absturz des Berges. Manchmal konnten sie im streifenden Schimmer der Laterne sehn, wie sich die Alte voll abscheulichen Verlangens so weit über das Gemäuer vorbog, daß man befürchten mußte, sie werde sich selbst zu ihnen herunter schleudern.

Endlich erreichte man den Wagen. Alethes hob die ächzende Yolande hinein, und sprang ihr eilend nach, worauf die Pferde, wie vom Entsetzen ihrer Herrschaft angesteckt, schnaubend umwandten, so, daß sie fast den Wagen zu Boden geschmettert hätten, und dann im tollen Lauf über die Zugbrücke hin, nur kaum dem gewaltsam lenkenden Kutscher gehorchend, den nächsten Weg in's Thal hinunter donnerten.


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