Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Zehntes Kapitel

Alethes ließ den Nachen umhertreiben auf dem Weiher, wie es der Abendwinde Spiel gebot, während er selbst sich in wunderliche Zweifel und Ahnungen verlor. Das Grauen, welches ihn früher auf eben diesen Wogen befallen hatte, schien ihm nun gerechtfertigt durch etwas Gespenstisches in Yolandens Erscheinung. Hatte er sie nicht schon jüngsthin durch den Garten hinstreifen sehn, indessen sie auf der andern Seite neben ihm stand? Und dann das seltsame Lied, welches auch Reinald gesungen hatte, und jetzt ihr Flüchten! – Die Ungewißheit hierüber verwirrte ihn so gänzlich, das er fast anfing, zu glauben, er habe von dem Augenblick an, wo ihm diese Gestalt zum erstenmal erschienen sey, nur allerhand verkehrtes Zeug geträumt, er lebe sein äußres Leben unmittelbar von jenem Punkte an fort, und schwimme wieder eben in der damaligen Stunde mit seinem Nachen auf dem Weiher umher. Schon hatte er ihn zur Heimkehr nach Yolandens Schlosse gewandt, um die Schöne nun erst im Gewimmel ihres Festes anzutreffen, da erwachte in ihm der starke, immer rege Sinn, dessen er sich in mancher Lage seines Lebens erfreut hatte, und wieder der Gegenwart eingedenk, entschlossen, die Erscheinung auf alle Weise zu finden und anzureden, ruderte er sich durch den nun schon mondbeglänzten Weiher nach dem jenseitigen Ufer vollends hinüber.

Die Weiden nickten ihm im feuchtern Nachthauche entgegen, als winkten sie mit ihren langen grünen Armen ihm zu: kehr' um! kehr' um! Die Erlen führten ein ängstliches Geflüster mit einander. Unheimlich ward ihm zu Sinne, aber doch sprang er aus seinem schaukelnden Kahn in die grünen Schatten hinein, und drängte sich auf's Gerathewohl eifrig durch ihre Zweige, deren thauschwere, kühlhauchende Blätter ihm wie verhindernd an die glühenden Wangen streiften.

Durch einige minder verschränkte Lindenäste sah der helle Mond. Alethes drängte sich dorthin, und gelangte auf ein kleines buschumkränztes Wieschen, dessen Gräser in des feuchten Strahles Blässe wehmüthig auf und nieder wallten. Da saß, lieblich in sich selbst zusammengeschmiegt, wieder die weiße Gestalt des Weihers. Sie nahm, tiefsinnend, wie es schien, des Kommenden nicht wahr. Dieser, von einer seltsamen Scheu gehalten, näherte sich ihr ganz leisen Trittes, entschlossen, aus ihrem Antlitze vorerst zu lesen, ob es denn wirklich Yolande sey, ob nicht. Yolandens lockige Haare waren's, Yolandens weiße Hand, ihr zierlicher Fuß, die ganze unendlich reizende Gestalt. Jetzt hob sie gegen den Mond ihr Angesicht auf, von himmlischen Thränen überströmt, und auch Yolandens Stirn und Wangen und Augen und Nase und Mund leuchteten in wohlbekannter Schönheit dem staunenden Grafen entgegen.

Meine Yolande, flüsterte er im sehnenden Tone der Liebe, was weinst Du, liebe Yolande?

Ich bin nicht Dein, entgegnete die Schöne, sich ernst emporrichtend, ich bin Dir nicht lieb, ich bin Yolande nicht. Emilie bin ich, Du armer Alethes.

Und damit ging sie in die finstersten Schatten des Haines zurück.

Er starrte eine ganze Zeit lang vor sich hin, wie vom Blitze getroffen. Dann raffte er sich auf, und in gewaltiger Sehnsucht nach dem entschwundenen Bilde rannte er stürmisch ihr nach durch den Wald. Es war, als hänge sein Leben daran, ob er sie jetzt erreiche, und so stürzte er, hinderndes Gezweig zerbrechend, nach einem freien Platz hinaus, als eben ein Mann auf dunkelm Rosse vorübertrabte. Das Thier scheute vor der plötzlich hervorspringenden Gestalt, bäumte sich wild, und warf mit einigen tollen Sätzen den überraschten Reiter ab. Dann schnob und lief es verstört über die mondbeglänzte Ebne hin. Der Gestürzte erhob sich ingrimmig, und riß sein Schwerdt aus der Scheide, als wolle er sich an dem unschuldigen Veranlasser seines Falles rächen. Alethes stand fest, die gezückte Wehr grade vor sich hin haltend, und das Gefecht erwartend, als der Näherkommende seine Klinge plötzlich wieder einsteckte, und sagte: ach, nun kenn' ich Euch erst, Herr Graf! – Es war Using. Nach einem augenblicklichen Schweigen, fuhr er fort: aber wer konnte das auch denken. Sagt doch, Graf Lindenstein, was hattet Ihr denn für wunderliche Streifzüge im mitternächtlichen Mondenschein?

Ehr wohl geziemte mir's, Dich zu fragen, entgegnete Alethes unwillig.

Nun, es geht hier ein Richtweg durch den Park, sagte Using. Den schlug ich ein.

Der Richtweg führt ja nirgends hin, als nach jenem Schlosse, wo die tolle Alte wohnt! rief Alethes. Und eben besinn' ich mich's, da warst Du ja auch früher; damals als ich mit der Gräfin hier ankam. Was schaffst Du auf der unheimlichen Burg?

Ihr seyd unbillig, entgegnete Using. Seyd Ihr nicht etwa hier herausgegangen in später Nacht, um das Mondlicht zu sehn, oder die Nachtigall zu hören, oder wegen irgend sonst einer Naturschönheit, wie Ihr's nennt? Und im Bette wär's doch wärmer und bequemer. Ich wundre mich weiter nicht drüber. Aber was wundert ihr Euch denn, daß mir's Vergnügen macht, die tollen Sprüche der Alten anzuhören, und ihre noch toller'n Lieder? Deswegen reit' ich dort hinaus durch das kalte Dunkel, und die ist meine Nachtigall. Jedweder nach seinem Geschmack. Trägt doch jedweder seine eigne Haut drum zu Markte, mein Herr Graf. Kriegtet Ihr den Schnupfen um Eurer Nachtigall willen, und hätt' ich mir jetzt eben das Bein gebrochen, um meiner Nachtigall willen – wer hätt' es auszubaden, als Jeder von uns sein eignes Leid? Wenn Andre drum sorgen, thun sie uns eine ganz ungebetne Ehr' an, und eine ganz unnöthige oben drein.

Alethes hatte kaum halb die widerwärtigen Reden Using's vernommen; er überlegte nur, wie dieser auf seinem Wege die holde Nachterscheinung angetroffen haben müsse, und fragte, um zu prüfen, ob sie auch Andern sichtbar werde: sage mir doch, bist Du nicht der Gräfin Yolande begegnet? Mir schien's vor einer Weile, als sey sie dort hinübergegangen.

Das war nicht die Gräfin Yolande, entgegnete Using. Das war ihre unverehlichte Schwester Emilie, die ihr freilich zum Erstaunen gleicht.

Ein Schwindel begann den erschreckten Alethes zu fassen. Daß er die beiden Schwestern immerfort verwechselt habe, daß ihm, welcher der frommen Erscheinung am Weiher nachstrebte, die ganz andre Schwester zu Theil geworden sey, und wie er dieser nun ganz fest und sonder Lösung angehöre, der rechten Herrin auf immer entfremdet, – das Alles kreiste zerstörend durch sein Gemüth, und schleuderte ihn nach wenigen Augenblicken bewußtlos zu Boden.

Als er wieder zu sich kam, hatte Using das Antlitz über ihn geneigt, hohnlächelnd, und sehr bleich in dem Mondenschein, der ihn umfloß. Alethes stieß den unwillkommnen Helfer gewaltsam von sich, der nach seiner Gewohnheit feindlich zu murmeln begann.

Stelle Dein unheilbringend Gekrächz nur ein, rief Alethes, und sage mir in deutlichen, menschlichen Worten, was Du weißt. Alles will ich wissen: wer Emilie ist, wer Yolande ist, wessen Kinder sie sind – kurz, Alles sag' ich Dir.

Wenn ich's nun selber nicht wüßte? fragte Alethes Using mit vieler Kälte.

So bring' ich Dich hier gleich um's Leben, zum Dank für den halben, unsinnig machenden Bericht! schrie Alethes.

Es käme denn freilich noch immer drauf an, murrte Using, wer der um's Leben Gebrachte würde, denn um's Leben wehrt sich Jedermann, und sonder allen Respect. Aber glücklicherweise bin ich mit der ganzen Historie bekannt, und habe mehr Lust, sie zu erzählen, als einen gefährlichen Kampf zu bestehn, und das ist für uns Beide recht gut. Ist es Euch nun gefällig, so setzt Euch unter diese Weide, und Ihr sollt Alles erfahren, was Einer wissen kann, der bei Yolandens Vater seit dessen frühster Jugend, und bei Yolanden selbst seit ihrer Geburt bis Heute gelebt hat.

Sie lagerten sich, und Using begann auf folgende Weise zu sprechen.


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