Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Vor den milder wehenden Lüften und dem länger funkelnden Sonnenscheine begann sich endlich auch die trübe Einöde des Ardennengebirges zu erheitern, in welcher Alethes bei seinem wunderlichen Wirthe verharrte. Die Tannenbäume entlasteten sich ihrer schneeigen Bürde, und richteten ihre Zweige wie ermuthigt empor, wodurch auch die Höle selbst ein minder düstres Ansehn gewann, denn bis dahin hatte man vor einigen niedergedrückten, schwarzen Aesten sich beim Ein- und Ausgang beugen müssen, als trete man in eine Gruft. Nun aber konnte man doch freien Nackens hervorkommen, auch sah man durch das Luftloch in der Thür wieder den Himmel und das vom lauen Winde fortgetriebne, sonnige Thaugewölk.

Alethes blieb jetzt nur selten in der Felsenhalle. Unter dem Vorwand des Waidwerks machte er sich von Reinald fast den ganzen Tag über los, und strich um den Berg, den sie bewohnten, hin, bald aufwärts, bald abwärts, wie ihn sein seltsam angeregtes Gefühl trieb. Die innigste Wehmuth war seine unabtrennliche Gefährtin. Mit so wenig Erwartung und Hoffnung hatte er noch keinen Frühling kommen sehn; zertrümmert durch eigne Schuld lagen seine kühnen Entwürfe hinter ihm, und ach, zertrümmert jedwede Liebesfreude, seit Yolande so ruchloses Spiel mit ihm getrieben hatte. Wer sie einmal gesehn und geliebt, das fühlte er wohl, blieb andern Frauenreizen unzugänglich, und sie vergessen hieß ihr ganzes holdes Geschlecht vergessen. Es kam ihn bisweilen der Gedanke an, nur lieber gleich hier bei dem alten Reinald für immer einheimisch zu werden, und sich theils in dessen phantastische Mährchenwelt, noch mehr aber in das tiefste und wahrhafteste Daseyn des eignen Geistes ganz hineinzuleben. Er war mit diesem Entwurfe ziemlich vertraut geworden, so, daß er oftmals sich selbst wie ein sehr alter Mann vorkam, dessen Erdenlauf nun schon durchaus beschlossen sey, und nichts mehr vor ihm, als Büßung seiner Sünden und das nahe Grab.

Er stand einstmals an des Berges östlicher Seite, von wo man einer minder rauhen Aussicht genoß, über jetzt sich wieder belebendes Laubgehölz nach fernen Gewässern und Ebnen hin, aus denen es wie Thürme und andre Gebäude in blauer Dämmerung am Horizonte empor stieg. Ein Gedanke an die deutsche Heimath, an den alten Lindenstein, wo er geboren und zum Theil erzogen war, zuckte durch Alethes Herz. Zugleich legten sich die Frühlingslüfte schmeichelnd an seine Wangen, und aus den tiefern, reicher begabten Thälern allerlei Gedüft heraufführend, athmeten sie Erinnerungen seiner heitern Kindheit und freudigen Jugend ihm entgegen. Zugleich war es ihm, als vernehme er fernes Kirchengeläut, sey es nun, daß der laue Wind in der That aus einem entlegnen Dörfchen dergleichen in diese Stille heraufführte, oder daß eine weidende Heerde sich auf nähern Bergen erging, oder daß nur das Luftgesäusel sich ihm zu den friedischsten Klängen aus seinem Leben umgestaltete. Die Wehmuth umschattete ihn mit lindern Wolken, und lös'te sich fast ganz in eine unendliche Sehnsucht nach dem Daheimseyn in den treuen väterlichen Mauern auf. Ich könnte ja auch dorten einsam leben, dachte er. In dem großen Büchersaal träf' ich wohl beßre Geschichten, als der alte Reinald mir erzählt, und wo könnt' ich zum innigern, heimlichern Verständniß mit mir selbst gelangen, als an den Orten, die meines frühsten Sinnens Vertraute waren, und mir gewiß noch manches, was ich ihnen damals erzählte, freundlich wieder zurückgeben wollen, nur darauf wartend, daß ich still und treumüthig, der albernen Vornehmigkeit entblößt, in ihren Kreis eintrete.

Unter solchen Gefühlen schritt er weiter fort, und sah sich plötzlich vor einem Abhange, den der geschmolzne Schnee entblößt hatte, zugleich im Abrinnen sich und auch dem Wandrer eine tiefe Bahn zeichnend, die nach der Ebne hinabführen mußte. – Nach dem Lindenstein! rief Alethes entschlossen und laut, als stelle er noch wie vormals ganzen Heerhaufen die Richtung ihres Unternehmens auf. Vor dem eignen wiederhallenden Ruf lächelte er schmerzlich, trat aber dennoch seine Wandrung mit Zuversicht und Eifer an.

Schon hatte er unterschiedliche Hindernisse des steilen Pfades überwunden, als es ihm schien, ein starkgefiederter Armbrustbolzen rausche ihm nach, dicht an seinem Haupte vorbei. Ein zweiter, sein Gewand streifend, und sich in einen nahen Baum einstachelnd, benahm ihm allen Zweifel. Er wandte sich um. Da stand der alte Reinald oben auf dem eben verlaßnen Berge. Ein Zugwind wehte Haupthaar und langes Gewand wild um die riesenmäßige Bildung her, die abgeschoßne Armbrust hielt er in der Linken, mit der Rechten drohte er dem Flüchtlinge nach. Auch ließ er viele scheltende Worte tönen, aber sie verklangen meist unverstanden im Wiederhalle des Gebirgs, und murrten nur wie ein ahnender Donner um Alethes Ohr. Diesem erschien sein alter Wirth schauerlicher als je; der Gedanke, er habe vielleicht dennoch den ganzen Winter hindurch bei einem Gespenste gehaust, ergriff ihn mit einem solchen Entsetzen, daß er den Abhang gewaltsam hinunter rannte, und bald vor einer Wendung des Berges den Anblick sowohl als das Rufen des Alten gänzlich aus den Sinnen verlor.

Früher, als er es geglaubt hatte, kam Alethes wieder zu menschlichen, geselligen Wohnungen, wo er mit Hülfe des Goldes, welches er noch seit den ersten Tagen seiner Flucht in das Mönchsgewand eingenäht trug, die Kleider wechselte, und auf eine bequemere Art seine Reise nach dem Lindenstein fortsetzte. Er verbarg sich aber, so sicher er auch jetzt vor aller Verfolgung des Französischen Königs war, dennoch unter einem fremden Namen. Dieser ist ja nicht der Graf Alethes von Lindenstein, sagte er oftmals zu sich; dieser nicht, der um einer Liebschaft willen das große, schön angefangne Gewebe künftiger Thaten zerriß, und den ein listiges Weib zu blenden wußte, wie einen abgerichteten Falken, daß er still und träumerisch dasaß, bis sie ihn auf ein edles, schuldloses Wild hinunter stoßen hieß.

Noch schwerer drückte dieser unzufriedne Gram auf sein Herz, als er in den Hof des alten Schlosses Lindenstein trat. Der greise Burgvogt stand vor ihm, auf dessen Knieen er sich als Knabe geschaukelt hatte, und die Geschichten der großen Ahnherr'n, die Sagen von den grauen Stammeltern aus seinem Munde vernommen. Eine uralte Linde streckte durch das Abenddunkel ihre rauschenden Zweige; an ihren Stamm lehnte sich die bemooste, unförmlich in Stein gehaune Bildsäule eines edlen Helden aus seinem Hause. Alethes erinnerte sich lebhaft, wie er in seiner Kindheit es mit empfunden hatte, wenn sein Vater heim kam aus irgend einem Kriegszuge, oder sonst von einer rühmlichen That, und bedeutende, zufriedne Blicke auf das Bildniß des alten Lindenstein fallen ließ. Auch ihm selbst war wohl sonst ein ähnlich lohnendes Gefühl bei der Rückkehr in die Burg der Väter zu Theil geworden, und er hatte dann mit Zufriedenheit seines Namens gedacht; nun scheute er sich vor dem moosigen Ahnherrn, der gewiß von so thörichten Kindereien, als seine parisischen Begebenheiten ihm erschienen, nimmer etwas gewußt. In edler Schaam erglühend ging er an dem Steinbilde vorbei, und schritt gesenkten Hauptes durch die hohe Schloßthür, wie ein Siedler in seine Zelle.


 << zurück weiter >>