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Neunzehntes Kapitel.

Der Besessene und die Hausworte.
1848–1850.

Wir haben gesehen, daß die Idee zu seinem Weihnachtsbuch von 1848 zuerst im Sommer 1846 in Lausanne in ihm entstand und daß er, nachdem er im Herbste des folgenden Jahres die ersten Seiten geschrieben hatte, es unter dem Druck seines › Dombey‹ bei Seite legte. Die folgenden Zeilen kamen in dem Briefe vor, welcher seine Ferien von 1848 in Broadstairs beschloß: »Endlich bin ich dabei, das Weihnachtsbuch geistig zu zeitigen.« Es war die erste Arbeit, die ihn nach seiner Rückkehr beschäftigte.

In London kam es bald zur Reife, wurde zur rechten Zeit als » Der Besessene, oder der Pakt mit dem Geiste« veröffentlicht, verkaufte sich in vielen Tausenden von Exemplaren und hatte großen Erfolg auf der Bühne des Adelphi-Theaters, für welche Lemon es geschickt bearbeitete. Dickens hatte ursprünglich die vier Zeilen aus Tennyson's Gedicht › Departure‹:

And o'er the hills, and far away
Beyond their utmost purple rim,
Beyond the night, across the day,
Through all the world it followed him,

auf das Titelblatt gesetzt; aber dieselben waren weniger anwendbar auf den Schluß als auf den Anfang der Erzählung, und er ließ sie vor der Veröffentlichung fallen. Der Held ist ein großer Chemiker, ein Professor an einer alten Stiftung, ein Mann von arbeitsamen, philosophischen Gewohnheiten, den Erinnerungen an die Vergangenheit quälen, ›über welchen seine Melancholie brütet,‹ der seine Erkenntniß der Gegenwart für ein würdigeres Substitut hält und endlich denjenigen Theil seines Selbst aufgibt, den er mit Sicherheit abwerfen zu können glaubt. Die Erinnerungen beziehen sich auf ein ihm in früher Jugend widerfahrenes großes Unrecht und auf alle aus demselben entspringenden Schmerzen; und der Geist, mit welchem er allnächtlich Unterredungen führt, ist das dunklere, in jenen Erinnerungen verkörperte Bild seiner selbst. Dieser Theil ist schon behandelt. Aus den angehäuften Bildern düsterer und winterlicher Phantasieen gewinnt das Uebernatürliche eine Gestalt, welche weder erzwungen noch gewaltsam ist, und der Dialog, der kein Dialog ist, sondern eine Art trübes, träumerisches Echo, ist ein Stück gespenstischer Einbildungskraft, das Mrs. Radcliffe's Anna Radcliffe (1764–1823), Verfasserin der Romane The Romance of the Forest, Mysteries of Adolpho u. a., die sich besonders durch die Kraft schauerlicher Schilderungen auszeichnen. – D. Uebers. Leistungen übertrifft. Das gewünschte Gut wird gewährt und der Pakt abgeschlossen. Er soll nicht nur seine eigene Erinnerung an Schmerz und Unrecht verlieren, sondern dieselbe Erinnerung in Allen zerstören, denen er sich nähert. Auf diese Weise wird die Wirkung auf niedere wie auf höhere Geister, in der schlimmsten Armuth wie in Reichthum und Wohlleben, dargestellt und immer mit demselben Resultat. Der gedankenkranke Weise verliert seine eigenen Neigungen und Sympathieen, sieht sie in Andern zerstört und wird auf das Niveau des einzigen Geschöpfes gebracht, das er nicht ändern oder beeinflussen kann, eines Auswürflings der Straßen, eines Knaben, den die bloß thierischen Begierden in einen kleinen Teufel verwandelt haben. Da der Geist nie in ihm erweckt wurde, ist das Böse zum Guten dieses Geschöpfes geworden; Habgier, Unehrerbietigkeit, Rachsucht sind seine Natur; der Schmerz hat keine Stelle in seinem Gedächtniß und von seinen thierischen Neigungen kann der Philosoph Nichts hinwegnehmen. Die Nebeneinanderstellung zweier Personen, welche auf so entgegengesetzte Weise in denselben moralischen Zustand gerathen sind, ist ein vortrefflicher Griff der Kunst. Es sind eine Menge Unglaublichkeiten und Inconsequenzen da, gerade wie in dem hübschen ›Heimchen auf dem Herde‹, um die man sich nicht kümmert, ja, die einem vielmehr gefallen; und wie in diesem entzückenden Buche, waren auch in jenem die geringeren Charaktere so vorzüglich, als irgend welche in Dickens' Werken. Die Gruppe der Tetterby's, in deren bescheidenen, hausbackenen, freundlichen, linkischen Gestalten Alles zur Darstellung kommt, was sich einem klaren Auge, einem durchdringenden Witz und einem liebevollen Herzen darbieten konnte, wurden gewaltige Lieblinge. Tilly Slowboy und ihr kleiner Punkt von einem Baby, mit dem sie die Leute anfällt, als wäre es eine Waffe, oder das sie umherreicht, als wäre es etwas zu trinken, waren nicht minder populär als der arme Hans Tetterby, der unter seinem Moloch von einem Kinde, dem Dschuggernat, das alle seine Freuden zermalmt, dahintaumelt. Die Geschichte selbst besteht aus weiter Nichts als aus den Wirkungen der Gabe des Geistes auf die verschiedenen Gruppen der vorgeführten Persönlichkeiten, und die Art, wie das Ende herbeigeführt wird, ist ganz besonders nach Dickens' Weise. Was die höchste Anstrengung des Geistes nicht erreichen konnte, wird in der einfachsten Form des Gefühls gefunden. Die Frau des Custoden des Collegiums, wo der Chemiker Professor ist, ein Charakter der alle selbstlosen Tugenden besitzt, welche den niedrigsten Stand verschönern und veredeln können, ist das Werkzeug der Veränderung. Der Schmerz, den sie erfahren, hat sie nur um so eifriger gemacht, die Leiden Anderer zu lindern und der unzufriedene Weise lernt an ihrem Beispiel, daß die Welt am Ende doch ein glücklicherer Compromiß ist, als sie zu sein scheint und das Leben leichter, als die Weisheit gemeinhin denkt; daß der Schmerz der Freude die wahre Würze verleiht, indem er das, was er wahrhaft berührt, läutert; und daß ›der Nutzen des Unglücks süß ist‹, wenn seine Wolken nicht der Schatten der Unehre sind. Dies Alles kann freilich in einem so engen Raume nur leicht angedeutet werden, und in der Maschinerie der Erzählung muß viel als selbstverständlich angenommen werden. Aber Dickens war vollkommen berechtigt, derartige Einwände unberücksichtigt zu lassen. »Du mußt denken,« schrieb er mir am 21. November, »daß die von dem Geiste auferlegte Bedingung ihm die Einblicke gibt, ohne welche die Durchführung der Idee unmöglich sein würde. Mein Gesichtspunkt ist natürlich der, daß das Böse und das Gute in der Erinnerung unauflöslich miteinander verflochten sind und daß der Genuß, sich nur des Guten zu erinnern, unerreichbar ist. Um alles Beste davon zu haben, muß man sich auch des Schlimmsten erinnern. Meine Absicht in Hinsicht auf den andern von Dir erwähnten Punkt ist, daß er selbst nicht wissen soll, wie er die Gabe mittheilt, ob durch Blick oder Berührung, und daß sie sich in jedem Falle auf ihre eigene Art verbreitet. Ich kann dies durch einige Zeilen im zweiten Theile klarer machen. Es muß nicht bloß so sein wegen der Mannigfaltigkeit, welche die Geschichte dadurch erhält, sondern ich glaube, das Ganze wird dadurch auch seltsamer und wilder.« In der That sind kritische Subtilitäten nicht am Platze, wo Wildheit und Seltsamkeit der Mittel von geringerer Bedeutung sind, als Klarheit in dem Gedankengang und dem Zwecke. Hierüber aber läßt Dickens keinen Zweifel. Er macht seinen Gedanken, daß Niemand die geheimnißvolle Vertheilung des Uebels in der Welt so weit in Frage stellen sollte, um den Verlust der Erinnerung an die Ungerechtigkeit und die Leiden zu wünschen, welche ihm seiner Meinung nach dadurch zugefügt worden, vollkommen klar. Es mag Schmerz gegeben haben, aber es gab auch die Freundschaft, welche ihn linderte; es mag Unrecht geschehen sein, aber es war auch die Liebe da, die es verzieh; und mit beiden sind so viele Gedanken, die Alles was sonst in dem Gedächtniß lebt mildern und veredeln, so unauflöslich verknüpft, daß dasjenige, was im Leben gut und angenehm ist, aufhören würde es zu sein, wenn sie vergessen würden. Das alte Sprüchwort sagt nicht man solle vergessen, damit man vergebe, sondern man solle vergeben, damit man vergesse. Es ist Vergebung des Unrechts für Vergessenheit des darin enthaltenen Uebels, eine Vergebung wie die, welche der arme alte Lear von Cordelia erbat.

Der Plan zu seiner viel bedachten neuen Zeitschrift war, wie wir sahen, noch ›dunkel‹, als das erste Nachdenken darüber ihn in Bonchurch beschäftigte; aber die Räthlichkeit, ihn klarer zu machen, stellte sich bald dar bei einem Besuche von Mr. Coans, der seinen halbjährlichen Rechnungsbericht über den Verkauf von Dickens' Büchern und eine kleine Enttäuschung in Bezug auf den von Copperfield mitbrachte. »Die Rechnungen sind, nach Dombey, etwas mäßig, und was Du sagtest, wird am Ende doch wahr. Ich bedauere es nicht, daß ich mich nicht dahin bringen kann, mich viel zu kümmern, was für Ansichten die Leute sich bilden, und ich hege einen starken Glauben, daß, wenn irgend welche von meinen Büchern in späteren Jahren gelesen werden, Dombey zu den besten gezählt werden wird; aber vorübergehende Einflüsse sind für den Augenblick von Wichtigkeit, und wie Chuzzlewit mit seinem geringen Verkauf mich in die Höhe brachte, so hat der große Verkauf von Dombey mich wieder heruntergebracht. Allein in Wahrheit doch nicht sehr viel. Diese Rechnungsberichte beziehen sich nur auf die drei ersten Hefte, sind natürlich mit allen schweren Lasten des ersten Heftes belastet, und sollten vernünftigerweise keinen Grund zur Klage geben. Aber es ist nur klar, daß die Zeitschrift im Frühling in Gang gebracht werden muß, und ich habe mich schon in müßigen halben Stunden damit beschäftigt, einen Namen und eine Idee dafür zu finden. Evans sagt, über Copperfield hören sie nur eine Stimme und sie hegen das größte Vertrauen auf den Erfolg. Ein regelmäßiger Verkauf von fünfundzwanzigtausend Exemplaren, den sie jetzt beinahe erreicht haben, wird vollkommen genügen. Die rückständigen Hefte finden fortwährend Absatz. Lies das Einliegende.«

Es war ein Brief von einem russischen Schriftsteller, datirt aus St. Petersburg und unterzeichnet ›Trinarch Ivansvitch Wredenskii‹, der ihm eine Uebersetzung von Dombey ins Russische schickte und ihm mittheilte, daß seine Werke, die vorher nur in den Zeitungen mit gewissen Auslassungen übersetzt waren, jetzt durch seinen Correspondenten in ihrer vollständigen Gestalt übersetzt worden seien, obschon selbst er in seiner Version von Pickwick eine Auslassung nothwendig erachtet hatte. Er fügt, mit einer ausgesuchten Höflichkeit gegen unsere Muttersprache und doch ohne die Ansprüche seiner eigenen Nationalität zu vergessen, hinzu, seine Schwierigkeiten (in Bezug auf Sam Weller und andere) seien aus »der Unmöglichkeit hervorgegangen, die Schönheiten des Originals treu wiederzugeben in der russischen Sprache, die, obgleich in Bezug auf den Ausdruck die reichste aller europäischen Sprachen, doch weit entfernt sei, für die Literatur anderer civilisirter Sprachen eine hinreichende Ausbildung empfangen zu haben.« Er hatte sich jedoch, wie er Dickens versicherte, unablässig bemüht, sich in seine Gedanken einzuleben und die hohe Meinung, welche er sich über ihn gebildet, gebe nur einem einzigen Wunsche Raum: daß ein solcher Schriftsteller »sich unter einem russischen Himmel hätte entwickeln mögen«. Nichtsdestoweniger sei sein Loos ein beneidenswerthes. »Während der letzten elf Jahre hat Ihr Name sich einer weiten Berühmtheit in Rußland erfreut und von den Ufern der Newa bis in die fernsten Gegenden Sibiriens werden Sie eifrig gelesen. Ihr Dombey fährt fort, das ganze literarische Rußland mit Begeisterung zu erfüllen.« Sehr freuten wir uns über den guten Wredenskii; und noch lange nachher, wenn in öffentlicher oder privater Beziehung etwas Dickens' Wünschen zuwiderlief, benachrichtigte er mich gelegentlich, er habe Befehl gegeben, seine Koffer zu packen für die Reise in das sympathischere und freundlichere Klima »der fernsten Gegenden Sibiriens«.

In der Woche ehe er Bonchurch verließ, sprach er sich wieder über den alten und oft wiederkehrenden Gedanken gegen mich aus. »Der alte Plan zu einer Zeitschrift, der sich so lange in meinem Geiste bewegt hat, ist, wie mir scheint, endlich im Begriffe, Gestalt anzunehmen.« Dies war am 24. September und am 7. Oktober hörte ich aus Broadstairs etwas über die Gestalt, welche er angenommen hatte. »Ich thue den mir vorschwebenden Ideen (die ziemlich schnell und bequem zu einer übersichtlichen Anordnung kommen werden) großes Unrecht, indem ich jetzt etwas über die Zeitschrift sage; aber mein Plan ist eine Wochenschrift, Preis anderthalb oder zwei Pence, Inhalt theils original, theils ausgewählt und immer, wo möglich, ein gutes kleines Gedicht dabei . . . Ueber die ausgewählten Gegenstände habe ich eigenthümliche Ideen. Eine davon ist, daß es immer ein besonderes Thema sein muß. Zum Beispiel eine Geschichte der Seeräuberei, mit welcher eine ungeheure Menge außerordentlicher, romantischer und fast unbekannter Stoffe in Verbindung steht. Eine Geschichte des fahrenden Ritterthums und die wilde alte Sage vom heiligen Gral. Eine Geschichte der Wilden, worin die eigenthümlichen Punkte hervorgehoben werden, hinsichtlich deren alle Wilden einander ähnlich sind und diejenigen, in Bezug auf welche civilisirte Menschen, unter schwierigen Verhältnissen, am leichtesten den Wilden gleich werden. Eine Geschichte merkwürdiger geschichtlicher Charaktere, guter und schlechter, die dem Urtheil des Lesers bei seiner Beobachtung der Menschen und seinen Ansichten über die Wahrheit mancher erdichteter Charaktere zu Hülfe kommen sollen. Alle diese Darstellungen und fünfzig andere, über die ich schon nachgedacht habe, würden Compilationen sein, durch welche jedoch der allgemeine Geist und Zweck der Zeitschrift sich hindurchziehen und die kaum von geringerem Interesse sein würden, als die Originalarbeiten. Die Originalartikel sollen Essays, Revuen, Briefe, Theaterkritik &c. umfassen, so amüsant sein als irgend möglich, aber alle klar und kühn demjenigen Ausdruck geben, was nach des Verfassers eigener Meinung der Geist des Volkes und der Zeit ist . . . Um nun dies Alles zusammenzubinden und gleichsam einen Charakter herzustellen, den jeder der Schriftsteller ohne Schwierigkeit aufrecht erhalten kann, will ich einen gewissen Schatten annehmen, der an alle Orte gehen kann, bei Sonnenschein, Mondschein, Sternenschein, Feuerschein, Lampenschein und in allen Häusern und allen Ecken und Winkeln sein kann, und von dem vorausgesetzt wird, daß er Alles weiß und ohne die mindeste Schwierigkeit überallhin gehen kann. Dies kann im Theater sein, im Palast, im Parlament, in den Gefängnissen, in den Armenhäusern, in den Kirchen, auf der Eisenbahn, auf dem Meere, in fremden Ländern und in der Heimath: eine Art halballwissendes, allgegenwärtiges, unfaßbares Geschöpf. Ich glaube nicht, daß es geeignet sein würde, der Zeitschrift den Namen » Der Schatten« zu geben; ich möchte aber an diesen Titel etwas anhängen, um den Gedanken auszudrücken, daß es ein heiterer, nützlicher und immer willkommener Schatten ist. Ich möchte die erste Nummer mit dem Bericht dieses Schattens über sich selbst und seine Familie eröffnen. Alle Correspondenzen sollen an ihn gerichtet werden. Er soll von Zeit zu Zeit warnende Mahnungen erlassen, daß er auf solch und solch einen Gegenstand fallen, oder dies und jenes Stück Humbug bloßstellen würde, oder daß man ihn in Kurzem an dem und dem Orte erwarten darf. Der compilirte Theil der Wochenschrift soll die Idee ausdrücken, daß dieser Schatten inmitten der erwähnten Bibliotheken und Bücher gewesen ist. Er soll als Phantasiegeschöpf in ganz London umherdämmern und die allgemeine Frage hervorrufen: ›Was wohl der Schatten hierzu sagen wird? Was wohl der Schatten dazu sagen wird? Ist der Schatten hier?‹ und so weiter. Verstehst Du? . . . Es wird mir ungeheuer schwer, in dieser Phase der Angelegenheit auszudrücken, was ich meine; aber ich glaube die Bedeutung des Gedankens liegt darin, daß keine Schwierigkeit vorhanden ist, ihn aufrecht zu halten, wenn man ihn einmal schwarz auf weiß entwickelt hat. Daß er ein sonderbares, unsubstantielles, grillenhaftes, neues Ding darstellt, eine Art vorher unbedachte, umherwandelnde Macht. Daß er Alles, was in dem Blatte gethan wird, in einen Focus concentriren wird. Daß er ein Wesen in die Welt setzt, welches nicht der ›Spectator‹ ist und nicht Isaak Bickerstaff ist und nichts von dieser Art ist: aber doch ein Wesen, an welches die Leute vollkommen bereit sein werden zu glauben, und welches gerade geheimnißvoll und seltsam genug ist, um einen Reiz auf ihre Einbildungskraft auszuüben, während es den gesunden Menschenverstand und die Humanität vertritt. Ich möchte in dem Titel und auch in der Auffassung des Gedankens ausdrücken, daß es etwas ist, was einem Jeden nahe ist und auf Schritt und Tritt folgt. Am Fenster, am Kamin, in der Straße, im Hause, von der Kindheit bis zum Alter eines Jeden unzertrennlicher Gefährte . . . Kannst Du Dir nun hieraus, was ich loslasse, als wäre ich eine davon angefüllte Blase und Du hättest in mich hineingestochen, etwas zurechtlegen? Ich habe den Gedanken gegen Niemanden erwähnt; aber ich hege die lebhafte Hoffnung, daß es ein guter Gedanke ist und daß der ganze Plan daraus zurecht gehämmert werden kann.«

Unzweifelhaft ein vortrefflicher Gedanke und in Dickens' Brief auf eine Weise dargelegt, daß kaum irgend etwas Charakteristischeres von ihm vorhanden ist. Aber ich konnte nichts damit machen, was ein ganz ausführbares Ansehen hatte. Der gewöhnliche Boden vermischter Lektüre, Auswahl und Compilation, dem ›der Schatten‹ entspringen sollte, schien mir kein geeignetes Erdreich für das phantasievolle Erzeugniß, das daraus hervorgehen sollte. Indem Dickens' Ideen sich darum sammelten und wuchsen, hatten sie ihm zu viel von dem Umfang und Inhalt seines eigenen unerschöpflichen Erfindungs- und Wunderlandes verliehen, und gerade die in Vorschlag gebrachten Mittel, die Mitwirkung Anderer dafür zu gewinnen, würden ihn selbst nur um so schwerer belastet haben. Ohne den Leser jetzt mit den vorgebrachten Einwänden zu belästigen, will ich nur sagen, daß mein Urtheil entschieden gegen seinen Plan war, weniger weil ich an der Wirkung zweifelte, wenn eine Verbindung seiner Theile hätte zu Stande gebracht werden können, als weil er meiner Meinung nach von diesem Gesichtspunkte aus nicht ausführbar war, und obgleich Dickens meine Gründe nicht sofort annahm, so gab er denselben doch schließlich nach. »Ich lege auf Deine ernsten Gründe über die Zeitschrift kein großes Gewicht; doch mehr hierüber später.« Das ›mehr hierüber später‹ löste sich in Unterredungen auf, aus denen die Gestalt hervorging, welche der Plan endlich annahm.

Es sollte eine Wochenschrift von vermischtem literarischen Inhalt sein; und der ausdrücklich ausgesprochene Zweck war: zu der Unterhaltung und Belehrung sämmtlicher Klassen von Lesern beizutragen, und die Erörterung der wichtigeren socialen Fragen der Zeit zu fördern. Das Blatt sollte kurze Erzählungen von Dickens selbst, sowie von andern Schriftstellern enthalten, Gegenstände von vorübergehendem Interesse in der lebhaftesten Form darstellen, die ihnen verliehen werden konnte, Themata behandeln, welche durch Bücher angeregt wurden, die gerade das allgemeinste Interesse hervorriefen und, wo möglich, in jeder Nummer ein Gedicht, aber jedenfalls irgend eine Schöpfung der höhern Phantasie. Dies sollte ein Cardinalpunkt sein. Es sollte kein bloß utilitarischer Geist darin herrschen; mit allen gewöhnlichen Dingen und ganz besonders mit denjenigen, welche an der Oberfläche abstoßen, sollte etwas Phantasievolles oder Anmuthendes in Verbindung gebracht werden, und den mühevollsten Arbeitern sollte gezeigt werden, daß ihr Loos nicht nothwendigerweise von der Sympathie und dem Reiz der Einbildungskraft ausgeschlossen ist. Dies Alles war endgültig festgesetzt am Schlusse des Jahres 1849, als eine allgemeine Ankündigung des beabsichtigten Unternehmens gemacht wurde. Es blieb nur noch übrig, einen Titel und einen Unter-Redakteur zu finden und es freut mich, jetzt zu denken, daß für das letztere wichtige Amt auf meinen Vorschlag Mr. Wills gewählt wurde. Er erfüllte seine Pflichten zwanzig Jahre lang mit bewunderungswürdiger Geduld und Fähigkeit, und Dickens' späteres Leben hatte keinen vertrauteren Freund als ihn.

Das Suchen nach einem Titel dauerte einige Zeit und nahm viele Briefe in Anspruch. Einer der Titel, an die er am ersten dachte, hat jetzt das eigenthümliche Interesse, daß derselbe in dem ihn begleitenden Motto den Titel der Serie All the Year Round andeutete, welche Dickens sich veranlaßt sah im Jahre 1859 an die Stelle der älteren Serie zu setzen. » Das Rothkehlchen. Mit folgendem Motto von Goldsmith: Das Rothkehlchen, berühmt wegen seiner Liebe zum Menschen, bleibt bei uns das ganze Jahr hindurch.« Dies wurde jedoch verworfen. Dann kam: » Die Menschheit. Das halte ich für sehr gut.« Nichtsdestoweniger folgte auch dieser Titel dem andern. Darauf kam: »Und hier ist eine seltsame Idee; aber sie hat entschiedene Vorzüge. Charles Dickens. Eine Wochenschrift für die Belehrung und Unterhaltung aller Stände. Herausgegeben von ihm selbst.« Dennoch fehlte auch hierin etwas. Am folgenden Tage kam: »Ich glaube, wenn dem andern Titel wirklich etwas fehlt, daß der nachstehende sehr hübsch ist und gerade diesen Mangel ausfüllt. Die Hausstimme. Ich habe an manche andere gedacht – Der Hausfreund. Das Hausgesicht. Der Kamerad. Das Mikroskop. Die Landstraße des Lebens. Der Hebel. Die rollenden Jahre. Die Walddistel (mit zwei Zeilen aus Southey als Motto). Alles. Aber ich glaube, die Hausstimme ist das rechte.« Es war beinah das rechte; allein am folgenden Tage kam: » Hausworte ( Household Words). Das ist ein sehr hübscher Name;« und die Wahl wurde getroffen.

Die erste Nummer erschien Sonnabend, den 30. März 1850, und enthielt unter andern den Anfang einer Erzählung von einer sehr originellen Schriftstellerin, Mrs. Gaskell, für deren Talent Dickens eine hohe Bewunderung hegte und mit der er viele Jahre lang freundschaftlich verkehrte. Es werden sich noch andere Gelegenheiten bieten, Diejenigen zu erwähnen, mit welchen diese neue Arbeit ihn in persönlichen Verkehr brachte; aber ich will sofort sagen, daß er vor allen andern bis dahin unbekannten Schriftstellern, welche durch seine Zeitschrift einer weiten Welt von Lesern bekannt wurden, das stärkste persönliche Interesse für Sala empfand, und dessen Fähigkeiten zur Mitwirkung bei einem solchen Unternehmen sofort den höchsten Rang anwies. Ein erläuterndes Beispiel von dem, was ich als Cardinalpunkt der neuen Zeitschrift für Dickens bezeichnet habe, wird meinen Bericht über ihre Gründung passend beschließen. Die erste Nummer schien ihm, noch vor ihrer Veröffentlichung, sein Versprechen, »das jeder Brust innewohnende Licht der Phantasie sorgsam zu nähren,« nicht ganz zu erfüllen; und sobald er die Correcturbogen der zweiten empfing, hörte ich von ihm. »Indem ich den in Vorschlag gebrachten Inhalt von Nummer Zwei heute Morgen beim Frühstück sah« (Brighton, 14. März 1850) hatte ich ein unbehagliches Gefühl, daß es an etwas Zartem darin fehle, was sich auf allgemeine Familienerfahrungen anwenden ließe. Neulich Abends, als ich auf der Eisenbahn hierher fuhr (immer ein höchst anregender Ort für mich, wenn ich allein bin), betrachtete ich mir die Sterne und wälzte eine kleine Idee über sie in mir herum. Ich habe nun diese beiden Dinge in Verbindung gebracht und sofort die beiliegende kleine Phantasie geschrieben und möchte, daß Du sie läsest, ehe Du sie an den Drucker schickst (es wird Dir nicht fünf Minuten nehmen) und mir umgehend den Correcturbogen zugehen ließest.« Es war dies des Kindes »Traum von einem Sterne«, welcher die zweite Nummer eröffnete, und da er nicht in der Sammlung seiner kleineren Schriften erscheint, einige Andeutungen rechtfertigt. Dickens erzählt darin von einem Bruder und einer Schwester, beständigen Gespielen der Kindheit, die einen Stern zum Freunde nahmen, denselben beobachteten bis sie wußten, wann und wo er aufgehen würde und ihm immer gute Nacht sagten, so daß, nachdem die Schwester gestorben ist, der einsame Bruder sie noch mit dem Sterne verknüpft, den er sich dann wie eine Lichtwelt öffnen und mit seinen Strahlen einen leuchtenden Pfad von der Erde zum Himmel bahnen sieht. Und er sieht auch Engel, die warten, um Wanderer auf dieser funkelnden Bahn zu empfangen, seine kleine Schwester unter ihnen; und er denkt seitdem immer, daß er weniger der Erde angehört als dem Sterne, wo seine kleine Schwester ist; und er wächst auf, durch Jugend und Mannesalter in's Greisenalter, bei den einander folgenden häuslichen Verlusten, welche sein Loos auf Erden sind, noch immer getröstet durch die Erneuerung jener Vision seiner Kindheit, bis er endlich., wenn er auf seinem eigenen Todtenbette liegt, fühlt, daß er als Kind seiner kleinen Schwester zueilt und seinem himmlischen Vater dankt, daß der Stern sich so oft vorher geöffnet habe, um die Lieben zu empfangen, die ihn erwarten. Seine Schwester Fanny und er (so erzählte er mir lange ehe diese Skizze geschrieben wurde) pflegten Nachts auf einem Kirchhof in der Nähe ihres Hauses umherzuwandern und die Sterne zu betrachten; und ihr früher Tod, von dem ich jetzt sprechen werde, erweckte in ihm von Neuem alle Kindheitserinnerungen, welche ihm ihr Andenken theuer machten.

 

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