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Die Amerikanischen Noten.
1842.
Die Wirklichkeit blieb nicht hinter seinen Erwartungen von der Heimath zurück. Seine Rückkehr war die Veranlassung grenzenloser Freude, und die Pläne, die er vor seiner Abfahrt in Bezug auf unser Wiedersehen gemacht hatte, erfüllten sich bis auf's Wort. Durch den Klang seiner hellen Stimme erfuhr ich zuerst von seiner Ankunft und aus meinem Hause gingen wir zusammen zu Maclise, ebenfalls »ohne ihn vorher zu benachrichtigen«. Ein Dîner in Greenwich, an welchem mehrere Freunde (Talfourd, Milnes, Procter, Maclise, Stanfield, Marryat, Barham, Hood, Cruikshank u. a.) theilnahmen und andere unmittelbare Begrüßungen folgten; aber eine ganz besondere Feier wurde für den Herbst aufgespart, indem wir, um eine Vergleichung mit demjenigen herauszufordern, was Dickens im Auslande gesehen, eine Reise in der Heimath verabredeten, auf der Stanfield, Maclise und ich selbst ihn begleiten sollten, und zwar durch die schönsten Theile einer den meisten von uns bis dahin unbekannten englischen Grafschaft, zu welchem Zwecke wir schließlich Cornwall wählten.
Vor unserer Abreise war er mit der Abfassung der » Amerikanischen Noten« beschäftigt und in dieselbe Zwischenzeit fiel auch die Ankunft Longfellow's, der in London Dickens' Gast war und (ich darf dies von uns beiden hinzufügen) unser anhänglicher Freund wurde. Longfellow's Name hatte damals noch nicht den hellen und vertrauten Klang in England wie später; aber er hatte schon mehrere seiner besten Gedichte geschrieben, und er besaß alle jene Eigenschaften heitrer Geselligkeit, die Cultur und den Zauber, für die es keinen höheren Typus gibt, als den des gebildeten und talentvollen Amerikaners. Als er vor kurzem wieder in England war, erinnerte er mich an zwei aus einer großen Zahl von Erlebnissen, deren wir uns ein Vierteljahrhundert vorher erfreut hatten. Das eine war ein Tag in Rochester, an dem wir, durch eines jener Verbote aufgehalten, welche das Staunen der Fremden und die Schande der Engländer sind, über Thore und Barrieren hinwegsprangen und, den wiederholten Drohungen mit allen Schrecken des Gesetzes, die der Custode des Ortes uns grob entgegenhielt, Trotz bietend, die Schloßruinen gründlich durchforschten. Das zweite war eine Nacht unter denjenigen Klassen der Bevölkerung, welche ihr ganzes Leben hindurch gegen die Gesetze freveln und ihrer Schrecken spotten: den Vagabunden und Dieben von London, als wir unter der Führung und dem Schutze der erprobtesten Beamten der zwei großen hauptstädtischen Gefängnisse die schlimmsten Höhlen der gefährlichsten Verbrecher durchwanderten. Zum Beweise, daß die öffentliche Aufmerksamkeit nicht umsonst auf solche Scenen gelenkt wird, ist es auch wohl der Erwähnung werth, daß Dickens, als er zwölf Jahre später, zum Zwecke eines Artikels für die Household Words, wieder einen solchen Gang machte, bedeutende Veränderungen vorfand, wodurch diese Menschenhöhlen, wenn nicht weniger gefährlich, so doch jedenfalls anständiger geworden waren. An dem Abend unsres früheren Besuches wurde Maclise, der uns begleitete, beim Eintritt in das erste der Logirhäuser bei der Münze von solcher Uebelkeit ergriffen, daß er unter dem Schutze der Polizei draußen bleiben mußte, so lange wir drinnen waren. Longfellow kehrte am 21. Oktober mit dem Schiff Great Western in die Heimath zurück, nachdem er unterwegs in Bath bei Landor zu Gaste gewesen war, und am Ende der folgenden Woche traten wir unsere Reise nach Cornwall an.
Zunächst muß ich aber über die schriftstellerischen Arbeiten berichten, welche Dickens vorher beschäftigt hatten. Nicht lange nach seinem Wiedererscheinen unter uns ging er, da sein Haus noch von Sir John Wilson bewohnt wurde, nach Broadstairs, wohin er die Briefe mitnahm, aus denen ich so lange Auszüge mitgetheilt habe, um dieselben für die Abfassung seiner »Amerikanischen Noten« zu benutzen; und eine seiner ersten Ankündigungen an mich (18. Juli) läßt nicht nur den Fortschritt dieser Arbeit, sondern auch die Beschäftigung mit dem Roman, zu dessen Beginn im November er sich verpflichtet hatte, erkennen. »Die am Anfang des Buchs behandelten Gegenstände sind der Art, daß ich sie nicht bloß leicht hinwerfen kann, und daher machen sie mich dann und wann ärgerlich. Wenn ich nach Washington komme, ist Alles gut. Das Zellengefängniß in Philadelphia ist übrigens ein guter Gegenstand; ich vergaß das eben. Hast Du das Kapitel über Boston schon gesehen? . . . . Auch ich bin nie in Cornwall gewesen. Ein Bergwerk müssen wir natürlich sehen und Southwood Smith soll uns einen Brief dafür geben. Ich denke daran, das neue Buch in der Laterne eines Leuchtthurms zu eröffnen.« Ein zwei Monate später (16. Sept.) geschriebener Brief kommt auf diesen Plan zurück, dem er jedoch schließlich entsagte; und zeigt wie rasch er seinen Amerikanischen Noten Gestalt gab. »Bei dem Wettrennen auf der Insel Thanet sah ich gestern – o! wer kann sagen wie unendlich viel Charakteristisches von der schurkischen und spitzbübischen Sorte. Ich bekam sogar einige neue Runzeln durch Marktschreier, Charlatane und Vagabunden im Allgemeinen. Ich denke daran, mein Buch an der Küste von Cornwall, an einem furchtbar öden, felsenumgürteten Orte zu beginnen. Ich hoffe mit dem Amerikanischen Buche vor Ende des nächsten Monats fertig zu sein und wir wollen dann zusammen jener öden Gegend zueilen.« Da unsre Freunde durch Verpflichtungen an der Kunstakademie zurückgehalten wurden, mußten wir die Abreise etwas verzögern, und inzwischen wende ich mich wieder zu seinen Briefen, die uns mit seinem Fortschritt mit den »Noten« und anderen Beschäftigungen und Genüssen der Zwischenzeit bekannt machen. Sie bedürfen keiner Erläuterung, die sie nicht selbst geben. Ich will jedoch bemerken, daß die damals gesammelten Gedichte Tennyson's eine Lieblingslektüre Dickens' geworden waren und daß der Komiker Mitchell ihm in Amerika einen kleinen weißen zottigen Dachshund geschenkt hatte, der zuerst den imposanten Namen Timber Doodle trug und ein großer häuslicher Verzug und Gefährte wurde.
»Ich habe diesen ganzen Morgen (7. August) am Meeresufer Tennyson gelesen. Unter anderen kleinen Wirkungen dieser Lektüre will ich erwähnen, daß die Wasser austrockneten wie ehemals und mich alle Meermänner und Meerjungfern auf dem Boden des Oceans sehen ließen, sammt Millionen seltsamer Geschöpfe, halb Fisch, halb Pflanze, die in alle möglichen Korallengrotten und Seegras-Gewächshäuser hinabblickten und mit ihren großen Glotzaugen in alle offenen Ecken und Löcher hineinstarrten. Und wer sonst könnte solch einen Schluß zu der außerordentlichen und, wie Landor sagen würde ›höchst wunderbaren‹ Reihe von Gemälden in dem ›Traum von schönen Frauen‹ heraufbeschwören, wie:
Squadrons and squares of men in brazen plates,
Scaffolds, still sheets of water, divers woes,
Ranges of glimmering vaults, with iron grates,
And hushed seraglios!
Schwadronen und Regimenter von Männern in ehernem Harnisch, Schaffotte, stille Wasserspiegel, mannigfaches Weh, Reihen schimmernder Gewölbe mit eisernen Gittern und lautlose Serails.
»Ich komme ganz gut weiter, aber es war gestern so glänzend und sonnig, daß ich mir einen Feiertag machen mußte.« Vier Tage später: Ich habe den lieben langen Tag nicht ein Wort geschrieben. Ich kam gestern bis nach New-York und glaube, es geht Alles wie es sollte . . . Mein Hündchen macht sich sehr heraus und springt jetzt schon auf Commando über meinen Stock. Ich habe seinen Namen in Snittle Timbery verwandelt, was volltönender und ausdrucksvoller ist. Er schließt sich dem Rest der Familie in den herzlichsten Grüßen an Dich an. Nota bene. Das Theater in Margate ist jeden Abend offen und die ›Vier Patagonier‹ ( vide Goldsmith's Essais) werden dreimal wöchentlich in Ranelagh aufgeführt . . .«
Er erwartete damals einen Besuch von mir, welchen diese Beweggründe beschleunigen sollten und es folgte etwas andres, dem ich, wie er meinte, nicht widerstehen könne: die Umwandlung einer tiefen Tragödie in die ausgelassenste Posse durch einen lieben gemeinsamen Freund. »Jetzt mußt Du wirklich kommen. Sehen allein ist Glauben, aber sehr oft nicht einmal das, und selbst wenn die Sache da ist, ist man noch weit entfernt, sie zu glauben. Mrs. Nickleby selbst fragte mich, wie Du weißt, einmal, ob ich wirklich glaubte, es habe je eine solche Frau gegeben; aber nach dem, was ich Dir von der Tragödie unsres trefflichen Freundes erzählen muß, wird man nicht mehr weder an mich noch an meine Beschreibungen glauben, wenn Du nicht kommst und sie Dir noch einmal ›auf besonderes Verlangen‹ vorspielen läßt. Wir sahen sie gestern Abend und o! hättest Du mit dabei sein können! Der junge Betty, ausführend, was der Menschengeist ohne meine Hülfe sich nie vorstellen kann, die Beine wie auswattirte Stiefelblöcke in verblaßte gelbe Hosen eingebündelt, war der Held. Der Komiker der Gesellschaft, in ein weißes Laken eingehüllt, den Kopf wie die Schrift eines Advokaten mit rothem Band umbunden und so oft er erschien, mit gellendem Gelächter begrüßt, war der ehrwürdige Priester. Ein armer zahnloser alter Idiot, über den sogar die Galerie verächtlich losbrüllte, wenn er ein Tyrann genannt wurde, war der unerbittliche und bejahrte Creon. Und Ismene, gekleidet in spangengeschmückte Musselinhosen, die sehr weit um die Beine und sehr eng um die Knöchel waren, grade wie Fatima im ›Blaubart‹ sie tragen würde, wurde sogleich bei ihrem ersten Erscheinen aufgefordert, ein Lied zu singen. Kannst Du hiernach noch länger . . .?«
Zu Anfang September erhielt ich neue Nachrichten über sein Buch und sonstige Angelegenheiten. »Das Kapitel über Philadelphia scheint mir sehr gut, aber leider füllt es im Druck nicht so viel Raum, als ich gehofft hatte . . . In Amerika haben sie einen Brief mit meiner Unterschrift gefälscht, von dem ganz keck behauptet wird, er sei mit dem Cirkular über den Schutz des literarischen Eigenthums im Chronicle erschienen und in dem ich mich auf eine Weise, die Du Dir vorstellen kannst, über die Festessen und so weiter äußere. Man hat den Brief durch die ganzen Vereinigten Staaten verbreitet und der Schurke, der ihn erfunden hat, ist natürlich ein ›schmucker Mann‹. Du mußt wissen, daß man die Sache nicht als Scherz behandelt und scherzhaft darüber schreibt. Mr. Park Benjamin beginnt eine Auslassung darüber mit folgenden großgedruckten Worten: Dickens ist ein Narr und ein Lügner . . . Ich habe einen neuen Schützling, in der Person eines armen taubstummen Jungen, den ich neulich halbtodt am Strande fand und vorläufig in dem Armenkrankenhause in Minster untergebracht habe. Ein höchst beklagenswerther Fall.«
Am 14. schrieb er mir: »Mit dem Niagarafall ist es mir heute sehr zu meiner Zufriedenheit gelungen. Ich habe die Beschreibung sehr kurz gemacht (wie sie sein sollte), aber ich glaube, sie ist gut. Ich fange an, über das einleitende Kapitel nachzudenken und es ist mir inzwischen vorgekommen, als würde ich am Anfang der Bände Folgendes auf eine leere Seite setzen mögen: ›Ich widme dies Buch denjenigen meiner amerikanischen Freunde, die ihr Vaterland lieben, aber es ertragen können, die Wahrheit zu hören, wenn sie mit gutem Humor und in freundlicher Absicht geschrieben wird.‹ Was denkst Du davon? Hast Du etwas dagegen einzuwenden?«
Meine Antwort läßt sich aus seiner Erwiederung vom 20. muthmaßen. »Ich sehe nicht ganz, wie ich in der Widmung meinen Gefühlen über den Empfang in Amerika Ausdruck geben soll. Es war natürlich immer meine Absicht, am Ende des Buches dankbar darauf hinzudeuten, und es wird sich in dem einleitenden Kapitel eine Stelle dafür finden, falls wir uns für ein solches entscheiden. Würde es gut sein, nach ›amerikanischen Freunden‹ einzuschalten: ›die, während sie mir ein Willkommen gaben, dessen ich mich immer dankbar und stolz erinnern werde, mein Urtheil frei ließen und die &c.‹ Wenn dies Dir gefällt, mag es so sein.«
Vor dem Ende des Monats schrieb er: »Während der letzten zwei oder drei Tage ist es mit der Arbeit ziemlich langsam von Statten gegangen, da ich nicht in der Stimmung war. Heute hatte ich kaum zwanzig Linien geschrieben, als ich (das Wetter war prachtvoll) hinausstürzte, um zu baden. Und wenn ich das gethan habe, ist es mit schriftstellerischen Arbeiten bis morgen aus. Der kleine Hund ist in der besten Laune und spricht, wie Mr. Kenwigs sagen würde, ohne Aufhören. Ich habe durch die ›Britannia‹ Briefe von Felton, Prescot, O. und Anderen erhalten, alle sehr ernst und freundlich. Was ich über die armen Auswanderer und ihr Benehmen, so wörtlich wahr, wie ich es auf dem Schiffe von Quebeck nach Montreal beobachtete, geschrieben habe, wird Dir, glaube ich, gefallen.«
Diese Stelle gehört nicht bloß an sich zu den anziehendsten in seinen Schriften, sondern gibt der Empfindung, welche allen zu Grunde liegt, einen so vollkommenen Ausdruck, daß ich sie als Anmerkung einschalte. ›So scheinheilig wir uns stellen mögen und bis an's Ende aller Dinge stellen werden, – es ist sehr viel schwerer für die Armen, tugendhaft zu sein, als für die Reichen, und das Gute, das in ihnen ist, glänzt aus diesem Grunde um so heller. In manchem Palast wohnt ein Mann, der beste der Gatten und Väter, dessen persönlicher Werth in beiden Beziehungen mit Recht zum Himmel erhoben wird. Aber man bringe ihn hierher, auf dies gedrängte Verdeck. Man nehme seiner schönen jungen Frau ihr seidenes Kleid und ihre Juwelen, man löse ihr geflochtenes Haar, man präge ihrer Stirne frühe Runzeln ein, falte ihre Wange mit Sorge und Entbehrung, kleide ihre abgemagerte Gestalt in ein grob zusammengeflicktes Gewand, man lasse ihm nichts als seine Liebe, sie auszustatten und zu schmücken, und man wird dieselbe wirklich auf die Probe stellen. Man ändere seine Stellung in der Welt so, daß er in jenen Kleinen, die an seinem Knie emporklettern, nicht Zeugen seines Reichthums und seines Namens sieht, sondern kleine Kämpfer, die ihm sein tägliches Brot abringen, Wilddiebe seines spärlichen Mahls, Zahlen, die jede Summe seiner Behaglichkeit theilen und den kleinen Betrag derselben noch mehr verringern. Statt der Reize der Kindheit in ihrer holdesten Gestalt häufe man auf ihn alle ihre Schmerzen und Mängel, ihre Krankheiten und Leiden, ihre Verdrießlichkeit, Launenhaftigkeit und zänkische Beharrlichkeit, ihr Geschwätz rede nicht von heiteren Kinderphantasieen, sondern von Kälte und Hunger und Durst und wenn seine väterliche Liebe dies Alles überlebt und er geduldig, wachsam, zartfühlend ist, für das Leben seiner Kinder Sorge trägt und immer an ihren Leiden und Freuden theilnimmt, dann schickt ihn in's Parlament und auf die Kanzel und in die Gerichtshöfe zurück, und wenn er schöne Reden hört über die Verdorbenheit Derjenigen, die von der Hand in den Mund leben und hart arbeiten, um das thun zu können, dann trete er hervor, als Einer, der etwas davon weiß und erkläre jenen Großmäulern, daß sie, im Vergleich mit einer solchen Klasse, in ihrem täglichen Leben engelgleiche Geschöpfe sein und endlich den Himmel nur demüthig belagern sollten . . . Wer von uns kann sagen, was er sein würde, wenn sein Zustand, mit geringer Besserung und Veränderung, sein ganzes Leben hindurch so beschaffen wäre. Indem ich unter diesen Leuten umherblickte, weit von der Heimath, ohne Wohnort, dürftig, auf der Wanderung, müde von der Reise und von hartem Leben wie sie waren; und sah, wie geduldig sie ihre kleinen Kinder hegten und pflegten, wie sie deren Bedürfnisse immer zuerst zu Rathe zogen, dann ihre eigenen halb befriedigten, welche milde Dienerinnen der Hoffnung und des Glaubens die Frauen waren, wie ihr Beispiel den Männern zu Gute kam und wie sehr, sehr selten auch nur eine augenblickliche Heftigkeit und rauhe Klage unter ihnen ausbrach, so fühlte ich eine stärkere Liebe und Hochachtung für mein Geschlecht mein Herz durchglühen und wünschte zu Gott, es wären viele Atheisten des bessern Theils der menschlichen Natur dagewesen, um diese einfache Lehre in dem Buch des Lebens zu lesen.‹ An Bord dieses canadischen Dampfboots traf er Haufen armer Auswanderer und ihre Kinder, und so groß war ihre geduldige Freundlichkeit und heitere Ausdauer, unter Umständen, in denen die leichtlebigen Reichen schwerlich ermangelt haben würden, Ungeheuer von Ungeduld und Selbstsucht zu werden, daß dadurch eine Gedankenreihe in ihm angeregt wurde, welche an Würdigkeit der Beobachtung und an absoluter Wahrheit unübertrefflich ist. Jeremy Taylor lehrt dieselbe Philosophie in seiner Abhandlung über die Gelegenheiten, aber hier wurde sie durch das Beispiel mit allen seinen edeln Zügen verschönt. Dickens ließ uns dadurch Reich und Arm in einer neuen Uebersetzung lesen.
Die Drucker waren jetzt eifrig an der Arbeit und in der letzten Septemberwoche schrieb er: »Ich schicke die Correkturbogen bis zum Niagara . . . Ich mache nun diese Woche so ziemlich zum Feiertage . . . habe einen Hauptantheil an der gestrigen Regatta genommen, die sehr hübsch und heiter war. Wir denken daran, zu rechter Zeit für Macready's erstes Auftreten in die Stadt zu kommen, bei welcher Veranlassung Du uns wohl einen Imbiß geben wirst; und Du und Mac werdet dann natürlich den nächsten Tag bei uns diniren? Ich werde nach meiner Heimkehr, wie ich hoffe, weiter Nichts mehr an dem Buche zu thun haben, als die beiden Kapitel über die Sklaverei und das Volk, die ich nöthigenfalls leicht in einer Woche abmachen kann . . . Der Polizeimann, der den Herzog von Braunschweig für Einen von dem vornehmen Spitzbubengesindel hielt, sollte sofort zum Inspektor gemacht werden. Der Verdacht macht (ich glaube das im Ernste) seinem Scharfsinn und Urtheil alle Ehre.« Drei Tage später: »Während der letzten zwei Tage haben wir heftige Nordoststürme gehabt und eine uns zuwogende See, die den Pier ertränkt. Heute ist es furchtbar. Man erinnert sich hier keiner solchen See um diese Jahreszeit und sie strömt in diesem Augenblick in Wellen von zwölf Fuß Höhe herein. Du würdest den Ort kaum wiedererkennen. Aber wir werden uns am Sonnabend zur Essenszeit pünktlich bei Dir einstellen. Sollte der Wind sich in derselben Richtung halten, werden wir vielleicht zu Lande kommen müssen, und in diesem Falle würde ich mit der Caravane um sechs Uhr Morgens aufbrechen . . . Was hältst Du von dem folgenden Titel für mein Buch: » Amerikanische Noten zu allgemeinem Umlauf« und von diesem Motto:
»Auf eine Frage des Richters bemerkte der Bank-Advokat, diese Sorte Noten circulirten am allgemeinsten in denjenigen Ländern, wo sie gestohlen und gefälscht seien. Gerichtsverhandlungen in Old Bailey.«
Das Motto wurde, in Folge von dagegen erhobenen Einwendungen, ausgelassen und am letzten Tage des Monats erhielt ich den letzten seiner Briefe während dieses Besuchs in Broadstair. »So seltsam es Dir scheinen mag,« (25. September) »die See geht so hoch, daß uns nichts anderes übrig bleibt, als zu Lande zurückzukehren. Kein Dampfschiff kann aus Ramsgate herauskommen, und das Schiff nach Margate lag die ganze Mittwoch Nacht mit allen Passagieren an Bord außerhalb des Hafens. Du kannst uns daher am Sonnabend um fünf erwarten; denn ich habe mich entschlossen, morgen von hier abzureisen, weil wir es sonst nicht mit der Zeit einrichten könnten und habe einen Omnibus gemiethet, der die ganze Caravane über Land befördern soll. Wir können kein Fenster und keine Thür öffnen; Beine sind auf der Terrasse nutzlos und die Schiffe von Margate können nur in Herne Bay Passagiere an Bord nehmen.« Er brachte den ganzen Rest des zweiten Bandes mit, ausgenommen die beiden letzten Kapitel, mit Einschluß desjenigen, welches er als ›einleitend‹ bezeichnet hatte; und am nächsten Mittwoch (5. Oktober) sagte er mir, das erste derselben sei fertig. »Ich wünsche sehr, daß Du heute bei mir dinirst, damit wir nachher zusammen ins Drury-Lane-Theater gehen können; und wir wollen die Zeit auf halb fünf festsetzen, sonst ist keine Zeit, sich's bequem zu machen. Ich gehe heute Morgen nach Tottenham, in einer traurigen Mission, die ich gern vermieden hätte. Hone, der Herausgeber des Every Day Book, liegt im Sterben und schickte gestern Cruikshank zu mir, um mich zu bitten, ich möge zu ihm kommen, da er seit einiger Zeit nichts von mir gelesen habe und mich gern sehen, und mir die Hand drücken möge, ehe er (wie Cruikshank sagte) ginge. Es läßt sich natürlich nicht ändern; ich muß also heute Morgen nach Tottenham. Ich habe den ganzen Tag bis Mitternacht gearbeitet und das Kapitel über die Sklaverei beendet.«
Der traurige Besuch hatte seine schmerzliche Schlußfolge, ehe der nächste Monat sein Ende erreicht hatte, als Dickens mit demselben Gefährten zu Hone's Begräbniß ging; und einer der Briefe, die er damals an Felton schrieb, hat mich so lebhaft an die Tragikomödie eines Zwischenfalls jenes Tages erinnert, den er noch lange nachher zu beschreiben pflegte, und dessen vollkommene Wahrheit ich den andern Haupttheilnehmer gutmüthig habe zugeben hören, daß zwei oder drei Sätze darüber hier mitgetheilt werden mögen. Die wunderbare Nachbarschaft ernster und humoristischer Dinge in diesem unserm Leben, machte an sich einen großen Theil von dem Genie in Dickens' Schriften aus; das Gelächter grenzt dicht an das Pathos, berührt es aber nie mit Spott; und dieser kleine Vorfall kann als ein weiterer Beweis für seine Realität gelten.
»Wir gingen in ein kleines Wohnzimmer, wo die Begräbnißgesellschaft sich befand; und fürwahr, es war kläglich genug. Denn die Wittwe und die Kinder weinten bitterlich in einer Ecke und die andern Leidtragenden (nichts als Ceremonienleute, die sich nicht mehr um den Todten härmten als seine Bahre) unterhielten sich ganz kühl und nachlässig in einer andern, und der Contrast war so schmerzhaft und peinlich als ich je einen sah. Es war ein Independenten-Prediger in seinem Costüm und mit einer Bibel unter dem Arm zugegen, der, sobald wir uns gesetzt hatten, C. mit lauter, emphatischer Stimme also anredete: ›Mr. C., haben Sie einen Paragraphen über unsern dahingeschiedenen Freund gesehen, der die Runde durch die Morgenzeitungen gemacht hat?‹ – Ja wohl, sagte C., indem er die Augen auf mich heftete, denn er hatte mir auf der Hinfahrt mit einigem Stolz erzählt, daß der Paragraph von ihm abgefaßt sei. ›O‹, sagte der Geistliche, ›dann werden Sie mit mir übereinstimmen, daß derselbe nicht bloß eine Beleidigung gegen mich ist, der ich der Diener des Allmächtigen bin, sondern eine Beleidigung gegen den Allmächtigen, dessen Diener ich bin.‹ – Was wollen Sie damit sagen? bemerkte C. – ›Es heißt in diesem Paragraphen, Mr. C.‹, sagte der Geistliche, ›daß Mr. Hone, nachdem er in seinem Geschäft banquerott gemacht, von mir überredet worden sei, sich auf der Kanzel zu versuchen, was falsch, unrichtig, unchristlich und, um es rund heraus zu sagen, gotteslästerlich und in jeder Hinsicht verächtlich ist. Lasset uns beten!‹ Worauf er, ich gebe Dir mein Wort darauf, in demselben Athemzuge niederkniete, wie wir Alle thaten und ein klägliches Mischmasch von einem extemporirten Gebet anfing. Ich war wirklich von Schmerz um die Familie durchdrungen« (er bemühte sich später eifrig für sie, ebenso wie der menschenfreundliche C.); »als aber C. auf den Knieen liegend und über den Verlust eines alten Freundes schluchzend, mir zuflüsterte: ›wäre es nicht ein Geistlicher, und wäre es nicht ein Begräbniß, so würde er ihn geohrfeigt haben‹, war mir zu Muthe, als könne nur ein Lachkrampf mir Erleichterung geben.«
Am 10. Oktober hörte ich von ihm, daß das als Einleitung zu den »Noten« bestimmte Kapitel geschrieben sei und nur unsere Berathung erwarte, ob es gedruckt werden solle oder nicht. Wir entschieden dagegen, er seinerseits mit so großem Widerstreben, daß ich versprechen mußte, die Veröffentlichung zu besorgen, wenn eine passendere Zeit kommen sollte. Diese Zeit ist meiner Meinung nach jetzt gekommen, und das Kapitel sieht in diesen Blättern zum erstenmale das Licht. Gegenwärtig ist keine Gefahr mehr vorhanden, wie damals als es geschrieben wurde, daß man seine selbstbewußte Haltung mit Furcht vor feindlichen Beurtheilungen verwechselt, denen er vorzubeugen wünschte. Er ist über dies Alles hinaus, und enthüllt uns hier als Einer, den Furcht und Tadel nicht mehr berühren können, seine ehrliche Absicht bei dem Gebrauch der Satire, selbst da, wo die humoristische Versuchung für ihn am stärksten war. Was er sagt, wird auch aus andern Gründen mit ungewöhnlichem Interesse gelesen werden, da es nicht bloß mit seinen ersten Erfahrungen in bedeutungsvollem Zusammenhange steht, sondern auch mit seinem zweiten Besuch in Amerika, am Schlusse seines Lebens. Er hegte immer dieselbe hohe Meinung von dem, was in diesem Lande das Beste, und immer dieselbe Verachtung für das, was das Schlechteste darin ist.
» Zur Einleitung und nothwendig zu lesen.
»Ich habe den vorstehenden Titel an die Spitze dieser Seite gestellt, weil ich das Recht irgend einer Person, über dies Buch ein Urtheil zu fällen, oder zu einem vernünftigen Schluß darüber zu kommen, bestreite und läugne, ehe man sich die Mühe gegeben hat, mit seinem Plane und seinem Zweck bekannt zu werden.
»Es ist kein statistisches Buch. Arithmetische Figuren sind schon fast ebenso verschwenderisch auf Amerika's andächtiges Haupt gehäuft, wie Sprachfiguren über dem Grabe Shakespeare's aufgethürmt worden sind.
»Es enthält auch keine Klatschereien über Individuen, und keine Verletzung der gesellschaftlichen Vertraulichkeiten des Privatlebens. Die so weit verbreitete Gewohnheit, lebende Damen und Herren wegzukapern, sie in Kabinette hineinzuzwängen, und sie zur Belustigung der Müßigen und der Neugierigen mit Zetteln und Etiquetten zu versehen, einerlei ob sie wollen oder nicht, ist nicht nach meinem Geschmack. Ich habe sie daher vermieden.
»Es hat kein Korn irgend einer politischen Zuthat in seiner Zusammensetzung.
»Ebenso wenig enthält es, und sollte es meiner Absicht gemäß enthalten, lange und ausführliche Berichte über meinen persönlichen Empfang in den Vereinigten Staaten; nicht, weil ich gegen den freiwilligen Erguß der Neigung und des Edelmuths bei einem höchst warmfühlenden und edelherzigen Volke unempfindlich war oder bin, sondern weil es mir meiner Meinung nach schlecht anstehen würde, diese Dinge, die nothwendigerweise so viel zu meinem eigenen Lobe enthalten, vor den Augen meiner unglücklichen Leser auszukramen.
»Dies Buch ist einfach, was es eben sein will; ein Bericht über die Eindrücke, die ich von Tage zu Tage während meiner raschen Reisen in Amerika empfing und mitunter (aber nicht immer) über die Schlüsse, zu welchen sie und das Nachdenken über sie mich führten; eine Beschreibung des Landes, das ich durchreiste, der Anstalten, die ich besuchte, der Leute, unter denen ich reiste und der Sitten und Gewohnheiten, die sich meiner Beobachtung darboten. Sehr viele Werke von ganz demselben Plan und Gesichtskreis sind bereits veröffentlicht worden; doch glaube ich, daß nach dieser Seite diese beiden Bände keiner Rechtfertigung bedürfen. Das Interesse solcher Erzeugnisse, sofern sie ein solches haben, liegt in den wechselnden Eindrücken, welche dieselben neuen Gegenstände auf verschiedene Geister hervorbringen, nicht in neuen Entdeckungen oder außerordentlichen Abenteuern.
Man wird wohl kaum denken, daß ich die Gefahr nicht kenne, der ich mich aussetze, indem ich überhaupt über Amerika schreibe. Ich weiß sehr wohl, daß es in Amerika eine zahlreiche Klasse wohlmeinender Leute gibt, die geneigt sind, mit allen Berichten über die Republik, deren Bürger sie sind, unzufrieden zu sein, wenn sie nicht in Ausdrücken des höchsten und übertriebensten Lobes abgefaßt sind. Ich weiß sehr wohl, daß es in Amerika, wie in den meisten andern auf Karten der großen Welt angegebenen Ländern, eine zahlreiche Klasse von Personen gibt, die so zart und feinfühlend gebildet sind, daß sie die Wahrheit in keiner Form ertragen können. Und ich bedarf keiner Prophetengabe, um aus der Ferne zu erkennen, daß Diejenigen, denen es am leichtesten sein wird, Bosheit, Haß und jede Lieblosigkeit in diesen Blättern zu entdecken und über jeden Zweifel hinaus zu beweisen, sie seien völlig unvereinbar mit jener dankbaren und dauernden Erinnerung an das mir in Amerika bereitete Willkommen, die ich zu empfinden vorgebe – gewisse wahrhafte und feingebildete amerikanische Journalisten sein werden, die sich große Mühe gaben, mir während meines dortigen Aufenthalts bei allen Gelegenheiten zu beweisen, daß das besagte Willkommen völlig werthlos sei.
»Indem ich jedoch wagte, anderer Meinung zu sein als selbst diese hohen Autoritäten, bildete ich mir von Anfang an meine eigne Ansicht über seinen Werth und halte bis auf die gegenwärtige Stunde daran fest, und indem ich (wie ich bei allen öffentlichen Gelegenheiten ohne Ausnahme that) meine Unabhängigkeit und Redefreiheit unter den Amerikanern behauptete und dieselbe in der Heimath bewahrte, glaube ich meine Würdigung des hohen Werthes jenes Willkommens und der edeln ehrenhaften Motive, welche dasselbe veranlaßten, am besten zu beweisen. Von Anfang bis zu Ende sah ich in den Freunden, die sich in Amerika um mich drängten, alte, vielleicht zu dankbare und zu parteiische Leser, denen ich glücklich genug gewesen war, Vergnügen und Unterhaltung zu verschaffen, nicht die gemeine Heerde, die einen Fremden durch Liebkosungen und Schmeicheleien versuchen möchte, sich mit geschlossenen Augen von allen Mängeln der Nation abzuwenden, und ihr Lob mit der Urtheilsgabe eines Bänkelsängers zu singen. Von Anfang bis zu Ende sah ich in jenen gastlichen Händen einen in der Heimath geflochtenen Lorbeerkranz, nicht einen unter ein paar Blumen versteckten eisernen Maulkorb.
»Daher wähle ich – und ich halte mich zu dieser Wahl nicht bloß für berechtigt, sondern für verpflichtet – den einfachen Weg, zu sagen was ich denke und zu bemerken was ich gesehen, und wie es nicht meine Gewohnheit ist, das zu erheben, was in meiner Heimath meiner Meinung nach Schwächen und Mißbräuche sind, so ist es nicht meine Absicht, die Mißbräuche und Schwächen abzumildern oder zu verhüllen, die ich in fremden Ländern beobachtet habe.
»Wenn dies Buch in die Hände eines empfindlichen Amerikaners fallen sollte, der es nicht ertragen kann zu hören, daß noch viel an der praktischen Durchführung der Einrichtungen seines Vaterlandes fehlt; daß dasselbe, trotz des Vortheils, den es durch die elastischere Frische und Kraft seiner Jugend vor allen andern Nationen genießt, weit davon entfernt ist, ein Muster zu sein, welches die Erde nachahmen sollte, und daß sogar in denjenigen Schilderungen der Nationalsitten, gegen die er am meisten einzuwenden hat, auch nach dem Verfließen mehrerer Jahre, deren jedes muthmaßlich einen Schritt auf der Bahn der Verbesserung bezeichnet, doch noch viel Richtiges und Wahres ist, bis auf diese Stunde – so mag er es jetzt bei Seite legen, denn ihm werde ich nicht gefallen. Vor den Aufgeklärten, Denkenden und Gebildeten unter seinen Landsleuten habe ich keine Furcht; denn nach vielen genußreichen, nicht leicht zu vergessenden Gesprächen, habe ich hinreichenden Grund zu glauben, daß es nicht viele, wenn überhaupt welche Dinge gibt, hinsichtlich deren ihre Ansichten wesentlich von den meinigen abweichen.
»Man mag fragen: ›Wenn Du in Bezug auf Amerika irgendwie enttäuscht bist und im Voraus weißt, daß der Ausdruck Deiner Enttäuschung irgend eine Klasse kränken muß, warum schreibst Du dann überhaupt?‹ Hierauf antworte ich, daß ich Größeres in Amerika zu finden erwartete, als ich fand und daß ich beschloß, dem Lande nach bestem Vermögen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auf Kosten aller, meiner Ueberzeugung nach irrthümlichen oder vorurtheilsvollen Behauptungen, welche zu seinem Nachtheil gemacht worden sind. Nun ich mit einem berichtigten und ernüchterten Urtheil in die Heimath zurückgekehrt bin, halte ich mich für nicht weniger verpflichtet, dem gerecht zu werden, was ich nach bestem Ermessen als wahr erkannt habe.«
In Bezug auf das Buch, für welches diese Einleitung geschrieben wurde, wird es genügen nur noch zu bemerken, daß es am 18. Oktober erschien, daß vor dem Schluß des Jahres vier große Auflagen davon verkauft waren, und daß es meiner Meinung nach vollständig die Würdigung eines Mannes verdiente, der durch die stärksten geselligen Bande an Amerika geknüpft und sonst in jeder Hinsicht ein ehrenhafter, hochsinniger, gerechter Richter war. »Sie sind,« schrieb Lord Jeffrey, »sehr zart mit unsern empfindlichen Freunden jenseits des Oceans umgegangen, und mein ganzes Herz geht mit Ihnen in jedem Ihrer Worte. Mir scheint, daß Sie vollkommen ausgeführt haben, was Sie auszuführen unternahmen, und daß die Welt noch nie eine treuere, malerischere, unterhaltendere und wohlwollendere Erzählung gesehen hat.«
*
Ich erlaube mir, ein späteres Blatt so weit zu anticipiren, daß ich hier einen kurzen Auszug aus einem der Briefe über Dickens' letzten Besuch in Amerika einschalte. Ohne das Interesse zu beeinträchtigen, womit die Erzählung jener Zeit an dem gehörigen Orte gelesen werden wird, werde ich so andeuten, in welchem Umfang seine damaligen Eindrücke durch die Erfahrungen, welche er sechsundzwanzig Jahre später machte, abgeändert wurden. Er schreibt aus Philadelphia, am 14. Januar 1868:
»In sozialer Beziehung sehe ich einen großen Fortschritt zum Besseren. In politischer Beziehung keinen. England, von den Kirchenältesten von Marylebone Ein Londoner Kirchspiel, das im Rufe des Radikalismus steht. – D. Uebers. und den Penny-Zeitungen regiert, und England, was es nach Jahren einer solchen Regierung sein würde, bezeichnet darin für mich das Resultat. In sozialer Beziehung ist die Veränderung der Sitten bemerkenswerth. Man begegnet nach allen Seiten einer weit größeren Höflichkeit und Milde . . . Andererseits gibt es noch wunderbar seltsame provinzielle Sonderbarkeiten, und die Zeitungen drücken fortwährend das populäre Erstaunen aus über ›Mr. Dickens' außerordentliche Gemüthsruhe‹. Sie scheinen es übel zu nehmen, daß ich nicht auf die Platform hintaumele, überwältigt durch das Schauspiel vor mir und durch die Größe der Nation. Sie sind alle so daran gewöhnt, öffentliche Handlungen unter Trompetenstößen vorzunehmen, daß die Vorstellung meines Hereinkommens und Vorlesens ohne das vorhergängige Hereinstürzen irgend Jemandes, der eine Rede über mich hält, und dann wieder hinausstürzt und mich hereinführt, ihnen so unbegreiflich ist, daß sie mitunter, ehe ich meine Lippen öffne, keine Ahnung haben, ich könne wirklich Charles Dickens sein.«
*