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Das erste Jahr von Martin Chuzzlewit.
1843.
Inzwischen hatte der Ausflug nach Cornwall stattgefunden, und zwar zu so unerwarteter und dauernder Befriedigung für uns, daß wir ziemlich weit in die dritte Woche unserer Abwesenheit vorgerückt waren, ehe wir das Gesicht heimwärts wandten. Die Eisenbahnen halfen uns damals nicht viel; aber wo die Wege für Postpferde nnzugänglich waren, gingen wir zu Fuß. Wir besuchten Tintagel, und ließen keinen Theil der durch die Legenden König Arthur's geweihten Berg- und Seelandschaft unerforscht. Wir erstiegen die Spitze des höchsten Thurmes auf Mount St. Michael und stiegen nieder in mehrere Bergwerke. Land und Meer enthüllten uns ihre Wunder; aber von allen Eindrücken, die wir mit uns forttrugen, und von denen einige später so dauernde Formen annahmen, als sie durch die schönste Kunst empfangen konnten, wurde keiner die Quelle so tiefer Erregung für uns Alle, als ein Sonnenuntergang, den wir bei Land's End sahen. Stanfield kannte die Wunder des Continents, Maclise war heimisch in den Schönheiten Irlands, ich war von Jugend auf vertraut mit der schottischen Landschaft, und Dickens kam eben von dem Niagarafall; aber es war etwas in dem Versinken der Sonne hinter dem Atlantischen Ocean an jenem Herbstnachmittage, als wir es von der Spitze des am weitesten in die See hinausragenden Felsens betrachteten, dem, wie wir uns Alle gegenseitig gestanden, Nichts in unserer Erinnerung gleichkam.
Doch es würde unwürdig sein, mit der reich wechselnden und überfließenden Heiterkeit jener drei denkwürdigen Wochen jetzt nur die getrübte Erinnerung des einzigen Ueberlebenden zu verknüpfen. »Gesegneter Stern des Morgens!« schrieb Dickens an Felton, während der Abglanz ihres Genusses noch auf ihm lag. »Was für einen Ausflug nach Cornwall wir machten, grade nachdem Longfellow abgereist war! . . . Zuweilen reisten wir die ganze Nacht, zuweilen den ganzen Tag, zuweilen beide . . . Himmel! Hätten Sie die Flaschenhälse sehen können, verwirrend durch die endlose Mannigfaltigkeit ihrer Gestalt, die aus den Wagentaschen herausblickten! Hätten Sie ein Zeuge sein können der tiefen Hingebung der Postillone, der wilden Zuneigung der Wirthe, der wahnsinnigen Freude der Kellner! Hätten Sie uns folgen können in die erdigen alten Kirchen, die wir besuchten und in die seltsamen Höhlen an dem düstern Meergestade, und hinab in die Tiefen der Bergwerke, und hinauf auf die Gipfel der schwindelnden Höhen, wo das unsagbare graue Wasser ich weiß nicht wie viele hundert Fuß unter uns rauschte. Hätten Sie nur einen Schimmer der hellen Feuer sehen können, an denen wir Nachts in den großen Zimmern der alten Wirthshäuser saßen, lange nachdem die frühen Morgenstunden gekommen und gegangen waren . . . Ich habe nie in meinem Leben so gelacht wie auf dieser Reise. Es würde Ihnen wohl gethan haben, mich zu hören. Ich würgte und keuchte und sprengte auf dem ganzen Wege die Schnalle hinten von meiner Halsbinde ab. Und Stanfield gerieth in solche apoplektische Verwickelungen, daß wir ihn oft mit den Reisesäcken auf den Rücken schlagen mußten, ehe es uns gelang, ihn wieder zur Besinnung zu bringen. Im Ernste, ich glaube solch ein Ausflug ist nie vorher dagewesen. Und sie machten Skizzen, diese beiden Menschen, an den romantischsten unserer Halteplätze, daß man hätte schwören mögen, wir hätten sowohl den Geist der Schönheit unter uns, als den Geist des Humors.«
Der Fels von Logan, von Stanfield, war eine dieser Skizzen, und sie stellte auf lachende Weise zugleich den Zauber dessen dar was wir sahen, und die Heiterkeit dessen was wir thaten, denn sie setzte mich oben auf die Spitze des Felsens. Das ist jedoch historisch, denn ich hatte den Felsen erstiegen, und an diese und andere Beispiele von Selbstbeherrschung auf Höhen, welche die Andern abschreckten, sowie an ein Motiv für ein Gemälde, dessen Käufer unbekannterweise Dickens selbst wurde, erinnerte Maclise mich viele Jahre später in einigen heitern Anspielungen, deren Mittheilung der wohlwollende Leser mir, trotz des meinen athletischen Thaten gespendeten Lobes, verzeihen muß. Sie vollenden das Bild unseres Ausfluges. Etwas was ich Maclise über eine Reise durch die Berglandschaft der wilden Küsten von Donegal geschrieben, hatte die Saite dieser alten Erinnerung angeschlagen. »Was Dein Klettertalent betrifft,« antwortete er, »weiß ich da nicht was in früheren Zeiten geschah? Sehe ich nicht immer noch den Felsen von Logan und Dich oben auf der schwindelnden Spitze sitzen, während wir, uns an seinen Rücken anlehnend, vor Allem was unten verborgen lag zurückscheuten? Würde ich mich je an den Wasserfall von St. Wighton gewagt haben, hättest Du mir nicht den Weg gewiesen? Und als wir nach Land's End kamen, wo das grüne Meer unter uns in die einsamen Felsenengen eindrang, in denen die Seejungfern wohnen, wer außer Dir hatte da den Muth, sich hinüberzulehnen, um jene Diamantenstrahlen von Lichtglanz zu sehen, die ich damals (und ich bin derselben Meinung noch jetzt) für das Schlagen ihrer Schwänze erklärte? Und dann wieder sehe ich Dich auf dem höchsten Steine des runden Thurms, über den höchsten Zinnen des Castells, auf Mount St. Michael sitzen, ohne einen Vorsprung oder eine Schutzwehr zwischen Dir und dem bodenlosen Ocean, dreitausend Fuß unter Dir. Endlich, wie könnte ich vergessen, als Du den Ziegenpfad nach König Arthurs Schloß Tintagel hinaufklommst, wo ich, mit dem vergeblichen Wunsch Dir zu folgen, wie ein Caliban am Boden hinkroch und Du, nach Art eines neckischen Geistes und starken Ariel, faktisch vor mir auf- und abtanztest!«
Der Wasserfall, an den ich ihn führte, befand sich unter den Dokumenten unserer, auch von Thackeray in einer scherzhaften Federzeichnung verherrlichten berühmten Ferienreise, welche von beiden Malern auf die akademische Kunstausstellung des folgenden Jahres geschickt wurden; und so lebhaft wünschte Dickens diese Landschaft, auf der sich das Porträt eines Mitgliedes seiner Familie befand, zu besitzen, und so besorgt war er zugleich, daß unserm Freunde das Opfer erspart bleiben sollte, das, wie er wohl wußte, dem Geständniß seines Wunsches folgen würde, daß er das Bild unter einem angenommenen Namen vor der Eröffnung der Kunstausstellung kaufte, und sich entschieden weigerte, das Geld zurückzunehmen welches Maclise ihm nach der Entdeckung seiner List aufdrängte. Unser Freund, der ihm schon auf's Freigebigste ein reizendes Bild seiner vier ältesten Kinder. geschenkt hatte, das ihn und seine Frau nach Amerika begleiten sollte, brachte nichtsdestoweniger sein edles Herz zu seinem Rechte und malte vier Jahre später, als freiwillige Gabe, Mrs. Dickens in derselben Größe wie das Bild ihres Mannes im Jahre 1839.
»Erblicke endlich den Titel des neuen Buches,« so lautete das erste Billet, das ich nach unserer Rückkehr am 12. November von Dickens erhielt; »aber verliere ihn nicht, denn ich habe keine Abschrift.« Der Titel und sogar die Geschichte waren während wir reisten, unentschieden geblieben, weil er noch immer an dem Wunsche festhielt, sie in diesen cornischen Umgebungen anzufangen; doch dieser Plan wurde nun schließlich aufgegeben und der Leser verlor Nichts, indem an die Stelle des Leuchtthurms oder des Bergwerks in Cornwall die Schmiede des Dorfes in Wiltshire trat, an dem windigen Herbstabend, welcher die Geschichte von Martin Chuzzlewit eröffnet. Für diesen Namen entschied er sich schließlich, aber, wie eine Erwähnung seiner Abänderungen zeigen wird, erst nach langer Ueberlegung. Martin war der Vorname zu Allen; doch der Familienname ging von seiner ersten Form: Sweezleden, Sweezleback und Sweezlewag, in Chuzzletoe, Chuzzleboy, Chubblewig und Chuzzlewig über, und auch Chuzzlewit wurde endlich erst nach neuem Schwanken und Ueberlegen gewählt. Was er mir in seinem Briefe als schließliche Entscheidung schickte, lautete wie folgt: »Leben und Abenteuer Martin Chuzzlewig's, seiner Familie, seiner Freunde und Feinde. Mit Einschluß aller seiner Neigungen und Eigenheiten. Nebst einem historischen Bericht über das, was er gethan und das, was er nicht gethan hat. Ueberhaupt ein vollständiger Schlüssel zu dem Hause Chuzzlewig.« Den ganzen letzteren Theil des Titels ließ er natürlich fallen, als das Werk während seines Fortschritts zuerst nicht beabsichtigte Veränderungen erfuhr; aber schon bei dem dritten Hefte schickte er mir den Entwurf »von dem Plane des alten Martin, Pecksniff zu erniedrigen und zu strafen« und die Schwierigkeiten, denen er bei dem Abweichen von andern Theilen seines Planes begegnete, waren so groß, daß er dadurch bei seinen späteren Romanen zu größerer Sorgfalt in der ersten Anlage, und größtmöglichem Festhalten an dem ursprünglich gefaßten Plane veranlaßt wurde.
Das erste Heft, das im Januar 1843 erschien, war noch nicht ganz vollendet, als er mir am 8. December schrieb: »Das Chuzzlewit-Manuscript reicht so viel weiter, als ich gedacht hatte, daß das Heft beinahe fertig ist. Dem Himmel sei Dank!« So eilig er auch zuletzt anfing, und obgleich er schon beim Anfang seine Bahn änderte und von dem Verlauf seines Planes noch wenig sah, so begann er doch vielleicht keinen andern Roman mit stärkerem Muth oder größerer Zuversicht. Krankheit hielt mich damals mehrere Tage an's Zimmer gefesselt, und so begierig war er, die Wirkung von Pecksniff und Pinch zu versuchen, daß er, als die Dinte noch kaum auf der letzten Seite trocken war, zu mir kam, um mir das Manuscript vorzulesen. Sydney Smith, der ihm schrieb, wie sehr das erste Heft ihm gefallen habe, sah das Vielversprechende jener Charaktere richtig voraus. »Pecksniff und seine Töchter und Pinch sind vortrefflich. – Malerei ersten Ranges, wie Niemand als Sie sie ausführen kann.« Und hier sei sofort bemerkt, daß der Gedanke, Pecksniff zu einer Charakterfigur zu machen, in Wahrheit der Ursprung des Buches war. Es war sein Zweck, mehr oder weniger durch jede der vorgeführten Personen die Zahl und die Mannigfaltigkeit der Launen und Laster zu zeigen, welche ihre Wurzel in der Selbstsucht haben.
Ein anderes Schriftstück aus seiner Feder, das am Ende des Jahres 1842 Erwähnung verdient, war der Prolog zu der »Patrizier-Tochter« ( Patrician's Daughter), Westland Marston's erstem dramatischen Versuch, der ihn weniger durch die Schönheit seiner Composition, als durch den Muth angezogen hatte, womit sein Gegenstand aus dem wirklichen Leben der Zeit herausgegriffen war.
Nicht leicht sein Zweck und nicht gering sein Ansehn;
Ihr selbst die Spieler, euer Haus die Scene.
Dies war auch die Zeit, als Browning seine Tragödie »Der Flecken auf dem Wappen« ( Blot on the Scutcheon) schrieb. Ich las dieselbe im Manuscript und theilte sie dann auch Dickens privatim mit, und mein Glaube, daß sie ihn tief ergreifen würde, wurde nicht getäuscht. »Browning's Stück,« schrieb er am 25. November, »hat mich in eine wahrhafte Leidenschaft des Schmerzes versetzt. Zu sagen, daß der Gegenstand etwas anderes enthält als was schön, wahr, tief ergreifend, voll von der reinsten Empfindung ist, und der wahrsten und zartesten Quelle des Interesses entspringt, würde grade so sein als wollte man sagen, daß in der Sonne kein Licht und in dem Blute keine Wärme ist. Es ist voller Genie, voll von natürlichen und großen Gedanken, tief und doch einfach und schön in seiner Kraft. Ich kenne nichts so Rührendes, nichts, in keinem Buche, das ich je gelesen, als Mildred's Zurückkommen auf das –
Ich war so jung – ich hatte keine Mutter.
Ich kenne keine Liebe wie diese, keine Leidenschaft wie diese, keine Gestaltung eines glänzenden Gedankens im Einklang mit seiner Conception, wie diese. Und ich schwöre, es ist eine Tragödie, die gespielt werden muß, und außerdem gespielt werden muß von Macready. Einiges möchte ich womöglich geändert haben (es ist nicht wichtig, meistens gebrochene Zeilen); und jedenfalls möchte ich, daß der alte Diener seine Erzählung auf der Bühne anfinge, und bei ihrem Beginn von seinem Herrn an der Kehle gepackt und mit dem Degen angegriffen würde. Aber die Tragödie werde ich nie vergessen, noch je einen weniger lebendigen Eindruck von ihr haben als jetzt. Und wenn Du Browning sagst, daß ich sie gelesen habe, so sage ihm, daß ich von Grund meiner Seele aus glaube, daß kein lebender Mensch (und nicht viele todte) ein solches Werk zu schaffen vermöchten. – – Der abgeänderte Prolog gefällt Macready sehr.« . . . Bemerkungen über seinen allgemeinen literarischen Geschmack und seine besondere Schätzung zeitgenössischer Werke spare ich mir für eine gelegenere Zeit auf; hier muß ich indeß noch bemerken, daß nichts eine größere Theilnahme bei ihm erweckte als ehrliche, auf seinem eigenen Felde errungene Erfolge, und daß es in seiner weitherzigen und offenen Natur keine Schlupfwinkel für kleine Eifersüchteleien gab. Es fällt mir ein Beispiel ein, das sofort erwähnt werden mag: als er, viele Jahre nach der Zeit, von der ich hier rede, mich sehr eindringlich auf zwei Erzählungen aufmerksam machte, die damals in ›Blackwood's Magazin‹ erschienen; und später unter dem Titel »Bilder aus dem Leben der Geistlichkeit« ( Scenes of Clerical Life) gesammelt wurden. George Eliot's erstes Werk. – D. Uebers. »Lies sie jedenfalls,« schrieb er. »Es ist das Beste was ich gesehen habe, seit ich meine Laufbahn begann.«
Das Jahr 1843 In einem der Briefe an seinen amerikanischen Freund Felton findet sich eine Erinnerung an Weihnachtsvergnügungen, die meinem Gedächtniß entfallen waren, und für die sich hier eine Ecke finden mag, da diese Belustigungen während der frohen alten Jahreszeit für ihn charakteristisch waren, und in künftigen Jahren häufig erneuert wurden. »Das schönste ist« (schrieb er 31. December 1842), »daß Forster und ich gemeinschaftlich den ganzen Lagervorrath eines Zauberers gekauft haben, dessen Handhabung und Schaustellung mir anvertraut ist . . . Bei den Kunststücken, die einen Mitwisser erfordern, hilft mir (wegen seiner unerschütterlichen guten Laune) Stanfield, der seine Rolle immer grade so spielt wie er nicht sollte, zu dem unaussprechlichen Entzücken aller Zuschauer. Wir produciren uns heute im Kleinen bei Forster, wo wir das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahres feiern wollen.« Atlantic Monthly, Juli 1871. wurde eröffnet unter der eifrigsten Fortsetzung seiner Arbeit an Chuzzlewit. »Ich hoffe, das Heft wird sehr gut werden,« schrieb er mir am 8. Januar über das zweite Heft. »Ich habe tüchtig daran gearbeitet, und bin den ganzen Tag zu Hause gewesen. Ebenso gestern, mit Ausnahme von zwei Stunden am Nachmittage, wo ich mir in halbfußtiefem Schnee durch die Wildnisse von Willesden einen Weg bahnte.« Vorläufig werde ich jedoch auf seinen Fortschritt mit den früheren Theilen des Romans, an welchem er bis Mittsommer 1844 beschäftigt war, nur dann und wann einen flüchtigen Blick werfen. Unerwartete und seltsame Enttäuschungen, die einen bedeutenden Einfluß auf ihn ausübten, erwuchsen ihm bei dieser Arbeit; aber ich schiebe die Erwähnung derselben eine Weile auf, um zunächst von den Hauptbegebenheiten des Jahres 1843 zu reden.
Charles Dickens, seine Frau und ihre Schwester
Gezeichnet im J. 1842 von Daniel Maclise, gestochen von C. H. Jeens
»Ich bin in Verlegenheit,« schrieb er am 12. Februar; »und werde heute entweder im Laufe des Tages oder des Abends zu Dir kommen. Ich konnte gestern nicht eine Zeile schreiben, nicht ein Wort, obgleich ich's nach Kräften versuchte. In einer Art von Verzweiflung fuhr ich um halb Drei mit meinem Paar Unterröcken nach Richmond und speiste dort! O, was für ein schöner Tag war es in jener Gegend.« Sein Paar Unterröcke waren Mrs. Dickens und deren Schwester Georgina. Die letztere war seit seiner Rückkehr von Amerika ein Mitglied seines Haushalts geworden, und blieb dies bis zu seinem Tode; und er hatte allen Grund auf die Beständigkeit, Tiefe und Hingabe ihrer Freundschaft stolz zu sein. In einem Notizbuch von ihm, das er im Januar 1855 anfing, und worin er zum erstenmal in seinem Leben Andeutungen und Gedanken niederlegte, um in künftigen Schriften davon Gebrauch zu machen, finde ich die Skizze eines Charakters, der, wenn nicht ganz und gar durch seine Schwägerin eingegeben, doch der Hauptsache nach auf sie anwendbar war. »Sie opferte sich für die Kinder auf, und wurde dadurch hinreichend belohnt. Von Kind auf wurde sie immer durch die Kinder« (eines Andern) »in Anspruch genommen. Und so geschah es, daß sie sich nie verheirathete, nie selbst ein Kind hatte; sie giebt sich immer den Kindern hin; und die Kinder lieben sie; und sie hat immer Jugend, die von ihr abhängt, bis an ihren Tod; und stirbt glücklich.« Nicht manche Tage nach jenem Ausfluge nach Richmond machte Maclise eine leichthingeworfene Bleistiftskizze der Drei die daran theilnahmen, während wir Alle zusammensaßen, und nie enthielt ein so leichter Entwurf mehr Wahrheit der Beobachtung. Die Porträtähnlichkeit Aller ist vorzüglich und ich bewahre die Zeichnung hier auf, weil kein anderes Porträt von Dickens selbst sein Aussehen und seine Haltung in dieser noch jugendlichen Zeit lebendiger wiedergiebt. Er trägt seinen angenehmsten Ausdruck, etwas geschmeichelt, wenn man will; aber nichts mir Bekanntes gibt ein so lebensvolles und wahres Abbild seines damaligen offenen, frischen, schönen Gesichtes.
Für mich war dies ein Jahr voller Krankheit, in deren Verlauf es mir nie an hülfreicher und thätiger Sympathie von ihm fehlte. »Laß mich wissen, wie es Dir geht,« schrieb er zwei Tage später. »Aber ich schreibe jetzt nicht so sehr deshalb, als um Dir nachdrücklich zu sagen, daß ich darauf bestehe, daß Du Dich einwickelst, und morgen in einem Miethwagen mit einem großen Koffer hierher kommst. Es ist jedenfalls besser, krank zu sein mit einem Flink, Heiter und Comp. in der Nähe, als in der öden Wüste von Lincolns-Inn-Fields. Du findest hier das bequemste Bett von der Welt, und dann hast Du den Drawing-Room für Dein Arbeitszimmer, Flink und Heiter zum Kameraden, und alles Andere in passendem Zusammenhang. Nach dem Empfange Gregory's, gestern Abend, fange ich an, auf die Wiedergeburt der Menschheit zu hoffen, obgleich ich keine Hoffnung hege auf die des Chronicle, das seine Stimme nicht gegen den Schurken erhebt. Hast Du die Bemerkung in dem Gelb und Blau Buff and Blue – die Whigfarben und die Farben des Umschlags der whiggistischen Edinburgh Review. – D. Uebers. über meine Noten gesehen?«
Die erste dieser schließlichen Anspielungen bezog sich auf den Umstand, daß man den Herausgeber des infamen ›Satiristen‹ von der Bühne im Drury-Lane-Theater, wo er in der Rolle Hamlets aufgetreten war, heruntergepfiffen hatte und ich erinnere mich noch, mit welch unendlichem Vergnügen ich später hörte, wie der Oberrichter Tindal in seiner Anrede an die Jury, bei Gelegenheit eines Prozesses, den jener Uebelthäter gegen einen Bierwirth von St. Giles anhängig machte, weil derselbe Leute gemiethet, an dem Pfeifen theilzunehmen, den Stolz gestand, den er empfinde, ›in demselben Kirchspiel zu leben mit einem Manne in der niedrigen Lebensstellung der Angeklagten,‹ der im Stande sei, aus seiner eignen Tasche Geld zu bezahlen für die Bestrafung dessen, was ihm eine Verletzung des Anstandes erscheine. Die zweite Anspielung bezog sich auf eine Behauptung des Kritikers der »Amerikanischen Noten« in der Edinburgh Review, des Inhalts, daß, wenn er gut unterrichtet sei, Dickens als eine Art von Missionär in Sachen des internationalen Schutzes des literarischen Eigenthums nach Amerika gegangen sei, wogegen gleich darauf eine verneinende Erwiederung in der › Times‹ erschienen war. »Ich läugne es durchaus,« schrieb Dickens. »Man hat ihn falsch berichtet und er macht, ohne Erkundigungen anzustellen, eine Mittheilung, die ich nur durch eins der kürzesten und stärksten Worte in unserer Sprache charakterisiren könnte.«
Ich kann hier bemerken, daß die Streitigkeiten, welche durch das Buch über Amerika hervorgerufen wurden, sich über den größesten Theil des Jahres erstreckten. Es genügt übrigens zu sagen, daß Dickens die Stellung, die er in seinen an Ort und Stelle geschriebenen und in dem ersten Bande mitgetheilten Briefen eingenommen hatte, und über deren wichtigste Punkte sein Buch, und später auch Chuzzlewit, zu einem öffentlichen Urtheil aufforderte, so vollständig gegen alle Angriffe behauptete, daß keine der Gegenbehauptungen und Argumente ihn auch nur einen Zoll breit daraus verdrängten. Aber der Streit ist jetzt todt, und er nahm bei seinem spätern Besuch in Amerika Veranlassung, ihm eine Grabschrift zu setzen.
Obgleich ich (um zu seinem Februarbriefe zurückzukehren) seinem herzlichen Geheiß, mich sofort bei ihm einzuquartieren, nicht gehorchte, so kam ich doch bald nachher in einem Landhause bei ihm zu Gast, das er in Finchley gemiethet hatte, und hier war es, wo bei dem Umherwandeln und den Unterredungen in den grünen Landwegen, während des Beginns der Mittsommermonate, die Charakterfigur der Mrs. Gamp und der Gebrauch, den er von dieser bemerkenswerthen Person machen könne, ihm zuerst vor die Seele trat. In seiner Vorrede zu Martin Chuzzlewit spricht er von ihr als einem guten zeitgenössischen Typus der gemietheten Krankenwärterinnen armer Leute. Er hätte aber hinzufügen können, daß es den Reichen nicht besser damit gehe; denn das Original der Mrs. Gamp war in Wahrheit eine Person, die von einer ausgezeichneten Freundin Dickens' gemiethet war, um einen ihr theuren Kranken zu pflegen; und unter anderen Gampischen Eigenthümlichkeiten hatte diese Pflegerin in dem Krankenzimmer die Gewohnheit, ihre Nase an dem hohen Feuergatter der Länge nach zu reiben. Ich besinne mich nicht mehr, ob ich bei der ersten Erwähnung von Mrs. Gamp Bedenken äußerte, ob ein solcher Charakter zu einer der Hauptpersonen seines Romans gemacht werden könne; wenn ich jedoch solche Bedenken äußerte, so überlebten dieselben nicht den Inhalt des Packets, welches sie, einige Wochen nach unserer Rückkehr, im Fleische bei mir einführte. »Sage mir,« schrieb er ans Yorkshire, wo er inzwischen heitere Feiertage mit einem Freunde verlebt hatte, »was Du über Mrs. Gamp denkst. Du wirst es nicht leicht finden, durch die Hunderte von Druckfehlern in ihrer Conversation durchzukommen, aber ich will Deine Ansicht sofort hören. Ich glaube Du kennst schon etwas von meiner eignen. Ich beabsichtige etwas Gutes daraus zu machen.«
In demselben Briefe schickte er mir eine geistreiche kleine Parabel in Versen, die er für einen von Lady Blessington herausgegebenen Almanach geschrieben hatte. »Ich habe, ebenso wie Du, einen Brief von Lady Blessington gehabt, zu deren Behuf ich heute Morgen die Zeilen aufsetzte, die ich Dir hiermit schicke. Aber ich habe es nur gethan, um mich zu entschuldigen, denn ich zweifle sehr, ob sie ihr passen werden, und ich hoffe, sie wird sie an Dich zurückschicken, für den › Examiner‹.« (Juli, 1843). Die Zeilen verdienen es vollkommen, erhalten zu werden.
Ein Wort zu rechter Zeit.
Es herrscht im Orient ein Aberglaube,
Daß Allah, auf ein Stück Papier geschrieben,
Von größerm Segen sei als Priesterworte,
Als Weihrauchwoge und als Kerzenflamme.
Denn jedes Blättchen, welches diesen Namen
An seiner Stirne trägt, so glaubt man dorten,
Hilft Dem, der's findet, durch das Fegefeuer,
Gibt einen Ruhort seinen glüh'nden Füßen.
Aus diesem Grund thut man gewaltig wichtig,
Mit allen frommen Reden und Traktätchen,
Und sammelt sorglich ihre Blätter – denn
Das Volk ist dort nicht aufgeklärt wie wir.
Und so, auf kothigen Wegen zögernd stets,
Mit Suchen nur nach jenem Schatz beschäftigt,
Hat's in den Tagen seines Staubdurchforschens
Nur selten Zeit, zum Himmel aufzublicken.
So hab' ein Land gekannt ich auf der Erde,
Wo Dunkel brütete über den Wassern
Und Mangel, Mühsal und Unwissenheit
Das Erbtheil seiner Söhn' und Töchter waren.
Und wo doch die, die allen Menschen weit
Der Liebe Pforten hätten öffnen sollen,
Um Worte stritten am Altare und
Das Buch zerrissen, um des Einbands willen.
Der Beste unter jenen frommen Türken
Grausam entstellt Gottes lebendiges Abbild,
Ihr höchster Priester, glaubend nicht an Werke,
Erhängt die Tugenden auf offnem Marktplatz.
Der Pariah-Christ, dem beide Sekten fluchen,
(Sie fluchen sich und fluchen allen andern)
Geht weiter, ohne viel dadurch zu leiden,
Thut Gutes wo er kann, liebt seinen Bruder.
Eine andere Anspielung in seinem Februarbriefe erinnert mich an das Interesse, welches seine frühere Mitarbeit an dem › Chronicle‹ ihm für Alles einflößte, was den Credit dieser Zeitung beeinflußte, und daß dies das Jahr war, in welchem John Black aufhörte, ihr Hauptredakteur zu sein und zwar unter Umständen, welche Dickens' ganze Sympathie von Neuem auf's Stärkste anregten. »Ich fühle tiefen Kummer um Black,« schrieb er 3. Mai 1843. »Bedauere es vom Grund meiner Seele. Wüßte ich nur wo er wäre, ich würde sogleich hingehen, ihn zu trösten.« Er erfuhr wo er war und er, nebst einer Anzahl von uns, trösteten auch den vortrefflichen Mann auf eine äußerst englische Weise, indem wir ihm am 20. Mai in Greenwich ein Festessen gaben, bei dem Dickens Alles vollkommen anordnete, und das in jeder Hinsicht seinen Zweck erfüllte. Unter den Theilnehmern befanden sich Sheil und Thackeray, Fonblanque und Charles Buller, Southwood Smith und William Johnson Fox, Macready und Maclise, sowie ich selbst und Dickens.
Eine andere ähnliche Festlichkeit folgte, bei der einer dieser Theilnehmer der Gast war, und die den Bemühungen von Dickens kaum weniger verdankte, als wir im Herbste im ›Star und Garter‹ in Richmond Macready eine glückliche Reise nach Amerika wünschten. Dickens führte den Vorsitz bei diesem Abschiedsmahl, und wollte mit Stanfield, Maclise und mir in der folgenden Woche den großen Schauspieler nach Liverpool bringen, um ihm am Bord des Cunard-Dampfschiffs Lebewohl zu sagen, und seine Frau nach dem Abschied nach London zurück zu begleiten. Allein ein Wort von unserm vortrefflichen Freunde Capitän Marryat, das uns Alle, mit Ausnahme von Dickens selbst, überraschte, entfernte ihn aus unserer Gesellschaft. Marryat war der Meinung, ein öffentlicher Bericht, daß Macready auf seiner Fahrt von dem Verfasser der Amerikanischen Noten und Martin Chuzzlewit's geleitet worden, werde ihm in den Vereinigten Staaten schaden, und unser Freund stimmte sofort mit ihm darin überein. »Deinen ersten und Hauptgrund,« schrieb er mir, »an Marryat's Urtheil zu zweifeln, kann ich ohne Mühe über den Haufen werfen. Es ist mir selbst schon durch den Kopf gegangen; ich habe die Sache mehr als einmal gegen Kate erwähnt, und ich hatte beabsichtigt, nicht an Bord zu gehen und Radley zu bitten, daß meine Anwesenheit in seinem Hause unerwähnt bleibe. Was mich abhielt, meinen Befürchtungen Ausdruck zu geben, war die Besorgniß, es möge scheinen als ob ich, wenn ich es thäte, meinen Handlungen eine zu große Bedeutung beimesse. Nun ich aber Marryat auf meiner Seite habe, erkläre ich ohne jedes Bedenken, daß er vollkommen Recht hat. Ich befürchte sehr, daß die Widmung zu Nickleby Macready Schaden thun wird. Marryat irrt sich, wenn er meint, daß sie in den amerikanischen Ausgaben nicht gedruckt ist, denn ich habe sie selbst in den Ladenfenstern mehrerer Städte gesehen. Wenn ich mit ihm an Bord ginge, so hege ich nicht den mindesten Zweifel, daß die Thatsache in ganz New-York durch Plakate angekündigt sein würde, ehe er sich in Boston rasirt hätte. Und daß es in Amerika Tausende von Menschen gibt, die auf die bloße Behauptung hin, er sei mein Freund, einen Streit mit ihm anfangen würden, ist mir ebenso unzweifelhaft als meine eigne Existenz. Du hast Marryat's Ausspruch nur bezweifelt, weil es für Jeden, der nicht dort gewesen, unmöglich ist zu wissen, was sie in ihrem eigenen Lande sind.«
Dieser Brief wurde von Broadstairs geschrieben, wohin Dickens im August gegangen war, nachdem er an einem Werke praktischer Menschlichkeit mitgeholfen, wie er allein helfen konnte und zu helfen liebte. Früher im Jahre hatte er bei einem Zweckessen zum Besten des ›Pensionsfonds für Buchdrucker‹, bei welchem auch Thomas Hood, Douglas Jerrold und ich selbst anwesend waren, den Vorsitz geführt; und nach dem schrecklichen Unglücksfall jenes Sommerabends, durch den der Schauspieler Elton sein Leben verlor, waren es besonders Dickens' unablässige Bemühungen, trefflich unterstützt von Mr. Sarle, und mit Wärme aufgenommen von Elton's eigner Profession (der edelmüthigsten in der Welt), wodurch das Nöthige für die vielen unversorgten Kinder beschafft wurde. Zu Ende August erhielt ich Nachrichten von ihm aus seinem Lieblings-Seebade, die zu charakteristisch sind, als daß sie hier ausgelassen werden dürften. Der vorhergehende Tag war ›entsetzlich heiß‹ gewesen; doch das hatte ihn nicht abgeschreckt zu thun, was er nur zu oft geneigt war, plötzlich mitten in der anstrengendsten Arbeit zu thun. »Ich habe einen tollen Wettmarsch gegen die Zeit gemacht: vier Meilen, nach den Meilensteinen, in vier und einer halben Stunde, den ganzen Weg unter einer brennenden Sonne. Ich konnte« (er schreibt am folgenden Morgen) »in der Nacht nicht zum Schlaf kommen, und begann wirklich zu fürchten, ich würde ein Fieber bekommen. Du kannst Dir vorstellen, in was für einem Autor-Zustand ich mich heute befinde. Ich könnte eben so gut die Klippe aufessen, als über irgend etwas schreiben.« Einige Tage später war er indeß wieder ganz wohl; und eine andere an seinen amerikanischen Freund gerichtete Briefskizze wird zeigen, wie er für gewöhnlich an der See lebte. »In einem Bogenfenster im ersten Stock sitzt von neun bis ein Uhr ein Herr mit ziemlich langem Haar und keinem Halstuch, der schreibt und grinst, als dächte er, er sei äußerst amüsant. Um eins verschwindet er, taucht dann schnell aus einem Badekarren auf und man kann sehen, wie er als eine Art lachsfarbiges Meerschwein im Ocean umherplatscht. Hierauf kann man ihn erblicken, wie er in einem andern Bogenfenster zu ebner Erde ein tüchtiges Gabelfrühstück zu sich nimmt, und dann zwei bis drei Meilen, oder so, spazieren geht, oder im Sande auf dem Rücken liegend ein Buch liest. Niemand belästigt ihn, außer wenn man weiß, daß er geneigt ist, sich zu unterhalten, und wie man mir sagt, fühlt er sich äußerst comfortabel. Er ist braun wie eine Beere und es wird behauptet, er sei ein kleines Vermögen für den Gastwirth, der Bier und kalten Punsch verkauft. Doch das ist ein bloßes Gerücht. Zuweilen geht er nach London (sechszehn Meilen oder so entfernt), und dann gibt es, so sagt man, Nachts in Lincoln's-Inn-Fields einen Klang wie von Menschen, die zusammen lachen, sammt einem Klirren von Messern und Gabeln und Weingläsern.« Brief von Dickens an Prof. Felton (1. Sept. 1843), abgedruckt im Atlantic Monthly vom Juli 1871.
Er kehrte dauernd in die Stadt zurück am Montag, den 2. Oktober und war vom Mittwoch bis zum Freitag dieser Woche in Manchester, wo er bei der Eröffnung des großen ›Athenäum‹, bei der auch Cobden und Disraeli zugegen waren, den Vorsitz führte. Hier sprach er besonders über einen Gegenstand, der seinem Herzen immer nahe lag: die Erziehung der sehr Armen. Er zeigte wie gefährlich es sei, eine geringe Kenntniß gefährlich zu nennen; erklärte, daß er die geringste der geringen gar keiner vorziehe, schlug vor, einem alten Verse den neuen zu substituiren:
Ob nie Du Haus und Güter Dein magst nennen,
Kenntniß gewährt was sie
nicht geben können;
erzählte seinen Zuhörern von der wirklichen und größten aller Gefahren, die wir noch vor Kurzem mit Longfellow in den nächtlichen Zufluchtsörtern von London gesehen hatten: »Tausende unsterblicher Wesen, ohne Alternative oder Wahl verdammt, nicht den Pfad zu wandeln, den unser großer Dichter den Blumenpfad zu dem ewigen Freudenfeuer nennt, sondern einen Pfad voll spitziger Steine, bereitet durch brutale Unwissenheit«; und verglich diesen Zustand mit dem unaussprechlichen Trost und Segen, den eine auch nur geringe Erkenntniß über Menschen von dem niedrigsten Range und den hoffnungslosesten Mitteln ausgeströmt habe, wie sie »mit dem Hirtenknaben Fergusson die Sterne beobachtete, dem armen Barbier Arkwright in Lancashire, dem Seifensiedersohn Franklin, dem Schuhmacher Bloomfield in seinem Dachstübchen, dem jungen Burns an seinem Pfluge, und, hoch über dem Lärm des Webstuhls und des Hammers, Arbeitern in Sheffield und in Lancashire, die ich hier nennen könnte, Muth zuflüsterte.«
Derselbe Geist trieb ihn an, das merkwürdige Institut der ›Lumpenschulen‹ ( Ragged Schools) eifrig zu bewillkommnen, die, von einem Schuhmacher in Southampton und einem Schornsteinfeger in Windsor angefangen, und von einem Pair des Königreichs Lord Shaftesbury. fortgeführt, Resultate von unberechenbarer Wichtigkeit für die Gesellschaft gehabt haben. Das Jahr, von dem ich rede, war ihr erstes, sowie dasjenige, in welchem ich schreibe ihr letztes ist; Das Ende der ›Lumpenschulen‹ wurde bezeichnet durch die Einführung der alle Volksklassen umfassenden Erziehungsbill von 1871. – D. Uebers. und man hat berechnet, daß sie während der Zwischenzeit nicht nur dreihunderttausend Kindern eine Art von Erziehung gegeben, sondern auch einem Drittheil dieser Zahl die Mittel zu ehrlichem Erwerb geboten haben. »Ich habe,« schrieb Dickens am 24. September, »an Miß Coutts einen Schmiedehammer-Bericht über die Lumpenschulen geschickt und da ich sah, daß sie in der Subscriptionsliste für geistliche Erziehung zweihundert Pfund gezeichnet hatte, bemühte ich mich, ihr klar zu machen, daß religiöse Mysterien und schwierige Glaubensbekenntnisse nicht für solche Schüler geeignet seien. Ich sagte ihr auch, daß es von unendlicher Bedeutung sei, sie rein zu waschen. In ihrer Antwort fragt sie mich, wie hoch die Miethe einiger großen, luftigen Räumlichkeiten sich belaufen, und was die Baukosten für einen ordentlichen Bade- oder Reinigungsort sein würden, in Bezug auf welche Punkte ich mit den Autoritäten in Briefwechsel stehe. Ich zweifle nicht, daß sie Alles thun wird, worum ich sie in dieser Sache bitte. Sie ist, ich erkläre es feierlich, ein vorzügliches Wesen, und ich hege die vollkommenste Zuneigung und Hochachtung für sie.«
Eins der letzten Dinge, die er am Schluß des Jahres in ähnlichem Geiste that, war, daß er sich erbot, die ›Lumpenschulen‹ für die Edinburgh Review zu beschreiben. »Ich habe Napier gesagt,« schrieb er mir, »daß ich eine Beschreibung davon geben will in einem Artikel über Erziehung, wenn die Review sich nicht fürchtet, gegen den kirchlichen Katechismus und andere bloße Formulare und Subtilitäten, in Bezug auf die Erziehung der Jungen und der Unwissenden aufzutreten. Ich fürchte, es ist äußerst unwahrscheinlich, daß sie so weit gehen wird.« Seine Befürchtung war wohlbegründet; aber seine Bemerkungen aus jener Zeit bieten mir die Veranlassung, hinzuzufügen, daß seine Ungeduld gegen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich dieses Punktes mit Geistlichen der Hochkirche ihn bewogen hatte, während der letzten Jahre Sitze in der Kapelle der Unitarier in Little Portland-Street zu nehmen, für deren Prediger, Mr. Edward Tagart, er eine freundschaftliche Achtung empfand, welche auch dann noch fortdauerte, nachdem er aufgehört hatte, ein Mitglied seiner Gemeinde zu sein. Daß er diese zwei oder drei Jahre später verließ, weiß ich genau, und über die häufige Erregung seines Geistes und seiner Gedanken, in Bezug auf diesen allbedeutsamen Gegenstand, wird sich eine andere Gelegenheit finden zu sprechen. Aber in Bezug auf wesentliche Punkte hatte er nie stärkere Sympathieen, als mit der Lehre und der Disciplin der Englischen Staatskirche; diesen vermochte er im Laufe der Zeit alle kleineren Meinungsverschiedenheiten anzupassen, und der unveränderliche Glaube an das Christenthum selbst, unabhängig von Sekten und Schismen, der ihm in keiner Periode seines Lebens verloren gegangen war, fand am Schlusse desselben einen Ausdruck in seinem letzten Willen. Zwölf Monate vor seinem Tode wurden die folgenden Worte geschrieben. »Ich verordne, daß mein Name mit einfachen englischen Buchstaben auf mein Grab geschrieben wird . . . Ich beschwöre meine Freunde, mich unter keinen Umständen zum Gegenstande eines Denkmals, oder irgend einer andern Ehrenbezeugung zu machen. Ich gründe meine Ansprüche auf das Andenken meines Vaterlandes, auf die Werke die ich veröffentlicht habe, und auf das Andenken meiner Freunde, nach der Erfahrung die sie im Leben von mir gehabt haben. Ich befehle meine Seele der Gnade Gottes, durch unsern Herrn und Heiland Jesus Christus und ich ermahne meine lieben Kinder, demüthig zu versuchen, sich durch die Lehre des Neuen Testaments nach seinem lebendigen Geiste leiten zu lassen, und keines Menschen beschränkter Auslegung ihres Buchstabens Glauben zu schenken.«
So thätig er in dem jetzt endenden Jahre gewesen, und so mannigfaltig seine Beschäftigungen waren, so vermochte er doch, in der höchsten Stimmung seines Genies, voll unveränderter Thatkraft für gute Werke, und von grenzenloser Genußfähigkeit, die Schlußmonate dieses Jahres durch eine große Errungenschaft zu bezeichnen, an die er ohne die Enttäuschungen, welche das Jahr ihm auch gebracht, vielleicht nie gedacht hätte. Er hatte erst eine Woche nach seiner Rückkehr von Manchester, wo der Gedanke zuerst in ihm aufstieg, damit begonnen, und vor Ende November hatte er seinen denkwürdigen Christmas Carol beendet. Derselbe war das Resultat verstreuter Momente der Muße, die ihm von der Zeit, welche zwei Hefte seines Chuzzlewit erforderten, übrig blieb, und obgleich ursprünglich nur mit dem Zweck angefangen, dem Ertrage von Chuzzlewit etwas hinzuzufügen, kann ich doch seinen eignen Bericht darüber bestätigen, wie es ihm bei der Abfassung erging: mit welch seltsamer Gewalt ihn der Gegenstand als solcher ergriff, wie er dabei weinte und lachte, und wieder weinte, und sich in ungewöhnlichem Maße aufregte, und wie er im Nachdenken darüber manche Nacht drei oder vier Meilen durch die finstern Straßen Londons umherwanderte, nachdem alle nüchternen Leute zu Bett gegangen waren. Und als er damit fertig war, ließ er sich, wie er unserm Freunde Felton in Amerika erzählte, wie ein Wahnsinniger freien Lauf. »Forster ist wieder heraus,« fügte er zur Erläuterung unserer praktischen Commentare über seine Feier der heitern alten Jahreszeit hinzu, »und wenn er nach unserer Weihnachtsfeier nicht wieder hineingeht, muß er fürwahr sehr stark sein. Solche Festmahle, solche Bälle, solche Zaubereien, solches Blindekuhspielen, solches in's Theater Gehen, solches Ausküssen alter und solches Einküssen neuer Jahre, hat nie zuvor in diesem Welttheil stattgefunden.«
Und doch war dieses Jahr auch eine Zeit großer Unruhe und Enttäuschung für ihn gewesen, worüber ich jetzt reden muß. Ehe ich indeß zu diesem Zweck zu seinen frühern Monaten zurückkehre, will ich einen Schritt in das neue Jahr thun, um eine Begebenheit zu erwähnen, die ihm dasselbe wichtig und bedeutend machte. Das Jahr 1844 war erst fünfzehn Tage alt, als ein dritter Sohn (sein fünftes Kind, welches den Namen seines Gevatters Francis Jeffrey erhielt) ihm geboren wurde, und hier ist die Antwort, die er zwei Tage später auf eine Einladung von Maclise, Stanfield und mir, mit uns in Richmond zu diniren, ergehen ließ: »Devonshire Lodge, 17. Januar 1844. Landsleute! Die Aufforderung, durch welche Ihr mich geehrt habt, erweckt in meiner Brust Gefühle, die sich leichter empfinden als beschreiben lassen. Der Himmel segne Euch. Es wird mir zum Stolze gereichen, einem solchen Ersuchen Folge zu leisten. Ich hatte mich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen – auf immer, wie ich hoffte, – um den Abend meiner Tage hydropathischen Untersuchungen und der Betrachtung der Tugend zu widmen. Zu diesem letzteren Zweck hatte ich mir einen Spiegel gekauft. – Aber, meine Freunde, persönliche Wünsche müssen immer dem ernsten Gefühl öffentlicher Pflichten weichen. Der Mensch geht in dem eingeladenen Gast unter, und ich willige ein. Ammen, nährende und nicht nährende, Apotheker, Schwiegermütter, Säuglinge, nebst all den süßen (und keuschen) Freuden des Privatlebens – es ist hart, meine Landsleute, sie zu verlassen. Aber Ihr habt mich gerufen, und ich will kommen. Landsleute, Euer Freund und gehorsamer Diener, Charles Dickens.«
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