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Wieder in England.
1845–1846.
Sein erster Brief nach seinem Wiedereinzuge in Devonshire-Terrace frischte von Neuem einen Gegenstand an, über den wir während seiner Abwesenheit von Zeit zu Zeit unsere Gedanken ausgetauscht hatten, und hinsichtlich dessen in dem vor seiner Abreise geschlossenen Contract eine Anspielung enthalten war. Sein Wunsch, eine Zeitschrift zu gründen, war noch eben so lebhaft als um die Zeit, wo er Master Humphrey's Wanduhr herauszugeben anfing. Er hoffte dadurch seiner eigenen Feder eine größere Muße zu schaffen, indem er sich der Mitarbeit anderer Schriftsteller bediente, während der Zeitschrift doch immer die Popularität seines Namens zu gute kam. »Ich glaube wirklich, ich habe einen Plan, und keinen schlechten, für eine Zeitschrift. Ich habe während der letzten zwei Jahre viel darüber nachgcdacht und glaube, er ist wirklich gut. Ich bin noch zu einer Wochenschrift geneigt; Preis anderthalb Pence, wo möglich; theils Original- theils ausgewählte Arbeiten; Bücheranzeigen, Theateranzeigen, Anzeigen von allen guten Dingen, Anzeigen von allen schlechten; Philosophie des Christmas Carol, heitere Ansichten, scharfe Anatomie des Humbugs; joviale gute Laune; die Beiträge immer zeitgemäß und gerade passend für die Jahreszeit; und in Allem eine Ader lebenswarmer, herzlicher, großmüthiger, heiterer, strahlender Beziehung auf Haus und Heimath. Und, Sir, ich möchte es nennen –
Das Heimchen. |
Ein heiteres Wesen, das auf dem Herde zirpt. |
Naturgeschichte. |
»Nun entscheide Du nicht vorschnell, ehe Du gehört hast, was ich thun will. Ich würde, Sir, einen Prospektus über ›Das Heimchen‹ veröffentlichen, der alle Welt in gute Laune versetzen, und solch einen Sturm auf die Feuerhalter und Armstühle der Leute machen sollte, wie man ihn manchen langen Tag nicht erlebt hat. Ich könnte mich ihnen unter diesem Namen auf eine andere, und zwar eine gewinnendere und unmittelbarere Weise nähern, als unter irgend einem andern. Ich würde mich sofort ganz dicht bei ihnen niederlassen, und eine persönliche und vertrauliche Stellung einnehmen, die mich sofort von allen andern Zeitschriften unterscheiden, und einen klaren und hinreichenden Grund für meinen Eintritt in's Leben abgeben würde. Und ich würde in jeder Nummer zirpen, zirpen, zirpen, bis ich sie hinauszirpen würde, zu – nun, Du sollst sagen wie vielen Hunderttausenden . . . Ganz im Ernst, ich fühle in diesem Namen und dieser Idee eine Macht, welche einen greifbaren Ausgangspunkt zu geben scheint und eine wirkliche, klare, kräftige und anmuthende Richtung und Zweck. Mir ist zu Muth, als sei dies ein Zweck und ein Name, den man gern und in gefälliger Weise mit mir verknüpfen würde, und daß wir sofort eine gute und deutliche Bahn vor uns haben würden, statt Anfangs nach Taubenart Kreise zu ziehen. Ich glaube, die allgemeine Anerkennung würde diesem Unternehmen entgegeneilen, und über die hülfreichen Verbindungen, die sich gleich Anfangs herstellen ließen, und über den heitern Ton, dessen die Ausführung des Planes fähig ist, habe ich nicht den mindesten Zweifel . . . Aber Du sollst darüber entscheiden. Was denkst Du davon? und was sagst Du? Vermuthlich wird es Dir entweder sofort gefallen oder gar nicht gefallen. Welches von beiden ist es, mein Lieber? Du weißt, ich bin nicht bigott in Bezug auf die ersten Anregungen meiner Phantasie; aber Du weißt auch ganz genau, wie ich einen solchen Hebel gebrauchen, und wie viel Kraft ich darin finden würde. Was ist Deine Meinung? Was sagst Du dazu? – Ich selbst habe nicht halb genug gesagt. In der That, ich habe so gut wie Nichts gesagt; aber wie der Papagei in der Negergeschichte ›denke ich ein verflucht Theil‹.«
Mein Einwand, der mehr oder weniger auf alle solche Pläne Anwendung erleidet, war, daß er Gefahr laufe, die allgemeinen Vortheile des Planes zu verlieren, indem er denselben zu speziell von persönlichen Charakterzügen abhängig mache. Dennoch ließ sich viel zu Gunsten des Unternehmens sagen, und in den Erörterungen, welche folgten, war der Plan schon insofern abgeändert worden, daß eine weniger vollständige persönliche Identifikation mit Dickens dadurch bedingt war, als Erörterung, Projekt, Alles hinweggefegt wurde durch einen größeren Plan, der in seinem Umfang und seiner Gefahr mit den wilden und waghalsigen Unternehmungen jenes außerordentlichen Jahres voll Aufregung und Unglück (1845) in besserem Einklange stand. Es war das Jahr des Ausbruchs der irischen Hungersnoth, und zugleich ein Jahr commercieller Ueberspeculation, auf welche der gewöhnliche panische Schrecken und zahlreiche Banquerotte folgten. – D. Uebers. In dieses schon früher angedeutete größere Wagniß wurden wir alle verwickelt, und das Zirpen des Heimchens, in Folge davon bis Weihnachten verzögert, wurde dann unter ganz andern Umständen gehört, als denen, welche zuerst beabsichtigt waren. Die Aenderung kündigte er mir folgendermaßen um die Mitte des Sommers an, in demselben Briefe, worin er mir von dem Erfolg der freundlichen Bemühungen D'Orsay's Graf Alfred D'Orsay, von Geburt ein Franzose, der 1822 seiner Heimath und seiner militärischen Laufbahn entsagte, um das Vergnügen der Gesellschaft Lord und Lady Blessington's zu genießen. Nach dem Tode des Lords im Jahre 1829, lebte er mit Lady Blessington in London, wo beide der Mittelpunkt eines höchst angesehenen fashionabeln Kreises wurden. Der Graf entwickelte später auch künstlerische Talente und Louis Napoleon, dem er während seines Exils Freundlichkeiten erwiesen, ernannte ihn nach dem Staatsstreich, 1852, zum Directeur des Beaux Arts. D'Orsay starb indeß noch in demselben Jahre. – D. Uebers. erzählte, für seinen Courier Roche eine neue Anstellung zu finden. Graf D'Orsay's Billet über Roche, eine Antwort auf Dickens' Empfehlung bei seiner Rückkehr, enthält Züge von dem Scherz, dem Witz und der Gutmüthigkeit, welche dem Schreiber einen so wunderbaren Reiz verliehen. »Gore House, 6. Juli 1845. Mon cher Dickens - Nous sommes enchantés de votre retour. Voici, Dank Gott, Devonshire Place ressuscité. Venez luncheoner demain à 1 heure, et amenez notre brave ami Forster. J'attends la perle fine des couriers. Vous l'immortalisez par ce certificat - la difficulté sera de trouver un maître digne de lui. J'essayerai de tout mon coeur. La Reine devrait le prendre pour aller en Saxe-Gotha, car je suis convaincu qu'il est assez intelligent pour pouvoir découvrir ce Royaume. Gore House vous envoie un cargo d'amitiés des plus sincères. Donnez de ma part 100,000 freundliche Grüße à Madame Dickens. Toujours votre affectionné Ce. D'Orsay. J'ai vu le Courier, c'est le tableau de l'honnêteté et de la bonne humeur. Vergessen Sie nicht, morgen um ein Uhr mit Forster hierher zu kommen.« »Was denkst Du von einer Idee, die mir im Zusammenhang mit unserer aufgegebenen kleinen Wochenschrift gekommen ist? Es würde ein zarter und schöner Gedanke für ein Weihnachtsbuch sein, das Heimchen zu einem kleinen Hausgott zu machen – der schweigt bei dem Unrecht und dem Schmerz der Geschichte und wieder laut wird, wenn Alles gut und glücklich abläuft.« Ich brauche dem Leser wohl kaum zu sagen, daß auf diese Weise die Erzählung von dem » Heimchen auf dem Herde, ein Haus-Mährchen« entstand, das sich in den Weihnachtstagen von 1845 einer großen Popularität erfreute. Sein erster Verkauf betrug das Doppelte seiner beiden Vorgänger.
Aber das größere Unternehmen war noch nicht bekannt geworden, und die Zwischenzeit wurde ausgefüllt durch die Amateur-Aufführung, wozu der Gedanke uns bei seinem Besuch im December gekommen war, und die jetzt nicht besser eingeleitet werden kann, als durch eine Stelle aus Dickens' Selbstbiographie. Diese Stelle gehört seinem früheren Leben an; aber ich übersah sie, als ich mit jenem Theile seiner Lebensbeschreibung beschäftigt war, und der Zufall weist ihr jetzt einen angemesseneren Platz an. Denn obgleich die mitgetheilten Thatsachen der in dem Kapitel über seine Schultage und seinen Eintritt in's Leben beschriebenen Zwischenzeit angehören, als er fast zwei Jahre lang als Berichterstatter in einem der Bureaus in Doctors' Commons beschäftigt war, so fanden doch die Einflüsse und der Charakter, den sie erläutert, ihren stärksten Ausdruck in dieser späteren Zeit. Ich hatte Dickens nach seiner Rückkehr von Genua gefragt, ob er noch daran denke, daß die Aufführung stattfinden solle; und dies war seine Antwort. Sie wird den Leser in Erstaunen setzen und interessiren, und ich muß gestehen, daß sie für mich selbst eine Ueberraschung war; denn ich kannte damals die Geschichte seiner Knabenjahre noch nicht und es kam mir sonderbar vor, daß er so viel vor mir hatte verbergen können.
» Sollen wir die Aufführung veranstalten??? Habe ich, seit meiner Rückkehr nach London, als von einer abgemachten Sache davon gesprochen? Ich weiß nicht, ob ich's Dir je im Ernst gesagt habe, aber ich habe es oft gedacht, daß ich jedenfalls auf den Brettern ebenso erfolgreich gewesen sein würde als zwischen den Deckeln. Ich versichere Dir, daß ich, als ich in Montreal auf der Bühne stand Vergl. Bd. I., S. 389. (nachdem ich Jahre lang nicht gespielt), ebenso erstaunt war über die Realität und die Leichtigkeit dessen, was ich that, als wäre ich ein anderer Mensch gewesen. Wie seltsam die Dinge gehen! Als ich ungefähr zwanzig Jahre alt war, und drei oder vier Jahre von Mathews At Homes durch Anhören im Parterre kannte, Charles Mathews, der berühmte englische Komiker und Charakterdarsteller, gab sechzehn Jahre hindurch unter dem Titel Matthew at Home Vorstellungen, die ihrer Zeit eines hohen Rufes genossen. – D. Uebers. schrieb ich an Bartley, den Bühnendirektor des Coventgarden-Theaters, und sagte ihm, wie jung ich sei und ganz genau, was ich meiner Meinung nach thun könne und daß ich glaube, ich besitze eine lebhafte Auffassung für Charaktere und Sonderbarkeiten und ein natürliches Talent, in meiner eigenen Person zu reproduciren, was ich an andern beobachtet. Es muß etwas in dem Briefe gewesen sein, was der Bühnenverwaltung einen Eindruck machte; denn Bartley schrieb mir fast unmittelbar, sie seien gerade damit beschäftigt › den Buckligen‹ in Scene zu setzen (und das war so!), aber daß sie in vierzehn Tagen wieder an mich schreiben wollten. Pünktlich um diese Zeit kam ein anderer Brief, mit der Aufforderung, irgend eine der Mathews'sehen Rollen, welche ich wollte, vor ihm und Charles Kemble an einem gewissen Tage in dem Theater aufzuführen. Meine Schwester Fanny war im Geheimniß und sollte mich begleiten, um die Lieder zu spielen. Als der Tag herankam, wurde ich durch eine furchtbare Erkältung und Entzündung im Gesicht an's Bett gefesselt, beiläufig gesagt der Anfang jener Beschwerden im einen Ohre, denen ich noch jetzt ausgesetzt bin. Ich machte briefliche Meldung hiervon und fügte hinzu, ich wolle meine Bitte in der nächsten Saison erneuern. Bald nachher machte ich einen großen Sprung in der Galerie der Berichterstatter; das ›Chronicle‹ öffnete sich mir; ich erfuhr eine Auszeichnung in der kleinen Welt dieser Zeitung, die mir Gefallen daran einflößte; ich fing an zu schreiben; es fehlte mir nicht an Geld; ich hatte an die Bühne nur gedacht als an ein Mittel, welches zu bekommen, wendete meine Gedanken allmälig von dieser Richtung ab, und nahm seitdem die Idee nie wieder auf. Habe ich Dir das nie erzählt? Du kannst daran sehen, wie nahe ich einer andern Art von Leben gestanden habe.
»Dies war um die Zeit, als ich in Doktors Commons als Stenograph für die geistlichen Anwälte arbeitete. Und entsinne mich, daß ich den Brief in einem kleinen Bureau schrieb, das ich dort hatte, wohin auch die Antwort kam. Es war kein sehr gutes Auskommen (obgleich auch kein sehr schlechtes), und es war quälend unsicher; ein Umstand, der mich ganz geschäftsmäßig an's Theater denken ließ. Ich ging wenigstens drei Jahre lang, mit sehr wenigen Ausnahmen, jeden Abend in irgend ein Theater, indem ich zuerst die Theaterzettel wirklich studirte und dann dahin ging, wo am besten gespielt wurde und Mathews immer sah, so oft er spielte. Ich übte mich ungeheuer (selbst solche Dinge wie Hereinkommen und Hinausgehen und sich auf einen Stuhl setzen), – oft vier, fünf, sechs Stunden täglich, entweder in meiner Stube eingeschlossen, oder in den Feldern umherspazierend. Ich schrieb mir auch eine Art Hamiltonsches System vor, die Rollen auswendig zu lernen und lernte eine große Anzahl. Ich habe auch jetzt die Gewohnheit noch nicht verloren, denn ich wußte meine Rollen in Canada sofort, obgleich sie mir neu waren. Ich muß ein gutes Theil darin gethan haben; denn gerade als Macready mir auf die Spur kam, pflegten sie mich auch bei Braham herauszufordern, und Yates, der in diesen Dingen gut genug Bescheid wußte, ließ sich nicht hinter's Licht führen. John Braham und Frederick Henry Yates, bekannte Londoner Schauspieler und Theaterdirektoren. Jener starb 1856, dieser 1842. – D. Uebers. Es war ganz dasselbe wie an jenem Tage bei Keeley, als sie im vorigen Juni den Chuzzlewit in Scene setzten.
»Wenn Du denkst, daß diese seltsame Kunde aus dem Süden für Macready von Interesse ist, so theile sie ihm mit. Stelle Dir Bartley oder Charles Kemble jetzt vor! Und wie wenig sie mich beargwöhnen.« In dem späteren, auf der Heimreise geschriebenen Briefe aus Luzern, fügt er hinzu: Habe ich Dir die Details meiner theatralischen Pläne je erzählt? Sonderbar, daß ich es ganz vergessen habe. Es kam mir beinahe vor, als ich die unglückliche kleine Posse im Conventgarden-Theater las, daß Bartley aussah, als ob eine ungewisse Erinnerung an ehemalige Vorgänge sich in ihm rege – aber vielleicht waren es bloß seine Zweifel über diese humoristische Composition.« Die letzte Anspielung bezieht sich auf die Posse » Der Lampenwärter«, die er in dem Schauspielerzimmer in Coventgarden vorlas, und die schon erwähnt wurde, als von seinem Wunsche, Macready bei dessen theatralischem Unternehmen zu helfen, die Rede war. Vergl. Bd. I., S. 156.
Was hätte sein können, ist eine Geschichte, die sich für Keinen der Mühe des Schreibens verlohnt, und in diesem Falle fühlt man sich nicht einmal berufen, zu bedauern, was für ein großer Schauspieler an Dickens verloren wurde. Er ergriff einen höheren Beruf, doch derselbe schloß den niedrigeren ein. Er schuf keinen Charakter, den er nicht mit einem Leben und einer Realität erfüllte, welche das Geschriebene seinen Lesern als etwas wirklich Geschehenes erscheinen ließen, einerlei, ob die vom Zauberer angelegte Form der Verkleidung Mrs. Gamp, Tom Pinch, Mr. Saucers, oder Fagin der Jude war. Er besaß jene Kraft, sich in die Gestalten und Ideen seiner Phantasie hineinzuleben, welche eins der Wunder der schöpferischen Einbildungskraft ist, und er wurde das, was er ausdrücken wollte. Die Voraussetzungen des Theaters beruhen auf derselben Methode, aber in einem geringeren Grade, der sehr von persönlichen Zufälligkeiten abhängt; doch diese Zufälligkeiten begünstigten Dickens eben so sehr als sein Genie, und die Schöpfungen eines Andern erfuhren in seiner Darstellung den Prozeß, den er beim Schreiben auf seine eigenen anwandte. In beide warf er sich mit der leidenschaftlichen Fülle seiner Natur, und obgleich das Theater Schranken für ihn hatte, die wir später andeuten wollen, und er immer größer war in der Schnelligkeit der Auffassung als in der Festigkeit der Zeichnung, so gab es doch keine Grenzen für seine Freude und seinen Genuß an den Abenteuern unserer theatralischen Ferien.
In weniger als drei Wochen nach seiner Rückkehr hatten wir unser Stück ausgewählt, unsere Rollen vertheilt und unser Theater so gut als engagirt, wie aus einem Billet meines Freundes vom 22. Juli hervorgeht, dessen gutmüthiges Lachen jetzt Niemanden mehr beleidigen kann, da Alle, die einen Einwand dagegen erhoben haben könnten, von uns geschieden sind. Fanny Kelly, die Freundin Charles Lamb's und eine echte Nachfolgerin der alten Schule der Schauspielerinnen, in welcher Mrs. Orgers und Miß Popes gebildet waren, war nicht weniger hinreißend auf der Bühne als unlenksam außerhalb derselben, und das kleine Theater in Dean-Street, zu dessen Bau die Freigebigkeit des Herzogs von Devonshire sie in den Stand gesetzt hatte, und das unter einer einigermaßen verständigen Leitung seinen doppelten Zweck, als Privatschule für junge Schauspielerinnen und als öffentlicher Vergnügungsort, leicht hätte verwirklichen können, wurde lediglich durch ihre Grillen und Launen nutzlos für beide. »Himmel! Was für eine Scene ich hier heute Morgen mit Miß Kelly gehabt habe! Sie wollte, daß wir unsere Aufführung verschöben, bis das Theater etwas gereinigt und in Stand gesetzt wäre, und sie wollte und wollte nicht, denn sie wünscht sehr, uns zu haben und erschrickt, wenn sie an uns denkt. Beim Fuße Pharao's! es war eine große Scene. Besonders als ihr die Stimme versagte und sie sich ein Glas Wasser bringen ließ. Sie übertreibt die Bedeutung unseres Unternehmens, fürchtet das geringste Vorurtheil gegen ihr Etablissement in den Gemüthern der Mitglieder unserer Gesellschaft, sagt, das Theater habe sie schon ganz zu Grunde gerichtet, und betheuert mit Thränen in den Augen, daß jeder neue gedruckte Scherz auf ihre Kosten sie zur Verzweiflung bringen werde. Beim Körper Cäsars, die Scene war unglaublich. Sie scheint wie ein toller Traum.« Etwas über unser Spiel wird enthüllt durch die Eidschwüre à la Bobadil, und etwas über unsere Schauspieler durch die ›Scherze‹, vor welchen die arme Miß Kelly sich fürchtete. Wir hatten Ben Jonson's Every Man his Humour gewählt, mit besonderer Rücksicht auf die Originalität und Individualität der darin dargestellten Charaktereigenthümlichkeiten, und unsere Gesellschaft schloß die Herausgeber eines Journals ein, das damals noch in seinen ersten Jahren stand, aber bereits als der erfolgreichste in England bekannte Scherzer von Scherzen ebenso berühmt war, als wegen jener ausschließlichen Anwendung seines Gelächters und seiner Satyre zu den höchsten wie zu den harmlosesten Zwecken, die es noch immer für Heiterkeit liebende, wohlgesinnte Menschen zu einem so angenehmen Gefährten macht. DieZeitschrift, auf welche hier angespielt wird, ist das 1841 gegründete bekannte Witzblatt Punch. – D. Uebers. Maclise nahm lebhaft an unserm Unternehmen Theil und hatte auch mitspielen sollen, wurde aber am Vorabend der Proben abtrünnig; und Stanfield, der so weit ging, Downright zweimal zu probiren, wurde dann bange und lief auch weg; »Siehe da! Eingeschlossen sind zwei Packete – ein großes und ein kleines. Das kleine lies erst. Es enthält Stanny's Resignation als Schauspieler!!! Als ich es heute (22. August) um die Essenszeit erhielt, schüttelte ich mein Gehirn und dachte an George Cruickshank. Nach vielem Schütteln machte ich ein großes Packet fertig, worin ich die Sache auf's Schlauste dargestellt habe. L–l–l–lies es! wie ein gewisser Capitän sagt, den Du kennst.« Der große Künstler konnte damals nicht gewonnen werden, weil er außerhalb Londons zu thun hatte und Dudley Castello wurde substituirt, während Stanfield seine Desertion als Schauspieler gut machte, indem er uns bei der Anordnung und Scenerie werthvolle Dienste leistete. aber Jerrold, der Master Stephens spielte, führte uns Lemon zu, welcher die Rolle Brainworm's übernahm; Leech, dem Master Matthew gegeben wurde; A'Beckett, der sich zu der kleinen Rolle von William herabließ, und Leigh, der Oliver Cob spielte. Ich spielte Kitely, und Bobadil fiel an Dickens, der die Rolle des furchtbaren Capitäns schon lange in Scene setzte, ehe er in seinem Kostüm auf der Bühne erschien, und indem er Bobadil sprach und Bobadil schrieb, einen so vollständigen Eindruck dieses Charakters hervorbrachte, daß auch die langweiligsten Mitglieder unserer Gesellschaft allmälig von einem Theil seiner eigenen Genußfähigkeit bewegt und ergriffen wurden. Einige Andeutungen hierüber wurden bereits gegeben, und ich will nur noch eine Verweigerung meines Wunsches, er möge einer speciellen Aufführung des › Gamester‹ beiwohnen, hinzufügen. »Der Mann des Hauses. Gamester! beim Fuße Pharao's, ich will den ›Gamester‹ nicht sehen. In die Gegenwart des ›Gamester‹ soll dieses arme gentlemännische Gerippe von keinem Menschen gezwungen, von keinem Pferde geschleppt werden. Ich habe es gesagt . . . Der Schauspieler Mac hat mir geheißen, heute Abend mit ihm, mit Dir und mit dem kurzhalsigen Fox zu essen und gleichfalls zu trinken. Und wenn ich nicht hingehe, bin ich ein Schwein und kein Soldat. Aber wenn Du nicht hingehst. – Nimm Dich in Acht, Bürger! Bedenke es wohl . . . Es geschehe Dir nach Deinem Verdienste. Bobadil (Capitän). An Master Kitely. Diese Botschaft.«
Das Stück wurde am 21. September mit einem Erfolge aufgeführt, der die höchsten Erwartungen übertraf und unser kleines Unternehmen zu einem der Ereignisse des Tages machte. Der Beifall des Theaters fand ein so lautes Echo in der Presse, daß für den Augenblick in Privatkreisen von nichts Anderm die Rede war, und nach einigen Wochen mußten wir (was uns nicht schwer wurde) dem lebhaften Verlangen nach einer öffentlicheren Aufführung in einem größeren Theater nachgeben, wodurch eine nützliche wohlthätige Anstalt eine bedeutende Unterstützung empfing, für welche der Verwaltungsrath derselben uns einige Monate später seine Dankbarkeit bewies durch ein Festmahl im Clarendon-Hotel, bei dem Lord Lansdowne den Vorsitz führte. Es fand auch vor dem Schlusse des Jahres noch eine andere Aufführung, eines Stückes von Beaumont und Fletcher, durch uns statt. Von dem Genuß, welcher den Erfolg begleitete und der ersten Serie unserer Aufführung immer einen besonders heitern Platz in der Erinnerung gab, darf ich hier nicht weiter reden.
In Hinsicht auf die Sache selbst muß ich jedoch bemerken, daß in allen solchen Dingen ein geringes Maaß von Verdienst ziemlich weit reicht und daß es jetzt nicht gerathen sein würde, anzunehmen, unsere Versuche hätten sich weit über das Durchschnittsmaaß von Amateur-Aufführungen im Allgemeinen erhoben. Lemon hatte jedenfalls das meiste Zeug zum eigentlichen Schauspieler in sich, in conventioneller wie in sonstiger Beziehung, allein sein Talent war nicht von hoher Art; und obgleich Dickens darauf Anspruch machen konnte, ein geborener Komiker zu sein, da die Neigung dazu im Innersten seines Wesens lag, so lag seine Kraft doch mehr in der Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit seiner Darstellungen, als in der Vollständigkeit, der Vollendung und der Idealität, die er irgend einem Theile derselben zu verleihen vermochte. Sie sind ganz genau bezeichnet durch das, was er über seine jugendliche Vorliebe für die Darstellungen des älteren Mathews sagt. Bei alledem war dies Talent in sich selbst so vollkommen naturwüchsig und genußreich, und so voll rascher und scharfer Einsicht, daß es einzig in seiner Art war; und er wurde dadurch in den Stand gesetzt, in Bobadil, nach einem farbenreichen Bilde bombastischer Extravaganz und komischer Exaltation in den frühern Scenen, einen Contrast tragischer Demuth und Erniedrigung in den späteren vorzuführen, der eine erstaunliche Wirkung hervorbrachte. Allein so viel sein Spiel zu dem Erfolge des Abends beitrug, so war dies doch nichts gegen die Dienste, die er als Regisseur geleistet hatte. Es würde schwer sein, dieselben zu beschreiben. Er war das Leben und die Seele des ganzen Unternehmens. Mir war, als lernte ich seine Geschäftsfähigkeiten erst damals eigentlich kennen. Er nahm Alles auf sich und that Alles ohne Anstrengung. Er war Bühnendirektor, sehr oft Bühnenzimmermann, Anordner der Scenen, Garderobier, Souffleur und Musikdirektor. Ohne irgend einen zu beleidigen, hielt er Alle in Ordnung. Für Alle hatte er nützliche Rathschläge, und der dümmste Thon wurde unter seinen Töpferhänden in kleine Stücke Porzellan verwandelt. Er ordnete die Scenen an, half den Zimmerleuten, erfand Kostüme, entwarf die Theaterzettel, und erfüllte in seiner eigenen Person alle die Ansprüche, die er an andere stellte. Was für ein Chaos von Schmutz, Verwirrung und Lärm war das kleine Theater an dem Tage, als wir es zuerst betraten, und was für einen Kosmos von Reinlichkeit, Ordnung und Stille hatte er daraus gemacht, ehe die Proben vorüber waren. Nur zwei Dinge ließen wir wie wir sie fanden, zwei Stücke von Menschheit, die von Anfang an als zu den niet- und nagelfesten Gegenständen des Ortes gehörig betrachtet wurden: ein großer Mann in einem Strohhut, der auf äußerst unverständliche Weise aus- und einging und von dem wir nie herausbringen konnten, ob er auf Wache stand oder das Theater hütete, oder was er war; und ein einsames kleines Mädchen, die so schweigsam unter unsern Schauspielern und Schauspielerinnen umherhuschte, daß man sie für taubstumm hätte halten können, hätten die um sie her vorgehenden Wunder ihr nicht mitunter plötzliche kleine Schreie und Sprünge entlockt, wodurch sie sich den Namen »Feuerwerkchen« erwarb. Es finden sich so humoristische Anspielungen auf Beide in einem Briefe von Dickens, den er ein Jahr später schrieb, als das strohhutbedeckte Geheimniß sich als ein für die tragische Bühne studirender Gentleman enthüllte, daß dieselben unsere Amateur-Aufführungen vorläufig in angenehmer Weise beschließen mögen.
» Unser strohhutbedeckter Freund bei Miß Kelly! O, meine Sterne! Die ganze Zeit hindurch an ihn zu denken – als an einen verkleideten Macbeth, einen grade gewordenen Richard den Dritten, einen Hamlet, wie er auf seiner Meerfahrt nach England aussah! Was für ein schlauer Schurke muß er sein, nie ein Zeichen von dem Melodrama gegeben zu haben, das in ihm war. Was für ein bösgesinnter und hartherziger Jago, Dich Abend auf Abend den Kitely spielen zu sehen, indeß er danach trachtete, Dich zu morden und sich der Rolle zu bemächtigen. O, stelle Dir Miß Kelly vor, wie sie ihm den Macbeth einstudirt. Großer Gott! was für eine Masse von Absurdität muß zuweilen in die Mauern jenes kleinen Theaters in Dean-Street eingeschlossen sein! Feuerwerkchen wird, verlaß Dich darauf, in Kurzem in stummen Rollen auftreten, und ihre Geschichte in völlig unverständlichen Bewegungen erzählen, die von einem grauköpfigen Vater und einem Landmann mit rother Perrücke, seinem Sohne, in lange und verwickelte Beschreibungen übersetzt werden. Erinnerst Du Dich der schlauen Manier, wie ein Stummer sein Entrinnen aus der Gefangenschaft erzählt? Umspannen des linken Handgelenks mit der rechten Hand, und des rechten Handgelenks mit der linken Hand – abwechselnd, um die Ketten auszudrücken – und dann sehr schnell rings um die Bühne gehen und Hand über Hand ein imaginäres Seil hinunterklimmen, und dann am Ende ein Schlag auf die Trommel und ein Knieen vor dem Kronleuchter? Wenn Feuerwerkchen das nicht thun kann – und irgendwo thun wird – bin ich ein Holländer.«
Ernstere Dinge fordern jetzt unsere Berücksichtigung, die übrigens ihrem Ernste nicht zu entsprechen braucht, weil sie, obgleich sie einen unmittelbaren Einfluß auf Dickens' Verhältnisse ausübten, doch sonst keinen Theil seiner Lebensgeschichte bilden. Zunächst will ich jedoch sagen, daß er im Herbste drei Wochen in Broadstairs war, Charakteristische Einblicke in diese Ferienwochen von Broadstairs gewährt ein Brief vom 19. August 1845. »Es ist vielleicht eine gute Probe von den wunderlichen Abenteuern, welche dem Unnachahmlichen zustoßen, daß die Schäfte der Droschke, worin die Kinder und das Gepäck sich befanden (ich und meine weiblichen Begleiter waren in der andern), vorigen Freitag Morgen in der City zerbrachen, indem das Pferd auf dem platten Pflaster stolperte, und daß sie an die Werfte (die etwa eine halbe Stunde weit entfernt war) gezogen wurde von einem starken Manne, unter so entsetzlichem Heulen und spöttischem Gelächter des wüthenden Pöbels, wie ich nie vorher gehört habe. Stelle Dir den Mann vor zwischen den zerbrochenen Schäften, mit dem Rücken gegen die Droschke, alle Kinder aus den Fenstern sehend, und die kothigen Koffer (die sämmtlich umgeworfen wurden als das Pferd fiel) auf dem Bocke schwankend und nickend. Das Beste dabei war, daß unser Kutscher, der ein genauer Freund des verletzten Kutschers war, darauf bestand, ihm Gesellschaft zu leisten und im feierlichen Schritt vor der Procession herzog, wodurch er mir einen reichlichen Antheil an der Neugier und den Glückwünschen des Volkes sicherte. . . . Hier in Broadstairs ist Alles beim Alten. Ich habe seit ich hierher kam einen Spaziergang von fünf Meilen gemacht, und Sonnabend Abend ging ich nach einem Cirkus in Ramsgate, wo Mazeppa in drei langen Akten gespielt wurde, ohne ein H darin, als hätte man darauf gewettet. 'immel, 'ände und 'äupter kamen so reichlich darin vor wie Brombeeren, aber der Buchstabe H wurde weder in 'immel geflüstert, noch in 'ölle gemurmelt, noch auch in irgend einer Gestalt an den Schranken der Hobelspäne zugelassen.« Hiermit will ich ein anderes theatralisches Erlebniß dieser Ferien verknüpfen, als er sah, wie ein Dorfkomödiant mit wahrhaft Gargantuesker Vortrefflichkeit einen Riesen spielte, und meiner Bewunderung ganz besonders die schöne Art und Weise empfahl, wie der Riese sich zu einem heißen Abendessen (von Kindern) mit der statt des Tischgebets gemachten, selbstlobenden, erhebenden Bemerkung niedersetzte. »Wie schön ist ein ruhiges Gewissen und ein zufriedenes Gemüth.« daß die Privatdarstellung unseres Theaterstücks nach seiner Rückkehr stattfand, und daß einen Monat später, am 28. Oktober, ein sechstes Kind und vierter Sohn, nach seinen Gevattern D'Orsay und Tennyson Alfred Tennyson genannt, in Devonshire-Terrace geboren wurde. Es folgte ein Todesfall in der Familie, da der ältere und begabtere von Dickens' Raben demselben unerlaubten Geschmack an Kitt und Malerfarben gefröhnt hatte, der für seinen Vorgänger verhängnißvoll geworden war. Gefräßigkeit tödtete ihn, wie sie den Raben Scott's tödtete. Er starb unerwartet vor dem Küchenfeuer. »Er hielt sein Auge bis zuletzt auf das Stück Fleisch geheftet, das am Feuer briet, und fiel plötzlich mit einem leichenhaften Schrei: Kuckuk! auf den Rücken.«
Der Brief, welcher mir dies erzählte (31. Oktober), meldete mir auch, daß Dickens mit seiner Weihnachtsgeschichte nicht vom Fleck rücke. »Ich bin krank, ärgerlich und niedergeschlagen. Visionen von Brighton kommen über mich und ich habe große Lust, zur Beendigung meines zweiten Theiles dorthin zu gehen, oder nach Hampstead. Ich hege einen verzweifelten Gedanken an Jack Straw's Castle. Nie in meinem Leben bin ich in so schlechter Stimmung zum Schreiben gewesen als diese Woche.« Der Grund dafür brauchte nicht weit gesucht zu werden. Denn er nahm damals thätigen Antheil an den bereits angedeuteten Vorbereitungen für die Herausgabe einer neuen Zeitung, und hatte schon beinahe seine Einwilligung zu der Nennung seines Namens gegeben.
Ich empfand um diese Zeit aus mehr als einem gewichtigen Grunde die ernstesten Bedenken in Bezug auf seinen Antheil an diesem Unternehmen. Es wurde erst später vollkommen klar, unter welchen schwierigen Bedingungen, physischen sowohl als geistigen, Dickens von seinem dichterischen Leben Besitz hatte; aber ich wußte schon genug, um die Weisheit dessen zu bezweifeln, was er damals unternahm. In aller geistigen Arbeit übte sein Wille einen so überwiegenden Einfluß aus, wenn er ihn einmal auf einen Gegenstand des Wunsches geheftet hatte, daß er Dasjenige, was seine Erfüllung sonst noch erforderte, nie gehörig abmaß, und dies führte zu einer häufigen Anspannung und einer unbewußten Verschwendung dessen, was Niemand weniger als er zu entbehren vermochte. Der durch seine Schöpfungen erfreuten Welt mochte ihre Produktion immer so leicht erscheinen als ihr Genuß; aber man darf es bezweifeln, ob je eines Mannes geistige Anstrengung ihm mehr kostete. Seine Lebensweise war kräftig, aber nicht seine Gesundheit. Dies Geheimniß wurde mir enthüllt ehe er nach Amerika ging, und bis zuletzt weigerte er sich beständig, den ungeheuren Preis einzugestehen, den er für seine Triumphe und Erfolge bezahlt hatte. Am Morgen nach seinem letzten Briefe hörte ich wieder von ihm. »Ich habe heute Morgen an Schwindel und Kopfweh und Belästigungen jeder Art so gelitten, daß ich erst um Mittag aufstand und Fleetstreet (wo das Bureau für die neue Zeitung sich befand) vermeidend, mache ich mich jetzt zu einem Spaziergang auf's Land auf, auf welchem Du mich finden wirst, wenn Du Lust hast, Dich in den Wagen zu setzen, der Dir dies bringt. Er soll ein Stück des ersten Theils des › Heimchen‹ abholen und wird Dich, wenn Du willst, über Hampstead zu mir und später zum Dîner fahren. Ich habe viel mit Dir zu besprechen, wenn Du es so einrichten könntest. Wahrscheinlich ist es der Verlust meiner Spaziergänge; aber ich bin so schwindlig, als wäre ich betrunken, und kann kaum sehen.« Ich maß zu jener Zeit den häufig wiederholten Klagen dieser Art, sowie der fast regelmäßigen periodischen Wiederkehr jener Krämpfe in der Seite, wovon er ein Beispiel in seinen Kindheitserinnerungen aufbewahrt hat, und von denen er einen Anfall in Genua hatte, viel zu wenig Bedeutung bei; allein obgleich ich mir dessen nicht in vollem Umfange bewußt war, nahm diese Erwägung doch eine Stelle unter denjenigen ein, die mich in meinem Entschluß beeinflußten, ihn wo möglich von einem Unternehmen abzubringen, welches für äußerst gefahrvoll gelten mußte. Seine Gesundheit wurde indeß in meinem Briefe nicht eigentlich hervorgehoben, und es ist jetzt eine bemerkenswerthe Thatsache, daß sie als Argument in seiner Antwort auftritt. Ich hatte ihm ganz einfach, in der stärksten Form, alle auf sein Genie und seinen Ruhm gegründeten Erwägungen vorgelegt, die ihn von der Arbeit und der Verantwortlichkeit für eine Zeitung, sowie von den damit verknüpften Partei- und politischen Verwicklungen zurückschrecken sollten, und der wesentliche Theil seiner Antwort darauf war dieser: »Vielen Dank für Deinen liebevollen Brief, der voll hochherziger Wahrheit ist. Diese Erwägungen fallen bei mir schwer in's Gewicht, aber ich glaube, ich entdecke in dieser Zeit größere Anregungen zu einer solchen Bemühung, größere Aussichten auf ihre gerechte Anerkennung, größere Mittel, unverletzt durch irgend eine Waffe an der einem etwas liegt, darin zu beharren oder sich davon zurückzuziehen, als zu irgend einer andern Epoche. Und mehr als dies Alles, ich habe zuweilen jene Möglichkeit mangelnder Gesundheit und schwindender Popularität vor mir, die mir zu einem solchen Wagniß räth, wenn es in mein Bereich kommt. Im schlimmsten Falle habe ich mit geringem Nutzen geschrieben, wenn ich mich nicht in einem Falle wie diesem in dem Geist der Leute in Ordnung schreiben kann.«
Und so ging die Sache vorwärts. Aber es liegt nicht innerhalb meines Planes, mehr zu schildern als den Ausgang, der wenigstens insofern für glücklich gelten durfte, als dadurch eine Zeitung begründet wurde, welche mit Consequenz Verbesserungen in der Lage aller Klassen, der Reichen wie der Armen, befürwortet hat und während der jüngsten bedeutungsvollen Ereignisse im Stande gewesen ist, ihrem Einfluß durch ihren Unternehmungsgeist und ihre Freigebigkeit ein weiteres Feld zu eröffnen. Zu diesem Resultat konnte der große Schriftsteller, dessen Name der › Daily News‹ zuerst ihre Anziehung verlieh, nicht viel beitragen; aber jedenfalls empfing sie von ihm den ersten Eindruck der Ansichten, welche sie seitdem consequent vertreten hat. Ihr Prospektus liegt vor mir in seiner Handschrift, und der Charakter seiner Hand und seines Geistes ist hinreichend darin ausgeprägt. Die Zeitung, heißt es darin, solle frei bleiben von persönlichem Einfluß und von Parteirücksichten, und sich der Vertretung aller vernünftigen und ehrlichen Mittel widmen, durch welche das Unrecht gut gemacht, alle wahren Rechte behauptet, und das Glück und die Wohlfahrt der Gesellschaft befördert werden könne.
Der für das Erscheinen der ersten Nummer bestimmte Tag war derjenige, welcher der Rede Peel's für die Abschaffung der Korngesetze folgen sollte; aber so kurz meine Erwähnung der Sache auch ist, darf ich doch nicht unterlassen zu bemerken, daß selbst ehe dieser Tag kam schon Unterbrechungen, und zwar zu einer Zeit sehr ernste, in der vorbereitenden Arbeit stattfanden, welche Dickens' persönlichen Beziehungen zu dem Unternehmen so viel Verdruß beimischten, daß sein Vertrauen und seine Freude daran ernstlichen Abbruch erlitt. Ein Meinungsausdruck darüber, wer die größte Schuld dabei hatte, ist unnöthig und es würde nutzlos sein, jetzt den Antheil zu bestimmen, der ihm möglicherweise selbst dabei zufiel; aber aus dieser Ursache begann seine Arbeit als Redacteur mit so sehr vermindertem Eifer, daß die Kürze ihrer Dauer vorauszusehen war. Ein um sechs Uhr Morgens, Mittwoch, den 21. Januar 1846, »vor dem Nachhausegehen« geschriebenes Briefchen, in dem er mir mittheilte, »sie seien seit dreiviertel Stunden beim Druck und das Blatt sei vor der › Times‹ herausgekommen,« bezeichnet den Anfang; und ein in der Montagnacht vom 9. Februar geschriebener Brief, »todmüde und völlig erschöpft,« worin er mir mittheilte, er habe soeben seinen Posten als Redacteur niedergelegt, beschreibt das Ende. Eine Woche vorher (Freitag, 30. Januar) hatte er mir geschrieben: »Ich muß eine lange Unterredung mit Dir haben. Ich war gezwungen, in größter Eile hierher zu kommen, um einen Reisebrief abzuliefern, den ich gestern Abend hatte abliefern wollen, und konnte Dich nicht besuchen. Willst Du morgen pünktlich sechs Uhr bei uns diniren? Ich habe heute Morgen Pläne in meinem Geiste umhergewälzt, die Zeitung zu verlassen und wieder in's Ausland zu gehen, und ein neues Buch in Schillingsheften zu schreiben. Sollen wir morgen über acht Tage (meinem Geburtstage) nach Rochester gehen, wenn das Wetter besser ist, wie es sicher sein muß?« Nach Rochester waren wir demnach gegangen, er, Mrs. Dickens und deren Schwester, Maclise, Jerrold und ich; hatten am Sonnabend das alte Schloß, Watt's Wohlthätigkeitsanstalt und die Festungswerke von Chatham besucht, den Sonntag in der Kirche und dem Park von Cobham zugebracht, an beiden Tagen unser Quartier in dem durch Pickwick berühmt gewordenen Bull-Inn gehabt und so, durch Erfüllung des Wunsches, welcher immer am stärksten in ihm war, seinen neuen Lebensplan mit jenen frühsten Scenen seiner Jugend in Verbindung gesetzt. In Hinsicht auf einen Punkt waren unsere Gefühle in völligem Einklang gewesen. Wenn ein langes Ausdauern bei der Zeitung nicht sehr wahrscheinlich war, so war die frühste Trennung von derselben wünschenswerth. Aber da seine italienischen Reisebriefe (die später zu den Bildern ans Italien wurden) mit der ersten Nummer angefangen hatten, konnte sein Name nicht auf einmal zurückgezogen werden, und so lange die Briefe noch erscheinen sollten, willigte er ein, auch andere gelegentliche Artikel über wichtige sociale Fragen beizutragen. Oeffentliche Hinrichtungen und Lumpenschulen waren unter den von ihm gewählten Gegenständen, und alle wurden mit glänzendem Talent behandelt. Aber die Zwischenzeit, welche sie ausfüllten, war kurz.
Die oberste Leitung, der er entsagt hatte, übernahm ich selbst und behielt sie sehr widerstrebend während des größeren Theils jenes trüben, aufregenden, arbeitsvollen Jahres; aber nach wenig mehr als vier Monaten von dem Tage, an welchem die Zeitung zu erscheinen anfing, hatte jede Verbindung Dickens' mit der › Daily News‹, selbst diejenige, Briefe mit seiner Unterschrift dazu beizutragen, aufgehört. Wie er in dem Vorwort zu den wiederveröffentlichten Bildern aus Italien sagte, war es ein Versehen gewesen, die alten Beziehungen zwischen ihm und seinen Lesern zu stören, indem er sich so aus seinem alten Berufskreise entfernt habe. Es war jedoch »ein kurzes Versehen« gewesen, die Entfernung hatte nur »auf einen Augenblick« stattgefunden, und jetzt sollte jener alte Beruf in der Schweiz froh wieder aufgenommen werden. In Hinsicht auf den letzteren Punkt hatten wir viele Erörterungen; aber er war entschlossen, sich wieder aus London zu entfernen, und sein Blick in die Schweizer Berge bei seiner Rückkehr aus Italien hatte ihn mit dem leidenschaftlichen Wunsche erfüllt, sie wieder zu sehen. »Ich glaube nicht,« schrieb er mir, »ich könnte den Gedanken an die Zeitung hier hinreichend ausschließen, um gut zu schreiben. Nein – ich will mein Buch in Lausanne und Genua schreiben und wo möglich alles Andere vergessen; und dadurch, daß ich im Sommer in der Schweiz und im Winter in Italien oder Frankreich lebe, werde ich Geld sparen, während ich schreibe.« So wurde es daher schließlich festgesetzt.
Vor seiner Abreise ereignete sich nichts besonders Erwähnenswerthes. Die erste Conception eines neuen Buches war immer eine rastlose Zeit, und andre Gegenstände als die Charaktere welche in seinem Geiste wuchsen, drängten sich beharrlich in seine Nachtwanderungen ein. Mit einigem Erstaunen hörte ich zum Beispiel später von ihm, daß er eine Correspondenz mit einem hervorragenden Mitgliede der Regierung gehabt hatte, um sich zu vergewissern, welche Aussichten etwa für seine Anstellung als besoldeter Londoner Stadtrichter (nachdem er sich für diesen Posten befähigt erwiesen) vorhanden sei, worauf er eine Antwort erhalten, die ihn nicht ermuthigte, diesen Plan weiter zu verfolgen. Es war natürlich nur ein Ausbruch augenblicklicher Unzufriedenheit, und wäre die Antwort so hoffnungsvoll ausgefallen, wie man, viel mehr um Andrer als um seiner selbst willen, hätte wünschen können, das Resultat würde dasselbe geblieben sein. Ich will hinzufügen, daß er grade am Vorabend seiner Abreise ein lebhaftes Interesse bewies für die Gründung des Allgemeinen Theaterfonds, dessen Verwaltungsrathe er bis zu seinem Tode angehörte. Dies Institut ging aus dem Umstande hervor, daß die Fonds der beiden großen Theater, welche damals nicht für theatralische Aufführungen benutzt wurden, den gewöhnlichen Mitgliedern des Schauspielerstandes nicht zu gute kamen; und bei Gelegenheit des ersten Zweckessens im April bemerkte er sehr treffend, daß jetzt die Statue Shakespeare's vor der Thüre des Drury-Lane-Theaters ebenso emphatisch als seine Büste in der Kirche von Stratford-on-Avon auf sein Grab hinweise. Ich fühle mich auch versucht, ein glückliches Wort zu erwähnen, das er bei einem der vielen Privatdiners aussprach, welche in jenen Abschiedstagen veranstaltet wurden, um ihm das freundschaftlichste Lebewohl zu bieten. »Nichts ist je so gut, als man denkt«, sagte Lord Melbourne. »Und Nichts so schlecht«, unterbrach ihn Dickens.
Die letzten Begebenheiten waren, daß er Roche wieder zum Reisediener nahm und daß er sein Haus in Devonshire Terrace auf zwölf Monate, die ganze beabsichtigte Zeit seiner Abwesenheit, vermiethete. Am 30. Mai dinirten sie Alle bei mir, und am folgenden Tage verließen sie England.
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