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Die letzten Monate in Italien.
1845.
Am 22. Dezember hatte er sein gewöhnliches Leben in Genua wieder angefangen, und schrieb über einen Brief Jeffrey's, dem er sein kleines Buch gewidmet hatte, als »höchst energisch und enthusiastisch. Filer bleibt ihm etwas in der Kehle stecken, aber alle Andern zucken in seinem Herzen. Die Behandlung von Lilian's Geschichte hat ihm einen großen Eindruck gemacht, und er kann nicht umhin sich darüber auszulassen, schreibt überhaupt mit der Frische und dem Feuer der Jugend und nicht wie ein Mann, dessen Blau und Gelb grau geworden ist.« Anspielung auf Jeffrey's frühere Thätigkeit als Herausgeber der Edinburgh Review, die in den Whigfarben eines gelb und blauen Umschlages erscheint. – D. Uebers. Einige Bemerkungen aus Jeffrey's Briefe wurden schon mitgetheilt. »Miß Coutts hat an Charley, mit dem besten aller Briefe an mich, einen prachtvoll dekorirten Dreikönigskuchen geschickt, der neunzig Pfund wiegt, und stelle Dir nur vor, daß die Charakterfiguren, Fairburns Dreikönigs-Charakterfiguren, zur Untersuchung durch die Jesuiten im Zollhause zurückbehalten sind! Aber diese Menschen sind – nun! es ist einerlei. Du hast wohl die Geschichte vom holländischen Minister in Turin gelesen und von dem Abfangen seiner Tochter durch die Jesuiten? Es ist Alles wahr, obschon, wie die Geschichte von dem Dienstmädchen unseres Freundes, beinahe unglaublich. In einem frühern Briefe hatte er mir diese Geschichte erzählt. »In Bezug auf Domestiken muß ich Dir von einer kindergebärenden Magd eines unserer Freunde erzählen, einem wahren Musterstück, die sich zur Sühnung ihrer Sünden neulich in den Schooß der unfehlbaren Kirche aufnehmen ließ. Sie hatte zwei Marquisen zu Taufzeugen, und wird in den genuesischen Zeitungen angekündet als Miß B. – eine englische Dame, die ihre Sünden bereut und ihre Seele gerettet hat.« Aber ihre Teufelei ist so groß, daß unser Consul mir versichert, sollten wir, indeß wir im Süden sind, unsere Kinder mit Dienstboten ausgehen lassen, denen wir nicht vollständig vertrauen könnten, so würden diese heiligen Männer selbst ihre kleinen Füße in die Kirche treiben, im Hinblick auf ihre schließliche Bekehrung. Es ist schon furchtbar sie nur in den Straßen zu sehen, oder wenn sie um unsern Garten herumschleichen.« Von seiner Absicht, um die Mitte des Januars nach Süditalien aufzubrechen und seine Frau dorthin mitzunehmen, benachrichtigte mich sein Brief aus der folgenden Woche, in dem er auch bei allem Dem verweilte, was er bei jenem ersten italienischen Weihnachten von unsern alten englischen Festfreuden vermißt hatte, und dessen angenehmes Geplauder er mit einem Postscript um Mitternacht schloß. »1. Januar 1845. Viele, viele, viele Glückwünsche zum neuen Jahre! Ein Leben voll glücklicher Jahre! Das Knäblein ist in Donner, Blitz, Regen und Wind gekleidet. Seine Geburt ist hier höchst schrecklich.«
Es war für mich von übler Vorbedeutung; denn eines seiner frühsten Ereignisse war der Tod meines einzigen Bruders; aber Dickens hatte die helfende Sympathie eines wahren Freundes im Schmerze, und einen Theil dessen, was er mir damals schrieb, erlaube ich mir, in einer Anmerkung mitzutheilen, »Ich empfinde jetzt fürwahr die Entfernung zwischen uns. Beim Himmel, mein liebster Freund, ich möchte, daß ich auf eine lebendigere und liebevollere Art als es auf diesem todten Blatte Papier möglich ist, Dich daran erinnern könnte, daß Dir noch ein Bruder geblieben ist. Einer, der an Dich gefesselt ist durch so starke Bande als die Natur je schmiedete. Durch Bande die auf keine Weise zerrissen, geschwächt, verändert, sondern nur fester geschlungen werden können, bis dasselbe Ende für sie kommt wie für diese. Ein Ende, das, wie ich glaube, nur der helle Beginn einer glücklicheren Vereinigung ist. Und nie habe ich fester und wärmer daran geglaubt (und o Forster! mit was für einem wunden Herzen habe ich Gott dafür gedankt!) als damals, wo jener Schatten auf meinen eigenen Herd fiel und ihn ebenso plötzlich kalt und dunkel machte, wie in dem Hause des armen Mädchens, von dem Du mir erzählst . . . Wenn Du mir wieder schreibst, wird dieser Schmerz vergangen sein. Kein Trost kann so sicher und so dauernd für Dich sein als jener besänftigte männliche Schmerz. welcher aus der Erinnerung an die Todten entspringt. Ich lese in diesem Augenblick Dein Herz so leicht, als hielte ich's in der Hand. Und ich weiß, – ich weiß, lieber Freund – daß, ehe die Erde über ihm grün geworden ist, Du es zufrieden sein wirst, daß dasjenige was an ihm des Todes fähig war dort ruht . . . Es freut mich, zu denken, daß es so leicht war und so friedenvoll. Was können wir mehr hoffen, wenn unsere eigene Zeit kommt. – Der Tag, an dem er uns in unserm alten Hause besuchte, ist mir noch so frisch, als wäre es gestern gewesen. Ich erinnere mich seiner ebenso lebhaft als ich mich Deiner erinnere . . . Ich habe noch Vieles zu sagen, kann es aber nicht jetzt sagen. Dein treuer und liebender Freund für's Leben und, ich hoffe, weit darüber hinaus. C. D.« (8. Januar 1845). weil es auf seine eigenen traurigen Erfahrungen und ernsten Ueberzeugungen und Hoffnungen Bezug nimmt. Die Reise nach Süden begann am 20. Januar und fünf Tage später erhielt ich von ihm einen Brief aus La Scala, geschrieben in einem kleinen Wirthshause, das »wie ein britischer Heuschober auf niedrigen Bögen von Ziegelsteinen ruhte«; das Bett in ihrem Zimmer »wie eine Krippe«, die Decke ohne Latten und ohne Mörtel, nicht zu reden von Bequemlichkeit und Anstand; und nichts Besonderes zu essen und zu trinken. »Aber trotz alledem fühle ich eine Zuneigung für dies Land und werde das überall offen sagen.« Sie hatten an jenem Morgen Pisa und den Tag vorher Carrara verlassen, an welchem letzteren Orte ihn eine Ovation erwartete, die Folge des Eifers unsers excentrischen Freundes Fletcher, der sich gerade bei Mr. Walton, einem englischen Marmorhändler, dort aufhielt. »Ein Eingeborner von Yorkshire, der Yorkshire'sches Italienisch mit dem komischsten und angenehmsten Effekt spricht, ein jovialer, gastfreier, vortrefflicher Mensch, eine so seltsame und doch freundliche Mischung von Scharfblick und Einfalt, wie mir je vorgekommen ist. Er ist der einzige Engländer in diesem Lande, der es vermocht hat, einen englischen Haushalt aus italienischen Domestiken zu bilden, aber er hat es auf bewundernswerthe Weise gethan. Bei uns würde sein Haus für einen famosen Landsitz gelten und man lebt darin ›erste Klasse‹. (Ich finde, daß ich ohne es zu wollen, Tom Thumb citire.) Er ist ein Mensch von außerordentlicher Herzensgüte, und hat eine mitleidsvolle Achtung für Fletcher, dem sein Haus als Heimath offen steht, was halb rührend, halb lächerlich ist. Neulich bezahlte er hundert Pfund für ihn, obgleich er weiß, daß er nie einen Pfennig davon wieder sehen wird.« Dickens an Forster (25. Januar 1845). »Es ist ein schönes kleines Theater dort, aus Marmor gebaut, und man hatte dasselbe an jenem Abend mir zu Ehren illuminirt. Man gab wirklich eine ganz hübsche Oper; aber es ist sonderbar, daß der Chor immer, seit unvordenklichen Zeiten, aus den Arbeitern in den Marmorbrüchen gebildet worden ist, die keine Note Musik verstehen und ganz nach dem Gehör singen. Es war übermäßig voll und ich hatte einen großen Empfang. Eine Deputation wartete uns in der Loge auf, und nachher machte das gesammte Orchester sich auf und brachte bei Mr. Walton ein Ständchen.« Zwischen dort und Rom hatten sie eine ziemlich wilde Reise, »Denkst Du,« schrieb Dickens aus Ronciglione, am 29. Januar, »in Deinem Salon, wenn der Nebel Deine weißen Rouleaux gelb färbt und der Wind in dem Golf von Ziegeln und Mörtel, hinter der Perspektive jenes Platzes, mit seiner mittleren Entfernung von zwei hohen Leitern und seinem Hintergrund von Drury-Lane-Himmel, heult – wenn, sage ich, der Wind heult, als wäre sein ältester in Lincolns-Inn-Fields geborener Bruder zur See gegangen, und machte sein Glück auf dem Atlantischen Ocean, – denkst Du zu solchen Zeiten je an Deinen heimathlosen Dick?« und ehe sie Radicofani erreichten, verbreiteten sich störende Gerüchte über Banditen und selbst ungemüthliches Flüstern über ihr Nachtquartier. »Ich fing wirklich an zu denken, wir könnten ein Abenteuer haben, und da ich (wie ein Esel) einen Sack Napoleons von Genua mitgeschleppt hatte, rief ich mir alle möglichen theatralischen Manieren beim Abfeuern von Pistolen vor die Seele, und war um so geneigter sie abzuschießen, weil ich keine hatte.« Es endete jedoch mit keinem schlimmeren Abenteuer, als einem etwas aufregenden Dialog mit einem alten professionellen Bettler in Radicofani selbst, bei dem er, wie er gestehen mußte, den Kürzeren zog. Die Scene fand statt in einem am Abhange eines Hügels gelegenen Städtchen, dessen Einwohner sämmtlich Bettler waren und die Gewohnheit hatten, wie eben so viele Raubvögel auf jeden herankommenden Wagen niederzuschießen.
»Kannst Du Dir« (er nannte hier einen zudringlichen Schwätzer, für dessen Namen ich substituiren werde) »M. F. G. in einem sehr muffigen braunen Rock vorstellen, der seine ganze Gestalt verbirgt, und mit sehr weißem Haar und einem sehr weißen Barte, wie er, einen langen Stab in der Hand, aus diesem Orte hervorstürzt und bettelt? Da war er, ob Du ihn Dir nun vorstellen kannst oder nicht, außer Athem durch die Schnelligkeit seines Rennens und alle Jungen von Radicofani mit seinem Stabe zurückhaltend, damit er es mit mir allein ausfechten könne. Es war sehr naß und auch ich war sehr naß, denn ich hatte, meiner Gewohnheit gemäß, meinen Sitz auf dem Bocke behalten. Der Wind wehte so heftig, daß ich kaum stehen konnte, und überdies befand sich an derselben Stelle ein Zollhaus. Abgesehen von diesem Allen hatte ich kein kleines Geld und der brave E. hat nie welches, wenn ich es für einen Bettler brauche. Nachdem ich mich mehreremale entschuldigt hatte, richtete er sich plötzlich hoch auf und sagte mit dem Blick eines Zauberers (stelle Dir M. F. G., um ihm die Krone aufzusetzen, noch als Zauberer vor!): ›Wissen Sie, was Sie thun, Mylord? Wollen Sie wirklich heute noch weiterfahren?‹ – Ja, sagte ich, allerdings.‹ – ›Mylord, sagte er, wissen Sie, daß Ihr Vetturino mit dieser Gegend unbekannt ist; daß ein Sturm auf dem Berge wüthet, der Sie hinunterfegen wird; daß der Courier, der Wagen und alle Passagiere voriges Jahr von der Straße hinuntergeweht wurden, und daß die Gefahr groß und fast gewiß ist?‹ – ›Nein, sagte ich, ich weiß das nicht.‹ – ›Mylord, ich glaube Sie verstehen mich nicht?‹ – ›Zum Teufel ja, ich verstehe Dich‹, sage ich gereizt (nicht wahr Du kannst Dir's denken?). ›Sprich mit meinem Diener. Es ist seine Sache, nicht meine,‹ – denn er war M. F. G. wirklich zu ähnlich, als daß ich Geduld mit ihm hätte haben können. Hättest Du ihn da gesehen! – ›Santa Maria, diese englischen Lords! Es ist nicht ihre Sache wenn sie getödtet werden! Sie überlassen es ihren Dienern!‹ – Damit zog er die Knaben zurück, flüsterte ihnen zu, sich dem Ketzer fern zu halten und lief wieder den Hügel hinauf, fast so schnell als er herunter gekommen war. Als wir weiter fuhren, stand er in einer kleinen Entfernung still und schrie, mit seinem langen Stabe auf Roche weisend, hinter mir her: ›Also es ist seine Sache, wenn Sie getödtet werden, Mylord? Ha, ha, ha! Wessen Sache ist es, wenn die englischen Lords geboren werden? Ha, ha, ha!‹ Die Jungen stimmten mit schrillem Gellen ein, und ich ließ es an diesem Punkte mit dem Spaße und mit ihnen sein Bewenden haben. Aber ich muß gestehen, daß er meiner Meinung nach den Vortheil über mich davontrug. Und er hatte auch insofern Recht mit dem was er sagte, daß, als wir auf den Bergpaß kamen, der Wind so entsetzlich wurde, daß wir Kate aus dem Wagen heben mußten, um zu verhindern, daß sie nicht mit dem Wagen und Allem hinübergeweht wurde, und uns selbst auf der Windseite an den Wagen hängen mußten, damit er nicht, der Himmel weiß wohin, ginge!«
Der erste Eindruck von Rom war enttäuschend. Es war am Abend des 30. Januar, und auf wolkenbedeckten Himmel, traurigen kalten Regen und kothige Trottoirs war er vorbereitet; aber er war nicht vorbereitet auf die langen Straßen voll alltäglicher Häuser, wie in Paris oder irgend einer andern Hauptstadt, auf das geschäftige Volk, die Equipagen, die gewöhnlichen Spaziergänger. »Es war ebenso wenig mein Rom, das entwürdigte und gefallene, das in der Sonne unter Trümmerhaufen schlafend daliegt, als Lincolns-Inn-Fields es ist. So ging ich wirklich in sehr lauer Stimmung zu Bette.« Daß dies Alles späteren und würdigeren Eindrücken Platz machte, brauche ich kaum zu sagen. Nie in seinem Leben, wie er mir später erzählte, hatte etwas ihn so erschüttert und überwältigt wie der Anblick des Kolosseums, »außer vielleicht die erste Betrachtung des Niagarafalls«. Für die Zwischenzeit vor der heiligen Woche ging er nach Neapel, und in seinem ersten von dort geschriebenen Briefe erklärte er, er habe vor seiner Abreise die wunderbaren Seiten Roms gefunden, und an Einsamkeit und Großartigkeit der Zerstörung könne nichts die Südseite der Campagna übertreffen. Aber weiter und weiter nach Süden war das Wetter schlechter geworden; und eine ganze Woche vor seinem Briefe (11. Februar) hatte er nur einmal heitern Himmel gesehen, als bei Terracina die Sonne über dem Meere aufstieg. »Von diesem Orte, der sehr schön ist, kannst Du Dir einen sehr guten Begriff machen, wenn Du Dir etwas der Scenerie in Fra Diavolo so vollkommen Unähnliches als möglich vorstellst.« Der Golf von Neapel machte ihm keinen so großen Eindruck als der von Genua, dessen Formen er vollkommener fand in ihrer Schönheit und dessen geringerer Umfang den Beschauer in den Stand setze, Alles auf einmal zu sehen und es mehr als ein entzückendes Bild zu empfinden. Gegen die Stadt faßte er die größte Abneigung. Er thut in seinem Buche des Begräbnißplatzes für die Armen von Neapel nicht Erwähnung, spricht aber in seinen Briefen in Ausdrücken davon die der Aufbewahrung werth sind. »In Neapel besteht der Begräbnißplatz der armen Leute in einem gepflasterten Hofe, mit dreihundert und fünfundsechzig Gruben darin, deren jede von einem darüber befestigten viereckigen Steine bedeckt ist. Eine dieser Gruben wird jeden Abend im Jahre geöffnet, die Körper der gestorbenen Armen werden in der Stadt gesammelt, in einem Karren (dem ähnlich, von dem ich Dir in Rom erzählte) hinausgebracht und uneingesargt hineingeworfen. Dann gießt man etwas Kalk in die Grube und hält sie verschlossen bis ein Jahr vorüber ist, und sie wieder an die Reihe kommt. Jeden Abend wird so eine Grube geöffnet, und jeden Abend wird dieselbe Grube wieder auf zwölf Monate verschlossen. An dem Karren ist eine rothe Lampe befestigt und ungefähr um 10 Uhr Abends sieht man ihn durch die Straßen von Neapel schimmern, an den Thüren der Hospitäler, der Gefängnisse und ähnlicher Orte anhalten, um seine Last zu vermehren und dann wieder weiter zu rasseln. Mit dem neuen Kirchhofe (einem sehr schönen und gut gehaltenen, in jeder Hinsicht unendlich viel besser als der Père Lachaise), ist ein anderer ähnlicher Hof verbunden, aber nicht so groß.« . . . Im Zusammenhang mit demselben Gegenstande fügt er hinzu: »In der Umgegend von Neapel trägt man die Todten unbedeckt durch die Straße, auf einer offenen Bahre, die mitunter auf eine Art Palanquin gehoben wird, der mit einem roth und goldenen Tuche bedeckt ist. Dies Ausstellen der Todten ist jenem Theile Italiens nicht eigenthümlich, denn ungefähr in der Mitte des Weges zwischen Rom und Genua begegneten wir einem Leichenzuge, welcher der Leiche einer Frau folgte, bei dem der Körper sich in seiner gewöhnlichen Kleidung darstellte, wie es mir (der von dem hohen Sitz auf dem Bocke eines Reisewagens herabblickte) vorkam, fast als wäre er lebendig und auf einem Bett ruhend. Ein begleitender Priester sang lustig darauf los – und so schlecht wie die Priester es ohne Ausnahme thun. Ihr Lärm ist entsetzlich.« »Der Zustand des gemeinen Volkes hier ist verworfen und schauderhaft. Ich fürchte, die hergebrachte Vorstellung des Malerischen ist mit so viel Elend und Entartung verknüpft, daß ein neues Malerisches hergestellt werden muß, wenn die Welt fortschreitet. Mit Ausnahme von Fondi habe ich Nichts auf Erden gesehen, was so schmutzig ist wie Neapel. Ich weiß nicht, womit ich die Straßen vergleichen soll, wo die Masse der Lazzaroni wohnt. Erinnerst Du Dich meines Lieblings-Schweinestalls in Broadstairs? Es sind hier mehr Straßen von solchen Räumlichkeiten, Stockwerk auf Stockwerk gehäuft und Häuser auf Häuser gestürzt, als irgend etwas Anderes woran ich in diesem Augenblick denken kann.« In einem spätern Briefe war er noch weniger tolerant. »Was gäbe ich nicht, könntest Du die Lazzaroni sehen, wie sie wirklich sind – nichts als schmutzige, verworfene, elende Thiere, auf denen Ungeziefer sich mästet; träge, schleichende, häßliche, schäbige, gassenkehrende Vogelscheuchen! Und o! das Gesindel von Grafen und die mehr als zweifelhaften Gräfinnen, die Einfaltspinsel und die Spitzbuben, die gute Gesellschaft! Und o! die Meilen kläglicher Straßen und elender Bewohner »Thackeray rühmt an dem italienischen Volke, daß es freundlich mit den Thieren umgehe. Es gibt wohl kein Land in der Welt, wo die Thiere mit so entsetzlicher Grausamkeit behandelt werden. Das ist allgemein.« (Neapel, 2. Februar 1845.) Eine emphatische Bestätigung dieses Urtheils gab noch vor Kurzem der Neapolitanische Correspondent der Times in einem Briefe vom Februar 1872. (im Vergleich mit welchen Saffron-Hill und die Boroughmünze eine Art kleiner Gentilität ist), die von englischen Lords und Ladies so malerisch gefunden werden, denen das geheim gelassene Elend das niedrigste der niedrigen, und das schmählichste der schmählichen, und das gemeinste aller gemeinen Dinge ist. Nun, nun! Ich habe oft gedacht, daß eine der besten Aussichten auf Unsterblichkeit für einen Schriftsteller in dem Tode seiner Sprache liegt; denn dann wird er sofort gute Gesellschaft, und oft denke ich hier: Was würden Sie zu diesen Leuten sagen, Mylady und Mylord, wenn sie aus dem heimischen Wörterbuch Ihrer eigenen ›niederen Volksklassen‹ sprächen?«
Sonntag, den zweiten März, war er wieder in Rom. Traurige Nachrichten von mir, in Bezug auf einen gemeinsamen und sehr theuern Freund, erwarteten ihn dort. Aber dies ist ein Gegenstand, bei dem ich nicht weiter verweilen kann, als indem ich noch sage, daß Vieles daraus hervorging, was selbst einen solchen Kummer lindern mußte; und ich kann dies nicht besser andeuten, als durch die nachstehenden weisen und zarten Worte von Dickens. »Keine Philosophie wird diese furchtbaren Dinge ertragen, oder ihnen auch nur einen Augenblick die Spitze bieten, außer die praktische, daß wir in Gedanken und Handlungen alles Gute thun was wir thun können. Während wir, Gott helfe uns! selbst so leicht von uns selbst abfallen, und ringsum so schreckliche Leiden die Welt in der wir leben bedrängen, wird nichts Anderes uns hindurchhelfen . . . Welch' ein Trost, an das zu denken was Du mir sagst. Bulwer Lytton's Benehmen ist das eines hochherzigen und edeldenkenden Menschen, wofür ich ihn immer gehalten habe. Auch unser lieber guter Procter! Und Thackeray, – wie haben sie alle es ernst gemeint! Es freut mich sehr, zu finden, daß Du Charles Lever besonders erwähnst. Jeder Name den Du nennst, freut mich. Es spricht etwas für unsern Beruf, bei allen seinen kläglichen Streitigkeiten und Eifersüchteleien, daß, in einem Falle wie dem gegenwärtigen, der gemeinsame Impuls aller seiner Jünger über jeden Zweifel hinaus von der edelsten Art ist.«
Nach den Ceremonieen der heiligen Woche, deren an mich gesandte Schilderungen in sein Buch aufgenommen wurden, ging er nach Florenz, das später neben Venedig und neben Genua in seiner Erinnerung lebte. Er hielt diese Städte für die drei großen Städte Italiens. »Es gibt einige Orte »hier Von seinem Besuch in Fiesole habe ich in meinem »Leben Landor's« gesprochen. »Zehn Jahre nachdem Landor seine Heimath verloren hatte, besuchte ein in Italien reisender Engländer, sein Freund und meiner, die Nachbarschaft um seinetwillen, fuhr von Florenz nach Fiesole hinaus, und fragte seinen Kutscher, welches die Villa sei, in der die Familie Landor wohne. ›Er war ein Dummkopf und zeigte auf Boccaccio's Villa. Ich glaubte ihm nicht. Er war so verteufelt rasch bei der Hand, daß ich wußte, er log. Ich ging nach dem Kloster hinaus, das auf der Höhe steht, lehnte mich über eine niedrige Mauer, und sonnte mich in der herrlichen Aussicht über eine weite Hügel- und Thallandschaft, als ein kleines Bauermädchen herbeikam und anfing, mir die Oertlichkeiten zu erklären. Ecco la ville Landora! war einer von dem ersten Halbdutzend Sätzen die sie sprach. Mein Herz schwoll, wie Landor's Herz gethan haben würde, als ich darauf hinblickte, wie sie von Olivenbäumen und Weingärten umgeben dalag, ihre oberen Fenster (es sind fünf über der Thür) dem Sonnenuntergang zugekehrt. Ueber der Mitte dieser Fenster erhebt sich noch ein Stockwerk, das wie ein Thurm oben auf das Haus gestellt ist, und ganz Italien, mit Ausnahme seines Meeres, ist zusammengedrängt in die glänzende Landschaft, die sich dort ausbreitet. Ich pflückte, indem ich hinblickte, ein Epheublatt aus dem Klostergarten, und hier ist es – für Landor. Mit meinem Freundesgruß.‹ – So schrieb Dickens mir aus Florenz, am 2. April 1845. und als ich in demselben Monat, nach einer Zwischenzeit von genau zwanzig Jahren, Landor's Papiere durchblätterte, fand ich das Epheublatt, sorgfältig eingeschlossen in dem Briefe, worin ich es geschickt hatte.« Dickens hatte Landor vor seiner Abreise gefragt, was er am liebsten zum Andenken an Italien haben möchte. »Ein Epheublatt aus Fiesole,« sagte Landor. – o Himmel, wie schön! Ich wollte Du könntest den Thurm des Palazzo Vecchio sehen, wie er in diesem Augenblick am jenseitigen Ufer des Arno vor mir liegt. Aber ich werde Dir mehr darüber erzählen und über ganz Florenz, wenn ich in meinem schattigen Armstuhl droben unter den Orangen des Palazzo Peschiere sitze. Es wird mir nicht leid thun, wenn ich mich wieder hineinsetze . . . Der arme Hood, der arme Hood! Ich sehe seinem Tode entgegen und er leidet noch weiter. Und Sydney Smith's Bruder nach dem armen lieben Sydney selbst dahin gegangen! Maltby wird verwittern wenn er es liest, und der arme alte Rogers wird drei Wochen lang jeden Tag einem jungen Manne beim Dîner widersprechen.«
Ehe er Florenz verließ (4. April), hörte ich von einem »sehr angenehmen und sehr lustigen« Tage bei Lord Holland, und ich hätte erwähnen sollen, wie befriedigt er in Neapel durch die Aufmerksamkeiten des dortigen englischen Gesandten, Mr. Temple, Lord Palmerston's Bruder, war, den er als einen äußerst angenehmen Mann schilderte, von dem feinsten Takt und von jenem wahrhaftesten gentlemännischen Benehmen, das seine Wurzel in einer gütigen und edeldenkenden Natur hat. Den Palazzo Peschiere erreichte er Mittwoch, den 9. April. Hier fuhr er fort, mir jede Woche zu schreiben, so lange er dort blieb, über Alles was er sah, vorläufig ohne bestimmten Zweck, außer dem Vergnügen, mit mir seine Eindrücke und Empfindungen auszutauschen. »Im Ernst,« schrieb er mir am 13. April, »es ist mir eine große Freude zu finden, daß diese Schatten im Wasser Dir wirklich gefallen, und daß Du es für der Mühe werth hältst, sie zu betrachten. Da ich an solchen seltsamen Orten und zu so seltsamen Zeiten schrieb, bin ich sehr oft wüthend über mich selbst gewesen, daß ich es nicht besser machte. Aber d'Orsay, von dem ich vor drei Tagen einen allerliebsten Brief bekam, scheint über das was Du ihm davon gezeigt hast, zu denken wie Du selbst und sagt, es erinnert ihn lebhaft an den wirklichen Anblick dieser Scenen . . . Nun, wenn wir, nachdem wir zu Rathe gesessen haben, zu dem Schlusse kommen, daß von den darin enthaltenen Erfahrungen Gebrauch zu machen ist, wollen wir Bradbury und Evans zu ihrem Antheil und ihrer Meinung in der Sache zuziehen.« Kurz vor seiner Abreise (7. Juni) bezog er sich noch einmal auf diesen Gegenstand. »Ich bin ebenso unentschieden wie Du über die Briefe mit diesen italienischen Erlebnissen, die ich an Dich geschrieben habe. Mit dem besten Willen kann ich keinen Plan ersinnen, sie zu meiner eigenen Befriedigung zu benutzen und bin doch wieder ganz Deiner Meinung, daß ich sie in irgend einer Form benutzen sollte.« Umstände welche damals nicht in Betracht gezogen wurden, entschieden die Form welche sie schließlich annahmen.
Noch zwei Monate fehlten an der Vollendung seiner italienischen Ferien und ich glaube nicht, daß er irgend einen Theil derselben so sehr genoß als ihren Schluß. Er hatte in Genua eine wirkliche Freundschaft geschlossen, hing sehr an dem geselligen Kreise, den er dort um sich versammelt hatte, und erfreute sich der Ruhe nach seinen Reisen um so mehr wegen der kleinen Aufregung die er empfand, indem er ihre Thätigkeit Woche auf Woche in jenen Briefen an mich noch einmal durchlebte. Und so hörte ich aus »seinem schattigen Armstuhl droben unter den Orangen des Palazzo Peschiere« in regelmäßigen Zwischenräumen das was er sein Wandergespräch nannte, bereiste mit ihm von Neuem alle Straßen auf denen er gefahren war, und empfing von den bedeutenderen Scenen und Städten, wie Venedig, Rom und Neapel, eine so reiche Ausfüllung der zuerst geschickten Umrisse, daß der schließlich dafür gewählte Titel: Bilder ganz gerechtfertigt war. Auch das Wetter war diese ganze Zeit über ohne Mängel gewesen. »Seit unserer Rückkehr,« schrieb er am 27. April, »haben wir reizende Frühlingstage gehabt. Der Garten ist ein Rosenhain; wir haben aufgehört zu heizen, und wir frühstücken und diniren wieder in der großen Halle, bei offenen Fenstern. Heute regnet es, aber man gebrauchte etwas Regen, und so fühlt niemand sich dadurch verstimmt. So weit ich bis jetzt Gelegenheit gehabt habe, mir ein Urtheil zu bilden, ist der Frühling die schönste Jahreszeit in diesem Lande. Aber trotz alledem sehe ich mit Verlangen dem 10. Juni entgegen, voller Ungeduld, unsere schönen alten Spaziergänge und alten Gespräche in der lieben alten Heimath zu erneuern.«
Besondere Vorfälle gab es während dieser Schlußwochen nur wenige; aber diejenigen die er erwähnte, enthielten humoristische oder charakteristische Eigenthümlichkeiten, welche noch immer bemerkenswerth sind. Zwei Männer wurden in der Stadt gehängt und zwei vornehme Damen verabredeten sich, wie er mir erzählte, eine Zeit lang so unablässig für die Seelen dieser beiden elenden Geschöpfe zu beten, daß der Himmel keinen Augenblick in Ruhe gelassen werde, zu welchem Zwecke »sie einander auf solche Weise ablösten«, daß während der ganzen zwischen ihnen verabredeten Zeit eine von ihnen immer in der Kathedralkirche von San Lorenzo auf den Knieen lag. Er schloß hieraus, daß »eine krankhafte Sympathie für Verbrecher sich nicht völlig auf England beschränkt, obgleich sie dort vielleicht mehr Menschen afficirt als irgendwo sonst«.
Ueber die italienischen Todtengebräuche sind einige Bemerkungen aus seinen Briefen mitgetheilt worden, und vor seiner Abreise erlebte er noch ein Beispiel von der Art und Weise wie englische Ansiedler dadurch berührt wurden. Ein mit seinem Freunde Fletcher bekannter Herr, der eine Meile von Genua wohnte, hatte das Unglück seine Frau zu verlieren, und da außerhalb der Stadtthore kein Todtengefolge, ja selbst kein anständiges Fuhrwerk zu erlangen war, Fletcher aber dem Trauernden nichtsdestoweniger die traurige Genugthuung eines englischen Leichenbegängnisses versprochen und sich inzwischen insgeheim die größte Mühe gegeben hatte, mit einem Genuesischen Leichenbesorger das Nöthige anzuordnen, erschien an dem festgesetzten Morgen eine sehr gelbe Kutsche mit zwei Pferden, und einem Kutscher in noch helleren scharlachrothen Hosen und Weste, der den Mann und die Leiche zusammen hineinsetzen wollte. »Sie waren gezwungen, eine der Kutschenthüren offenzulassen, um auch nur für den Sarg den nöthigen Raum zu finden; der Wittwer begleitete den Wagen zu Fuß nach dem protestantischen Kirchhof, und Fletcher ritt auf einem großen Schimmel hinterher.«
Scharlachrothe Hosen erscheinen, nicht weniger charakteristisch, von Neuem in dem Bericht seines nächsten Briefes über ein paar englische Reisende, die um diese Zeit (24. Mai) von einem Theil des Parterres im Palazzo Peschiere Besitz nahmen. Sie hatten einen sanftmüthigen englischen Bedienten bei sich, der Dickens' Domestiken sofort, neben andern persönlichen Beschwerden, anvertraute, daß er Alles, sogar das Kochen, in scharlachrothen Kniehosen thun müsse, was ihn, wie er betheuerte, »in einem heißen Klima zu Grunde richte«. »Er ist ein armer sanfter Mensch vom Lande, und sein Herr sperrt ihn Nachts in einem Zimmer im Erdgeschoß ein, dessen Fenster mit Eisenstangen verwahrt ist. Zwischen letzteren schieben unsere Diener um Mitternacht Wein hinein. Sein Herr und seine Herrin kaufen alte Kasten in den Raritätenbuden und bringen ihr Leben damit hin, dieselben mit Stücken von buntem Sammet zu füttern. Eine wunderliche Existenz, nicht wahr? Wir sind glücklich gewesen, daß wir bis jetzt den Palast für uns allein hatten; aber er ist so groß, daß wir nie etwas von diesen Leuten sehen oder hören und ich würde nicht einmal gewußt haben, daß ein anderer Theil des Parterres an Freunde der alten Lady Holland vermiethet ist, hätten diese uns nicht einen Besuch gemacht – mir ist als sähe ich die alte Dame wieder, wie sie um den lieben Sydney Smith weint, hinter jenem grünen Schirm, wo wir sie zuletzt zusammen sahen.« Sydney Smith starb am 22. Februar 1845, in seinem 77sten Jahre.
Dann folgte ein anderer, ebenfalls charakteristischer kleiner Zwischenfall. Ein englisches Kriegsschiff, ›The Phantom‹, erschien im Hafen, und unter andern Aufmerksamkeiten welche der Capitän, Sir Henry Nicholson ihm erwies, erhielt Dickens eine Einladung zu einem Gabelfrühstück an Bord, für sich und seine Frau, für welche zur festgesetzten Zeit ein Boot an den Ponte Reale geschickt werden sollte. Da aber kein Boot dort erschien, schickte Dickens seinen Diener in einem andern Boot nach dem Schiffe, um zu sagen, er fürchte es sei ein Mißverständniß vorgefallen. »Während wir in seiner Abwesenheit eine benachbarte Piazza auf- und abwanderten, kommt ein prächtiger Kerl in dunkelblauem Hemd, mit weißem Saum um den Kragen herum, den richtigen Korkzieherlocken und einem Gesicht braun wie eine Beere, auf mich zu und sagt: ›Bitte um Vergebung, Sir, – Mr. Dickens?‹ – ›Ja.‹ – ›Bitte um Vergebung, Sir, aber ich bin einer von der Schiffsmannschaft des ›Phantom‹, Sir, Bootführer des Capitänboots, Sir, es liegt dort an der Ecke, Sir, ist eine halbe Stunde da gewesen.‹ – ›Aber mein guter Freund‹, sagte ich, ›Ihr seid an der falschen Stelle.‹ – ›Bitte um Vergebung, Sir, ich fürchtete, es wäre die falsche Stelle, Sir, aber ich habe diese Genuesen hier zwanzigmal gefragt, Sir, ob es Port Real wäre, und sie wissen nicht mehr davon wie ein todter Esel.‹ – Ist es nicht köstlich, daß er einen regulären Portsmouth-Namen daraus machte?«
Dies stand in seinem Briefe vom 1. Juni, den er damit anfing, daß er mir sagte, er habe ihn zweimal angefangen und zweimal in den Papierkorb geworfen, so groß sei seine Abneigung zu schreiben, da die Zeit zur Abreise herankomme – und der folgendermaßen schloß. »Die Leuchtwürmer sind jetzt des Nachts wunderbar glänzend, sie machen ein anderes Firmament zwischen den Felsen am Meeresufer und in den Weinbergen auf dem Lande. Sie kommen in die Schlafzimmer und fliegen die ganze Nacht wie schöne kleine Lampen umher. Eine Bemerkung hierüber in meiner Antwort veranlaßte ihn zu folgenden Aeußerungen, in einem auf der Heimreise geschriebenen Briefe. »Aeußerst seltsam jene Bemerkung von Dir. Ich hatte mich in Rom gewundert, daß Juvenal (den ich immer, bei allen Gelegenheiten, aus meiner Reisetasche hervorgezogen habe) die Leuchtwürmer nie als ein poetisches Bild gebraucht. Aber selbst jetzt sieht man sie nur theilweise und nirgends, glaube ich, in so ungeheurer Menge wie an der mittelländischen Küstenstraße zwischen Genua und Spezzia. Ich will der Curiosität halber herauszufinden suchen, ob um diese Zeit welche in Rom sind, oder zwischen Rom und dem Landhause des Mäcenas – auf dem Grund und Boden von Horazens Fahrten. Ich weiß, daß auf der französischen Seite von Genua ein Ort ist, wo sie an einer bestimmten Grenzlinie anfangen, und nie darüber hinaus gesehen werden . . . Ich bin ganz wild danach, Dich in Brüssel zu sehen. Was für ein Wiedersehen werden wir haben, so Gott will!« . . . Ich habe, wie Du weißt, viel aufgegeben, worauf ich mein Herz gesetzt hatte, indem ich zugestand, daß Du Grund hättest nicht zu uns hierher zu kommen. Aber ich halte fest an der Hoffnung, daß Du und Mac uns bis Brüssel entgegenkommt, da es sich so leicht thun läßt. Einige Tage dort und in Antwerpen würden sehr glücklich für uns sein, und wir könnten doch am Tage unserer Ankunft in Lincolns-Inn-Fields diniren.« Ich war außer Stande gewesen, mich ihm in Genua anzuschließen, so dringend er dies auch gewünscht hatte; aber was hier gesagt ist, geschah, und Jerrold vermehrte unsere Gesellschaft.
Sein letzter Brief aus Genua wurde am 7. Juni geschrieben, nicht in dem Peschiere, sondern in einem benachbarten Palast, dem Brignole Rosso, in den er vor den Leiden des Ausziehens geflohen war. »Oben in dem Peschiere ist Alles in der größten Unordnung, wie Du Dir denken kannst; und Roche befindet sich in einem Zustand gewaltiger Aufregung, denn er ist beschäftigt, das Inventarium mit dem Hausagenten zu regeln, der mir soeben gesagt hat, Roche sei der Teufel selbst. Der Agent hatte an mich appellirt, und ich hatte mich mit diesem Meinungsausdruck begnügt: ›Signor Noli, Sie sind ein alter Betrüger.‹ – ›Illustrissimo‹, erwiederte hierauf Signor Noli, ›Ihr Diener ist der Teufel selbst, auf die Erde gesandt, um mich zu quälen.‹ Ich blicke gelegentlich nach dem Peschiere hinüber (er ist von diesem Zimmer aus sichtbar) in der Erwartung, einen von ihnen aus dem Fenster fliegen zu sehen. Eine andere große Ursache der Aufregung ist, daß man seit unserer Rückkehr von Rom mit dem Pflastern der Straße beschäftigt gewesen ist, die nach dem Hause führt. In Folge davon haben wir seitdem den Wagen nicht hinauf bekommen können, und wenn man nicht heute Abend fertig wird, wird er nicht im Garten bepackt werden können, sondern die Sachen werden in Körben, bunt durcheinander, hinuntergebracht und in der Straße gepackt werden müssen. Um diese unbequeme Nothwendigkeit zu vermeiden, machte der Brave den Pflasterern gestern Abend Vorschläge zur Bestechung und bewog sie, zu versprechen, daß der Wagen heute Abend um sieben Uhr heraufkommen solle. Die Art wie man hier diese Pflasterarbeit thut, besteht darin, mit einer Hacke zwei oder drei Schläge zu thun, und sich dann auf eine Stunde zum Schlafen hinzulegen. Als ich hinkam, hatte der Brave sich herausgemacht, um das Terrain zu untersuchen, und stand allein in der Sonne, unter einem Haufen liegender Gestalten. In seinem Gesichte malte sich eine große Verzweiflung, die es schwer sein würde zu übertreffen. Es war wie ein Gemälde – ›Nach der Schlacht‹ – Napoleon von dem Braven – die Leichen von den Pflasterern dargestellt.«
Er kehrte heim über den großen St. Gotthard, und wurde ganz hingerissen durch das was er in der Schweiz sah. Das Land war so göttlich, daß er sich wahrlich gewundert haben würde, wären dessen Söhne und Töchter je etwas anderes gewesen als ein patriotisches Volk. Aber so unendlich viel höher er die Schweiz in dem Glanze ihrer Natur über das Land stellte das er verlassen, so hatte er doch etwas Bezauberndes verloren indem er Italien verließ, und er gab dieser Empfindung einen schönen Ausdruck in dem Brief aus Luzern (14. Juni), welcher die Darstellung seines italienischen Lebens beschließt.
»Wir kamen über den St. Gotthard, der erst acht Tage offen gewesen ist. Der Fahrweg ist durch Schnee gehauen, und der Wagen windet sich über einen engen Pfad dahin, zwischen zwei massiven Schneewällen von zwanzig oder mehr Fuß Höhe. Ueber der Straße, die selbst siebentausend Fuß über dem Meere liegt, ziehen sich gewaltige Schneeflächen die Bergabhänge hinauf und furchtbare Wasserfälle, die sich in den weiten Schneemassen Bahnen aushöhlen, donnern hier und dort und überall von den steilen Höhen in tiefe Klüfte hinunter, und das blaue Wasser stürzt durch den weißen Schnee mit einer Schönheit welche höchst erhaben ist. Der Paß selbst, der bloße Paß über den Gipfel, ist meiner Meinung nach nicht so schön als der Simplon, und es befindet sich keine Ebene auf der Höhe, denn sobald man dieselbe erreicht hat, beginnt auch die Fahrt bergab. So daß die Einsamkeit und Wildheit des Simplon dort nicht erreicht wird. Aber da der Paß weit höher ist, erstreckt die Auffahrt und die Niederfahrt sich über einen viel größeren Raum Landes, und auf beiden Seiten sind Stellen von einer furchtbaren Großartigkeit, die, wie ich glaube, in der ganzen Welt nicht übertroffen werden kann. Die Teufelsbrücke, schreckenerregend! Die ganze Stelle zwischen Andermatt (wo wir Freitag Nacht schliefen) und Altdorf, Wilhelm Tell's Stadt, die wir gestern Nachmittag passirten, ist die höchste Vollendung von Allem, was man sich von schweizerischer Scenerie vorstellen kann. O Gott! was für ein schönes Land es ist! Wie arm und zusammengeschrumpft ist daneben Italien, in seiner glänzendsten Gestalt!«
»Ich betrachte die Niederfahrt von dem großen St. Gotthard, mit einem Wagen und vier Pferden und einem Postillon, als das gefährlichste Ding was ein Wagen und Pferde unternehmen können. Wir hatten zwei große hölzerne Blöcke als Hemmschuhe, und beide brachen wie Schwefelhölzchen entzwei. Die Straße ist wie eine Wendeltreppe, unter der furchtbare Abgründe liegen, und bei jeder Wendung ist es, oder scheint es eine Frage zu sein, ob die Vorderpferde herum oder hinübergehen werden. Die Sicherheit der ganzen Gesellschaft kann von einem Riemen an dem Kutschgeschirr abhängen, und wenn wir unser verrottetes Geschirr gestern einmal brachen, so brachen wir es wenigstens ein halbes Dutzend mal. Die Schwierigkeit die Pferde in dem beständigen und steilen Cirkel zusammenzuhalten, ist ungeheuer. Sie gleiten aus und glitschen, und kommen mit ihren Beinen über die Riemen, und werden gegen die Felsen hingezogen – Wagen, Pferde, Kutschgeschirr, Alles in einem verworrenen Haufen. Der Brave und ich und der Postillon waren fortwährend beschäftigt, das Ganze wie einen Strang Zwirn zu entwirren. Bei alledem zerbrachen uns zwei dicke eiserne Ketten und ein Räderkasten, und der Wagen wird jetzt unter unserm Fenster, am Rande des Sees, ausgebessert, wobei eine Frau in kurzen Unterröcken, einem Brusttuch und zwei gewaltig langen schwarzen Zöpfen, die fast bis auf ihre Fersen an ihrem Rücken hinabhängen, zusieht – anscheinend für ein Melodrama gekleidet, aber in Wahrheit die Kellnerin in diesem Gasthause.
»Wenn die schweizer Dörfer mir im Winter schön schienen, so ist ihr sommerlicher Anblick höchst reizend, höchst bezaubernd, höchst entzückend. Eingeschlossen von hohen, mit ewigem Schnee bedeckten Bergen, und auf einen reichen Teppich des weichsten Rasens hingestellt, scheinen sie ebenso viele Häfen der Zuflucht aus der Unruhe und dem Elend der großen Städte. Die Reinlichkeit der kleinen Kinderhäuschen von Gasthöfen ist wunderbar für die, welche aus Italien kommen. Aber die schönen italienischen Manieren, die süße Sprache, das rasche Erkennen eines freundlichen Blicks oder eines heiteren Wortes, der gewinnende Ausdruck eines Wunsches in Allem gefällig zu sein, bleiben hinter den Alpen zurück. Wenn ich mich daran erinnere, so seufze ich wieder nach dem Schmutz, den Fußböden von Ziegelsteinen, den kahlen Wänden, den ungetünchten Decken und zerbrochenen Fenstern.«
Wir trafen uns in Brüssel; Maclise, Jerrold, ich selbst und die Reisenden verlebten zusammen eine schöne Woche in Flandern und waren zu Ende Juni in England.
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